Café Critique, Jahr 2005
Juni
2005

10 Jahre Dayton

Ein ethnisch reiner Frieden

Nach Wochen zäher Verhandlungen konnten die amerikanischen Verhandlungsführer der Weltöffentlichkeit am 21. November 1995 auf einer Air Force Base in Dayton, Ohio, den erhofften politischen Erfolg präsentieren. Das Abkommen, auf das sich die Präsidenten Tudjman, Milosevic und Izetbegovic verständigen konnten, markierte den vorläufigen Schlusspunkt unter jene Reihe von Kriegen, die seit Beginn der neunziger Jahre Jugoslawien erschüttert und zu dessen Zertrümmerung geführt hatten. Mehrfach drohten die Verhandlungen zu scheitern. Insbesondere Izetbegovic war nur durch massiven amerikanischen Druck dazu zu bewegen, Kompromisse zu schließen. Nach drei Jahren Krieg befand sich die bosnische Armee nun zum ersten Mal in der Lage, größere Gebietsgewinne in Territorien zu verzeichnen, die bislang unter bosnisch-serbischer Kontrolle gestanden hatten. Warum sollten die bosnischen Muslime den Krieg also ausgerechnet zu einem Zeitpunkt beenden, an dem sie in die Offensive gehen konnten? Doch die militärischen Erfolge konnten nur aufgrund der Mithilfe der kroatischen Armee und der unter Führung der USA durchgeführten massiven Luftschläge auf serbische Stellungen eintreten. Erst die Drohungen Tudjmans und des amerikanischen Vermittlers Richard Holbrooke, die Unterstützung der bosnischen Muslime zu beenden, konnten Izetbegovic von der Notwendigkeit eines Friedensabkommens überzeugen. Der vom Westen als Erfolg bewertete Dayton-Vertrag beendete zwar den Krieg in Bosnien, bestätigte aber den Irrsinn, der die Grundlage der blutigen Auseinandersetzungen bildete.

Die jugoslawische Tragödie

Die jugoslawische Tragödie war das Resultat eines Zusammenpralls konkurrierender Nationalismen, der Sezession einzelner Teilrepubliken und der dadurch hervorgerufenen Neuordnung der Region entlang ethnischer Linien. Im Falle Sloweniens war dies noch weitgehend unproblematisch, denn in der Bevölkerung gab es keine zahlenmäßig bedeutenden Minderheiten. Auf die Unabhängigkeitserklärung Sloweniens am 25. Juni 1991 folgte eine zehn Tage andauernde Phase kleinerer militärischer Scharmützel zwischen slowenischen Truppen und der jugoslawischen Bundesarmee. Der Krieg in Slowenien hatte mehr mit internationalen Fernsehbildern zu tun, als mit dem Kampf um Territorien oder Frontlinien.

In Kroatien lebte jedoch eine bedeutende serbische Minderheit, und die serbische Führung hatte deutlich gemacht, dass sie einer Sezession der kroatischen Teilrepublik nicht tatenlos zusehen würde. Wenn die Kroaten sich auf ihr ’nationales Selbstbestimmungsrecht’ berufen könnten, so müsse dies auch für die serbische Bevölkerung in Kroatien legitim sein. Auf die Unabhängigkeitserklärung Kroatiens folgte ein blutiger Krieg, in dem Kroatien weite Teile Ostslawoniens sowie die gesamte Krajina, also rund ein Drittel seines Staatsgebietes, an serbische Verbände und die jugoslawische Volksarmee verlor. In Kroatien entwickelte sich ein Schema der Kriegsführung, dass unter der Bezeichnung ’ethnische Säuberung’ die Zerfallskriege Jugoslawiens prägen sollte: Umkämpfte Städte und Dörfer wurden wochen- und monatelang unter Beschuss genommen, bis die örtliche Bevölkerung schließlich flüchtete oder bei Einnahme der Ortschaften zum Teil vertrieben, zum Teil massakriert wurde.

Der Fall Bosnien-Herzegowina

Führte die Zerstückelung Jugoslawien nach Maßgabe vermeintlich ethnischer Kriterien schon in Kroatien zum Krieg, so war das Ausbrechen von Kämpfen in Bosnien-Herzegowina mit seinen großen bosnisch-muslimischen, serbischen und kroatischen Bevölkerungsgruppen fast unvermeidlich. Bei den ersten freien Wahlen in der bosnisch-herzegowinischen Teilrepublik im November 1990 wurde zum überwältigenden Teil gemäß ethnischer Zugehörigkeit gewählt. Die Politik der europäischen Staaten trug alles zur Verschärfung der Lage bei. Besonders Deutschland und Österreich taten sich bei der Unterstützung der slowenischen und kroatischen Unabhängigkeitsbestrebungen hervor. Mit der Anerkennung der beiden Staaten im Jänner 1992 durch die EG wurde Bosnien förmlich in den Krieg getrieben. Präsident Izetbegovic hatte nun die Wahl, im vom serbischen Nationalismus dominierten Restjugoslawien zu verbleiben, oder aber, gefördert vom Westen, auch das politisch ohnehin bereits zerbrechende Bosnien-Herzegowina für unabhängig zu erklären. Spätestens mit der Proklamation der Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas war der Krieg um nach ethnischen Gesichtspunkten zusammenhängende Gebiete, der ohnehin schon seit Monaten vor sich hin schwelte, offiziell eröffnet. Kroatische und bosnisch-muslimische Einheiten kämpften zunächst gegen den gleichen Feind, doch auch diese Allianz erwies sich als vorübergehend.

Die Rolle der ’internationalen Gemeinschaft’

Bis die internationale Staatengemeinschaft in ihrem vorgeblichen Bemühen um das friedliche Zusammenleben der Völker im ehemaligen Jugoslawien schließlich eingriff und den Dayton-Vertrag ausverhandelte, waren die ethnischen Säuberungen im Wesentlichen beendet. 1995 eroberte das vom Westen aufgerüstete Kroatien in zwei Operationen die serbisch kontrollierten Gebiete in Ostslawonien und der Krajina, was eine Vertreibung der ansässigen serbischen Bevölkerung und Morde an nicht geflüchteten Serben nach sich zog. In Bosnien sorgte vor allem der Fall der Enklave Srebrenica für internationale Schlagzeilen. Serbische Verbände eroberten die UN-Schutzzone und ermordeten unter den Augen holländischer Blauhelmsoldaten mehrere tausend muslimische Männer. Auch wenn sich die Weltöffentlichkeit über die Ereignisse schockiert zeigte, wird am Beispiel Srebrenica der Zynismus der internationalen Staatengemeinschaft deutlich. Bosnische wie westliche Politiker waren seit langem davon ausgegangen, dass Enklaven wie Srebrenica oder Zepa nicht zu verteidigen wären. Der Tod tausender Menschen war dieser Logik zufolge zwar bedauerlich, bot aber auch eine Chance: Der weitgehende Abschluss der ethnischen Säuberungen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina verbesserte die Aussichten auf einen Frieden im ehemaligen Jugoslawien.

Seit dem Vertrag von Dayton existiert Bosnien als ein Staat, der in zwei Entitäten unterteilt ist: die Republika Srpska und die kroatisch-bosnische Föderation. Bis heute werden politische Kompromisse oftmals nur nach massivem äußeren Druck erzielt, wäre der Begriff Krise zur Beschreibung der wirtschaftlichen Lage ein glatter Euphemismus und bleibt das Land entlang nationalistischer Linien gespalten. Die Unterstützung nationalistischer Separatismen durch den Westen wurde im Kosovo-Krieg konsequent fortgesetzt: Hier agierte die NATO direkt als militärische Eingreiftruppe auf Seiten der UCK.

zuerst erschienen in Unique, Ausgabe 10/2005