Amelie Lanier, FPÖ
September
2011

„Abendland in Christenhand“

Ein Fanatiker der Leitkultur läuft wohlkalkuliert Amok

Der Norweger Anders Breivik sprengt erst ein Gebäude im Regierungsviertel in Oslo, bevor er auf einer Insel über siebzig junge Leute erschießt, Teilnehmer an einem multikulturellen Feriencamp der sozialdemokratischen Partei. Die Gründe für seine Tat hat er in einem langen Manifest niedergelegt, das er ins Internet stellt. Er will mit seinem Blutbad für die Rettung des christlichen Abendlandes vor dem Islam kämpfen, der sich als Todfeind in den europäischen Gesellschaften eingenistet habe. Während der Attentäter sich in der Tradition des Templerordens und seiner Kreuzzüge gegen die Ungläubigen aus dem Morgenland sieht, kann er seinen norwegischen Mitbürgern nur eines bescheinigen: Sie stellen sich ignorant gegen die existenzielle Gefahr, mehr noch, sie wählen und unterstützen Politiker sozialdemokratischer Provenienz, die mit ihrer Einwanderungspolitik dem islamischen Feind Tür und Tor öffnen. Das bestraft Breivik, indem er gezielt den Nachwuchs der Sozialdemokraten hinrichtet. Zugleich soll sein Blutbad den Rest des Volkes aufrütteln und ihm den Ernst der Lage vor Augen führen. Er kann den Vormarsch des Islam nicht alleine aufhalten, mit seiner „furchtbaren, aber notwendigen Tat“ kann er aber ein Fanal setzen, das Gleichgesinnte verpflichtet, selbst vom bloßen Reden und Bloggen zum Handeln überzugehen, und das als Startschuss für einen langjährigen Befreiungskrieg Europas wirken soll.
Um seine politischen Motive gegen alle Missdeutungen klarzustellen, wendet sich sein Manifest vorbeugend gegen die absehbare öffentliche Interpretation der Tat. Nein, er hatte keine schwere Kindheit, sondern ist wohl behütet in einer glücklichen Familie aufgewachsen. Nein, er ist kein isolierter, introvertierter Einzelgänger, der seine Zeit mit gewaltträchtigen Computer-Spielen zubringt, sondern ein gut aussehender junger Mann mit einem großen Freundeskreis beiderlei Geschlechts. Breivik besteht auf dem politischen Inhalt seiner Tat und will sich nicht ins psychopathologische Abseits abschieben lassen. Er lässt sich bereitwillig ohne Fluchtversuch von der Polizei festnehmen, um vor der Öffentlichkeit für seine von den vielen Leichen beglaubigte Mission einstehen zu können. Das alles hilft ihm nicht. Sofort steht für die schreibende Zunft in Europa fest, dass hier ein zutiefst gestörtes Wesen sein Unwesen getrieben hat. Eine Woche lang wälzt sie die Frage, warum einer so etwas tut. Und zwar, wohlgemerkt, nachdem sie die Begründungen und das strategische Kalkül des Attentäters zur Kenntnis genommen und verstanden hat. Die nachgeschobene Frage wischt die Erklärung, die der Täter gibt, vom Tisch; deklariert sie zur bloß vordergründigen, scheinbaren Rationalisierung eines Dranges, der seine wahren Bestimmungsgründe woanders haben muss. Wo die Öffentlichkeit nicht einen allseits gebilligten und anerkannten politischen Grund für Gewalt sieht, wie bei den wirklichen Kriegen der westlichen Nationen, da will sie gleich gar keinen Grund mehr erkennen können. Weil aber auch jede missbilligte Handlung einen Motor braucht, wird jenseits des politischen Willens nach einem psychischen Defekt gefahndet, der den Täter treibt.

Kulturkampf: Breivik nimmt die ideologische Überhöhung des Antiterrorkriegs bitter ernst

Seine „wahnsinnige“ Gedankenwelt befleißigt sich über weite Strecken genau der Lehren und Einsichten, die die westliche Staatenwelt seit den Anfängen ihres Antiterrorkriegs in Umlauf gebracht hat. Frühere Verbündete wie Bin Laden nehmen die Dominanz der USA im Nahen Osten bekanntlich als Fremdherrschaft und als Zerstörung der islamischen Gemeinschaft wahr, und antworten darauf mit den beschränkten kriegerischen Mitteln, die ihnen zu Gebote stehen. Umgekehrt bringen die USA ihre maßlos überlegene Kriegsmaschinerie in einem deswegen so genannten asymmetrischen Krieg zum Einsatz. Seit dem Anschlag auf das World-Trade-Center durch Terroristen aus dem arabischen Raum führen die USA und ihre Verbündeten einen weltumspannenden Feldzug gegen jede Form von antiamerikanischer Gewalt und ihre Rückzugsräume, die immer noch aktuellen Kriegsschauplätze sind der Irak und Afghanistan.
Ihren Völkern haben sie diesen Krieg mit einer Rechtfertigungslehre der höheren Art schmackhaft gemacht. Keineswegs im Namen ihrer Weltmacht und Weltaufsicht treten die USA und ihre Verbündeten an, sondern im Auftrag höchster Werte. Toleranz, Meinungsfreiheit und ein aufgeklärter Gottesglaube werden mit Waffengewalt „verteidigt“ gegen die dem Mittelalter verhaftete mohammedanische Religion, die schon ihres Dogmatismus wegen den Keim zur Gewalt in sich trage. Im Glauben an und in der Propaganda dieser anerkannten Verschwörungstheorie vom Islam als der religiösen Triebkraft des antiwestlichen Terrors, dem man keine politischen Motive zugestehen will, waren und sind sich Öffentlichkeit, Staatsführer und die römischen Päpste einig. Die Anhänger des Propheten lassen sich schon länger nicht lumpen und veredeln ihre Attentate zu einem „heiligen Krieg“, den der Islam gegen abendländische „Kreuzfahrer“ führen müsse. All diese unsachlichen Darstellungen vertauschen den Kriegsgrund und die moralisch veredelte Kriegsbegründung. Es ist außerdem ein Witz, wenn westliche Regierungschefs ihren Krieg mit einer Ermahnung an die Adresse ihres Gegners rechtfertigen, Gewalt dürfe kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Solche feinen Figuren sind nicht gegen Gewalt, sondern immer nur gegen die Gewalt der anderen.
Der Ertrag der Rechtfertigung des Waffengangs aus dem Geist von Aufklärung und Toleranz: Das imperialistische Interesse stellt sich als Diener supra-nationaler, universeller menschlicher Werte dar und macht sich unanfechtbar. Einem so selbstlosen Menschheitsanliegen des christlichen Abendlandes und seiner bewaffneten Arme kann sich nur entgegenstellen, wer selber inhuman ist. Damit war sie fertig, die Verwandlung eines Waffengangs politischer Mächte in einen Kulturkampf zwischen Abendland und Morgenland. Und dieses verlogene Argument in rechtfertigender Absicht hat den guten Breivik schwer beeindruckt. Er glaubt, was man ihm seit zehn Jahren sagt, dass nämlich ein Kulturkampf tobt zwischen einem guten und im Grunde genommen gewaltlos agierenden christlichen Abendland und einem vormodernen, unchristlichen und gewalttätigen Morgenland. Von der akademischen Fachwelt holt er sich die wissenschaftliche Bestätigung, dass die Militärmaschinerie der imperialistischen Staaten einen „Clash of Civilisations“ führt, wenn sie den Irak und Afghanistan verwüstet.

Das Attentat: Weckruf gegen die Unterwerfung des Abendlandes unter seine Feinde

Im Geiste des „Kulturkampfes“, den Breivik allenthalben toben sieht, besichtigt er sein Heimatland und ist entsetzt. Mitten in Norwegen machen sich Vertreter der Unkultur breit, die den Untergang des Abendlandes betreibt und über kurz oder lang die Macht übernehmen will – die Anhänger Allahs. Nicht nur das. Sie hocken dort mit ausdrücklicher Billigung der nationalen Führung. Insgesamt etwa 20 Millionen Menschen islamischen Glaubens sind in den Staaten der EU ansässig, weil sie als Arbeitskräfte oder als Flüchtlinge gebraucht oder geduldet werden.
Die Politik der westlichen Staaten hat sich eben ihre Schritte nicht von den höheren Werten ihres Antiterrorkriegs diktieren lassen. Ein weltumspannender Krieg gegen alles Islamische war nicht im Programm. Gute Bündnispartner wie Saudi-Arabien und andere sollten nicht schon deshalb unter die Feinde westlicher Kultur fallen, weil bei ihnen islamisch geglaubt und Staat gemacht wird. Die Feindschaft gilt dem antiimperialistischen Terror mit islamischer Färbung. In den europäischen Heimatländern werden daher Bürger islamischer Herkunft einer peniblen Prüfung unterzogen. Als Gläubige des Islam stehen sie sehr grundsätzlich im Verdacht, die Fünfte Kolonne und das Rekrutierungsfeld des Feindes zu sein. In dieser Eigenschaft werden sie unter gesinnungsmäßige Aufsicht gestellt und sollen Ergebenheitsadressen abliefern; sie werden mit Integrationsforderungen traktiert, und eine europäisch angeleitete Ausbildung von Imamen soll die Kontrolle über ihre Köpfe verbürgen. Sofern die Gläubigen aus dem Morgenland ihre Religion als Privatsache ohne politische Ambitionen pflegen und ihren sonstigen Pflichten als Arbeitskraft und Bürger nachkommen, dürfen sie – trotz eines nie endgültig ausgeräumten Misstrauens –, was sie hier sollen und was überhaupt ihr Bleiberecht begründet: ihrem Gastland nützlich sein. Die Politik in den europäischen Staaten nimmt eine Sortierung unter den Gläubigen Allahs vor, scheidet sie in die gerade noch akzeptablen Muslime und die bösen Islamisten, wenn welche mit ihrem Glauben eine antiwestliche Kritik und Anfeindung verbinden.
Das kann Breivik nicht nachvollziehen. Wenn der Islam die falsche Religion ist, die sich das Abendland unterwerfen und ihm seine christliche Identität wegnehmen will, wie können seine Anhänger in die Genehmigten und die Bösen zerfallen? Der norwegische Nationalist hat verstanden, dass die höchsten Werte, Christentum und Abendland, mit denen Bush und Co. ihre imperialistische Mission adeln, für die Unverträglichkeit des dadurch definierten Kreises von Staaten gegen andere stehen, in denen andere Götter angebetet werden und die deshalb als unbedingt feindlich zu verstehen sind. Und er hat verstanden, dass mit der Berufung auf höchste Werte das absolute Recht und die Pflicht zur nötigen Gewalt gegen die unverträgliche fremde Kultur begründet werden. In der Überhöhung des staatlichen Zusammenhangs zur sittlich-kulturellen Wertegemeinschaft weiß er sich – zu Recht – mit der Mehrheitsgesellschaft und ihrem Staat einig. Die Werte teilt diese Mehrheit sehr wohl, aber sie sieht den Ernst der Lage nicht und weigert sich, den Krieg zu führen, den er zur gegen die islamische Bedrohung nötig findet. „Multikulturalismus“, „Feminismus“ und „kultureller Marxismus“ lähmen nicht nur den Selbstbehauptungswillen Europas; Breivik identifiziert das alles als gezielte Wehrkraftzersetzung, bewusst darauf gerichtet, die Vaterländer dem Feind auszuliefern.
Mit dem Massenmord im Zentrum der norwegischen „Verräter“ vollstreckt er, was er aus den Botschaften seiner politischen Lehrer und Ziehväter heraushört. Er folgt den Legitimationen des Krieges und versteht daher die Realpolitik der Regierungen im Verhältnis zu arabischen Verbündeten und moslemischen Einwanderern nicht. Über den üblichen Nationalismus seiner Landsleute und anderer Mit-Europäer geht er mit seiner fanatischen Konzentration auf den gesehenen Notstand hinaus: Andere lassen die Ausländerpolitik, über die sie schimpfen, auch wieder Politik sein und kümmern sich um ihren privaten „pursuit of happiness“. Breivik sieht das Vaterland wegen genau dieses Materialismus und dieser Gleichgültigkeit der Bürger sich selbst abschaffen – und widmet sich mit blutigem Ernst seiner Mission.

Die Bewältigung: Nicht-Verstehen, Ausgrenzen – und verständnisvolles Einholen

Presse und Politik schulden ihren Lesern eine Anleitung beim Bemühen, mit dem Massenmord im friedlichen Norwegen geistig fertig zu werden. Sie erklären, was man als anständiger Europäer davon zu halten hat, wie man das ungeheure Ereignis einordnen und verstehen kann – wie gesagt, nachdem die Auszüge aus den Erklärungen des Täters zu lesen waren. Die Leistung der Öffentlichkeit ist die Trennung zwischen der patriotischen Weltsicht, die sie selbst pflegt, und dem patriotischen Terror des Norwegers, der mit unserer Gesellschaft und Politik nichts zu tun haben darf. Dabei gilt ein simples Gesetz: Je näher ein Journalist oder Politiker dem patriotischen Standpunkt des Attentäters steht, desto radikaler besteht er auf der totalen Unmöglichkeit, ein so abgrundtief abweichendes Verhalten irgendwie zu verstehen.
Exemplarisch etwa die deutsche FAZ. Die hat ironischerweise bei den ersten Horrormeldungen überhaupt kein Verständnisproblem, denn sie erkennt die „Handschrift von Al Kaida“, und damit ist ihr alles klar. Sobald die Nachrichten detaillierter werden, will der Chefkommentator überhaupt nichts mehr verstehen und verlangt, dass andere es auch so halten: Er verbittet sich jeden Erklärungsversuch der Untat mit dem Argument, die sei einfach zu abscheulich, um in rationale Kategorien zu passen: Erklärungen, welcher Art auch immer, machen sie unserem Denken zugänglich und schmälern damit ihre Verwerflichkeit:
„Der Anschlag von Oslo und die Morde … auf der Insel Utoya sind der jüngste Höhepunkt solcher nicht zu erklärender Geschehnisse. Diesmal ist offensichtlich, dass mit den Kategorien der Vernunft eine Deutung derart gewaltiger Untaten nicht möglich ist. Das Handeln des Täters ist weder politisch noch gesellschaftlich, weder religiös noch esoterisch verständlich. Die einzige Kategorie, die darauf passt, ist Wahnsinn. … Daher ergibt der Blick auf die vom späteren Massenmörder bestückten Internetseiten auch keinen wirklichen Aufschluss über die Gründe des Verbrechens. … Der Rückgriff eines Menschen, der Kinder erschießt, auf das Christentum ist ebenso hirnrissig und aller Logik fern wie die Ermordung von Landsleuten durch einen, der die Nation zu schützen vorgibt.“ (25.7.11.)
Endgültig von der Irrrationalität des Täters überzeugt sich der Autor also mit einer gesunden nationalen Unterscheidung: Ein Kerl, der die eigenen Leute umlegt, kann kein echter Nationalist sein. Andere „Erklärungen“ der Untat elaborieren dieses Erklärungsverbot. „Das Böse“ hat wieder mal Konjunktur, und sogar „der Teufel“ wird in Norwegen gesichtet – da kennen wir christlichen Abendländer uns aus, gell! Wo das absolute Böse bzw. seine teuflische Inkarnation höchstpersönlich am Werk ist, ist die Welt der Guten wieder in Ordnung: Das negative Gegenbild des Guten hat keinen anderen Sinn und Zweck als dieses Gute zu vernichten; es ist also Aufgabe und Recht der Guten, dasselbe umgekehrt zu tun. Genauso sieht das übrigens auch Breivik, der Gut und Böse aber total gegenläufig zuordnet. Er weiß auch, dass man Kinder nicht „einfach so“ umbringt und nennt seine Tat ein „furchtbares Menschenopfer“. Aber er bringt ja nicht Kinder um, weil sie Kinder sind, sondern die Feinde seines Abendlandes, wie er behauptet – „gehirngewaschene“ Jungsozialisten und Multikulturalisten. Zur medialen Verbannung der Tat aus dem Kosmos des Politischen und Nationalen ist es eben passend, bei den Opfern nur Kinder und beim Täter nur den Kindermörder zu sehen.
Publizisten, die sich eher dem linken und kritischen Lager zurechnen, warnen vor der Psycho-Pathologisierung des Falles. Mit der Ausgrenzung des verrückten Einzeltäters mache man es sich zu leicht und unterschätze die Dimension der Bedrohung: Breivik kommt „aus der Mitte der Gesellschaft“, er repräsentiert die „Normalität des Internet“; das ausländer- und islamhassende Milieu, bei dem er sich intellektuell bedient und von dem er abschreibt, ist längst über eine Blogger-Szene hinaus. Überall in Europa reüssieren rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien bei Wahlen, regieren manchmal mit und das unter Parolen, die nicht anders gegen Islam und Überfremdung hetzen wie Breiviks Manifest. Die Schweden-Demokraten, die „wahren Finnen“, die norwegische Fortschrittspartei, bei der Breivik zeitweise Mitglied war, die dänische Freiheitspartei, die niederländische „Partei für die Freiheit“ von Geert Wilders, die FPÖ, der französische „Front National“, die italienische „Lega“, die Schweizer SVP und so weiter werben für sich mit dem Kampf gegen den Bau von Moscheen, für das Kopftuch-Verbot und mit Wahlplakaten: „Abendland in Christenhand!“
Mit der Verortung des Attentäters in diesem seinem Milieu und dessen Denunziation als Krankheit unserer Gemeinwesen ist das politische Ernst-Nehmen des Attentats allerdings auch erledigt.
„Wie verrückt also ist Breivik? Daran gemessen, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der seiner politischen Analyse zustimmen würde (wenn man verheimlicht, dass der norwegische Terrorist der Verfasser ist), erscheint er plötzlich ganz normal. … Dass es eine kleine hysterische Szene gibt, in der sich eine verschworene Gemeinde in Panik suhlt, wäre kein Problem. Das Internet ist geduldig. Und Fälle wie Breivik sind keine logische Konsequenz dieses Unsinns, so weit kann man die Verteidigungslinie der Islamophoben unterschreiben. Aber wie konnte es dazu kommen, dass ganze europäische Gesellschaften dem Anti-Islam-Wahnsinn verfallen sind und es jetzt nur mit Mühe schaffen, sich von einem geistig abnormen Massenmörder abzugrenzen? Geert Wilders, der niederländische Islamhasser, hat mit Breivik schrecklich viel gemein – außer natürlich, dass Wilders ein unbescholtener Bürger ist und nicht zu Gewalt neigt. Er will bloß den Koran verbieten und sieht überall in Europa Scharia-Gerichte aus dem Boden schießen.“ (profil 31 / 2011)
Wenn man bei Breivik und Gesinnungsgenossen nicht die vielen Gemeinsamkeiten mit den Rechtfertigungen des Antiterrorkrieges gelten lassen will, die auch die liberalen und linken Redaktionen gebilligt haben, sondern nur den Gegensatz zum Umgang europäischer Regierungen mit moslemischen Einwanderern, dann sieht man eben nur Differenz: Der Patriotismus, der sich da im rechten Sumpf radikalisiert hat, das ist – so die billige Erkenntnis – nicht der staatstragende. Die Frage, warum nicht jeder rechte Blogger und Hetzer sich eine Waffe besorgt und Politiker oder Muslime umlegt, halten auch kritische Journalisten für berechtigt. Bei aller Beschimpfung und Ausgrenzung der rechten Nationalisten teilen sie das Bedürfnis, zwischen Politik – auch einer noch so übelriechenden – und dem Attentat einen Trennungsstrich zu ziehen. Auch sie machen ein Rätsel daraus, warum einer praktisch auch tut, was er denkt, wo viele andere es doch nur denken; warum einer vollstreckt, was andere nur propagieren. Auch sie lassen Breiviks Diagnose einer drohenden völkischen Katastrophe nicht als Grund gelten, sie mit kriegerischen Mitteln abzuwenden. Gerade weil man „schrecklich viele“ Gemeinsamkeiten zwischen einem Politiker Wilders und einem Terroristen Breivik entdeckt, ist die korrekte Darstellung der Differenz zwischen beiden dem Bedürfnis geopfert worden, überhaupt eine Differenz auszumachen, und gewaltig aufzublasen: Einem Politiker, der mittels der Gewalt des Staates den Islam bekämpfen will, nachzusagen, er neige „nicht zur Gewalt“ – das ist schon ein starkes Stück. Die „hysterische Szene“ und die „Gemeinde, die sich in Panik suhlt“, weil sie glaubt, was ihnen über die islamische Gefahr erzählt wird – die glaubt nicht mehr an die staatstragenden Parteien. Das ist alles. Die traut denen den anstehenden Krieg nicht wirklich zu. Es ist nun einmal ein Widerspruch gerade der den Hass auf den Islam propagierenden rechten Parteien, ständig die Not von Volk und Heimat zu beschwören, gar deren Selbstabschaffung an die Wand zu malen – und ihren den Staat regierenden sozial- oder christdemokratischen Konkurrenten, diesen „Verrätern“, dann doch wieder die nächste Legislaturperiode bei der Zerstörung des Vaterlandes durch Ausländerpolitik zuzuschauen, oder bloß als deren Mehrheitsbeschaffer zu fungieren, wie seinerzeit hierzulande die FPÖ – während die muslimischen Ausländer nicht weniger werden. Es passt nicht zusammen, die Erinnerung an die Türkenkriege zu zitieren, die politisch gewollte und legale Migration als feindliche Landnahme zu interpretieren, und dann doch nicht wirksam dagegen anzugehen. Die einschlägige Hetze im Wahlkampf ist gar kein richtiger Kampf, da wird doch bloß „gesudert“ und nicht gehandelt – so lautet die praktische Kritik des rechten Terrors an den gesitteten „Islamophoben“, die ihn inspirieren und mit denen er die Weltsicht teilt. Den Kampf selber zu führen, den der versagende, von Landesverrätern regierte Staat verweigert, mit der privaten Gewalt das zu beginnen, was die öffentliche nicht erledigt – das ist die ganze Differenz zwischen den politisierenden Hetzern und dem rechten Terror: Die einen setzen auf die Staatgewalt, andere – politikverdrossen und enttäuscht – tun das nicht mehr; sie werden selber aktiv.

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