FORVM, No. 495
März
1995

Aller Tage Abend

Schon lange habe ich nicht mehr so drückend das Gefühl empfunden, etwas tun zu müssen und dabei nicht zu wissen, wo ein Anfang gemacht werden kann und wie ich vorgehen soll. Wieder und wieder kommen mir die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit in den Sinn.

Ende 1992 wähnte sich die FPÖ stark genug, vereinzelt in Richtung Spaltung der Gesellschaft zu agitieren. Perfides Ziel: Instrumentalisierung der Fremden als gesellschaftliche Sündenböcke, Aufwiegelung gesellschaftlich diskriminierter Gruppen gegen die jeweils noch Ärmeren und noch Schwächeren. Höhepunkt war ein Volksbegehren gegen unsere ausländischen MitbürgerInnen. Kinder mit fremdem Reisepaß sollten in den Schulen durch Quoten begrenzt werden; nach dem rein rassistischen Motto: „Ausländer ist, wer Ausländer ist.“ Integration wurde bewußt als schrankenlose Zuwanderung umgedeutet und ausländische ArbeiterInnen sollten deutlich erkennbar die Legitimation tragen müssen.

Für kurze Zeit gab es damals Hoffnung. Die Regierung beeilte sich, den rassistischen Charakter des Volksbegehrens anzuprangern, suchte endlich wieder die lange schon aufgegebenen Kontakte zur Sozialbewegung, zu kritischen ChristInnen, zu MenschenrechtsaktivistInnen und zu den Grünen. In dieser kurzen Zeit gab es eine schöne Kooperation, den Austausch von Argumenten, die Einbeziehung von Kunst und Kulturschaffenden und eine große, phantastische Mobilisierung der Bevölkerung gegen dieses rassistische und menschenverachtende Referendum. Der Erfolg der gemeinsamen Arbeit gegen Aufwiegelung und Schürung von Unfrieden ließ sich sehen. Anfang 1993 folgten kurz aufeinander das Lichtermeer der 250.000 in der Wiener Innenstadt und der Mißerfolg des Volksbegehrens der Rechtspopulisten. Doch wie bitter war die Ernüchterung, die darauf folgte! Hatten noch in den Jänner- und Februartagen Äußerungen von Regierungsmitgliedern aufhorchen und die Hoffnung aufkeimen lassen, daß sich nunmehr alles ändern wird, daß tatsächlich Integration als Aufgabe der gesamten Gesellschaft und des Staates gesehen wird und daß ein Bekenntnis zu einer zwar begrenzten, aber jedenfalls im Einklang mit den Menschenrechten, den Normen zum Schutz von Flüchtlingen und den Familieninteressen der in Österreich beschäftigten ArbeitsmigrantInnen möglich sei. Groß waren die Hoffnungen und um so bitterer war die Enttäuschung. Das Lichtermeer war eine Stichflamme, die brutal erstickt wurde. Dem Zeichen der 250.000 folgte nichts als der Hinweis auf die Sachzwänge und die Verbeugung vor der extremen politischen Rechten mit dem Hinweis, man habe ohnehin alles getan.

Seither ist vieles passiert. Gesetze, Erlässe, Verordnungen, alles im Geiste des Volksbegehrens. Alles gegen Mitmenschlichkeit, gegen die Solidarität in der Gesellschaft und gegen die Prinzipien korrekter rechtsstaatlicher Verwaltung. Diese Normen haben immer mehr Fremde in die Illegalität gedrängt. Zu kleine Wohnung, bloß das Einkommen eines Lehrlings, bloß ein Familienerhalter und eine Frau ohne Chance auf Beschäftigungsbewilligung — weg aus Österreich, raus mit Euch! Diese Befehle gab die Sozialdemokratie und diensteifrige Fremdenpolizisten schafften Frauen und Kinder, alte Leute, Kranke, Behinderte und Wehrdienstverweigerer postwendend aus Österreich hinaus. Und die, die nicht in die Fangnetze der Behörden gerieten, lebten im Untergrund: Sie arbeiteten für ein warmes Essen, standen auf Abruf am Arbeitsstrich bereit, akzeptierten jede Wucherkondition auf den Wohnungsmärkten und konnten nicht einmal mehr ihre Kinder in die Schule schicken, weil auch dort hätte man nach den Dokumenten der Eltern gefragt. Verzweiflung bei den Menschenrechtsorganisationen, Überforderung bei den kirchlichen Hilfsstellen und ohnmächtige Wut bei den Rechtsbeiständen der Betroffenen.

So, und als wollte niemand in der Regierung etwas sehen, drehte sich die Spirale weiter. Mehr Aussonderung, mehr Mißstände in den sich durch das politische Versagen rasch bildenden und vergrößernden AusländerInnenghettos. Und mit den Mißständen wuchs gleichzeitig die politsche Dreistigkeit der Rechtspopulisten. Mehr Polizei müsse her, eine viel bessere Überwachung der BürgerInnen, Lauschangriffe, und überhaupt müsse wieder mehr für Ordnung und Sicherheit getan werden, auch international. Am besten doch gleich im Rahmen eines großen Militärpaktes wie der NATO. Erst eine umfassende Aufrüstung könne Frieden garantieren.

Und im Inland müsse man dafür natürlich sparen und Sparpakete schnüren, denn es gehe nicht an, daß die Behinderten beim Pflegegeld aus dem Vollen schöpften, daß die Frauen in schmarotzerischer Weise Karenzgelder einstreiften, wo es doch die natürlichste Sache der Welt sei, daß Frauen Kinder gebären und erziehen und sich gefälligst darum zu kümmern haben. Und bei den Kindern selbst müsse natürlich auch gespart werden, denn wer könne sich all die Schulen, die Bücher, die Schülertransporte auf Dauer leisten? Sicherheit hat eben ihren Preis: Kampfhubschrauber, Radpanzer und Lenkwaffen sind wichtiger.

Und so wurde aufgerüstet; bei den Frauen, den Kindern und den Behinderten mit dem Sparen begonnen, und alles unter dem lauthalsen Applaus derer, die sich offenbar fast wunderten, wie rasch und wie tief sie ihre Keile in die Gesellschaft hineingetrieben hatten. Je tiefer die gesellschafltichen Klüfte wurden, desto mehr klammerte sich die Regierung inhaltlich an die Koalition mit dem neuen Führer und seinen Parolen. Und während sich Regierung und Haider-Leute gemeinsam auf eine Stärkung der Exekutive, eine Aufrüstung von Polizei und Armee und eine Ausweitung polizeistaatlicher Instmmente einschworen, eskalierte der rechtsextreme Terror. Rohrbomben und Sprengfallen, Schwerstverletzte und Tote wurden zur traurigen Realität. Hatte die erste Briefbombenwelle noch breites Entsetzen ausgelöst, war dann zwar noch Trauer und Wut zu erkennen, so setzte bald schon Abstumpfung ein. Höhere Aufrüstung der Exekutive und immer brutalere Gewalt gingen Hand in Hand.

Und als dann jener unfaßbare Terroranschlag mit Giftgas auf dem Wiener Opernball passierte, als es viele Tote, ein offenes Aufbrausen der rechtsextremen Gewalt und eine völlige Sprach- und Handlungsunfähigkeit der Regierung zugleich gab, war jener Moment gekommen, in dem Haider seine Chance witterte. Die völlig zerstrittenen Spitzen der Koalition gaben in diesem Moment der Verwirrung und der Ratlosigkeit den Weg frei für Neuwahlen. Diese fanden unter irregulären Verhältnissen statt, da die rechtsextremen Rädelsführer nunmehr ganz offen in den Straßen auftraten, rund um die Wahlen ihre Einschüchterungspolitik wiederholt gegenüber den BürgerInnen fortsetzten und letztlich einen großen Erfolg landeten. Bei einer Wahlbeteiligung von etwas mehr als 40 Prozent gelang es Dr. Haider, die Mehrheit zu erringen und die Macht zu übernehmen. Bereits tags darauf wurden die Verantwortlichen im öffentlichen Rundfunk und in den zentralen Schaltstellen der Medien ausgetauscht und ein beispielloser Propagandafeldzug eröffnet.

Die offenen Widerstand leistenden GegnerInnen Haiders hatten bis zuletzt gewarnt und versucht, auch im Angesicht des explodierenden Terrors die Nerven zu bewahren, doch die Spirale der Gewalt hatte sich schon zu weit gedreht.

Quälend fällt mir der Moment des Kofferpackens ein, der überstürzten Abreise und der Ankunft in einem Land, in dem ich mich einstweilen sicher wähne.

Briefbomben, rechtspopulistische Hetze, AusländerInnengesetze‚ der Lauschangriff, die Polizeirazzien bei den Umweltinitiativen, die Ermordung der Roma von Oberwart‚ die Eskalation des Terrors am Opernball — und dann die irreguläre Wahl im Lichte von Aufruhr und Gewalt, schließlich Flucht.

Endlich, als das Gefühl der Qual nicht mehr erträglich ist, wache ich auf. Schweißgebadet.

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