Amelie Lanier, 2. Andere
April
2018
Sarajevo 1914:

Anlässe werden geschaffen, wenn Krieg ansteht

Aus gegebenem Anlaß möchte ich darstellen, wie der I. Weltkrieg losging.

1. Der Thronfolger

Franz Ferdinand strebte einen „Trialismus“ an. Er wollte die Slawen der Monarchie mit den gleichen Rechten ausstatten, wie sie den Ungarn im Ausgleich 1867 zugestanden worden waren. Er wollte ihnen also eine weitreichende Autonomie zugestehen.
Damit brachte er die ungarische Elite gegen sich auf, denen damit ein Teil ihres Hoheitsgebietes entzogen worden wäre: Kroatien, die Slowakei und die Vojvodina.
Er geriet damit auch in Gegensatz mit der Kriegspartei in der Armee, mit Conrad von Hötzendorf und anderen führenden Militärs, die unbedingt Serbien als Rivalen auf dem Balkan ausschalten, und überhaupt manche Nachbarstaaten Österreichs kleinhalten oder annektieren wollten.

Ob sein Konzept überhaupt machbar gewesen wäre, hat keinerlei Bedeutung. Wichtig ist, daß es ihm viele Feinde schuf.

Franz Joseph konnte ihn sowieso nicht leiden, weil er eine morganatische Ehe mit einer Frau aus dem niederen Adel geschlossen hatte, die seine Nachkommen von der Thronfolge ausschloss. Der Kaiser betrachtete diese Eheschließung als eine Art Verrat an der Legitimität der Dynastie. Zusätzlich war er wahrscheinlich erbost darüber, daß Franz Ferdinand mit dieser Eheschließung so lange gewartet hatte, bis seine Thronfolge – nach dem Tod seines Vaters – definitiv war. Hätte er nämlich die Gräfin Chotek vorher geheiratet, so hätte ihn die Eheschließung von der Thronfolge ausgeschlossen.

Der Kaiser, dessen Sohn sich lieber umgebracht hatte, als ihm auf den Thron zu folgen, verachtete also den Mann, der seine Liebe über die Staatsräson gestellt und damit dem Establishment die Stirn geboten hatte, und schloss ihn von aller Einflußnahme auf die Regierungsgeschäfte aus.

Franz Ferdinand hatte aufgrund der geballten Feindseligkeit von allen Seiten wenig Möglichkeiten, seine Vorstellungen zu propagieren. Lediglich im Militär hatte er einige Freunde und Sympathisanten. Deswegen wählte er eine Militärparade als die Form, seine Idee der Gleichberechtigung der slawischen Völker auf dem Balkan vorzustellen. Er wollte damit den Einfluß Rußlands in der Region schwächen, dem Panslawismus entgegentreten und sich als Anwalt der Slawen in der Monarchie präsentieren: Wenn ich einmal dran bin, so könnt ihr auf mich zählen!

Eine der Quellen der Bosna

2. Die Reise nach Sarajevo und die Parade

Es mag sein, daß die Sache mit der Militärparade keine sehr gelungene Idee war, aber sehr viel andere Optionen hatte er eben nicht.

Generell wird der Umstand, daß er diese Parade auf den Vidovdan, den Veitstag verlegte, als Provokation gegenüber den Serben gedeutet. Und so wurde sie von den Attentätern auch betrachtet.
Dazu ist zu sagen, daß der Veitstag, der Erinnerungstag der Schlacht auf dem Amselfeld 1389, erst im Jahr davor offiziell zum Nationalfeiertag in Serbien erklärt worden war. Die serbische Führung wollte sich damit als legitime Nachfolger derjenigen – umstrittenen – Herrschaft erklären, die damals – nach serbischer Sichtweise – das christliche Abendland gegen den Islam verteidigt hatte.
Man kann die Militärparade in Sarajevo aber auch so verstehen: Der österreichische Thronfolger wollte sich damit als Schutzherr der Südslawen präsentieren und Serbien in dieser Funktion das Wasser abgraben. Das mag gegenüber dem Karadjordjevic-König und der serbischen Regierung als Provokation gedacht gewesen sein, wollte jedoch möglicherweise die Serben und anderen Nationalitäten Bosniens für sich einnehmen: Seht her, hier kommt euer neuer Gönner! Mit mir fahrt ihr viel besser!

Franz Joseph war einmal in seiner ganzen Regierungszeit in Bosnien: anläßlich der Annexion 1908. Damals wurde das zunächst nur als Mandat des Berliner Kongresses 1878 erhaltene Gebiet dem österreichischen Staatsverband einverleibt. Außer Deutschland erkannte nur das Osmanische Reich nach territorialen Zugeständnissen im Sandschak diese Annexion an. Sie wurde also zwar de facto vollzogen, war aber de jure völkerrechtlich nicht abgesegnet.

Damals, anläßlich dieser Reise Franz Josephs standen Soldaten Spalier von Split, wohin der Kaiser mit dem Schiff anreiste, bis Sarajevo – immerhin rund 250 km – mit einem Meter Abstand, auf beiden Seiten der Straße, mit aufgepflanztem Bajonett. Die österreichische Führung wußte, daß sie viele Feinde in Bosnien hatte.
Diese Sicherheitsmaßnahmen wurden Franz Ferdinand 1914 verweigert, mit der Begründung, daß er seine unstandesgemäße Ehefrau dabeihatte, der solche „Ehren“ nicht gebührten. Die Herzogin von Hohenberg wollte aber unbedingt mit dabei sein, um allen zu zeigen: Ob ihr es wollt oder nicht, einmal werde ich Kaiserin!

Die österreichischen Spione in Belgrad und auch die serbische Regierung selbst informierten die österreichischen Behörden, daß ein Attentat geplant würde und daß Bewaffnete zu diesem Zweck aus Serbien nach Bosnien aufgebrochen seien.

Franz Ferdinand fuhr von seinem Wohnsitz in Böhmen nach Wien mit dem Zug bei Kerzenlicht, da die Elektrik ausgefallen war. Er war ungehalten und meinte, es sei, als führe man zu einem Begräbnis.

In Sarajevo wurde eine bedeutende Anzahl von Polizisten beurlaubt. Auf wessen Anweisung hin? Die Stadt war also sicherheitsmäßig unterbesetzt, als die Parade stattfand, und auch danach, als in Folge des Attentats Progrome gegen die serbische Bevölkerung stattfanden.
Pogrome kommen nicht spontan zustande, sie werden geplant. Und es wurde auch dafür gesorgt, daß niemand da war, um ihnen Einhalt zu gebieten.

Gasse in Sarajevo

3. Die Attentäter und ihre Unterstützer

Die 3 jungen Leute, die die Waffen von Serbien nach Bosnien brachten, waren Mitglieder von Mlada Bosna – Junges Bosnien. Das war eine in Bosnien illegale Vereinigung von Schülern und Studenten im Exil, die Anhänger des jugoslawischen Gedankens waren – alle Südslawen sollten in einem Staat vereinigt sein, ungeachtet ihrer Nationalität und Konfession.

In Bosnien waren alle Vereinigungen verboten – mit Ausnahme einer Marienkongregation.

Gavrilo Princip war nach einer verbotenen Demonstration gegen die österreichische Herrschaft von der Schule verwiesen worden und ging nach Belgrad. Als er sich 1912 18-jährig als Freiwilliger zum 1. Balkankrieg melden wollte, wurde ihm gesagt: Krieg sei etwas für Männer, nicht für Kinder. Er wollte von da ab beweisen, daß er zu Großem fähig sei.
Trifko Grabež, der Sohn eines Popen, verließ Bosnien wegen Problemen in der Schule, und schloß sich in Belgrad militanten Kreisen an, die für die Vereinigung Serbiens und Bosniens eintraten.
Nedjelko Čabrinović war der Sohn eines Kaffeehausbesitzers in Sarajevo, der als Spitzel für die österreichischen Behörden tätig war und ihnen regelmäßig zutrug, was in seinem Kaffeehaus geredet wurde. Čabrinović war von anarchistischen Ideen beeinflußt und wollte die Schmach tilgen, als die er die Tätigkeit seines Vaters empfand.

Die drei erhielten die Waffen von Mitgliedern der Schwarzen Hand. Das war eine Vereinigung von Offizieren innerhalb der serbischen Armee, die sich die Einigung der slawisch bevölkerten Teile des Balkans zum Ziel gesetzt hatten. Ihr Motto war: „Vereinigung oder Tod!“ Sie gaben eine Zeitschrift mit dem Titel „Pijemont“ heraus, da sie Serbien als das Piemont des Balkans ansahen – berufen, die Südslawen in einem Staat zu vereinigen.
Die serbische Regierung unter Nikola Pašić sah die Tätigkeit der Schwarzen Hand mit gemischten Gefühlen. Einerseits hatten ihre Mitglieder durch die Ermordung des letzten Obrenović-Königs den Weg freigemacht für die Rückkehr der Karadjordjević-Dynastie und die von ihr und Pašić verfolgte anti-österreichische und pan-serbische Politik. Andererseits sahen die serbischen Politiker in ihnen eine Art Staat im Staat, eine politische Konkurrenz. Die Schwarze Hand wurde von den serbischen Politikern geduldet, aber nicht geschätzt. Ihr Anführer Dragutin Dimitrijević, „Apis“, wurde während des I. Weltkrieges mit anderen führenden Mitgliedern der Organisation einer Verschwörung gegen den König angeklagt und 1917 in Thessaloniki hingerichtet.

Die Miljacka etwas oberhalb der Attentats-Stelle

4. Das Attentat

Die 3 Waffentransporteure überschritten die Drina bei Banja Koviljača und gelangten mit Hilfe verschiedener Leute nach Sarajevo. Fast alle diese Beteiligten wurden später hingerichtet.

Am 28. Juni standen 7 junge Männer am Ufer der Miljacka, mit einer Art von Bomben-Granaten und mit Schußwaffen ausgerüstet. Nur einem von ihnen, Muhamed Mehmedbašić, gelang später die Flucht nach Montenegro und er überlebte die Monarchie.
Niemand kontrollierte die Schaulustigen, obwohl den österreichischen Behörden in Wien Informationen vorlagen, denen zufolge das durchaus angebracht gewesen wäre.

Wurden diese Informationen nicht nach Sarajevo weitergegeben? Wußten Potiorek, der Protektor Bosniens und Čurčić, der Bürgermeister Sarajevos, nichts davon?

Als die Parade vorbeizog, warf Čabrinović eine Granate, die einen Teilnehmer der Parade verletzte. Čabrinović wurde verhaftet, der Konvoi fuhr zunächst mit dem Verletzten ins Krankenhaus. Franz Ferdinand beharrte darauf, die Parade dennoch fortzusetzen, um zu zeigen, daß er sich von solchen Zwischenfällen nicht beeindrucken lasse.
Außerdem vertraute er in guter österreichischer Tradition auf Gott. Er war nicht der erste, dem sein Glaube zum Verhängnis wurde.

Einer seiner Getreuen dachte sich, daß die Sache nicht gut ausgehen würde und stellte sich neben ihn auf das Trittbrett des Fahrzeuges. Er vermutete weitere Gefahr vom Miljacka-Ufer her und wollte den Thronfolger von dieser Seite her mit seinem Körper schützen.
Als das Fahrzeug mit Franz Ferdinand und seiner Frau zur Lateinerbrücke kam, bremste es, schob zurück und bog vom Miljacka-Ufer rechts in die Seitengasse ab. Dieses Manöver nutzte Princip, um die Straße zu überqueren und den Thronfolger von der anderen Seite zu erschießen. Seine Frau mußte deswegen dran glauben, weil sie unglücklicherweise zwischen dem Attentäter und dem Opfer saß.

Bis heute ist nicht klar, warum das Auto dieses Manöver machte. Die Juristen, die die Untersuchung führten, durften die Mitglieder der Parade nicht vernehmen, auch den Chauffeur Franz Ferdinands nicht.

Die zur Bierbrauerei von Sarajevo gehörende Gaststube

5. Der Prozeß

Die Schuldigen und ihr Umfeld wurden sehr schnell verhaftet. Offenbar waren sie alle amtsbekannt, und vermutlich wurde auch kräftig geprügelt, um an Namen von Verdächtigen zu kommen. Viele Leute wurden ohne Gerichtsverfahren sehr schnell in den Tagen und Wochen nach dem Attentat hingerichtet, auch völlig Unbeteiligte. Über das Blutgericht nach dem 28. Juni kann man einiges in jugoslawischen Publikationen nachlesen.

Der Prozeß selbst förderte zwar einiges über die Motive der Attentäter und die allgemeine Stimmung in Bosnien zutage, die Beteiligung der serbischen Regierung konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Die österreichischen Juristen gingen sehr gewissenhaft zu Werke und dokumentierten das Attentat recht gründlich. Der Verteidiger Zistler führte sogar an, daß Österreich aufgrund der völkerrechtswidrigen Annexion eigentlich gar keine Jurisdiktion über Bosnien besitze.

Die drei Waffen-Transporteure waren nach den österreichischen Gesetzen zu jung, um hingerichtet zu werden. Sie wurden im Militärgefängnis von Theresienstadt/Terezín zu Tode gebracht, in einer Kombination von Tuberkulose und sie befördernden Haftbedingungen. Grabež und Čabrinović starben 1916, Princip hielt bis 1918 durch. Keiner von den dreien erlebte das Ende Österreich-Ungarns.

Innenhof der Ghazi Chusref Bey-Moschee in Sarajevo

6. Die Heimkehr

Die Leichen Franz Ferdinands und seiner Frau wurden auf dem gleichen Weg zurückgebracht, wie sie hingekommen waren: Auf der Straße bis Split, von dort mit dem Schiff nach Triest und von dort mit dem Zug nach Wien.

Der Monarch selber untersagte alle Trauerfeierlichkeiten, wegen der unstandesgemäßen Ehefrau. Nur ein Haufen persönliche Freunde empfingen die Särge am Bahnhof.
Da Franz Ferdinand testamentarisch verfügt hatte, neben seiner Frau begraben zu werden, war ihm die Kapuzinergruft verwehrt. Die Särge wurden nach Pöchlarn gebracht, um in Artstetten auf der anderen Seite der Donau begraben zu werden, wo er – rechtzeitig! – eine Gruft eingerichtet hatte. In Pöchlarn gab es noch einen Leichenschmaus, in der dortigen Tradition, eine Art Feuerwehrball. Als die Särge am nächsten Tag über die Donau geführt wurden, fielen sie bei Schlechtwetter und aufgewühltem Fluß fast ins Wasser.

7. Die Kriegserklärung

Nach dem Attentat liefen die Telegramm-Kanäle heiß. Die deutsche Regierung frohlockte – so einen Anlaß muß man unbedingt nutzen! Die österreichische Seite wiegelte ab: Ruhig Blut! Einen Anlaß finden wir allemal! Aber wir arbeiten daran ...
Man mußte sich noch mit der ungarischen Regierung einigen, um Rumänien ruhigzustellen, dann konnte man zur Tat schreiten. Serbien wurde ein Ultimatum gestellt, das die Souveränität Serbiens völlig negierte.
Wieder klopften die Deutschen an: Nur ein Ultimatum stellen, das sie nicht annehmen können! Keine Sorge, versicherte die österreichische Seite. Wir stellen schon Bedingungen, die unannehmbar sind!

Serbien wies das Ultimatum zurück und der Krieg konnte in Angriff genommen werden – von denen, die ihn wollten.

Die Miljacka in der Nähe der Skenderija-Brücke

8. Die Nachwelt

In der serbisch-jugoslawischen Geschichtsbetrachtung wird eingehend auf Mlada Bosna, auf die Attentäter, den Prozeß und die Repression eingegangen, und auf die Folgen für die Bevölkerung Bosniens und Serbiens.
Den Widersprüchen innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie wird wenig Raum gewidmet. Man müßte ja dann eingestehen, daß die Attentäter den Falschen erwischt, und ohne es zu wollen den imperialistischen Ambitionen der Achsenmächte Vorschub geleistet haben.

In der österreichischen Geschichtsschreibung wird Princip gern als Einzeltäter und Besessener dargestellt. Die Politik Österreichs in Bosnien, die dem Entstehen von dergleichen Tyrannenmördern Vorschub geleistet und die Fermane des Sultans und andere Elemente der osmanischen Herrschaft übernommen hat, nebst Einführung von Spitzelwesen und Zensur, wird als einzige Wohltat für die Betroffenen dargestellt, die viele undankbarerweise nicht zu würdigen wußten.
Das Opfer, Franz Ferdinand, kommt nicht besonders gut weg. Er wird als unsensibler Poltergeist dargestellt, stur und primitiv, der kraft seiner Verbohrtheit in sein eigenes Verderben gerannt ist.

Er war das Bauernopfer, das gebracht werden mußte, damit das große Schlachten losgehen konnte.

Quellen:

Muslimischer Friedhof in Sarajevo

Geschrieben am 12.4.2018, als die Zeichen international auf Sturm standen.

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