FORVM, No. 417-419
Oktober
1988

Ansichten eines Belehrbaren

Erzählung

jeden tag von neunuhrfünfunddreißig bis elfuhrfünfzehn und von vierzehnuhrfünfundzwanzig bis sechzehnuhrfünfzehn, mit ausnahme der samstage, sonntage und der feiertage treffe ich schwaighofer in der sperrklinke. er steht am band wie ich, ich allerdings an der sinter, während er an der voere steht. jeden tag zwischen neunfünfunddreißig und elffünfzehn, sowie zwischen vierzehnfünfundzwanzig und sechzehnfünfzehn. das ergibt sich aus dem plan, denn während ich zwischen sieben und zwanzignachneun und zwischen viertelnachelf und zwei und nach viertelnachvier bis viertelnachfünf an der rotation arbeite, steht er, schwaighofer, den ganzen tag mit ausnahme der pausen an der voere. das ist der plan.

heute früh war schwaighofer nicht da, als ich infolge einer kleinen verzögerung in der rotation erst um neunachtunddreißig statt wie gewöhnlich um neunfünfunddreißig in der sperrklinke eintraf, fand ich schwaighofers platz an der voere von einem anderen besetzt. den ganzen tag ist schwaighofer nicht an seinem platz aufgetaucht, weder am vormittag noch am nachmittag. dafür hat ein anderes gesicht seinen platz eingenommen. ein anderes, mir bis dahin unbekanntes gesicht, nimmt den platz, der gewöhnlich der platz schwaighofers gewesen ist, ein. schwaighofer ist nicht da.

der andere redet nicht viel. während schwaighofer ununterbrochen geredet hat, sagt der neue kaum ein wort. seine hände, denen schwaighofers nicht unähnlich, aber eben doch nicht schwaighofers hände, greifen dieselben hebel, schieben den bock zur seite in derselben weise, wie auch schwaighofer das getan haben würde, wenn er noch an seinem platz stünde, dort, wo jetzt dieses andere gesicht ist, das stumme oder doch so gut wie nichtssagende gesicht dieses anderen.

schwaighofer hat den ganzen tag geredet. während seine hände ihre bewegungen an den hebeln gemacht haben, hat sein mund ganz andere bewegungen gemacht, die mit den bewegungen der hände nur soviel zu tun gehabt haben, daß diese ebenso wie der mund den ganzen tag in unablässiger bewegung gewesen sind. jetzt ist diese doppelte bewegung gegenüber an schwaighofers platz verschwunden, denn ein anderes gesicht hat dort mein blickfeld eingenommen, und dieses gesicht ist das gesicht eines schweigers. und also ist an jener stelle, wo vorher die doppelte bewegung gewesen ist, die einförmige bewegtheit der stummen hände zurückgeblieben, die eine maschinenbewegung ist und nichts mit der bewegtheit des schwaighoferschen gesichtes zu tun hat. dort steht eine maschine.

schwaighofers stimme, hell und zart, der klangfarbe der aufeinandertreffenden bolzen nicht unähnlich, die ihr stählernes klicken mit der monotonie eines uhrwerks in das stumpfe rollen der laufräder und das schmatzende gleiten der schlitten, in das zwischen der pneumatik und das rauschen und gurgeln des kühlwassers, in das unregelmäßige scheppern der förderkörbe über unseren köpfen, in den brodelnden geräuschbrei der ganzen riesigen halle hineinhämmern, diese seine helle, harte stimme hat dennoch trotz dieser klangähnlichkeit sowohl das hämmern der bolzen, als auch alle anderen geräusche überlagert und ist zu mir herübergekommen als gäbe es keine anderen geräusche in dieser mit lärmenden maschinen vollgestopften halle. so ist mir schwaighofer immer präsent gewesen, auch wenn ich keine zeit hatte, den kopf zu heben und sein gesicht, die bewegungen seines mundes und die seiner hände zu sehen. der neue dagegen redet nicht, so daß er mir heute stundenlang gar nicht zu bewußtsein gekommen ist, oder doch nur insofern, als da, wo früher schwaighofers stimme gewesen ist, jetzt ein großes loch klafft. schwaighofer ist eine menschliche stimme gewesen, ein lebewesen war da inmitten des taumels der unablässigen, mich ins fließende band hineinreißenden bewegung. eine menschliche stimme durchbrach die gefühllose raserei des hämmernden bolzenwerks und setzte dem mechanischen inferno die melodie menschlicher laute entgegen.

aber dieser neue, der redet nicht, und einer, der nicht redet, der fängt über kurz oder lang zu schreien an, stößt schreie aus inmitten seiner rastlosen bewegung, wie es der vorgänger schwaighofers getan hat. der hat ganz entsetzliche schreie ausgestoßen, schreie, die ein irrer ausstoßen könnte, oder ein medium in trance, bevor die stimme aus ihm spricht. aus dem vorgänger schwaighofers hat aber keine stimme gesprochen. ab und zu ein gräßlicher fluch, aber auch dieser mehr eine zufällige artikulation des tierischen schreis, den er immer wieder ausgestoßen hat, um sich für minuten wenigstens wieder luft zu machen inmitten des wahnsinns der rasenden maschinerie.

ich bin, sagte schwaighofer noch gestern, verrückt. ich rede und lamentiere den ganzen tag, den ganzen langen tag habe ich mein maul offen und gebe meinungen von mir, als ob es irgendeinen sinn hätte zu meinen. ich weiß aber meistens gar nicht wovon ich rede und denke manchmal, ich müßte vor meinen eigenen gedanken erschrecken, als vor etwas fremden, das ohne mein zutun aus mir herauskommt, und nur die tatsache, daß es keinerlei folgen hat und also sinnlos ist was ich sage, rettet mich vor der fatalität meiner gedanken. wehe, ich wäre gezwungen, konsequenzen zu ziehen! so aber bin ich einfach nur ein verrückter, der am fließband steht und vor sich hin lamentiert. es ist der pure luxus.

meine gedanken zur welt und zu meinem dasein in der welt sind nichts als das überflüssige produkt einer cerebralen überkapazität. in wahrheit ändert mein denken längst nichts mehr, ja es erleichtert mir nicht einmal mehr meine existenz, denn die zeit, da ich noch an meine eigenen gedanken glaubte, ist längst vorbei. gedanken, so sie nicht in klingender münze sich materialisieren, sind absolut überflüssig. kein mensch wird um seine meinung gefragt. nicht im wesentlichen. nicht da, wo es darauf ankäme. meinungen, so schwaighofer, sind nichts weiter als private ideologien, intellektuelle schleiertänze, denn am ende bleibt dir ohnehin nichts anderes, als zu fressen, was die maschine dir vorsetzt. in den seligen tagen der inquisition, als der mensch noch ein gedanke war und keine zahl, damals, so schwaighofer, hatte der denkende mensch seine würde, seine gedanken waren möglicherweise gefährlich, und also hatte sein denken substanz. heute sind ansichten überflüssig, und es gibt keinen lachhafteren menschen als einen philosophen.

wir haben, so schwaighofer ein anderes mal, jetzt da, wo früher die übermacht der natur gewesen sit, die übermacht des klimas, der meere, der undurchdringlichen dschungel mit ihren unerbittlichen gesetzen, eine neue, künstliche übermacht geschaffen. die maschine, die uns ein werkzeug gewesen ist, um den zwängen der natürlichen notwendigkeiten zu entgehen, ist jetzt an die stelle der natur getreten und hat uns eingeschnürt in eine welt neuer zwänge und unerbittlichkeiten, gegen die wir ebenso machtlos snd, wie wir vordem machtlos gewesen waren vor den zwängen der natur. jetzt haben wir eine künstliche natur, eine natur aus künstlichen dingen geschaffen, weil wir immer nur an die dinge gedacht haben, nie aber an die gesetze, weil wir immer nur an die überwindung der dinge, nie aber an die überwindung der gesetze gedacht haben. wir, so schwaighofer, benehmen uns heute als politische und kulturelle wesen noch genauso, als wären wir den naturgewachsenen bedingungen ausgeliefert, und haben uns doch nur unseren erfindungen ausgeliefert, indem wir die natur künstlich nachgebildet haben statt sie zu überwinden. das ist es, so schwaighofer, warum alles heute absurd geworden ist; weil wir zwar alles verändert, aber nichts geändert haben. und so stehen wir nach jahrtausenden übermenschlicher anstrengungen noch genau da, wo wir immer gewesen sind, nämlich in der ohnmacht, bloß daß sich unsere ohnmacht von einer unfertigkeit, die hoffnung auf vollendung gelassen hat, in eine unfähigkeit verwandelt hat, die keinerlei hoffnung, sondern nur noch scham zuläßt.

wir haben die flüsse eingedämmt und durch brücken überwunden, wir haben die sümpfe trockengelegt und die raubtiere ausgerottet oder hinter gitter gezwungen, aber dennoch fordert allein die bewältigung von distanzen, zum größten teil übrigens höchst überflüssige bewältigung höchst überflüssiger distanzen, alljährlich hunderttausende opfer auf der ganzen welt. diese tatsache allein genügt, sagte schwaighofer immer wieder, uns lächerlich zu machen, allein vor dieser tatsache sind wir gescheiterte; von den atombomben und den millionen verhungernden und der psychischen not, in der wir alle leben, muß ich gar nicht erst reden. er hat aber trotzdem immer davon geredet, den ganzen tag hat er von nichts anderem reden können, als von der absurdität der postmodernen welt.

die maschine, so schwaighofer, dieses gebilde aus künstlichen organen und künstlichen lebens- und verfahrensregeln, hat uns unterworfen, wir sind ihr ausgeliefert, und bald wird nur noch die maschine das leben, und zwar alles und jegliches leben, garantieren können. und dann wird die maschine über das leben selbst herrschen. dann werden wir von der maschine gehalten werden, wie wir selbst unsere haustiere gehalten haben, dann werden wir elektronische zäune um uns haben und davon abhängig sein, daß uns die maschine mit futter versorgt und unseren stall ausmistet, und wir werden auf unsere komplizierte weise ebenso stupid und hilflos vor uns hinleben, wie wir unsere schweine und kühe und pferde gezwungen haben, in unserem dienste zu sein. noch, so er, glauben wir, die gesetze zu formulieren und die maschine zu kontrollieren, in wahrheit gibt uns aber schon die maschine die gesetze vor, die wir nurmehrnoch menschengerecht zu formulieren haben. in wahrheit sind wir ständig dabei, uns maschinengerecht zu machen. das ist die aufgabe der wissenschaft, und nur darin kann ihr erfolg bestehen, daß sie aus uns exakte größen macht. ihr programm ist natur, und zwar so, wie wir, die nutzbarmacher der natur, natur begreifen: als ding, das beschrieben, berechnet, gehandhabt werden kann. so ist die wissenschaft als die vordenkerin der maschine zuletzt nicht eine lehre von den dingen und auch nicht eine lehre vom menschen, sondern eine lehre von der mechanisierung der dinge und eine lehre von der nutzbarmachung der menschen.

in früheren jahrtausenden, so schwaighofer, war der mensch mittelpunkt und ziel der schöpfung, und gott ist nur erfunden worden, um uns zu erfinden und uns unseren ersten platz in der schöpfung zu sichern. seit gott aber getötet worden ist, ist der mensch aus dem mittelpunkt der schöpfung hinausgefallen. jetzt ist der mensch nurmehrnoch ein zitat, eine allegorie, eine sehnsucht. wir sind unserer eigenen definitionswut zum opfer gefallen, weil wir das wesentliche, das undefinierbare und namenlose, das wir sind, negieren mußten, weil es nichts gibt, mit dem wir unser wesentlichstes vergleichen könnten, um uns in die sogenannte natur der dinge einordnen zu können. ja, sagte schwaighofer, das war unser tiefster fall, daß wir gott abgeschafft haben, denn damit haben wir zuletzt auch uns abgeschafft.

aber wir halten die einsamkeit nicht aus. indem wir uns mit den atomen und molekülen identifizieren, die wir sind, indem wir uns als komplexe systeme begreifen inmitten komplexer systeme, indem wir uns als dinge begreifen inmitten von dingen, beschleicht uns eine angst, die wir vordem nicht kannten. wissend, wie skrupellos wir im laufe der jahrtausende geworden sind im umgang mit den lebendigen dingen, ahnen wir, daß uns niemand vor uns retten wird. gott ist tot und also nicht mehr wirksam in der geschichte. wir sind uns ausgeliefert, und eben darum richtet sich unser von angst und wahn verwirrter geist auf die maschine, auf das exakte, auf ein funktionieren, das jenseits von gut und böse wenigstens, wenn schon nicht heilbringend, so doch nicht boshaft, tückisch und pervers sein kann. im maschinengedanken, in der utopie von der maschinellen gerechtigkeit, suchen wir uns wiederzufinden, wie wir uns einst in gott gefunden haben, als dem prinzipiellen und in aller unbegreiflichen grausamkeit zuletzt doch gütigen wohlwollen eines übermenschlichen. das, so schwaighofer, ist der kern des maschinendenkens, das in uns selber ist und aus uns kommend auf die maschinerie übergeht. wir haben gott aus den natürlichen dingen entfernt, aber die absurde utopie ist nicht mehr undenkbar, daß wir gott neu erfinden werden, als die superintelligenz der maschine, weil wir nicht sein können ohne maßstab.

die welt, so schwaighofer, ist eine maschine geworden, in der wir mit allem, was wir von uns denken, sinnlos geworden sind, weil nicht mehr unsere wünsche und hoffnungen, sondern das räderwerk der maschinerie den gang der dinge bestimmt. die maschine hat ihre unerbittliche logik. du kannst die maschine weder überreden, noch kannst du sie überzeugen.

versuch mal mit diesem ding da zu argumentieren, sagte schwaighofer, indem er den bock zur seite schob, das werkstück mit der anderen hand dabei plaçierend und, während noch die eine hand mit dem werkstück beschäftigt war, schon mit der anderen den hebel betätigte, der den bohrkopf in bewegung setzt. sie haben, so sagte er ohne in seiner bewegung innezuhalten, zwischen uns und die welt die maschine gesetzt. das ist es, was sie getan haben. sie waren der naiven meinung, die welt besser und vernünftiger, ja liebenswerter zu machen, in wahrheit haben sie die natur mechanisiert, so daß zwischen uns, den händen, und ihnen, den köpfen, eine neue welt entstanden ist, die welt der maschine; und die, so schwaighofer, ist heute schon die eigentliche welt. die sprache der maschine ist schon die sprache der welt geworden, und das denken der maschine das denken der welt. der maschine ist es vollkommen egal, was sich die hand denkt, die den knopf drückt, wie es ihr auch egal ist, was der kopf meint, der sie programmiert. die maschine hat ihre logik, und die zwingt sie dem kopf ebenso auf wie der hand. am ende sind wir alle, die köpfe wie die hände, köpfe und hände der megamaschine, abgerichtet, die bedürfnisse der maschine zu befriedigen, denn die maschine bestimmt heute, was der mensch ist. meinungen, und seien sie noch so durchdacht und originell, müssen vor der maschine scheitern. die maschine kümmert sich nicht um unsere gedanken. sie hat keine inquisitoren nötig. die maschine gewährt gedankenfreiheit, weil nichts mehr gesagt werden kann, was ihr gefährlich werden könnte.

das einzige, sagte schwaighofer, was die maschine fürchtet, sind unsere taten. nur die taten, so er, tun wirkung, das reden ist nur geschwätz. indem ich diesen stahlstift ins räderwerk des fließbandes werfe, bringe ich den ablauf des programms ins stocken, und das, nichts anderes, so schwaighofer, ist die sprache, die die maschinerie versteht. kunst und philosophie sind ihr ebenso schnuppe wie psalmen und gebete, aber die tat, die tut wirkung, und das ist es, worauf es ankommt, sagte schwaighofer, und darum ist einer wie ich, der den ganzen tag nur redet und quasselt, ungefährlich. ich gebe mich keiner täuschung hin: ich rede, so schwaighofer, nicht, weil ich dir oder mir oder irgendwem irgendwas zu sagen hätte, sondern um nicht an der stupidität meines daseins zu ersticken. es ist also, sagte er, mein unaufhörliches reden nichts anderes als ein unaufhörliches kotzen. ich spucke meine gedanken aus, um nicht an ihnen zu ersticken.

sie werden sich denken können, daß mir schwaighofer sehr sonderbar war. nicht nur, daß dieser mensch, dem unablässig solche gedanken über die lippen kamen, da an diesem platz an der voere stand, wo jetzt dieser stumme andere steht, sondern mehr noch, daß es ihn überhaupt nicht zu interessieren schien, ob ich ihm zuhörte. nie hat er mich gefragt, und sei es auch nur mit einem blick, ob ich denn verstehen könnte, was er da vor sich hinredete. es war ihm tatsächlich egal, was ich dachte. wir waren ihm alle egal. niemand hat ihn je, in diesen ganzen sieben monaten nicht, die er bei uns gewesen ist, ein persönliches wort reden hören. wir schienen für ihn maschinen gewesen zu sein, dinge, die um ihn herumstanden wie die anderen maschinen auch, die bohr-fräs-säge-härtemaschinen, und nichts deutete darauf hin, daß er uns anders wahrgenommen hätte, denn als maschinen. im gegenteil. aus seinen reden zu schließen, waren wir ihm weniger als maschinen.

die tragödie des postmodernen menschen, sagte er zum beispiel einmal, sei die tatsache, daß er eigentlich schon überflüssig geworden sei. man könne, so schwaighofer, das profitspiel durchaus auch ohne menschen spielen. man könne sich vorstellen, daß man bedürfnismaschinen entwickeln werde, die, ebenso lernfähig wie die produktionsmaschinen, nur die aufgabe hätten, zu verzehren, um so den sogenannten mehrwert, den maschinen produziert hätten, auch wieder maschinell zu realisieren. somit wäre der kreislauf der maschine geschlossen, und die tatsache, daß ein solches system so offensichtlich verrückt erscheine, mache ihm nur deutlich, wie sehr wir selber in einer romantischen verblendung lebten, indem wir uns glauben machten, die profitmaschine habe irgendetwas mit unserem glücksanspruch zu tun. in wahrheit, so schwaighofer, sei unser glückssuchendes verhalten der profitmaschine nichts weiter als ein notwendiges, aber durchaus maschinell ersetzbares element des kreislaufs. es komme am ende nur auf das unruheprinzip an, nicht auf das glück. nein, sagte schwaighofer damals, es geht nicht ums glück, denn ginge es darum, so wäre die profitmaschine schon längst gestoppt und der großteil der maschinerie nie gebaut worden. erfunden, so schwaighofer, vielleicht aber niemals in betrieb genommen, denn das erfinden der maschinen macht möglicherweise spaß, niemals aber das bedienen.

man müsse sich, so schwaighofer damals, fragen, warum noch niemand auf die idee gekommen sei, wenigstens spaßhalber eine vollautomatische profitmaschine zu entwerfen. es wäre dies, so er, vielleicht eine möglichkeit, all jenen, die es offensichtlich nötig hätten, ihr ego im leistungsfetischismus zu suchen, ihre spielwiese zu sichern, ohne den vernünftigeren rest der menschheit deshalb permanent ins unglück zu stürzen. aber, so widersprach er sich gleich selber, es sei ein unsinn, solch ironische selbstsicht beim menschen (die verachtung, die er in dieses wort legte!) vorauszusetzen. nein, das spielmüsse wohl mit blut gespielt werden. er wolle damit nicht behaupten, der wahre grund unserer führer, uns mit ihren arbeitsbeschaffungsprogrammen zu verfolgen, sei der nackte sadismus, das wolle er den besten unserer famosen gesellschaften nun doch nicht unterstellen, es sei aber zu fragen, was denn der wahre zweck eines handelns sei: das motiv im guten glauben, oder der effekt. so fragte sich schwaighofer rhetorisch selber, während seine hände den bewegungen der maschine folgend hebel ergriffen, knöpfe drückten, der oberkörper hin und her schwang im rhythmus des über seine schienen gleitenden bocks. dürfe man denn annehmen, daß unsere führer frei seien von jenen blendungen, die es dem sadisten ermöglichen, sich als erzieher und fürsorger zu fühlen? oder anders gefragt: wäre es nicht denkbar, daß allein die vorstellung eines glücklichen, mit sich und seinem überflüssigen dasein zufriedenen arbeitslosen alle jene ressentiments in den arbeitsamen bürgern dieser unserer überflußgesellschaft weckt, die sie dem wahren gegenstand ihrer frustration, ihrem absurden, weil nie genügenden tun nämlich, nicht entgegenbringen dürfen?

das problem des außenseiters, erklärte schwaighofer, ist, daß man ihn nicht in ruhe läßt. in früheren zeiten konnte einer, der die welt satt hatte, in die wälder flüchten und dort, fern von den menschen mit seinem gott in ruhe und frieden leben. heute zwingen sie dich in ihr system hinein, ob du willst oder nicht. es genügt ihnen nicht, daß du dein leben lebst und sie machen läßt. sie müssen dir auf den wecker fallen, sie müssen dir ins geschäft pfuschen, sie müssen dir dein leben vermiesen. das liegt zum einen daran, daß die profitmaschine absolut totalitär ist. sie reißt alles an sich. alles, was nur irgendwie von irgendjemandem benötigt werden könnte, muß besessen werden, damit es verkauft werden kann. der effekt ist, daß du heute außer der luft zum atmen und dem stückchen asphalt zwischen hauswand und straße absolut nichts mehr gratis bekommst. die maschine hat alles in besitz genommen.

der zweite und vielleicht wichtigere, weil tiefer wirkende grund für die intoleranz der modernen gesellschaften sei die tatsache, daß es in der hierarchie sozialer verbände aus psychologischen gründen keine neutrinos geben dürfe. wer sich nicht in irgendeiner form zu- und einordnen läßt, so schwaighofer, der muß entfernt werden. das undefinierbare muß das bestimmte, das nur durch die allgemein anerkannte definition das bestimmte sein kann, fürchten, wie die ordnung des chaos. das chaos stellt die allgemeingültigkeit der sich als einzig möglich verstehenden ordnung in frage, denn was ist eine ordnung, die nicht allein herrscht? eine permanente unsicherheit, eine fragwürdigkeit, und damit genau das gegenteil dessen, was ein mensch von der ordnung verlangt: sicherheit.

neutrinos, so schwaighofer, gefährden die gültigkeit der maßstäbe, und darum müssen außenseiter, wenn schon nicht vernichtet, so doch zu bedauernswerten opfern unglücklicher umstände gemacht werden, die man gegen ihren willen als solche unter dem mantel der sozialen fürsorge zwangsweise wieder ins system integriert. das, so schwaighofer, ist der tiefere grund, warum man jagd macht auf arbeitsunwillige. das ist der grund, warum man ihnen, deren nicht-arbeitsplätze die gesellschaft ungleich weniger kosten als die nicht nur sündteuren, sondern effektiv schädlichen arbeitsplätze an den hebeln der profitmaschine niederhält und der öffentlichen hetze preisgibt. sie bedrohen das ordnungsprinzip, das auf der nackten erpressung basiert: ordne dich der arbeitsdisziplin unter und damit der macht, oder stirb. der arbeitszwang, so schwaighofer, ist das machtmittel der profitmaschine. nur indem sie uns alle zur arbeit zwingt, kann sie uns beherrschen.

die macht, so führte schwaighofer weiter aus, hat es allerdings nicht nötig, hier selbst einzugreifen. die bedrohung, die von einem außenseiter ausgeht, ist für die spitze der pyramide psychologisch weniger akut, als für deren basis, denn der abstand zwischen dem mächtigen und dem neutrino ist ungleich größer als der zwischen dem ohnmächtigen mitläufer und dem selbstmächtigen außenseiter. für den mächtigen, so schwaighofer, dessen identität sich durch die pyramide summiert, stellt die freie identität des neutrinos keine gefahr dar, sondern höchstens eine interessante erscheinung. er kann daher liberal sein. für den ohnmächtigen aber, der sich demütig zu füßen der pyramide niederkauert und, vielleicht ohne bewußtheit, sicher aber nicht ohne ein gefühl der demütigung und scham, den götzen an der spitze anbetet, sich selbst opfernd, um vom glanz des größeren einen bettel abzubekommen, den bedroht die souveränität des außenseiters zutiefst. dem bückling muß der aufrechte gang des nonkonformisten als ein hohn erscheinen, und nichts wird ihn davon abhalten können, sich für das gefühl der schande an jenem zu rächen, der ihm sein sklavendasein vor augen führt. daher, so schwaighofer, fürchte ich weniger die macht, als vielmehr deren speichellecker und lakaien. diese bücklinge und nullgrößen zwingen einen immer wieder in auseinandersetzungen, deren wert für die eigene identität gleich null ist, sagte schwaighofer. das ist der grund, so schwaighofer, warum ich sie hasse, alle diese unschuldigen! sie tun ja alle nur ihre pflicht! der straßenbahnbulle, der polizeiminister, der zeitungsschmierer. sie alle tun nur ihre pflicht. eingesponnen in den kokon ihrer fadenscheinigen rechtfertigungen kennen sie nur einen reflex: ausmerzen, vernichten, vergasen. alles was sie tun, läuft darauf hinaus. du fragst dich, warum ich hier an dieser maschine stehe und eine arbeit mache, die nicht nur nichts mit mir zü tun hat, sondern mir aus tiefster empfindung zuwider ist? ich kann es dir sagen: weil ich angst habe. ich habe angst, sagte schwaighofer, das ist alles. und darum rede ich, darum lamentiere ich unaufhörlich, weil ich angst davor habe, zu tun, was getan werden müßte. ich hätte, so er, keine verbündeten. ich stünde allein. so aber, indem ich hier an der maschine stehe, bin ich zwar nicht weniger allein, aber immerhin bin ich sicher vor verfolgungen. so kann ich das recht der macht für mich in anspruch nehmen, um mich vor der rachlust der würmer zu schützen. solange ich hier an der maschine stehe, kann mir keiner was. aber, so fuhr schwaighofer fort (und zum erstenmal sah ich ihn die hände niedersinken lassen und den blick heben, und zum erstenmal hatte ich das gefühl, daß er mich ansah), aber ich fürchte, daß ich auf diese weise opfer meiner eigenen rachlust werde.

jetzt also hat schwaighofer seine angst doch auf sich genommen. schwaighofer ist nicht mehr da. andere hände tun die arbeit, die schwaighofers arbeit durch sieben monate hindurch gewesen ist. ein anderer körper bedient die maschine, ein anderes gesicht ist dort drüben, und es schweigt. es ist stumm. es sagt nichts. schwaighofer ist fort, und in meinem kopf ist noch der wiederhall seiner reden, und der wiederhall seiner reden hat in mir gedanken wachgerufen, die ich schon abgetötet zu haben glaubte. gedanken kommen mir wieder, die mir weh tun.

wo bin ich gewesen in den letzten jahren? mich erinnernd an die monate, die seit meinem eintritt in die fabrik vergangen sind, finde ich mich selbst als einen unsichtbaren, als einen stummen, als einen körper ohne den willen zu leben. ich habe mich hier in der maschine begraben. das ist die wahrheit. ich habe mich ins grab gelegt, als ich, um dem schreck zu entgehen, der mich überfallen hat, als ich begriff, daß nichts mich und meinen untergang rechtfertigen wird, mir eine frau nahm und ihr sagte: ich liebe dich. ich habe mich ins grab gelegt, als ich aus meiner außenseiterexistenz eine familienexistenz gemacht habe. ich habe mir eine frau genommen, indem ich die formeln und rituale der liebe nachgeahmt habe, und ich habe, um meinen schuldgefühlen zu entgehen, um mich gesehen und festgestellt, daß alle dasselbe tun. alle ahmen die gebärden des lebens nach. alle sind wie nurmehrnoch maschinen, die die gebärden des lebens nachahmen, weil wir nicht mehr den mut, vielleicht nicht einmal mehr die möglichkeit haben zu leben. denn das leben definiert die maschine, nicht mehr der traum des menschen von sich. kein pfeil der sehnsucht mehr zum anderen ufer, sondern der traum von der sicherheit. stahl und beton ist unser traum geworden, und unsere zeit ein stehendes gewässer, in das wir wie orientierungsmarken die bojen der besonderen tage geworfen haben. unsere fest- und gedenktage als die bitteren tröstungen einer öden, versumpften, versklavten existenz. das ist es, was schwaighofer wieder in mir wachgerufen hat. eine alte, verschorfte wunde hat er aufgekratzt mit seinem gerede, und nur die tatsache, daß er bloß geredet, aber nichts getan hat, sondern jeden morgen um neunuhrfünfunddreißig wieder an seinem platz an der voere gestanden ist, die hat mich gerettet vor dem, was jetzt wieder in mir ist.

ich muß weg. um meinetwillen. ich muß mich retten, das ist es, was schwaighofers tun, sein abgang, seine konsequenz mir sagt. dieses bloß gespielte leben, diese nachahmung von handlungen, die selbst nichts mehr mit leben zu tun haben, sondern abklatsch vorgefertigter glücksvorstellungen sind, dieses ewige hinterherlaufen und habenwollen, wo es doch in wahrheit um das seinkönnen geht, das muß ich beenden. heute abend noch, so raunt mir schwaighofers jetzt verstummte stimme ins ohr, gehst du nach hause, packst deine notwendigsten dinge in eine kleine tasche, gibst deiner frau einen letzten, vielleicht zu erstenmal gemeinten kuß und gehst. wohin? keine fragen. ab heute ein leben, das sich jeweils im gelingen des nächsten augenblicks genügt. aus dem augenblick heraus in den nächsten, gehen und fallen und aufstehn und weitergehn. dreißig und mehr jahre zukunft hast du hinter dir, und im nachhinein gibt es keinen grund, die sorge um das morgen ernst zu nehmen. die zukunft hat sich noch stets als gegenwart entpuppt, und die langeweile und verdrießlichkeit der immer als gegenwart erlebten zukunft ist weniger dem sosein der welt anzulasten, als dem großen nein, das du immer dem heute entgegensetzt im hinblick auf ein besseres morgen. morgen, so raunt schwaighofers stimme in meinem vom gedröhn der maschine wirren kopf, morgen gibt es nicht. morgen, so schwaighofers stimme, ist immer nur morgen.

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