Streifzüge, Heft 1/1997
März
1997

Auferstanden aus Modernisierungs-Ruinen

Das Buch von Ernst Lohoff über Wallensteins Lager in Jugoslawien

Ernst Lohoff: Der dritte Weg in den Bür­gerkrieg. Jugoslawien und das Ende der nachholenden Modernisierung. Bad Honeff: Horlemann — edition krisis.

Während die einen vom Ausbruch animalischer Instinkte schwatzen, die anderen über die Serben als die neuen Nazis schwadronieren und der Rest sich mit der Kritik der westlichen Berichterstattung begnügt, versucht Ernst Lohoff in seinem Buch über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien, was man mittlerweile unter fortgeschrittenen Akademikern als ‚große Erzählung‘ zu belächeln und den dümmlichen Fernseh-Kommentatoren zu überlassen pflegt: historisch zu erklären, wie es dazu kam. Und so scheut er sich nicht, weit auszuholen.

Die Durchsetzung der Warenproduktion, deren Motor in Westeuropa angeworfen wurde, zeitigte auch in Südosteuropa die „Erfindung der Nation“. Als Transmissionsriemen fungierten im 19. Jahrhundert die westlich gebildeten Intellektuellen: sie waren — wie überall — die Avantgarde des Nationalismus. Ihre Vorgänger — die Priester der beiden christlichen Kirchen — hatten den Boden freilich schon bereitet: für dieselbe Sprache wurden im griechisch-orthodoxen Einflußgebiet kyrillische Zeichen, im katholischen lateinische verwendet; mit der Alphabetisierung konnte dieser Gegensatz zwischen ‚Serbisch‘ und ‚Kroatisch‘ verallgemeinert werden und ‚ethnische‘, ‚nationale‘ Bedeutung gewinnen. Hätte sich aber „aus der Eigendynamik des Akkumulationsprozesses so etwas wie eine homogene jugoslawische Volkswirtschaft herausgebildet, so wäre der Gegensatz von Serben und Kroaten ebenso zum folkloristischen Accessoire abgeschliffen worden wie die Feindschaft von Bayern und Preußen hierzulande ...“. Doch zum gesamtjugoslawischen take off kam es nicht (mehr); 80% der Bevölkerung blieben bis 1945 in der Landwirtschaft beschäftigt und ihre Mehrheit verharrte in Subsistenzverhältnissen.

Erst den Kommunisten gelang es, zur wirklich hegemonialen Kraft des Landes zu werden: Im Partisanenkrieg wuchs die kleine Splittergruppe zu einer Massenorganisation heran, die schließlich nach dem Krieg imstande war, das Projekt einer nachholenden Modernisierung einzuleiten. „Die kulthafte, in vielerlei Hinsicht monarchisch anmutende Verehrung, die dem Staatsgründer zuteil wurde“, spielte bei der Herausbildung eines gesamtjugoslawischen Bewußtseins eine entscheidende und vorwärtstreibende Rolle. „Wie in Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert der Treueschwur gegenüber den absolutistischen Herrschern und die Identifikation mit dem französischen Staatswesen zusammenfielen, ebenso bedeutet der Glaube an den Volkskönig Tito über alle sozialen und regionalen Grenzen hinweg das Bekenntnis zu einem Jugoslawien aller Jugoslawen.“ Der Vergleich sitzt — nicht jedoch der andere, den Lohoff in den Anmerkungen bietet: hier werden in der illustren Runde neuzeitlicher „Massenmörder, Inquisitoren, Giftmischer und Kriegsverbrecher“ — Ahnengalerie der Demokratie — Stalin, Robespierre und Hitler versammelt — und Tito, um diesen „noch als eine der angenehmeren Gestalten“ abzuheben. Die Fußnote zeigt die Achillesferse jenes wertkritischen Ansatzes der Krisis-Gruppe (Robert Kurz, Norbert Trenkle u.a.), dem sich Lohoff verpflichtet weiß, und der gewiß den wichtigsten Beitrag zur Diskussion der Marxschen Theorie in den letzten Jahrzehnten darstellt: Es ist die Konstruktion absoluter Notwendigkeit; in ihrem Bannkreis erscheint der Gang der Geschichte vollständig diktiert. Tatsächlich kann die Logik der Warengesellschaft aus jeder Entwicklung der Moderne deduziert werden; aber sie diktiert die Moderne nicht wie einenText, sondern läßt — ja schafft in gewisser Weise erst Handlungsspielräume: etwa jenen, in dem sich ein Individuum oder die Bevölkerung eines Staates in der Frage der nachholenden Modernisierung zwischen ‚kommunistischer‘, faschistischer und nationalsozialistischer Variante entscheiden konnte. Dieser Einwand ist nicht mit dem allseits beliebten „Ökonomismus“-Vorwurf zu verwechseln; zu kritisieren ist jedoch eine Verkürzung, die immer wieder zu Gleichsetzungen fuhrt: im Angesicht der Warenform erscheinen alle Gesellschaften gleich schlecht — und von dieser Demokratisierung des Bösen profitiert naturgemäß die deutsche und die österreichische am meisten. Ein signifikantes Beispiel dafür ist das Verhältnis, das Lohoff zwischen der deutschen Invasion von 1941 und der Außenverschuldung der 80er Jahre herstellt: „Die Umstände waren diesmal weit undramatischer, die Folgen aber nicht weniger verheerend.“ Mit über einer Million Toten und der systematischen Vernichtung der Juden auf diesem Territorium ist die Verheerung der deutschen Invasion in Jugoslawien für solche Gleichungen nicht geeignet.

Und Lohoff selbst widerruft seine Parallele im bestechendsten, letzten Teil des Buches, worin soetwas wie eine Theorie des Krieges entworfen wird: „Wer sich an den historischen Gehalt eines Krieges herantasten will, kommt (...) nicht umhin, ihn auch als eine Form gesellschaftlicher Reproduktion zu verstehen (...) Für die modernen Kriege (...) war eine beständig erweiterte innere Mobilisierung charakteristisch (...) — Die Kriegsanstrengungen hatten für gewöhnlich nicht nur eine rasante Effizienzsteigerung in Verwaltung und Wirtschaft zur Folge, sondern brachen einer grundlegenden Tendenz zur gesellschaftlichen Homogenisierung Bahn.“ All diese Momente fehlen aber im Falle der bewaffneten Konflikte im ehemaligen Jugoslawien, die darum viel eher an die Kriege der frühen Moderne mit ihren Marodeuren und Warlords erinnern. Dabei begnügt sich Lohoff nicht mit einem originellen geschichtsphilophischen Aperçu à la Robert Menasse, es gelingt ihm die Wiederkehr des Archaischen aus den Bedingungen der Modernisierung abzuleiten. So habe der einstmals vieldiskutierte Selbstverwaltungs-Sozialismus, den Jugoslawien nach der Ablösung von der Sowjetunion praktizierte, letztlich das Ungleichgewicht und die Polarisierung zwischen den Teilrepubliken befördert: „Die plünderungsökonomische Dynamik nahm hier einen besonderen Gang, weil sie unmittelbar aus der Fortsetzung innerjugoslawischer Verteilungskämpfe erwuchs und an die in diesem Zusammenhang jahrzehntelang reproduzierten Ressentiments anknüpfen konnte. (...) Damit kehren unter vollkommen anderen historischen Bedingungen die Verhältnisse wieder, die vor Beginn des Siegeszugs der Warenproduktion herrschten. Wie schon im frühen Mittelalter gibt es auf dem Balkan keine qualitativ bestimmbare Grenze zwischen kriegerischen Aktionen und purer Plünderung.“ Modern an der jugoslawischen Plünderungskriegswirtschaft ist vor allem ihre Integration ins heutige Weltmarkt-System, auf die Lohoff aufmerksam macht, indem er die Kanäle des Waffenhandels beleuchtet oder etwa darauf hinweist, daß die DM selbst in Serbien zur monetären Grundlage des gesamten schwarzen Sektors und des Waffenhandels geworden ist: „Die dunklen Geldkreisläufe, die den jugoslawischen Bürgerkrieg in Gang halten, bilden ein transnationales Netz und speisen sich letztlich allemal aus westlichen Quellen.“ Eben dies konserviere die Plünderungsökonomie.

Bei der derzeitigen Faktenlage bleibt ein gewisser spekulativer Zug solcher Überlegungen unaufhebbar. Dies betrifft insbesondere die Einschätzung der unmittelbaren Gegenwart. Im Gegensatz zu jenen Erklärungsansätzen, die davon ausgehen, daß es ‚dem Kapital‘ bzw. den reichen kapitalistischen Ländern in Jugoslawien gelungen wäre, eine ehemals sozialistisch verfaßte Gesellschaft ‚in Wert zu setzen‘, beurteilt Lohoff die derzeitige Lage eher als ein Zwischenstadium, dem neue Kriege folgen können; einem Land wie Deutschland diene es weniger zu Investitionen, als dazu, die lästigen Flüchtlinge wieder loszuwerden. Wie immer man die Prognosen der letzten Seiten beurteilen und wie sehr man die mangelnden Fakten auch beklagen mag, Ernst Lohoff hat nicht nur das wichtigste und beeindruckendste Buch über den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien geschrieben — sondern die erste theoretisch fundierte Analyse des Krieges im Zeitalter implodierender Nationalökonomien vorgelegt.

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