Internationale Situationniste, Numéro 11
 
1977

Ausgewählte neuste Meinungen über die S.I.

André Schneider, der AFGES-Vorsitzende, erklärte im Namen seiner Kommilitonen, dass die Auflösung der Assoziation eins der Hauptziele des jetzigen Komitees sei. Warum? Aus Verachtung gegenüber der gewerkschaftlichen Studentenbewegung, wie es deutlich genug aus einem zu diesem Zweck veröffentlichten Kommunique hervorgeht. (…) Zweifellos erweisen sie damit der Sache der Studenten einen schlechten Dienst. Das ist ihnen aber auch egal, da Solidarität und gegenseitige Hilfe für sie leere Worte sind. Ihre Lehre, wenn man ihre wahnsinnigen Elaborate so nennen kann, die ihre ursprüngliche Mistgrube nie hätte verlassen sollen, ist eine Art auf Nihilismus beruhender radikaler Revolutionarismus. (…) Ein ungeheuerlich dummer Fanatismus, der in einem anspruchsvollen Jargon zum Ausdruck kommt, gepfeffert mit einer ganzen Ladung mutwilliger Beschimpfungen und Beleidigungen sowohl gegen ihre Professoren als auch gegen ihre Kommilitonen. Immer wieder wird auf die geheime S.I. Bezug genommen. Wollte man dieselbe Sprache wie diese langhaarigen Friedenstörer sprechen, so würde man gern sagen, dass sie sich wonnevoll im Sumpf ihrer eigenen geistigen Erbärmlichkeit wälzen. Die meisten dieser Verantwortlichen und Anhänger haben ihr Aussehen geschickt an ihr geistiges Niveau angepasst: eine schöne Bande von Beatniks und Provos, obgleich diese kleinen Absalons nicht dafür gehalten werden wollen.

Le Nouvel Alsacien (25.11.66)

Nun ist die AFGES seit den Mai-Wahlen von einer Gruppe von Schwärmern beherrscht, die sich als Revolutionäre ausgeben, auf jeden Fall aber Nihilisten sind, da sie die Revolution durch Auflösung und Zerstörung aller Gesellschaftsstrukturen und an erster Stelle der gewerkschaftlichen Arbeiter-und Studentenbewegung durchführen wollen. Die neue AFGES-Lehre kommt in einem Manifest zum Ausdruck, das von der UNEF und der AFGES mit ausdrücklicher Bezugnahme auf eine geheime situationistische Internationale in einer Auflage von mehreren Tausend Exemplaren veröffentlicht wurde.

Es ist hauptsächlich ein äußerst unklar dargestelltes Sammelsurium aus verschwommenen kritischen Urteilen über die zeitgenössische Gesellschaft und Zivilisation — was befürchten lässt, dass die geistigen Köpfe dieser Bewegung die Theorien der großen Revolutionen der Geschichte nicht richtig verdaut haben. Es gibt wirklich nichts Neues, nichts Originelles in der Beanstandung bestimmter soziologischer Phänomene. Nur der der Revolution zugewiesene Endzweck ist neu: „Die Arbeit selbst muss heute angegriffen werden“ (…) Deshalb sind übrigens die einzigen interessanten und beachtenswerten Elemente heute diejenigen, „die das Beste des Studiensystems nehmen — und zwar die Stipendien“. Damit kann man sich eine klare Vorstellung von dieser Gruppe pseudo-intellektueller Revolutionäre machen, die die Macht in der AFGES ergriffen hat.

L’Alsace (26.11.66)

Unsere situationistischen Internationalisten — ungefähr 25 an der Zahl — finden tatsächlich die „Provos“ allzu bürgerlich und führen als Musterbeispiel den kommunistischen revolutionären Bund an, der in Japan von den Kamikaze des „Großen Abends“ gegründet wurde. Bis dieser „Große Abend“ da ist, kann man schon mit den Nächten anfangen: es ist in Strassburg von einem ersten Kolchos die Rede, in dem die jungen Damen die afrikanischen „revolutionären“ Studenten an ihrer nihilistischen Leidenschaftlichkeit teilhaben lassen (…) Auf dieser konstruktiven Ebene, wenn man diesen Ausdruck zu gebrauchen wagt, schlagen unsere „Situationisten“ vor, „die gegenwärtige Gesellschaft aufzulösen und ins Reich der Freiheit zu gelangen“; ihre Parole heißt „ohne Leerlauf leben und ohne Hemmnisse genießen“. Böse Zungen behaupten, dass dieser letzte Punkt des Programms schon in den Räumen der Assoziation verwirklicht wird, in denen die Gruppensexualität tatsächlich „ohne Hemmnisse“ aufblühen soll. Immerhin — dass Jahre des fortschrittlichen Militantismus dazu führen, die gewerkschaftliche Studentenbewegung einer solchen Komikerbande preiszugeben, sagt viel über den Misserfolg der UNEF.

Minute (1.12.66)

An den Thesen der „S.I.“ ist etwas Besonderes, das recht gut dazu geeignet ist, die Studenten zu verlocken — und zwar deren schwer zu übertreffender Extremismus (…) Dieser vom literarischen Standpunkt aus gute Text drückt eine systematische Ablehnung aller im Westen wie im Osten bestehenden sozialen und politischen Organisationsformen und aller Oppositionen aus, die versuchen, sie zu verändern. In diesem systematischen Zerstörungsunternehmen treffen die härtesten Schläge die Neuerer. Die fortschrittlichsten Philosophen, Schriftsteller und Künstler unserer Zeit werden zusammen mit den Institutionen, politischen Parteien und Gewerkschaften unwiderruflich verdammt. (…) In dieser bis zur Karikatur dramatischen Weltanschauung, die mit einem messianischen Vertrauen auf die Fähigkeit der Massen zur Revolution und zur Freiheit verbunden ist, tauchen manche Elemente aus verschiedenen Utopien wieder auf — der fourieristischen, dadaistischen, trotzkistischen usw. …

Le Monde (9.12.66)

In Erwägung, dass die den Angeklagten vorgeworfene schlechte Verwaltung der finanziellen Interessen der AFGES offensichtlich aus der von ihnen nicht bestrittenen Tatsache folgt, dass sie auf AFGES-Kosten 10.000 Broschüren, die ungefähr 5.000 Franc gekostet haben, sowie vorher andere, durch die „Situationistische Internationale“ beeinflusste Veröffentlichungen haben drucken und verteilen lassen (…) Dass es tatsächlich genügt, diese Publikationen, deren Verfasser die Angeklagten sind, zu lesen, um feststellen zu können, dass diese fünf, kaum dem Jünglingsalter entwachsenen Studenten ohne irgendeine Erfahrung, die den Kopf mit unverarbeiteten philosophischen, sozialen, politischen und ökonomischen Theorien verstopft haben und nicht wissen, wie sie ihre trübe alltägliche Langeweile loswerden können, sich auf eitle, hochmütige und lächerliche Weise herausnehmen, endgültige und niedrig beleidigende Urteile über ihre Kommilitonen und Professoren, Gott, die Religion, die Geistlichen, die Regierungen und die politischen und sozialen Systeme auf der ganzen Welt zu fällen; dass sie dann, nachdem sie jede Moral und jedes gesetzliche Hemmnis zurückgewiesen haben, sogar zynisch den Diebstahl, die Zerstörung der Studien, die Abschaffung der Arbeit, die totale Subversion und die unabänderliche proletarische Weltrevolution befürworten, um „ohne Hemmnisse genießen“ zu können …

Der Gerichtsvorsitzende Llabador, Einstweilige Verfügung des Strassburger Gerichts vom 13. Dezember 1966.

Es wird mit allem aufgeräumt — die jungen „Situationisten“ in Strassburg sind gegen alles. Gegen die alten Parteien, da sie alt sind; gegen die neuen Parteien, da sie alt werden; gegen die Universität, die Führungskräfte für eine Gesellschaft ohne Freiheit fabrizieren soll, und gegen die Professoren, die die Führungskräfte der betreffenden Fabrik sind. Gegen die moderne Kunst — diese vor unseren Augen vermodernde Leiche. Gegen die Existentialisten, die nicht mehr als die anderen existieren. Gegen die Religion, die „überholt“ ist — besonders durch sich selbst. Gegen die Anarchisten, da sie sich untereinander vertragen, was ein Beweis unheilbarer Willenlosigkeit ist. Gegen die offiziellen Marxisten, die sich in ihrem Marxismus so gut eingerichtet haben, dass sie ihn nicht einmal verlassen würden, um die Revolution zu machen, und gegen die Amsterdamer „Provos“, ihre falschen Brüder im Aufstand gegen die bestehende Ordnung. Nur eine Lehre wird von ihnen verschont: der Situationismus. Das ist ihre einzige Schwäche.

André Frossard, Le Figaro (17.12.66).

Das Verbalgestikulieren der Situationisten ist kaum von Belang (…) Es ist übrigens seltsam, wie die bürgerliche Presse, die es gewöhnlich ablehnt, Informationen aus der revolutionären Arbeiterbewegung zu drucken, sich beeilt, die Gestikulationen dieser Hanswürste zu melden und zu verbreiten.

Monde Libertaire, Januar 1967

Obwohl ich nicht mehr bei Le Monde Libertaire arbeite, gefällt es mir nicht, dass man sie anschwärzt, wenn man dort auftritt, bzw. dass man böswillig jede Anspielung auf das libertäre Verhalten gegenüber dem Situationismus vermeidet, dieser neuen Form des Barock (…) Ich habe die Texte der betreffenden Broschüren so wie sie sind inklusive Stil, Absichten und Beschimpfungen schon x-mal vor 1914 gelesen … Übrig bleibt, dass der Modernismus der Situationisten zu sehr nach Zusammenflicken stinkt, als dass man auf ihre Anweisungen warten könnte. Durch die aktuelle Konjunktur werden vor allem Probleme der Fähigkeit und der Verantwortung mit Verantwortlichen gestellt, die nicht ihre eigenen Richter sind.

C.A. Bontemps, Monde Libertaire, Januar 1967

Tatsächlich, fuhr der Rechtsanwalt fort, bestimmen diese Statuten, dass die Assoziation jede politische Tätigkeit unterlassen soll, was bei dem „situationistischen“ Komitee nicht der Fall war, das sich auf Karl Marx und Ravachol berief … Der Rechtsanwalt Baumann hat die Initiativen des „situationistischen“ Komitees gerügt, die durch die Auflösung der Assoziation auf die Vernichtung der mühevollen Errungenschaften von Generationen von Studenten ausgingen, sowie seine Verschwendungen (4.500 Franc für die Veröffentlichung des berühmten Manifests vom 22. November, mehr als 1.500 Franc für zweimonatiges Telefonieren mit Anrufen von 317 Franc pro Minute nach Japan, wo die geheimnisvolle „Situationistische Internationale“ ihren Sitz hat usw.) und die fragliche Stimmung, die dadurch in der Studentenwelt verbreitet wurde.

Combat (15.2.67).

Seit mehreren Jahren — d.h. lange bevor die Situationisten vorläufig aus dem Schatten traten — habe ich mir und der Bewegung „Fragen gestellt“. Heute noch bin ich der Meinung, dass es notwendig ist, und ich werde es also weiter tun. Ich lehne es aber absolut ab, dass meine Opposition gegenüber den aktuellen Formen der FA (Anarchistische Föderation) von denen rekuperiert bzw. als Argument gebraucht wird, die unter dem Vorwand einer Erneuerung des Anarchismus jetzt die Mülleimer des Marxismus beschnüffeln wollen. Was das Übrige betrifft — das ist alles in den Wind geredet. Denn morgen gibt es keine Situationisten mehr.

César Fayolle, Berichtigung, in Die Philosophie auf dem Schulhof (Februar 1967).

Die Affäre des situationistischen Komitees der Strassburger Studentenassoziation wirbelt weiter in den Universitätskreisen viel Staub auf. (…) Ungefähr 40 Professoren und Assistenten an verschiedenen Sektionen der Philosophischen Fakultät in Strassburg wenden sich mit einem Brief an uns, in dem es u.a. heißt: „Nur mit viel Entgegenkommen oder Voreingenommenheit kann man die öffentlichen Bekanntmachungen und Flugschriften dieser Leute, deren obskure Streiterei und gegenseitige Exkommunikationen irgendwie interessant finden.“

Le Monde (5.3.67).

Eine neue Studentenideologie verbreitet sich in der Welt — es ist eine entwässerte Version des jungen Marx, die sich „Situationismus“ nennt. Einige seiner Mitglieder haben die sit-in-Woche in der London School of Economics dazu benutzt, mühsam — wegen des Mangels an Papier und Druckmitteln — ein situationistisches Manifest nachzudrucken. Das war das einzige etwas geistige Erzeugnis bei der ganzen Angelegenheit. Mit sektiererischem Ernst — in diesem Manifest werden sogar die Amsterdamer Provos Dilettanten geschimpft — meinen die Situationisten, dass die Studenten im überentwickelten Kapitalismus zur Kritik berufen sind. Dort, wo sie am konsequentesten denken, behaupten sie, dass die proletarische Revolution eine Fete sein wird — oder nichts.

Daily Telegraph (22.4.67)

Zweifellos gibt es eine Gedankenverbindung zwischen Provos und Situationisten. Nur über die Methode sind sie entgegengesetzter Auffassung. Die Situationisten ziehen es vor, im Dunkeln zu handeln; sie weigern sich, der von ihnen verurteilten Gesellschaft ein Alibi zu geben. Während die Provos dagegen mit voller Absicht die immer zweideutige Werbung akzeptiert haben, entschieden sie sich für das, was sie für einen offenen Kampf hielten. Provos, Situationisten und Sigma-Initiatoren gehören eigentlich zur selben Geistesfamilie. Wir wollen hier aber weder die spezifischen Züge, die diese drei Bewegungen kennzeichnen, einzeln darlegen noch irgendeine Hierarchie nach einem von vielen anderen erwählten Wertmesser herstellen. Wir wollen auch nicht den Grad des Einflusses abschätzen, der von der situationistischen Bewegung auf jeden Provo-Anführer ausgeübt wurde.

Synthèses (April-Mai 1967).

Das beweist reichlich, wie schwierig es ist, die Ausarbeitung eines Programms und einer Aktionsstrategie zusammen mit den klugen Neurotikern ins Auge zu fassen, die in diesen Sekten im Überfluss vorhanden sind! Ich denke dabei u.a. an die situationistische Gruppe mit ihrer Zeitschrift Situationistische Internationale. Die Situationisten haben als erste das eingesehen, was die Kritik des alltäglichen Lebens umfasst und welche Folgen sie nach sich zieht. Zugegebenermaßen verdanken sie diesem Werk sehr viel, dessen erster Band 1946 herausgekommen ist. Fast als einzige haben sie in einer schwierigen Periode die Hauptparole der Revolution: „das Leben ändern!“ bewahrt, indem sie sogar seine Bedeutung genauer bestimmten. Sie haben die Entfremdungstheorie verteidigt, indem sie versuchten, sie zu verfeinern, ohne sich auf einen philantropischen Humanismus zu berufen. Sie haben diese Theorie gegen jeden Angriff verteidigt. Mit als erste haben sie die Wichtigkeit der städtischen Probleme und eine Kritik des heutigen Urbanismus als einer Ideologie eingesehen. Dann haben sie aber auf dieser Grundlage einen Dogmatismus errichtet, der keinem anderen nachsteht, was die sektiererische Böswilligkeit und die Verletzbarkeit betrifft. Nun schlagen sie keine konkrete, sondern eine abstrakte Utopie vor. Glauben sie wirklich, dass an einem schönen, entscheidenden Morgen oder Abend die Leute auf einmal einander ansehen und sagen: „Genug! Genug Mühe und Langeweile! Schluss damit!“ und in die ewige Fete und Schöpfung von Situationen eintreten? Ist das auch einmal am frühen Morgen des 18. März 1871 passiert, so kommt diese Gelegenheit nie wieder.

Henri Lefebvre, Position gegen die Technokraten, Verlag Gonthier, 2. Trimester 1967.

Die S.I. hat auf entscheidende Weise dazu beigetragen, die revolutionäre Theorie bis auf die Ebene der wirklichen Bewegung der globalen Gesellschaft anzuheben. Ihr Verdienst war, die radikale Kritik auf das Gebiet des alltäglichen Lebens zu bringen, wodurch sie gleichzeitig den Standpunkt der Totalität und die Aufhebungs- und Verwirklichungsprojekte der Philosophie und der Kunst wieder aufgenommen hat. Sie hat die Theorie der Selbstverwaltung auf alle Gebiete des gesellschaftlichen Lebens erweitert, eine bescheidene Kritik der politischen Ökonomie entworfen und das Verlangen nach einer minimalen Übereinstimmung zwischen dem, was gesagt, und dem, was gemacht wird, geltend gemacht. Durch das Elend der Umwelt wurde die Qualität eines theoretischen Niveaus hervorgehoben, das manchmal so hoch wie bei Korsch, Lukàcs und selbst Marx liegt. Wie bei allen Gruppen, deren historische Rolle beendet ist, hat aber diese Theorie aufgehört, eine fortschrittliche Rolle zu spielen, und sie wird von nun an immer mehr zur Ideologie verkommen. (…) Die Aufhebung der Trennung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven geschieht in ihrer durch das Einzige verkörperten Identität. Der Syllogismus lässt sich wie folgt aufgliedern: es gibt keine Revolution außerhalb der S.I. (Obersatz) — die S.I. heißt Debord (Untersatz) — es gibt nur einen Revolutionär auf der Welt und zwar Debord (Schluss). Man kann nur lächeln vor diesem lächerlichen Anspruch darauf, die Revolution in Beschlag zu nehmen, der aus einer aristokratischen Auffassung der Revolte folgt. Die Revolution wird auf ein großes Gesellschaftsspiel reduziert, bei dem es vor allem darauf ankommt, „schöne Aktionen“ durchzufahren, in denen man sich dann mit gezierter Selbstgefälligkeit betrachten kann. Als echter Kaufhaus-Gondi parodiert Debord nun die Enttäuschung eines Kardinals, der gegenüber dem immer normaler werdenden alltäglichen Leben das ästhetische Spiel eines hoffnungslosen Kampfes vor dem aufsteigenden bürokratisch-bürgerlichen Apparat spielte. (…) Nur scheinbar informell ist die S.I. in Wirklichkeit eine stark strukturierte Gruppe mit einem Führer — dem Einzigen, der von Anfang an die Bewegung in der Hand hatte.

Frey, Garnault usw., Der Einzige und sein Eigentum (Hagueneau, 2. Trimester 1967)

Das Ereignis, das die anderen in Gang setzte, war die situationistische Broschüre und meine Antwort darauf in der Zeitung. Die Sache war ja ohne Belang. Da ich ohne Provokation unsererseits durch eine Handvoll Bücherrevolutionäre beschimpft worden war, hatte ich diesen Lümmeln geantwortet, wie das nicht nur mein Recht, sondern auch meine Pflicht als Militanter war. Alles hätte dabei bleiben können. Ein gewisser Bodson hat jedoch den Skandal entfesselt, der dann von der ganzen Fünften Kolonne weitergeführt wurde, die seit Jahren auf den günstigen Augenblick wartete, um unsere Organisation kaputtzumachen. (...) Es stimmt, dass ich ihre Zeitschrift nie gelesen habe. Es ist aber erfreulich zu sehen, wie diese Kerle, die keinen Theoretiker der Anarchie gelesen haben, mir einen Mangel an Belesenheit vorwerfen. Sie sind nicht nur widerwärtig, sondern ebenfalls lächerlich. Ich wusste ganz genau, wie es mit dem Situationismus stand: eine Kritik der Gesellschaft, die allen Opponenten gemeinsam ist, was leicht ist, und natürlich etwas Exhibitionismus, der allen Salonrevolutionären gemeinsam ist. Selbstverständlich auch ein Endzweck, der den — natürlich erneuerten — Staat nicht ausschließt! (…) Denn der epileptische Protest gewisser Lümmel hat uns ermöglicht, dem Problem auf den Grund zu gehen und die Verzweigungen der Verschwörung ans Tageslicht zu bringen, die von den marxistisch Gesinnten angezettelt wurde, um die Anarchistische Föderation aufzulösen. (…) Wenn man einsehen muss, dass alle Manöver misslungen sind, wendet man die letzte — die sogenannte „situationistische“ — Taktik an. Man schmuggelt Saboteure in die Organisation ein, die versuchen, sie von Innen zu zersetzen. So dass, nachdem sie beseitigt worden ist, an ihrer Stelle ein neues Organ entsteht, das es möglich macht, unter dem die menschlichen Freiheiten verbürgenden libertären Siegel die marxistische Operation noch einmal durchzuführen, die den kleinen Chefs wenn nicht eine Revolution, so doch fette Pfründe verschaffen wird!

Maurice Joyeux, Die Hydra von Lerne oder die Kinderkrankheit der Anarchie (Bericht vor dem Kongress in Bordeaux im Mai 1967).

Andere sind der Meinung, man könne sehr gut in Frankreich handeln: Man wird als Freischärler gegen die Vereinigten Staaten tätig. Zwar nicht mit Waffen, sondern indem man auf die Methoden des Jeanson-Netzes zurückgreift, d.h. indem man amerikanische Soldaten in Europa dazu ermuntert, zu desertieren. Es handelt sich dabei um eine Untergrundorganisation, in der sich die ehemaligen Mitglieder des Jeanson-Netzes in Frankreich, de Vries-Provos in Holland und Mitglieder der in Kopenhagen besonders gut organisierten Situationistischen Internationale versammelt haben.

Minute (18.5.67).

Und vor allem glauben wir nicht, dass die Phantasie mit der sogenannten Wirklichkeit fertig werden kann, solange sie bei einem besonderen Gegenstand — z.B. der Stadt — stehen bleibt. Die letzte Verwandlung der alten Utopie ist die Theorie des unitären Urbanismus. Die Situationisten setzen voraus, dass die Problematik der Stadt die globale Problematik der Gesellschaft überdeckt und löst. Die Stadt wird zur Welt und umgekehrt die Welt zur Stadt.

Rene Lourau, Utopie Nr. 1 (Mai 67).

Damals tauchten zum ersten Mal die beunruhigenden Gestalten der „Situationistischen Internationale“ auf. Wieviele sind sie? Woher kommen sie? Keiner weiß es. Ihr Durchschnittsalter: 30. Besondere Kennzeichen: sie denken schneller als der Schall, sehen komfortabel und manchmal schmuck aus, wie Herren, die sehr belesen sind, verachten beinahe krankhaft alles, was sie umgibt, und machen sich mit den Zangen des Humors an die Probleme heran. Sie sind Soziologen, Philologen, Theoretiker und leben nach abgeschlossenem Studium in Paris, Deutschland oder anderswo.

Le Républican Lorrain (28.6.67).
Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)