Heft 8/2003 — 1/2004
Dezember
2003

Besatzung und Demokratie nach dem Krieg

Eine Entwicklung nach iranischem Vorbild ist im Irak derzeit ausge­schlossen.

Die Besatzungsmächte USA und Großbritanni­en haben ihren Verbündeten innerhalb der einstigen iraki­schen Exilopposition entge­gen früheren Versprechun­gen die Bildung einer Über­gangsregierung verweigert. Nur so konnten sie sich nach dem Krieg selbst als Herren im Lande festsetzen und die ökonomischen und politi­schen Angelegenheiten an sich reißen. Das hat zu enor­mer Verstimmung sowohl in­nerhalb dieser Opposition als auch innerhalb der irakischen Bevölkerung geführt.

Die UNO hat mit der Verabschiedung der ameri­kanisch-britischen Resoluti­on zur Aufhebung des Em­bargos gegen den Irak nicht nur einen rechtswidrigen Krieg nachträglich legitimiert. Sie hat darüber hinaus auch zwei Entscheidungen getrof­fen, die es seit ihrer Grün­dung in dieser Form nicht gab und die seit der Delegitimierung kolonialistischer Politik durch die Befreiungs­bewegungen historisch über­holt schienen: Die Aufwer­tung und Anerkennung des Besatzungsstatus der Kriegs­mächte und die Übertragung der politischen und ökono­mischen Angelegenheiten ei­nes Landes auf die Besat­zungsmächte. Die negativen politischen und psychologi­schen Auswirkungen dieser Resolution auf die irakische Bevölkerung waren vorpro­grammiert.
Selbstverständlich emp­finden die Bewohner des Irak das Ende des Regimes als Erleichterung, aber sie hegen auch keine Begeisterung für ihre neue Situation. Inzwischen droht die Stimmung zu kippen, nicht zuletzt deshalb, weil die Parteien untereinan­der zerstritten sind und ihre kurzfristigen Partikularinter­essen verfolgen. Es muss den­noch als Erfolg gewertet wer­den, was Teile der von den Besatzungsmächten aner­kannten irakischen Opposi­tion, die von den Besatzungsmächten ausgegrenzten Antikriegskräfte und die neu entstehenden politischen Kräfte (Koalition für die Rechte der irakischen Frau, Vereinigung der Arbeitslosen, Studentenvereinigungen etc.) in kurzer Zeit zustande ge­bracht haben: Sie zwangen die Besatzungsmächte, von der ursprünglichen Idee ei­nes zivilen Verwaltungsrates ohne politische Befugnisse abzulassen und statt dessen einen provisorischen Regie­rungsrat zu bilden.

Man darf diesen Erfolg je­doch nicht überbewerten, da er nicht zuletzt der Ratlosig­keit des Zivilverwalters Paul Bremer und der verfehlten Politik der USA im Nach-kriegsirak geschuldet ist. Zu­dem bleibt dieser Rat in vie­lerlei Hinsicht gehandikapt. Er hat mehr konsultative und beratende Funktionen als tatsächliche politische Entscheidungsgewalt. Diese liegt nach wie vor in den Händen von Bremer. Und zweitens ist die Konstellation weniger po­litisch als ethnisch-religiös be­stimmt, was auf die irakische Bevölkerung und auf den entstehenden Staat spalte­risch wirken muss: Die eth­nisch-religiösen Unterschie­de werden dadurch politisch zementiert.
Die Schiiten, als nominel­le Mehrheit, sind durch 13 Mitglieder vertreten. Doch „der Schiit“ ist keine politi­sche Kategorie, viele Schiiten sind säkular eingestellt. Ein islamischer Gottesstaat irani­scher Prägung ist im Irak aus­zuschließen. Zum einen bilden die Schiiten nicht eine derart erdrückende Mehrheit wie im Iran, zum anderen ste­hen viele Schiiten politisch nicht hinter den schiitischen Führern. Letztere bekämpfen einander und sind poli­tisch uneins.

Wenn es den Besatzungs­mächten in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht gelingt, eine einigermaßen funktio­nierende Zivilverwaltung zu errichten und die ökonomischen und politischen Ver­hältnisse zu verbessern, wird es zu einer Teilung des Irak in verschiedene Herrschafts­zonen kommen. Wenn je­doch die Iraker ihre eigenen Parteien, Gewerkschaften und Verbände gründen und die alten, durch das Saddam- Regime zerstörten und staat­lich vereinnahmten zivilge­sellschaftlichen Strukturen re­aktivieren, könnte auf dieser Basis in den nächsten Jahren ein neuer Staat entstehen.

Demokratisierung ist hier jedoch nicht im Sinne der Bush-Regierung zu verstehen, sondern artikuliert sich im diametralen Gegensatz dazu. Das Problem der US-Regierung ist, dass sie von vorn­herein festgelegt hat, was un­ter Demokratie zu verstehen sei. Diese fixen Vorstellungen sind das Problem. Denn so bald man diverse politische Gruppen ausschließt, fördert man die Herrschaft kleinerer Cliquen und Eliten, die oh­nehin schon seit 20 Jahren herrschen. Und das wird die Mehrheit der Bevölkerung auf die Barrikaden bringen.

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