Heft 8/2003 — 1/2004
Dezember
2003

Blocher regiert

Erfolg und Ideologie der Schweizerischen Volkspartei

Die SVP ist zur stärksten politischen Kraft in der Schweiz geworden. Sie setzt auf Ressentiments gegen Marginalisierte und auf einen Nationalismus, der sich einen antifaschistischen Anstrich gibt.

Nachdem Blocher aufgrund des Wahlerfolgs der Schweizerischen Volkspartei (SVP) einen zweiten Bundesratssitz für sich beansprucht hat, schreibt ein begeisterter Fan an die Neue Zürcher Zeitung: «Recht hat Christoph Blocher: In der heutigen schweren Zeit sind nur die allerbesten Köpfe gut genug für unsere oberste Exekutive. Hier kann er liefern statt lafern. Zudem ist er ein Schnelldenker. Probleme löst er, bevor sie sich stellen, und Fragen beantwortet er spätestens, während sie gestellt werden.»

Bezeichnend an diesem Leserbrief ist die dem Erzpopulisten von seiner Anhängerschaft entgegengebrachte Heilserwartung. Eher ungewöhnlich ist dagegen das Faible fürs Intellektuelle, das dem Idol der einfachen Leute selber entschieden abgeht, zieht es doch immer wieder gegen die praxisferne und kopflastige «classe politique» los. Dabei hat der so offenherzig minderbemittelte Schreiber mit der Charakterisierung des durchgestarteten «Schnelldenkers» nicht nur Unrecht. Blocher ist bekannt dafür, dass er Fragen vorschnell beantwortet und überhaupt bei Diskussionen den andern dauernd ins Wort fällt. Auch will er systematisch Probleme lösen, die — zumindest in der Form, wie er sie darstellt, — gar nicht erst bestehen.

Jüngstes Beispiel ist die Kampagne der SVP gegen angebliche «Scheininvalide» im Vorfeld der Parlamentswahlen. Die Kampagne greift eine Erscheinung der auch in der Schweiz spürbaren Krise der letzten paar Jahre auf, nämlich die steigende Zahl von Arbeitsgeschädigten, die auf Renten angewiesen sind. Ausgeblendet werden dabei die durch Einsparungen verursachten, schlechteren Sicherheitsvorkehrungen, die höhere physische und psychische Belastung am Arbeitsplatz und der erschwerte Zugang zu medizinischer Versorgung als Gründe für die Zunahme der RentenbezieherInnen. Stattdessen erfindet die SVP die «Scheininvaliden», denen es darum gehe, die von den «ehrlichen Arbeitern» erwirtschafteten Gelder aus den Rentenfonds einzustreichen. Solche Aufhetzung gegen ein eigens kreiertes Schmarotzertum, sei es in Gestalt von «Scheininvaliden», von drückebergerischen Arbeitslosen oder von «Scheinasylanten», ist programmatisch für die Politik der SVP.

Dass immer mehr Schweizer Stimmberechtigte der Kampfansage an die sozial Geschwächtesten Folge zu leisten gewillt sind, ist an den letzten Wahlen wieder deutlich geworden. Das Heilsversprechen der SVP ist im Grunde ein Entrechtungsversprechen, das lediglich erwarten lässt, dass die Einbusse immer zuerst die Anderen trifft. Der große Zuspruch zu einer Partei, aus deren allgemeinem Programm leicht ersichtlich wird, dass ihr gesteigerter Einfluss die Lage der Mehrheit nur noch verschlimmern wird, ist schwer zu begreifen. Es ist, als hätte sich der ratlose Rückgriff auf Mittel, die sich gegenüber der Bedrückung schon mehrfach als wirkungslos erwiesen haben, — hilft‘s nicht, so schadet‘s auch nicht — bei zwanghaft festgehaltener Ignoranz in den Glauben verdreht: Was schadet, das muss auch helfen.

Ein Sieg der Provinz

Am 18. Oktober ist in der Schweiz das Parlament neu gewählt worden. Die zwei Gewinner waren die SVP und die Grünen. Die SVP, die schon bei den letzten nationalen Wahlen 1999 die meisten Stimmen erhielt, stellt wieder die stärkste Fraktion im Parlament. Sie hat damit die Sozialdemokratische Partei überholt, obwohl diese auch leicht zulegen konnte. Der Zuwachs der SVP geht vor allem auf Kosten der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP). Die Verluste dieser beiden ehemals einflussreichsten Parteien sind schnell erklärt. Die CVP pflegt einen wenig reizvollen Konservativismus, der sie etwa dazu bringt, sich im Vorfeld der Wahlen ernsthaft mit der päpstlichen Eingebung auseinander zu setzen, dass Kondome des Teufels seien. Die FDP gilt als Wirtschaftspartei und ist für den Zusammenbruch von namhaften Unternehmen (Swissair) verantwortlich gemacht worden.

Überraschender ist das Ausmaß der Gewinne. Die Grünen erzielten über sieben Prozent. Der Erfolg ist wohl auf die Beteiligung an den antiglobalen Mobilisierungen zurückzuführen, wobei die Grünen auch gleich der wahnhaften Fixierung Rechnung tragen können, die für die Bewegung kennzeichnend ist. Mit Daniel Vischer bringt nämlich die Zürcher Sektion, die ein Wahlbündnis mit der katholisch-konservativen CVP eingegangen ist, einen Mann ins Parlament, dessen antiisraelische Agitation notorisch ist.

Die SVP macht Gewinne vor allem in der frankophonen Westschweiz. In den Westschweizer Kantonen war sie bisher nur schwach oder gar nicht vertreten. Jetzt kommt sie etwa im Kanton Neuenburg auf Anhieb auf 27 Prozent der Stimmen. Zuvor galt die SVP in der Westschweiz, wo eine Mehrzahl den EU-Beitritt begrüßen würde, als Auswuchs der grassierenden Borniertheit und Fremdenfeindlichkeit in der Deutschschweizer Provinz. Inzwischen findet eine Konsolidierung der Borniertheit statt. Neuerdings empfinden auch vormals ihr gegenüber aufgeschlossenere Bevölkerungsteile die EU als Bedrohung des Kleinstaats und die Forderungen in den bilateralen Verhandlungen als eine Zumutung. Die SVP empfiehlt sich diesem Unmut dadurch, dass sie die einzige Partei ist, die geschlossen und vehement gegen die EU auftritt.

Aus linker Sicht muss es seltsam anmuten, dass die Frage des Verhältnisses des Schweizer Staats zum imperialen Projekt EU eine derartige Bedeutung erlangen kann. Es gibt keinen vernünftigen Grund, sich für eines der beiden Übel zu entscheiden, zumal durch die effektive Bevorzugung eines der beiden Übel das andere damit nicht verschwindet. Trotzdem hat diese Frage in den letzten paar Jahre eine immense Rolle gespielt.

Offensive der SVP

Noch am Wahlabend hat die SVP angekündigt, sie wolle Blocher als zweiten Bundesrat in die Regierung befördert sehen und andernfalls in die Opposition gehen. Einen Sitz freigeben müsse als stimmenschwächste Bundesratspartei die CVP. Dieses Szenario setzt sich über die seit 1959 bestehende, sogenannte «Zauberformel» hinweg, der gemäss, anders als die SVP mit einem Sitz, CVP, FDP und SP zwei Sitze im regierenden Bundesrat innehaben.

Die auf Konkordanz bedachten, anderen Parteien setzen dem Coup wenig entgegen. Die SP lehnt zwar die Wahl Blochers ausdrücklich ab, stellt sich aber nicht grundsätzlich gegen eine zweite SVP-Vertretung im Bundesrat. Dabei war die Schweizer Sozialdemokratie in ihrer Geschichte selber schon davon betroffen, dass sie nicht gemäss ihrer Stimmenstärke an der Regierung beteiligt wurde. Weil in der Schweiz die Regierung vom Parlament gewählt wird, war es möglich, dass sie erst 1943 den ersten Bundesratssitz erhielt, 1959 den zweiten. Im ersten Fall wurde ihr der Sitz von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit eingeräumt, weil sie die durch Kollaboration mit dem Nationalsozialismus erkaufte Landesverteidigung in dieser Form mittrug. Im zweiten Fall sollte die für die ArbeiterInnen fatale Sozialpartnerschaft durch stärkere Teilnahme an der Regierung stabilisiert werden.

Die SVP will dagegen keine politischen Zugeständnisse machen und nur die Wahl der von ihr vorgeschlagenen beiden Kandidaten akzeptieren. Wie üblich verlegen sich die restlichen Parteien gegenüber diesem offensiven Vorgehen auf bloßes Reagieren. Deshalb wird die SVP, ob sie nun stärker in der Regierung vertreten sein wird, oder ob sie vorübergehend ganz in die Opposition geht, für das politische Geschehen in der Schweiz weiterhin bestimmend sein. Welche Gefahren daraus entstehen, soll ein kurzer Blick auf das bisherige Vorgehen der SVP beim Aufbau einer schlagkräftigen nationalistischen Rechten zeigen.

Eidgenössische Neutralität:
Die Schweizer Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs kostete zahlreiche Juden und Jüdinnen das Leben.

Das Jahr 1989 und die neue SVP

Vor der zweiten Hälfte der 80er Jahre war die SVP eher unauffällig und musste als kleine Partei beim damaligen Aufstieg der Grünen um ihren einen Sitz im Bundesrat bangen. Dann suchte die Zürcher Clique um Blocher, die Partei auf einen Gegenkurs zu den Annäherungen der Regierung an EU und EWR zu bringen. Trotz ihrer Regierungsbeteiligung definiert sich die SVP seit 1989 als Oppositionspartei.

Zum Zweck des Heraushaltens der Schweiz aus internationalen Organisationen war schon 1987 die Basisorganisation AUNS (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz) gegründet worden, die zu einem großen Teil vom Unternehmer Blocher finanziert wird. Diese verfügt nicht nur über massenhaft, teils aktive Mitglieder, sondern konnte auch VertreterInnen aus der CVP, FDP und Rechtsaußenparteien für sich gewinnen, die den europäischen Projekten ablehnend gegenüber stehen. In der Kampagne zum EWR-Beitritt 1992 vermochten SVP und AUNS andere bürgerliche Fraktionen zu spalten und ihnen WählerInnen abspenstig zu machen.

Dass der neue Kurs der SVP aus dem Jahr 1989 stammt, ist ihr auch heute noch anzumerken. Allen, die politisch weiter links stehen, wirft sie vor, dem Sozialismus den Weg zu bereiten. Die SVP hat das antikommunistische Feindbild nicht aufgegeben, sondern gegen internationale Projekte wie die EU und gegen die schweizerische Linke und das liberale Bürgertum gewendet. Gleichzeitig hat sie Hass gegen Flüchtlinge und Asylsuchende geschürt. Blocher forderte 1989 mit einer Interpellation im Parlament das Notrecht und die militärische Schließung der Grenze gegenüber Flüchtlingen aus dem Osten, eine Forderung, die bisher nur rechtsextreme Gruppen gestellt hatten. Aus diesen Kreisen erhielt die SVP in den folgenden Jahre auch einigen Zulauf. Rassistische Angriffe nahmen parallel zur Aufwiegelung der SVP gegen Asylsuchende von 1989 bis 1992 massiv zu.

Anders als rechtsnationalistische Parteien in Italien, Deutschland und Österreich, die salonfähig werden wollen, meint sich die SVP nicht abgrenzen zu müssen, wenn ihr Übereinstimmungen mit faschistischen oder nationalsozialistischen Ideologien vorgehalten werden. Sie versteht sich in einer mythischen Tradition, die den konsequenten Widerstand der Schweiz gegen den Nationalsozialismus behauptet. Dass es der Bundesrat der Vorläuferpartei der SVP war, in dessen Verantwortungsbereich die Flüchtlingspolitik im 2. Weltkrieg fiel, und somit die Wegweisung von 30.000 Jüdinnen und Juden in die Vernichtung, bleibt in diesem geradezu antifaschistischen Idealbild von der nationalen Vergangenheit ausgeblendet. Angesichts der Verleugnung der Kollaboration der Schweiz mit dem Nationalsozialismus war es auch kein Zufall, dass 1997 im Zuge der Rückforderung von Geldern ermordeter Jüdinnen und Juden an Schweizer Banken die SVP den daraufhin sich manifestierenden Antisemitismus noch anheizte. Blocher sprach von einer «Erpressung der Schweiz durch den jüdischen Weltkongress». Solchem entgegenzutreten sei geradezu Bestimmung der SVP, sei die Partei doch, wie er in einer andern Rede betonte, «als Bollwerk gegen den roten und den goldenen Internationalismus» gegründet worden.

Hinter dem Nationalismus der SVP steht die darwinistische Vorstellung, bei der Schweiz handle es sich um ein über «lange Zeit natürlich herangewachsenes Land», das im Gegensatz zur EU als einer «intellektuellen Konstruktion auf dem Reißbrett», so Blocher, «überlebensfähig und entwicklungsfähig sei». Ökonomisch verspricht sich die SVP von ihrem rigiden Programm des Sozialabbaus einen Vorsprung für das schweizerische Kapital bei der Mehrwertabschöpfung. Um das Abbauprogramm rascher und härter als anderswo umsetzen zu können, strebt sie schon seit zehn Jahren die Führung im bürgerlichen Lager an.

Falsche Hoffnung

Bei vielen besteht die Hoffnung, dass durch die Einbindung Blochers in die Regierung die SVP moderater werden müsste. Zur zusätzlichen Erbauung wird oftmals Berlusconi in Italien oder die FPÖ angeführt. Ob in diesen zwei Fällen eine Mäßigung eingetreten ist, muss hier dahingestellt bleiben. Sicher ist, dass Blocher, anders als momentan Haider, selber in die Regierung will. Wie Haider will er das politische Spektrum noch weiter nach rechts treiben. Eine ungleich größere Bedrohung geht davon aus, dass die SVP ihr Hauptanliegen, das Heraushalten der Schweiz aus der EU, bisher erfolgreich durchgesetzt hat. Auseinandersetzungen mit der EU sind in der Schweiz dadurch Regierungssache geworden. Das verschafft der nationalistischen Rechten in der Regierung von vornherein mehr Durchschlagskraft zur Umsetzung ihrer Ziele.

Zu wenig beachtet wird die Tatsache, dass sowohl in Österreich als auch in der Schweiz, also in zwei klassischen Ländern sozialpartnerschaftlicher Konsenspolitik nach 1945, die Sozialpartnerschaft zuerst von rechts her gebrochen wird. Der gesteigerte Einfluss der SVP wird in der Schweiz schwere soziale Folgen haben, den die nationalistische Rechte den Betroffenen selber, etwa den MigrantInnen und den RentnerInnen, anlasten wird.

Widerstand regt sich dagegen kaum. Die SP und die Gewerkschaften verwalten bloß weiterhin soziale Ansprüche. Die Ausgebeuteten und Diskriminierten werden zum Dulden angehalten. Auch jetzt noch wird zu Kampfmitteln erst gegriffen, wenn sozialpartnerschaftliche Rituale von der Seite des Bürgertums nicht mehr eingehalten werden. Die bloße Wiederherstellung der Sozialpartnerschaft kann aber nur wieder zurückführen zur Entmündigung, auf der dieses Prinzip beruht. Der Aufstieg der neuen nationalistischen Rechten ist durch das Beharren auf sozialpartnerschaftlicher Konsenspolitik nicht zu bremsen, weil sie sein Nährboden ist.

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