Grundrisse, Nummer 22
Juni
2007

Das bedingungslose Grundeinkommen: eine kommunistische Forderung!

In einer ersten Reaktion auf die Debatte über die Grundsicherung meinte die damalige Innenministerin Liese Prokop: „Das Grundeinkommen ist eine urkommunistische Forderung … Da würde sich ja jeder überlegen, ob es sich überhaupt noch auszahlt, 40 Stunden zu arbeiten.“

Liese Prokop bezog sich wahrscheinlich auf die damals von der VP noch nicht abgesegnete SP-Forderung nach einer Grundsicherung, [1] nicht auf das bedingungslose Grundeinkommen. Aber hatte sie mit ihrer Behauptung bezüglich des Grundeinkommens nicht Recht? Drehen wir doch ihre Argumentation um: Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine kommunistische Forderung! Und zwar eine kommunistische Forderung, die schon hier und jetzt gefordert wird und gefordert werden muss.

Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen! – eine Losung von Sozialdemokratie und Bolschewismus

Der Sozialismus stimmt mit der Bibel darin überein, wenn diese sagt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Aber die Arbeit soll auch nützliche, produktive Tätigkeit sein. Die neue Gesellschaft wird also verlangen, daß jeder eine bestimmte industrielle, gewerbliche, ackerbauliche oder sonstige nützliche Tätigkeit ergreift, durch die er eine bestimmte Arbeitsleistung für die Befriedigung vorhandener Bedürfnisse vollzieht. Ohne Arbeit kein Genuß, keine Arbeit ohne Genuß. Indem alle verpflichtet sind zu arbeiten, haben alle das gleiche Interesse, drei Bedingungen bei der Arbeit erfüllt zu sehen. Erstens, daß die Arbeit im Zeitmaß mäßig sei und keinen überanstrengt; zweitens, daß sie möglichst angenehm ist und Abwechslung bietet; drittens, daß sie möglichst ergiebig ist, weil davon das Maß der Arbeitszeit und das Maß der Genüsse abhängt.

(August Bebel: „Die Frau und der Sozialismus“, Kapitel: Grundgesetze der sozialistischen Gesellschaft, 50. Auflage, Wien 1909 – erste Auflage erschien 1879)

Somit wird in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft (die gewöhnlich Sozialismus genannt wird) das „bürgerliche Recht“ nicht vollständig abgeschafft,… „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, dieses sozialistische Prinzip ist schon verwirklicht; „für das gleiche Quantum Arbeit das gleiche Quantum Produkte“ – auch dieses sozialistische Prinzip ist schon verwirklicht. Das ist jedoch noch nicht Kommunismus, und das beseitigt noch nicht das „bürgerliche Recht“, das ungleichen Individuen für ungleiche (faktisch ungleiche) Arbeitsmengen die gleiche Menge Produkte zuweist.

(W. I. Lenin: „Staat und Revolution – Kapitel V.: Die ökonomischen Grundlagen für das Absterben des Staates“)

Wie die Zitate zeigen, war die Losung„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ eine Losung der noch revolutionären Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts und wurde von den russischen Sozialdemokraten und späteren Bolschewiken übernommen. [2] Gerichtet war diese Losung gegen das arbeitslose Einkommen der herrschenden Klassen, seien es grundbesitzende Adelige, FabriksbesitzerInnen oder sonstige von den Erträgen aus Kapital und Grund lebende Schichten. Getragen war diese Losung von der Forderung nach gerechter Verteilung der Arbeit.

Diese Losung war damals kein Lob der Lohnarbeit und war keine Forderung, die an Arbeitslose und andere aus dem kapitalistischen Verwertungsprozess ausgeschiedene oder sich ihm entziehende Schichten gerichtet war. Sie zielte darauf ab, die parasitäre Schicht von Nutznießern der kapitalistischen Ausbeutung anzuklagen. Gleichzeitig entsprach sie aber auch dem Bild, das frau/man sich vom Sozialismus nach der Abschaffung der Lohnarbeit machte. Nur die Teilnahme an der Arbeit der assoziierten ProduzentenInnen sollte ein Recht auf Konsumation bewirken. [3]

Das Problem der gerechten Verteilung der notwendigen Arbeit

Es wäre sehr einfach mit Hinweis auf den terroristischen Charakter und auf Partei-Staatsdiktatur der „realsozialistischen“ Staaten sich mit den Auswirkungen der Sozialismusvorstellungen von Sozialdemokratie und Bolschewiki nicht weiter zu beschäftigen. In Wahrheit teilten so gut wie alle revolutionären Projekte des 20. Jahrhunderts diese Vorstellungen. Ob Kibbuzbewegung der kommunistisch-zionistischen Einwanderer nach Palästina oder Kommunebewegung in Kalifornien und Westeuropa: Auch ohne Staatsapparat und Gesetz: nicht nur wurde eine gerechte Verteilung der notwendigen Arbeit angestrebt. Es gab einen freiwilligen Zwang zur Arbeit. Freiwillig war er, da ja jederzeit aus der Kommune oder dem Kibbuz ausgetreten werden konnte. Zwang war er, da eine Ablehnung, notwendige Arbeit zu leisten, für die Gemeinschaft inakzeptabel war. [4]

Und ist es nicht tatsächlich ein Mindestprogramm postkapitalistischer Vergesellschaftung, die notwendige Arbeit gerecht zu verteilen? Und beschreibt der Begriff notwendige Arbeit nicht, dass wir uns bei dieser nicht im „Reich der Freiheit“ befinden? Marx setzte jedenfalls die gesellschaftlich notwendige Tätigkeit nicht mit Tun generell in eins. Im Kapital schreibt er:

Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.

(Das Kapital 3. Band, MEW 25, S 828)

Marx trennt hier deutlich die für die Produktion, Reproduktion der materiellen Grundlage menschlicher Existenz notwendige Arbeit von einer Tätigkeit, die keinerlei Zweck außer den in sich selbst hat. Materiell meint in diesen Zusammenhang alles für die Befriedigung der Bedürfnisse notwendige und schließt auch verschiedenste Tätigkeiten der Kommunikation und Zuwendung ein.

So richtig und wichtig meiner Meinung nach die Unterscheidung zwischen notwendiger Arbeit und freier Tätigkeit ist, offen bleibt bei dieser Unterscheidung: wer bestimmt, was notwendig ist und was nicht, und lässt sich das überhaupt bestimmen? An dieser Stelle ist es angebracht, sich mit den Erfahrungen des „Realsozialismus“ bezüglich „notwendiger“ Arbeit auseinanderzusetzen.

Der „Realsozialismus“ und die „gerechte“ Verteilung notwendiger Arbeit

Es ist erstaunlich: Vierzig Jahre nach dem Scheitern der chinesischen Kulturrevolution, fast zwanzig Jahre nach dem Verschwinden der „realsozialistischen“ Staaten gibt es so gut wie keine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen großen Experimenten, den Kommunismus zu errichten. Außer der Beschreibung und Aufrechnung des stalinistischen Terrors gibt es nur Stehsätze, die den „Realsozialismus“ als nachholende kapitalistische Modernisierung bezeichnen. Die Sache ist erledigt, vergessen, vorbei. Notwendig wäre es aber gerade, eine umfassende Analyse gerade auch im Lichte der Erfahrungen der Entwicklung des Kapitalismus seit dem endgültigen Zusammenbruch des „Realsozialismus“ zu machen.

Eines der wesentlichen Kennzeichen des Stalinismus sowohl in der Sowjetunion, wie auch in China war nicht nur der Zwang zur Arbeit – Menschen, die nicht arbeiteten, machten sich eines Vergehens schuldig und konnten zu Zwangsarbeit verurteilt werden – sondern die bürokratische Einteilung zu einer bestimmten Arbeit. Bestimmt durch politische Planung wie z.B. in Form der Bevorzugung von Arbeitern und Bauern bei der Ausbildung, wirtschaftliche Planung des Bedarfs an Arbeitskräften und der politischen Kontrolle durch Parteikader wurden Arbeitskräfte zu Fabriken, Kolchosen und Sowchosen, diversen Institutionen and diversen Orten eingeteilt. Diese bürokratische Zuordnung war immer mit dem Aufenthaltsrecht verbunden. Nur wer eine Arbeit z.B. in Leningrad zugewiesen erhielt, hatte das Recht dort zu wohnen. Die Arbeit war auch mit einer Reihe von Sozialleistungen verbunden, die von der Fabrik, der Kolchose etc. geleistet wurde, wobei es zwischen Land und Stadt gewaltige Unterschiede im Umfang und der Qualität der Sozialleistungen gab.

Die Unterschiede in der Lohnhöhe waren relativ gering, wobei aber das „Geld“ nur für einen kleinen Teil der Bedürfnisdeckung entscheidende Bedeutung hatte. Wohnungen, Fahrkarten und Konsumgüter mit Mangelstatus waren nur durch „Kontakte“ oder in den der Nomenklatur vorbehaltenen Geschäften in Sonderzonen erhältlich.

Die Verteilung der „notwendigen“ Arbeit war nicht nur ungleich und starr. Sie war auch geprägt durch Willkür und persönliche Abhängigkeit. Was aber fehlte, war der Zwang zur Arbeit durch die Gewalt der anonymen Mächte des Arbeitsmarktes. Hatte frau/man ihre/seine bürokratisch eingeteilte Arbeit aufgenommen, so fehlte den Kommandierenden in den Betrieben und Organisationen, das Mittel der Entlassung. Der Druck auf die Produ­zentenInnen wurde deshalb einerseits durch Terror (vor allem in der Hochzeit der stalinschen Herrschaft), andererseits durch Propaganda versucht aufrechtzuerhalten. Im ganzen Land, in jeder Stadt und Gemeinde, in jeder Fabrik wurden „Helden der Arbeit“ gefeiert. An den Ehrenplätzen in den Fabriken gab es Fotos von den erfolgreichsten ArbeiterInnen mitsamt den Orden, die sie erhalten hatten. Während der Erntezeit wurde oft der Großteil der Fabrikbelegschaft zur „freiwilligen“ Erntearbeit in den umliegenden Feldern abgeordnet im Namen des Subotnik – eines in den 20er Jahren tatsächlich freiwillig und selbst organisiert geleisteten Arbeitseinsatzes anlässlich des 1. Mai

Allrussischer Subotnik
(Tag der freiwilligen Arbeit am 1. Mai)

Daneben gab es aber auch Bereiche, die sich Tätigkeiten widmen konnten, die nicht einfach als notwendige Arbeit bezeichnet werden können. Bei der Forschung auf den Universitäten und technischen Hochschulen, bei den so genannten „Kulturschaffenden“ gab es keine Verpflichtung zu „notwendiger“ Produktions- und Reproduktionsarbeit. Die Berechtigung erhielt /frau/man einerseits durch die Mechanismen der universitären Auslese (bei tatkräftiger Steuerung durch Partei und Staat) andererseits durch die Mitgliedschaft in einer Künstlervereinigung, in die frau/man aufgenommen werden musste. Hatte frau / man die Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung, konnte sie, solange sie nicht ausgeschlossen wurde, ihrer freien Tätigkeit als Kulturschaffende nachgehen und bekam die Möglichkeit zu publizieren, auszustellen und in Theater- und Filmproduktionen mitzuwirken. [5]

Orden des Arbeitsruhms 3. Klasse am Band

Letztlich wurde deshalb auch in diesem Fall bürokratisch entschieden, wer was zu seiner freien Tätigkeit erklären darf oder anders gesehen: der Staat, die Partei bestimme, welch Kunst und Wissenschaft gesellschaftlich notwendig ist.

Der Bezug zur „Kritik des Gothaer Programms“ von Marx

Mancherorts wird behauptet, dass diese Formen des Arbeitszwangs nichts mit den Vorstellungen von Sozialismus, wie sie Marx hatte, zu tun hat. Das ist aber nicht richtig. Zwar spricht Marx an vielen Stellen von der freien Assoziation der Produzenten im Kommunismus, aber für die erste Phase einer kommunistischen Gesellschaft – später Sozialismus genannt – sieht Marx das anders. Sowohl Bebel (implizit) als auch Lenin (explizit) beziehen sich in ihren Aussagen über den Sozialismus auf die berühmten Passagen von Marx aus der „Kritik des Gothaer Programms“.

In der „Kritik des Gothaer Programms“ schreibt Marx über den Unterschied zwischen der „ersten“ Phase und der „zweiten“ Phase der kommunistischen Gesellschaft:

Womit wir es hier (in der ersten Phase) zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat, ist sein individuelles Arbeitsquantum. Z.B. der gesellschaftliche Arbeitstag besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden. Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, daß er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der andern zurück.

Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter den veränderten Umständen niemand etwas geben kann außer seiner Arbeit und weil andrerseits nichts in das Eigentum der einzelnen übergehn kann außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer andern ausgetauscht … Das gleiche Recht ist hier daher immer noch – dem Prinzip nach – das bürgerliche Recht …,

(Marx: „Kritik des Gothaer Programms“)

Nur wer arbeitet soll deshalb ein „bürgerliches“ Recht auf Bezug von Konsumtionsmitteln bekommen. Für Marx war dabei Arbeit gesellschaftlich notwendige Tätigkeit in einer ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, hatte sowohl in Form wie auch im Inhalt mit Lohnarbeit nichts zu tun. Dennoch gilt hier, dass das „Einkommen“, also die Möglichkeit individuellen Konsums von der geleisteten Arbeit des einzelnen abhängt. Implizit steckt hier ein Zwang zur Arbeit dahinter und die Sozialdemokratie musste hier nicht viel verbiegen, um zur Forderung zu gelangen: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“.

In der „Kritik der Gothaer Programms“ bezeichnet Marx die höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft als diejenige, in der das bürgerliche Recht nicht mehr gilt:

In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!

Was ist an dieser hunderte Male zitierten Beschreibung des Kommunismus bemerkenswert? Bemerkenswert ist der offensichtliche Widerspruch zur der oben beschriebenen Differenzierung zwischen notwendiger Arbeit und dem freien Tun, dem wirklichen „Reich der Freiheit“. In der „Kritik der Gothaer Programms“ gibt es im Kommunismus nur mehr freies Tun. Die Arbeit ist erstes Lebensbedürfnis geworden und es gibt keinen Widerspruch zwischen notwendiger Arbeit, auch wenn sie „Drecksarbeit“ ist und der Arbeit, die nur sich selbst als Zweck setzt.

In dieser Passage wird daher vom (indirekten) Arbeitszwang zu allseits transparenten und von den freien Individuen widerspruchsfrei organisierten Arbeitsverhältnissen übergegangen. Es gibt keinen Widerspruch mehr zwischen gesellschaftlich notwendiger Arbeit und freiem Tun. Ich meine allerdings, dass nicht nur in Bezug auf Lohnarbeit und Tun im Kapitalismus, sondern für eine unbekannte Zeit während der Prozesse der Neustrukturierung der gesellschaftlichen Verhältnisse der Widerspruch zwischen gesellschaftlich notwendiger Arbeit und freien Tun weiter bestehen wird, wenn er nicht sogar – wie Marx im Kapital meint – eine anthropologische Konstante ist.

Aus der Gesellschaft kann frau/man nicht ausgeschlossen werden – oder wer bestimmt, was notwendig ist?

Wenn wir weiterhin vom Widerspruch zwischen gesellschaftlich notwendiger Arbeit und freiem Tun ausgehen: Ist es dann nicht notwendig die zum Teil auch unerfreuliche, mühsame und unangenehme Arbeit „gerecht“ aufzuteilen? Versucht nicht jede in der Gesellschaft sich selbstorganisierende Gruppe, sei es die Familie, sei es eine Wohnkommune, sei es ein Verein – sofern nicht einfach die bestehende Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, manueller und geistiger Arbeit, unqualifizierter billiger und qualifizierter teurer Arbeit beibehalten wird – die notwendige Arbeit gerecht aufzuteilen? Jeder, der Erfahrungen in diesen Bereichen hinter sich hat, weiß, dass in der Familie, in der Kommune die „gerechte“ Aufteilung der notwendigen Arbeit zwischen den einzelnen Individuen eine äußerst schwierige Sache ist und an denen trotz der Versuche die meisten Tätigkeiten kollektiv anzugehen, schon viele Experimente gescheitert sind.

Schwierig wird diese „gerechte“ Aufteilung der Arbeit vor allem bei den ermüdenden, wenig interessanten und wenig schöpferischen Tätigkeiten. Streit gibt es deshalb in Kommunen im Regelfall über das Putzen oder Geschirrabwaschen aber nicht über das gemeinsame Ausmalen oder Anfertigen eines Transparents für die wichtige Demonstration. Der Widerspruch zwischen notwendiger Arbeit und freiem Tun schlägt zu. [6] Ein anderes Problem, das mir noch wichtiger erscheint, ist aber die Frage, welche Arbeit überhaupt als notwendig angesehen wird und wer die Definitionsmacht darüber hat, was als notwendig angesehen wird. Die Autorität, sei es die der Eltern gegenüber den Kindern oder die der erfahrenen (und leitenden?) GenossenInnen gegenüber den MitgenossInnen drückt sich im Regelfall nicht in einfacher Disziplinierung, sondern in der Überzeugungsversuchen „notwendiger“ Arbeit betreffend aus. Die Vorstellungen vom Sozialismus der Sozialdemokratie ebenso wie die der Bolschewiki schließen nahtlos an den Vorstellungen der Arbeitsteilung in Familie, Kommune und Verein an. Selbst die entwickeltsten Vorstellungen gehen von einem (demokratischen) Selbstverständigungsprozess aus, der bestimmte, was getan werden muss, was mehr oder weniger notwendig ist und schreitet dann zum Handeln. Im optimalen Fall als Einsicht der Produzenten in die Notwendigkeit. Ein Teil des Widerstandes gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen speist sich auch gerade aus der Geschichte, der Vorstellungen über den Sozialismus.

Nun soll hier keinesfalls geleugnet werden, dass es eine Vielzahl von gesellschaftlichen Prozessen gibt, die ein Abstimmen der Bedürfnisse erfordern und zu mehr oder weniger zentral ausgearbeiteten Arbeitsformen und Arbeitsverteilungen führen. (Ohne Plan geht es in vielen Fällen nicht.) Themen wie der CO2 Ausstoß, der Verkehr überhaupt, die Zersiedlung von Landschaften usw. zeigen das drastisch. In vielen Situationen ist es nicht möglich unabhängig voneinander zu agieren, ohne in einem gemeinsamen Plan die Möglichkeiten der einzelnen Kollektive festzulegen oder einzuschränken. Und bei manchen Themen ist es erforderlich, dass der ganze Globus sich an Vorgaben hält. (Um es polemisch auszudrücken „Natur“gesetze ändert der Kommunismus nicht.)

Was aber bei allen diesen Überlegungen zu Plan und kollektiver Aktion vergessen wird, ist dass es in jeder Gesellschaft, die einigermaßen komplex ist und von Widersprüchen durchzogen ist, keinesfalls klar ist, was eigentlich notwendige Arbeit ist und vor allem wer bestimmt, was notwendig ist und was nicht. Die Erfahrungen des „realen“ Sozialismus zeigen, dass die bürokratische Festsetzung der Ziele und Arbeitsteilung nicht nur zu einer Wiederauflage von Klassen- und Herrschaftsverhältnissen führte, sondern dass auch die schöpferische Potenz der Menschen gegängelt und schließlich vernichtet wurde. Gab es z.B. nach der Oktoberrevolution eine ungeheure Anzahl von Initiativen und selbstorganisierten Aktivitäten, die in vielen Bereichen zu einer Explosion schöpferischer Verfahren, Kooperationen und wissenschaftlichen Erkenntnissen führte, so erstarrte in dem Raster der geordneten Planung (und des Terrors) sehr schnell diese kreative Mannigfaltigkeit und führte schließlich dazu, dass die Fähigkeit zur Selbstorganisation für ganze Generationen überhaupt verloren ging.

Was letztlich alle diese Erfahrungen zeigen, ist, dass sich Konzepte von Gruppen und Organisationen, auch selbstorganisierten, nicht auf die Gesellschaft als ganze ausdehnen lassen. Aus einer Gruppe kann frau/man austreten und eine eigene Gruppe gründen, die andere Dinge für notwendig erachtet. Aus der Gesellschaft kann frau/man aber nicht austreten. Die Gesellschaft muss deshalb den Widerspruch zwischen gesellschaftlich notwendiger Arbeit und freien Tun anders lösen. Auch wenn der Großteil der Gesellschaft bestimmte Tätigkeiten nicht als notwendig und für die Gesellschaft nützlich einschätzt: eine Gruppe, aber auch Einzelnen muss es möglich sein sich diesen „unnotwendigen“ Tätigkeiten mit voller Kraft zu widmen. Für diese Gruppe, diesen Einzelnen verläuft die Grenze zwischen dem was notwendig und was nicht notwendig ist an einer anderen Stelle. Meiner Meinung nach wird daher auch jede Gesellschaft, die versucht den Prozess der Überwindung des Kapitalismus anzugehen, den Gesellschaftsmitgliedern die Möglichkeit einräumen müssen, die Grundversorgung für das tägliche Leben zu erhalten, auch wenn dasjenige, was die Gruppe oder der Einzelne macht, dem Rest der Gesellschaft völlig sinnlos und abwegig erscheint.

Das „bedingungslose Grundeinkommen“ kann im Widerspruch zur gerechten Aufteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, zur Minimierung derjenigen Tätigkeiten, die kein freies Tun sind, stehen. Das „bedingungslose Grundeinkommen“ kann auch Initiativen ermöglichen, die im Widerspruch zur beschlossenen kollektiven Tätigkeit der Mehrzahl der Produzenten stehen. Dieser Widerspruch muss anerkannt und diskutiert werden; aber er kann nicht einfach bürokratisch gelöst werden, denn ohne dieses Element des Kommunismus ist jede Gesellschaft der kollektiven Überwindung des Kapitalismus zur Erstarrung verurteilt.

Wie kann man sich eine möglichst unbürokratische Lösung dieses Widerspruchs vorstellen? Im Prinzip nicht anders als es heute in freien Kollektiven und vernetzten Produktionszusammenhängen passiert. [7] Sehen wir uns an wie z.B. die Arbeitsteilung in Projekten die „Free Software“ produzieren vor sich geht: Zwei in Widerspruch stehende Tendenzen sind dabei zu bemerken. Einerseits findet sich fast von selbst eine sinnvolle Arbeitsteilung, bei der diejenigen, die bestimmte Dinge wie z.B. Programm(teile) schreiben, Testen oder Fehler analysieren am besten können, das auch tun. Dann aber gibt es auch in einem solchen Umfeld Tätigkeiten, die niemand von selbst machen will: z.B. Dokumentation für die Benutzer der Programme oder für andere Entwickler und Tester erstellen. Was wird bei diesen unbeliebten Tätigkeiten gemacht? Verschiedene Varianten bieten sich da an:

  • Es wird nach Überzeugungsarbeit und Diskussion die Dokumentationsarbeit auf alle gerecht aufgeteilt.
  • Es wird eine Kampagne für gute Dokumentation gestartet, Schwerpunkte und Termine festgelegt. Jeder, der kann soll sich an diesen Arbeiten beteiligen – siehe z.B. die Qualitätsinitiativen der Wikipedia Enzyklopädie.
  • Es wird versucht jemanden für diese Tätigkeit zu bezahlen. [8]

Und nicht anders wird es in einer Gesellschaft sein, die versucht den Kommunismus aufzubauen. Das bedingungslose Grundeinkommen wird diese Prozesse erleichtern. Einerseits die Mitarbeit an Projekten, wie dem eben beschriebene erleichtern. Andererseits den Druck auf das Kollektiv erhöhen, die unbeliebte Aufgabe – in diesem Fall die Dokumentation – selber zu lösen. Aber vielleicht wird es notwendig sein, für diese Tätigkeit einem Mitglied des Kollektivs etwas zu zahlen oder durch die Bezahlung jemand für das Kollektiv zu gewinnen. Und nicht anders schaut es mit den Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens z.B. auf die Arbeitsteilung in einer Kommune aus. Es erleichtert gleichzeitig die Bildung der Kommune und die Überwindung von traditionellen Arbeitsteilungen in ihr. Erschwert aber die Beschäftigung von billigen Arbeitskräften für unbeliebte Arbeiten.

Das Grundeinkommen erleichtert die Möglichkeit anders und gerechter produktiv zu sein und erschwert die Ausbeutung fremder Arbeitskraft. Und das gilt für den Kapitalismus ebenso wie für eine Gesellschaft, die den Kommunismus aufbauen will. Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens ermöglicht mehr Freiheit in der Wahl dessen, was sinnvoll und notwendig für das Kollektiv ist, aber auch für den Einzelnen. Die Bedingungslosigkeit „riskiert“, dass jemand etwas macht, was keinem als sinnvoll einleuchtet, um so die Schöpferkraft der Menge nicht zu ersticken. Es gibt eine „linke“ Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen, die meint, dass dieses im Kapitalismus nicht durchsetzbar und im Sozialismus überflüssig ist. Wir haben hier versucht zu zeigen, dass das bedingungslose Grundeinkommen im Sozialismus nicht nur nicht überflüssig, sondern absolut notwendig ist und dass es die tradierten Vorstellungen von Sozialismus sind, die das Denken und Handeln gerade auch sich als links einschätzender Kreise prägt. Was können diese Überlegungen für die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen hier und jetzt bedeuten?

Postfordistische Verhältnisse: die Notwendigkeit einer Grundversorgung wird offensichtlich

Trotz mancher feiertäglicher Ansprache, die in naher Zukunft wieder Vollbeschäftigung und Arbeit für alle verspricht, ist es den diversen Einrichtungen von Kapital und Staat klar, dass ein beträchtlicher Teil der (lohn)arbeitsfähigen Gesellschaft vom Arbeitsmarkt entweder völlig ausgeschlossen oder an den prekären Rand gedrängt wird, wobei tendenziell dieser prekäre Rand die Mitte der Gesellschaft erreicht. Die Forderung nach einer von Lohnarbeit unabhängigen Grundversorgung der Menschen wird daher lauter und vehement gefordert. Die Antwort auf die sich entwickelnde Situation prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse schaut dabei für Kapital und Staat fundamental anders aus als für die gesellschaftlichen Kräfte, die von diesen Verhältnisse betroffen sind.

Während von Seiten des Staates und der verschiedenen Interessenvertretungen der Wirtschaft immer mehr erkannt wird, dass es notwendig sein wird, das Recht für eine Grundversorgung von der vorher in Sozial- oder Arbeitslosenversicherung eingezahlten Beiträgen und damit von geleisteter Arbeit unabhängig zu machen, wird dieses Recht nur unter Verstärkung und Erweiterung der Überprüfung, Gängelung und Verpflichtung zu gemeinnütziger Tätigkeit realisiert. Zwar wird damit – im Gegensatz zu den USA und weiten Teilen des Trikont– anerkannt, dass es unter den herrschenden Verhältnissen zurzeit nicht sinnvoll und „notwendig“ ist, Teile der Bevölkerung „auf die Straße“ zu entlassen. Dieses Recht wird aber verbunden mit einer weiteren Verschärfung der bürokratischen Überwachung. Nur auf diese Art und Weise ist es für Kapital und Staat letztlich möglich, das nackte Elend etwas zu reduzieren und gleichzeitig den Druck auf die in prekären oder auch „Normalverhältnissen“ lebenden Menschen zu verstärken.

Ein genau entgegengesetzter Ansatz wird mit dem bedingungslosen Grundeinkommen vorgeschlagen. Die Abkoppelung von Arbeit und Einkommen muss einhergehen mit der Reduzierung des Zugriffs von Staat und Kapital. Die Verwandlung eines immer größeren Teils der Tätigkeiten in Lohnarbeit bzw. abhängige prekäre Arbeit soll damit gestoppt werden. Die Bedingungslosigkeit entzieht dem Staat und Kapital jede Möglichkeit die Maßnahme einer Grundsicherung mit verstärktem Druck auf die Vielheit der Existenz- und Kooperationsformen zu koppeln. Im Gegenteil: Wenn auch für die überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung es weiterhin notwendig sein wird, Lohnarbeit und auch prekäre Arbeit in den verschiedensten Verhältnissen leisten zu müssen, um ihre Bedürfnisse in und außerhalb der Arbeit zu befriedigen, ein bedingungsloses Grundeinkommen öffnet die Möglichkeit sich ganz oder teilweise der Lohnarbeit in allen Formen zu entziehen und Experimente mit anderen Formen der Kooperation und des Lebens zu beginnen. In einer kapitalistischen Gesellschaft ist die notwendige Arbeit wesentlich über zahlungskräftige Nachfrage definiert. Deshalb ist es in dieser Gesellschaft besonders wichtig, die Definitionsmacht, was notwendig ist und was nicht, sowohl dem Staat wie auch den Gesetzen der Kapitalverwertung zu entziehen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen öffnet Möglichkeiten in dieser Richtung und erschwert gleichzeitig den Zugriff von Staat und Kapital auf den Einzelnen.

Von liberaler Seite – siehe z.B. die taz vom 27.3.2007 [9] – aber auch von Theoretikern der immateriellen Arbeit und des kognitiven Kapitalismus wie z.B. Yann Moulier Boutang in Multitudes 27 [10] wird argumentiert, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommen nicht nur mit dem Kapitalismus „vereinbar“ ist, sondern überhaupt erst eine Stabilisierung des postfordistischen Kapitalismus ermöglicht. Während erstere die Verschlechterung der materiellen Situation weiter Bevölkerungsteile unerträglich finden und richtigerweise nicht an irgendwelche Rezepte für Vollbeschäftigung glauben, begründen letztere ihre Meinung aus den Veränderungen der Form und des Inhalts der kapitalistischen Wertproduktion. [11] Beide Positionen vergleichen die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommen mit der Einführung des gesetzlich oder kollektivvertraglich geregelten 8 Stunden Arbeitstags und der Einführung der Sozialversicherung. [12]

Jede Position, jede Strömung, die für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintritt, ist zu begrüßen; und wenn manche meinen, dass dieses zur „Rettung des Kapitalismus“ eingeführt werden muss, dann sage ich zu diesen MitstreiterInnen: auf, auf mit voller Kraft voran. Je mehr dafür aus welchen Theorien und Ideologien auch immer eintreten, desto besser. Entscheidend, ob es sich um einen Mitstreiter oder Gegner handelt ist für mich ausschließlich die Bedingungs­losigkeit. Ich für meinen Teil meine allerdings, dass die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen eine Forderung ist, die frontal gegen das ganze Konglomerat an Maßnahmen gerichtet ist, die von den staatlichen, supranationalen Institutionen durchgeführt und geplant werden. Im Gegensatz zu dem Geplauder über das Zurückweichen des Staates vor der Gewalt des Marktes, muss der Markt als Teil der staatlichen und supranationalen Strukturen gesehen werden, als Mittel der direkten und indirekten Herrschaft, die diesem System den umfassenden Zugriff auf die Masse der lohnabhängig und/oder prekär Beschäftigten sichern soll. Dieser Zugriff muss vereinbar damit sein, die produktiven Potenzen wichtiger Teile der Bevölkerung nicht zu ersticken. Das setzt dem totalitären Zugriff – zumindest für Teile der Multitude – Grenzen.

Dennoch: ob Vernichtung der „Wohlfahrtseinrichtungen“ in den USA nach dem Prinzip: Nur wer nichts zu fressen hat, ist zu jeder Arbeit bereit oder Hartz IV in Deutschland und die Grundsicherung in Österreich: jede staatliche und supranationale Maßnahme in den letzten 20 Jahren verstärkte den Zugriff und die Kontrolle. [13] Wieso es da möglich ist zu meinen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen durch gutes Zureden von wohlmeinenden Liberalen eingeführt werden könnte, ist mir schleierhaft.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist sicherlich in dem Sinn vereinbar mit dem Kapitalismus, dass es die Mehrwertproduktion nicht zu einem Halt bringt. Es ist im Kapitalismus nichts Unmögliches. Aber es trennt nicht nur Einkommen von der individuell geleisteten Lohnarbeit. Es durchbricht – wenn auch nur an einem bestimmten Punkt – das bürgerliche Recht, das in jeder „gerechten“ Tauschhandlung seinen Ausdruck findet. Es tauscht nichts: weder Versicherungsjahre, noch Wohlverhalten des Empfängers. Es ist eben bedingungslos. In diesem Sinn ist es eine den Kapitalismus sprengende, eine kommunistische Forderung. Sie muss jetzt erhoben werden, obwohl klar ist, dass die Kräfte für die Durchsetzung dieser Forderung schwach sind und gegen wichtige Traditionen der historischen Arbeiter- und kommunistischen Bewegung erst Raum gewinnen müssen. Wie ich oben zu zeigen versucht habe, ist diese Forderung nicht nur jetzt zu erheben, sondern sie muss für nicht absehbare Zeiten aufrechterhalten bleiben. Die Umsetzung dieser Forderung muss als Teil der revolutionären Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse begriffen werden.

So als strategische Forderung verstanden, kann sie auch helfen konkrete Maßnahmen der Staates und supranationaler Organisationen zu bekämpfen: Jede Abschaffung von Bedingungen zum Erwerb des Arbeitslosengeldes oder der Notstandshilfe gehen in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen. Die Verhinderung des Zugriffs des Staates auf Eigentum des Notstandsbeziehers zum Beispiel ist ein Schritt in die richtige Richtung. Jede zusätzliche Kontrolle, sei es beim Kindergeld oder Pflegegeld, ist eine Niederlage. Die Sabotage und Unterminierung der diversen Kotrollversuche bringt gewissermaßen ein Stück bedingungsloses Grundeinkommen zum Leben.

Zuletzt zwei Anmerkungen die Höhe des Grundeinkommens betreffend:

  1. Das bedingungslose Grundeinkommen muss auch in dem Sinn bedingungslos sein, dass Einkommen und Transferleistungen anderer Art davon unbeeinflusst sind. Sinnvoll kann sicherlich sein, das Grundeinkommen als negative Steuer zu definieren, die bei höheren Einkommen sich als Steuerfreibetrag auswirken würde. Aber auch andere Modelle sind denkbar – im Umfeld der Aktivisten für ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt es ja eine lebhafte Diskussion darüber. Wichtig zu sein scheint mir bei jedem Modell, dass nicht über die Frage der Finanzierung der Zugriff des Staates und seiner Organisationen auf andere Bereiche der Gesellschaft zunimmt.
  2. Die Höhe, in der das bedingungslose Grundeinkommens hingegen vorgestellt wird, halte ich für sekundär. Nicht nur, dass die Höhe von Land zu Land verschieden sein wird. Getragen von dem Prinzip, dass es einen gesellschaftlich angemessenen Mindestkonsum ermöglichen soll, ist jedes – schwer erkämpfte – Grundeinkommen, wenn es bedingungslos ist, ein Schritt in die notwendige Richtung. So wie die Arbeiterbewegung erst nach vielen Durchgangsstadien ihre Forderung nach dem 8 Stundentag durchsetzen konnte, wird auch ein bedingungsloses Grundeinkommen einen langen Kampf erfordern, der wie oben gezeigt, auch in revolutionären Zeiten nicht endet.

[1Die Grundsicherung, so wie sie in die Regierungserklärung aufgenommen wurde, ist im Gegensatz zur Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens nicht nur mit dem Nachweis der Bedürftigkeit sondern wie im Regierungsprogramm festgeschrieben mit der Verpflichtung zu „gemeinnütziger Tätigkeit“ (siehe detaillierter die Anmerkungen von Karl Reitter in der Nummer 21der grundrisse) verbunden.

[2Diese Losung steht dann auch in der sowjetischen Verfassung von 1936 (Stalin Verfassung). Artikel 12 der Verfassung von 1936 lautet: „Die Arbeit ist in der UdSSR Pflicht und Ehrensache jedes arbeitsfähigen Staatsbürgers nach dem Grundsatz: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ In der UdSSR wird der Grundsatz des Sozialismus verwirklicht: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung.“

[3Was diese Teilnahme beinhalten sollte und ob auch Reproduktionsarbeit dabei eingeschlossen ist, war kein großes Thema, da man von einer Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit ausging. Kinder aufziehen, Kochen, Putzen, Pflegen sollten Teil der auf die ProduzentInnen aufgeteilten Arbeit sein. Das konnte man in verschiedenen Experimenten im revolutionären Russland, aber auch im israelischen Kibbuzim bis noch in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts beobachten. In letzteren wurden die Kinder getrennt von ihren Eltern von Erziehern betreut und besuchten die leiblichen Eltern abends. Während der Stillzeit kamen die Mütter zu vorgesehenen Zeiten aus der Fabrik oder vom Feld, um den Kindern Milch zu geben.

[4Batya Gur beschreibt in ihren Kriminalroman „Am Sabbat sollst Du ruhen“ plastisch, wie der Wunsch eines im Kibbuz aufgewachsenen Jungen, der sich ausschließlich der Malerei widmen will, mit der Forderung der Kibbuzim nach Teilnahme an der notwendigen Arbeit in Konflikt gerät. Der junge Maler steht vor der Wahl, an der notwendigen Arbeit teilzunehmen oder den Kibbuz zu verlassen. Das Malen wird von den Kibbuzim nicht als notwendige Arbeit betrachtet.

[5Eine der erstaunlichen Auswirkungen dieses Systems war, dass bekannte Schriftsteller in der Sowjetunion die einzigen Rubelmillionäre waren, da sie für jedes verkaufte Buch einen Anteil am Verkaufspreis erhielten und die Bücher in Auflagen von Hunderttausenden in den Druck gingen.

[6Es gibt selbstverständlich eine Vielzahl von Situationen, in denen Handeln jenseits dieses „gerechten“ Austauschs stattfindet: Sei es das Verhältnis zu Kindern, häusliche Pflege von alten und/oder kranken Menschen. Die Werteskala jedenfalls der uns bekannten Gesellschaften spricht dann von „Aufopfern“, was ja die „Ungleichheit“ ausspricht. Aber auch in Situationen der kollektiven sozialen und politischen Auseinandersetzungen wird der „Tausch“ gesprengt. Jeder trägt zum Gelingen der gemeinsamen Sache soviel bei, soviel er kann.

[7Eine der wesentlichsten Erfahrungen bei den fehlgeschlagenen Versuchen eine kommunistische Gesellschaft aufzubauen war, dass die Vorstellung nach einer (politischen) Revolution geht alles ganz anders sich sehr schnell als falsch heraus gestellt haben. Die Frage der Klassen, der gerechten Arbeitsteilung, der Widersprüche zwischen Hand- und Kopfarbeit, zwischen Frauen- und Männerarbeit, qualifizierter und weniger qualifizierter Arbeit stellte sich vorher nicht anders als nachher. Die Durchsetzung einer wichtigen Forderung, welche die Gleichheit und Gerechtigkeit fördert, wird daher im Prinzip „vorher“ und „nachher“ nicht viel anders aussehen.

[8Aber kann in einer Gesellschaft, die den Kommunismus aufbaut, denn Bezahlung einer Arbeit geben? Ich meine, dass das für eine unbekannt lange Periode sicher der Fall sein wird. Neben dem Anrecht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden wird – der Trennung von Arbeit und Einkommen – wird es auch einen Zusammenhang von Arbeit und Einkommen z.B. über Stundenzettel a la Gothaer Programm geben. Denn auch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens kann die Abhängigkeit des persönlichen Konsums, soweit er Güter des Mangels betrifft, von den geleisteten Arbeitsstunden nicht beseitigen.

[9Die taz schreibt: Götz Werner, Chef der dm-Drogeriemärkte, will Hartz IV und alle übrigen Sozialleistungen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen von mindestens 800 Euro pro Monat ersetzen. Diesen Betrag soll jeder Bürger erhalten, auch wenn er nicht arbeiten will. Finanzierung: durch hohe Mehrwertsteuer. Im Modell von Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) bekäme jeder 800 Euro, Kinder 500 Euro. 200 Euro davon flössen ins Gesundheitssystem. Finanzierung: Einkommensteuer, Lohnsummensteuer für Unternehmen.

[10« Le Revenu garanti, condition structurelle d’un régime vivable du capitalisme cognitif. » (Das garantierte Grundeinkommen, eine strukturelle Bedingung für ein lebbares Regime des kognitiven Kapitalismus), Multitudes 27, Seite 97

[11Ein Auseinandersetzung mit den Theorien des kognitiven Kapitalismus, wie er vor allem von Yann Moulier Boutang und Maurizio Lazzarato formuliert wird, erfordert eine Neuaufnahme der Debatte über immaterielle Arbeit und der Theorien der Ausbeutung des Wissens. Diese Auseinandersetzung ist dringend notwendig; kann aber hier nicht geleistet werden.

[12Bekanntlich ist die Position der OperaistInnen und PostoperaistInnen, dass diese durch die Arbeiterklasse und ihre „humanitären“ bürgerlichen Unterstützer erkämpften Verbesserungen überhaupt erst „Basis“ für die gigantische fordistische Expansion und reale Subsumption der Arbeit unter das Kapital und die kapitalistische Maschinerie schufen. In ähnlicher Weise meinen Theoretiker des kognitiven Kapitalismus, dass die Durchsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens erst eine stabile Basis für den neuen vor unseren Augen entstehenden kognitiven Kapitalismus sind. Die Bedeutung der Änderungen des Ausbeutungsregimes sehen sie dabei, so wie die Industrialisierung im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert den Charakter des kapitalistischen Ausbeutungssystem grundlegend veränderte, so tun das heute die Digitalisierung, die Lebenstechnologien und die globale Vernetzung. Die Ausbeutung, die Wert- und Mehrwertproduktion, die Stellung der lebendigen Arbeit machen den Kapitalismus ohne bedingungsloses Grundeinkommen instabil.

[13Zweifellos erforderte und ermöglichte das Entstehen neuer Formen der Produktion und Kooperation innerhalb und außerhalb der kapitalistischen Unternehmen in Teilbereichen offene und freiere Formen der Lohnarbeit (ob formell oder als Freelancer). In einem Großteil aber der Industrie, in denen es diese freieren Formen gab – wie z.B. der Computerindustrie – werden inzwischen die Zügel wieder kräftig angezogen. Der Zugriff, der früher über Hierarchien abgesichert wurde, wird nach einem Zwischenspiel schöpferischen Chaos jetzt über Kontrolle durch „Profitabilität“ der einzelnen Minigruppen erreicht. Dass dabei die „Kreativität“ der eigentlichen Arbeit zu kurz kommt, ist beabsichtigt. Die „kreative“ Phase ist vorbei, Profit bringt nur mehr die möglichst routinemäßig erzeugte Lösung. Die „kreative“ Arbeit hat sich auf wenige dominante Konzerne reduziert. Dort lebt es sich dann angeblich wie im „Schlaraffenland“ wie ein Bericht über die Arbeitsbedingung bei Google behauptet. http://derstandard.at/?id=2851879

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