MOZ, Nummer 51
April
1990
Im peruanischen Dschungel:

Das Coca-Labyrinth

Die peruanische Volkswirtschaft stünde ohne das „weiße Gold“ vor dem Ruin. Auf schätzungsweise 400.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche wird die Coca-Pflanze, der Grundstoff des Kokains, angebaut. Auch nach den Wahlen im April wird sich daran nicht viel ändern.

Der braune Coca-Brei in der Grube mußte mehr als einen Tag alt sein, denn die schwüle Luft unter den hohen Bäumen war erfüllt vom starken Geruch der sich zersetzenden Blätter. In einem Unterstand daneben lagen noch die Gummistiefel, mit der Mann oder Frau die Masse aus Wasser mit drei Prozent Schwefelsäure sechs Stunden stampft, um den Prozeß zu beschleunigen. Nachher wird der so gewonnene Saft abgezogen und mit Kaliumbikarbonat und mit dem (staatlich subventionierten) Brennstoff Kerosen verschnitten. Das Kerosen reinigt das aus Säure und Lauge gebildete Salz, und die schmutzige teigige Masse, die sich absetzt, ist die „Pasta Bäsica Bruta“, eine Vorform der stärker raffinierten „Pasta Bäsica Lavada“, die wiederum den Ausgangsstoff für die Gewinnung des als Kokain bekannten Chlorhydrates bildet. Die kolumbianischen Drogenhändler kaufen derzeit die „Pasta Básica Bruta“ für 120 Dollar das Kilo, die „Pasta Básica Lavada“ für 470 Dollar.

Offizier der peruanischen Drogenpolizei erklärt Journalisten die Herstellung von Pasta Básica de Cocaina (PBC) im Alto Huallaga, Peru 1990
Bild: WOZ / Helmut Scheben

Weißes Gold

Wir hatten nur wenige Minuten Zeit zum Fotografieren, dann drängten uns die Offiziere der nordamerikanischen „Drug Enforcement Administration“ und der peruanischen Drogenpolizei wieder aus der Schlucht auf den Hügel, wo die Helikopter uns blitzschnell aufnahmen, um uns ins sichere Fort Santa Lucia, den DEA (Drug Enforcement Administration)-Stützpunkt, zurückzufliegen. Während der Hubschrauber über das grüne Meer von Coca-Feldern strich, ging uns eine Frage durch den Kopf: Wieviel solcher Labors wie das, das jetzt unter uns in Flammen aufgegangen war, gibt es hier im Tal des Alto Huallaga?

Wieviele solcher „pozas“ (Gruben) lagen versteckt in den Schluchten, um die über 2.000 Tonnen „Pasta Bäsica“ zu produzieren, die auf den zweihunderttausend Hektar meist illegaler Cocafelder in diesem Tal angebaut werden? Aus den Ernten des Alto Huallaga, am Ostabhang der peruanischen Anden gelegen, werden 60 Prozent des auf der Welt konsumierten Kokains gewonnen. Hier leben hunderttausende Bauernfamilien von einem Boom, der dieses Tal über Nacht aus der Ausgegrenztheit der Amazonasregion in den Mittelpunkt von Peru gerückt hat. Alto Huallaga, das ist der Traum vom „weißen Gold“, der Traum vom schnellen „dólar del monte“, vom Dschungeldollar. Aber die Preise sind rapide zusammengebrochen, das Ende des Traums kündigt sich an.

Die gleiche magische Kraft wie das Wort Alto Huallaga hat in der Hauptstadt Lima, auf der anderen Seite der Anden an der Küste gelegen, das Wort „Ocona“. Ocona ist eine Fußgängerpassage an der zentralen Plaza San Martin, wo alle fünf Meter ein Muchacho ein Bündel grüner Dollarnoten zum Kauf anbietet. Zwischen 12.000 und 14.000 Intis kostete der Dollar Anfang März. Manchmal war leichte Knappheit an Dollar, dann hieß es: „Das Wetter ist schlecht, das Flugzeug aus dem Alto Huallaga konnte nicht starten.“ Perus Wirtschaft schwimmt in Drogendollars, und ohne Drogendollars säße sie auf dem Trockenen. Der ehemalige Industrieminister Manuel Romero Caro erklärte im Februar dieses Jahres, die jährliche Geldspritze aus dem Drogengeschäft belaufe sich auf über eine Milliarde Dollar, das seien 30 Prozent des Exportvolumens. Wenn auch die Schätzungen stark variieren, kann kein Zweifel bestehen, daß die „Pasta Básica“ heute das Exportprodukt Nummer eins von Peru ist und mehr als das Doppelte des Kupferexports beträgt.

Das Paradoxe ist, daß das Drogengeschäft als wichtigster Außenhandelsvorgang des Landes wegen seiner Illegalität statistisch nur sehr indirekt erfaßt werden kann. Die Unsicherheit beginnt schon bei der völlig chaotischen und ökologisch katastrophalen Ausbreitung der Rodungen im Alto Huallaga. Die Ausgaben der USA zur Bekämpfung des Drogenhandels haben sich seit 1978 verdreifacht. Ohne Erfolg. Die repressive Strategie, den Bauern die Coca-Pflanzen auszureißen oder mit Herbiziden zu besprühen, hat zu dem ernüchternden Ergebnis geführt, daß zwischen 1982 und 1987 die Coca-Produktion in Lateinamerika sich verdoppelt hat. Da heute niemand mehr sagen kann, ob zum Beispiel in Peru auf 200.000 Hektar oder gar schon auf 400.000 Hektar Coca illegal angebaut wird, sind die Hochrechnungen unsicher.

Peruanische Drogenpolizei und Drug Enforce­ment Administration entdecken ein Versteck von 50 Kilo Básica de Cocaina (PBC)
Bild: WOZ / Helmut Scheben

Billiger Drogendollar

Die sozialdemokratische Regierung des Präsidenten Alan Garcia, die im Juli 1985 ihr Amt antrat, führte für eine Reihe von Importartikeln einen Vorzugswechselkurs des Dollars ein. Der billige Dollar sollte die sogenannten „12 Apostel“, die grossen Unternehmen des Privatsektors, zu verstärkter Investition und Produktivität anregen. Die Politik der Wirtschaftsankurbelung durch Unternehmeranreize erwies sich jedoch als Flop. Der subventionierte Dollar führte zu einer Schwindsucht der Devisenreserven, die die Regierung Ende 1988 nur noch durch eine Radikalkur bremsen konnte, die dem — von Alan Garcia nicht eben hofierten — IWF alle Ehre gemacht hätte. Gleichzeitig verabschiedete Alan Garcia die famose Direktive DS-009-88PCM, in der beschlossen wird, den parallelen Dollarmarkt völlig zu legalisieren, das heißt im Klartext: auf die Drogendollar zurückzugreifen.

Diese „Liberalisierung des Devisenmarktes“ hat zur Folge, daß seitdem sowohl Privatunternehmen als auch die staatlichen Betriebe bis hin zur Zentralbank zur Deckung ihres Devisenbedarfs an das Dollar-Brünnlein Ocona gehen. Es ist sicher kein Gerücht, daß die (in Frankfurt gedruckten) neuen Inti-Billete in Ocona oder zumindest in gewissen Wechselstuben auftauchen, bevor sie in irgendeiner Bankfiliale erhältlich sind.

„Wenn ich heute einen Computer oder einen Mercedes Benz kaufen will, gehe ich zur Zentralbank und fülle ein Formular aus. Die Zentralbank sagt: Hast du die Dollars dafür? Und ich sage ja. Damit ist der Fall erledigt und der Formalität Genüge getan“, sagt der Ingenieur und Wirtschaftsprofessor Humberto Campodónico Sánchez. Man kann laut Campodónico davon ausgehen, daß die Regierung Perus mittlerweile selbst für den Schuldendienst von der Drogenwirtschaft abhängig ist. Im Vergleich zu der enormen Inflation seit dem Austeritätsprogramm von Ende 1988 ist der Dollar viel zu billig. Er müßte um die 30.000 Intis kosten, also das Doppelte. Die Regierung hält indessen nach wie vor an einem Vorzugskurs (MUC) von 7.000 Intis pro Dollar für ihre Staatsbetriebe und bestimmte Privatunternehmer fest (pharmazeutische Betriebe, Lebensmittelimporte etc.) So ergibt sich die paradoxe Situation, daß viele Unternehmer den Dollar für 7.000 Inti bei der Zentralbank für bestimmte Importe kaufen, aber ihrer Preiskalkulation einen Kurs von rund 30.000 Inti zugrunde legen, denn sie spekulieren damit, daß der Präsidentschaftskandidat Mario Vargas Llosa als Vertreter einer noch rigoroseren Wirtschaftsliberalisierung die bereits angekündigte Schocktherapie (nach argentinischem und venezolanischem Vorbild) anwendet, falls er bei den Wahlen im April gewählt wird. Dieses permanente Verlustgeschäft kann die Regierung Garcia nur dank der Injektion von jährlich über einer Milliarde „dólares del monte“ aufrechterhalten.

Bauernhaus mit Coca-Feld, Alto Huallaga
Bild: WOZ / Helmut Scheben

Ein Kaff als Coca-Metropole

Auf der Fahrt vom Flugplatz ins Stadtzentrum springen Hühner und Hunde zur Seite, wenn sich die Camioneta ihren Weg durch die Schlammpfützen bahnt. Die ‚Coca-Metropole‘ Uchiza im Alto Huallaga mit knapp zehntausend Einwohnern hat nur an der zentralen Plaza asphaltierte Straßen. Der Rest ist — je nach Wetter — Schlamm oder Staub.

Die Dollarschwemme der letzten Jahre hat indessen einen schwunghaften Handel mit Luxusgütern und Dienstleistungen hervorgebracht, der in makabrem Gegensatz zu der Rückständigkeit und Misere der Gemeinde steht, die bis vor ein paar Monaten noch keine Abwasserkanäle hatte. Wir fahren vorbei an Bankfilialen, hier und dort ein „Salon de Estetica“ mit Plüschsesseln und Chromspiegeln und vor allem an vielen Boutiquen, die den letzten Schrei der Mode aus Rio anbieten und deren Kleiderpuppen auf dem Trottoir sozusagen in der Hundescheiße und im Straßenstaub stehen.

„Das alte Wasserleitungssystem funktioniert nicht. Es hat zu wenig Druck ... Hier hat sich nie jemand darum gekümmert, zu investieren. Wenn die Drogendollars nicht mehr fließen, wird hier wieder das Ende der Welt sein“, sagt Walter.

Der knapp vierzigjährige Mann ist Mitglied der „Cooperativa Agroindustrial del Alto Huallaga“. In dem zweistöckigen Haus der Kooperative bei der Plaza von Uchiza, wo wir Unterkunft bekommen, gibt es kein fließendes Wasser. Wir holen das Wasser in Eimern vom Dach aus ein paar Kübeln, die der tropische Platzregen alle Tage wieder auffüllt. Die Kooperative nennt sich ‚agroindustrial‘, weil sie Agroindustrie haben möchte. Sie hat vorläufig noch nichts als ein paar tausend Mitglieder von 42 Gemeinden des Distriktes Uchiza, die rund 45.000 Hektar Coca anbauen. Der Preis des Coca-Blattes ist so stark gefallen, daß er nur noch knapp über den Erträgen von Kakao oder Reis liegt. Der ‚quintal‘ (46 Kilo) Coca kostete im Februar rund 500.000 Intis.

Die Bauern spüren seit über einem Jahr den Vorgeschmack dessen, was sie erwartet, wenn der Boom vorbei ist. Sie sind sich im klaren, daß sie heute in Alternativen investieren müssen, wenn von den Narco-Dollars etwas hängenbleiben soll. Die Gewinne der Drogenhändler auf den Märkten in den USA mögen unverändert hoch sein (die Lancierung der ‚neuen Bombe‘ Crack, einer raffinierten Form der Coca-Pasta, war offenbar eine kluge Marktstrategie der Mafia), die Erzeugerpreise in den Coca-Anbaugebieten in Bolivien und Peru sind hingegen infolge von Überangebot zusammengebrochen. Der hohe Einsatz von Düngemitteln garantiert zwar vier Ernten im Jahr, aber gleichzeitig verschlingen wachsende Mengen von Pestiziden den Gewinn. Die Bauern und Bäuerinnen der Kooperative in Uchiza sind bereit, auf das einzugehen, was die peruanische Regierung und die nordamerikanische Drogenpolizei seit Jahren von ihnen fordern: sie wollen die Cocas durch Kakao, Kaffee, Reis, Ölpalmen oder was auch immer ersetzen. Unter einer Bedingung: keine Vernichtung von Coca-Feldern, solange für alternative Produkte kein gesicherter Markt existiert. „No a la erradicación, Si a la sustitución!“ („Nein zur Entwurzelung, ja zur Substitution“) ist die Parole. Sie haben sich organisiert. Sie sind Anfang Februar nach Lima gefahren und haben mit Präsident Alan Garcia gesprochen: „Wir haben es nicht eilig“, haben sie ihm gesagt. „Die Länder, die es eilig haben, sollen das Geld auf den Tisch legen, sie sollen uns Preise garantieren. Der Kaffee ist nichts wert, der Achiote verfault, er bringt uns bloß 8 Cents, für das Kilo Mais bekommen wir 1.000 Intis, und es kostet uns 2.000 Intis, zu produzieren. Sag das George Bush in Cartagena, Alan! Und vor allem eins: wir wollen Alternativen suchen, aber freiwillig und in Ruhe. Was wir nicht ertragen werden, ist dieser chemische Krieg, dieser Terror, diese Helikopter, die unsere Felder besprühen.“

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)