Heft 1-2/2006
Mai
2006

Das Leben lebt nicht

Den roten Faden des Sammelbandes bildet der foucaultsche Begriff der Biopolitik. Ausgedrückt wie abgelehnt hat sein Schöpfer darin die im weltweiten Siegeszug der Rassenbiologie im 19. Jahrhundert entstandene Regulierung von Körpern als Teile des biologisch-organisch vorgestellten Volksganzen. Erklärte Motivation der HerausgeberInnen, Biopolitik in den Mittelpunkt ihres Buches zu stellen, ist die Feststellung eines Wandels im theoretischen wie politischen Gebrauch des Begriffes. An die Stelle der Zurückweisung des mit Biopolitik bezeichneten Gegenstandes — der Rassenbiologie — trat ab Ende der 90er Jahre, wie das Buch überzeugend darlegt, Biopolitik als neutrale Bezeichnung für ein politisches Feld, das auch von links bespielt werden kann. Im Auftakt seiner „Verteidigung Foucaults gegenüber seinen LiebhaberInnen“ erinnert JustIn Monday daran, dass Biopolitik bei Foucault noch als Skandalisierung der Abstimmung von der „Menschenakkumulation mit der Kapitalakkumulation“ gemeint war. Diese kritische Implikation ist bei Hardt/Negri verschwunden, wie Andreas Benl an Empire und Multitude kritisiert. Felicitas Reuschlings Artikel über Homo Sacer diskutiert mit Agamben einen weiteren prominenten Foucault-Interpreten. Biomacht und Biopolitik verwandelt Agamben, so die These Reuschlings, in immer schon gültige Prinzipien der Durchsetzung von Macht und betreibt damit deren Ontologisierung. Dass die Attraktivität von Foucault aber ursprünglich die Hoffnung auf ein Entkommen aus den Zwängen von Substantialisierung und Naturalisierung ausmachte, ist der Ausgangspunkt von Andrea Trumanns Skizze der Entstehung und Durchsetzung poststrukturalistischer Theorie im Feminismus. Mit der These, dass der Ansatz einer Dekonstruktion des vermeintlich Natürlichen seine Grenze am Antisemitismus hat, stellt Trumanns Artikel „zum unmöglichen Unterfangen in poststrukturalistischer Manier den Antisemitismus zu begreifen“ den an aktuelle Debatten unmittelbar anschlussfähigsten Beitrag des Buches dar.

In Form und Inhalt leistet die Gruppe die röteln eine quer zur Rede von der „Heideggerisierung der Linken“ liegende Kritik jener theoretischen Strömungen, die gemeinhin unter dem Begriff Poststrukturalismus zusammengefasst werden. Dabei vorzuführen, dass das Ernstnehmen des poststrukturalistischen Versprechens auf Emanzipation bedeutet, die Grenzen additiven Zusammenbastelns von Adorno und Foucault oder Dekonstruktivismus und Antisemitismuskritik auszuloten und auf den Punkt zu bringen, ist Verdienst des Buches.

die röteln (Hrsg.): „Das Leben lebt nicht.“ Postmoderne Subjektivität und der Drang zur Biopolitik. Verbrecher Verlag, Berlin 2006, 189 Seiten, 14 Euro

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