MOZ, Nummer 58
Dezember
1990
Das heimliche Museum:

Das Reale, die Kunst und die Weiblichkeit

Im Zeitgeist liegt eine Art Kummer. Er kann sich durch reaktive, sogar reaktionäre Einstellungen äußern, oder durch Utopien, aber nicht durch eine Orientierung, die positiv eine neue Perspektive eröffnen würde.

(J.-F. Lyotard)

Die Bildung einer eigenen Identität als Festlegung in jenem Bereich, zwischen ihrer Realität als Subjekt und ... Objekt, als Spiegel und Bild, als Spiegelbild, in welchem sie als Objekt, Entwurf, Idee, Ideal und Ding zugleich sich bricht ... d.h. Duplizierung der Frau noch im eigenen Blick auf sich selbst, als ein Anderes, welches wirklich ist, in der Diskontinuität des illusionären Spiegelraumes, vor dem die Stelle des Subjekts verflacht, das das Sein selbst in sein Bild verblaßt.

(L. Irigaray)

Was wäre, wenn, wie behauptet werden kann, die Agonie im Realen liegt und das Reale in Agonie (Baudrillard)? Kann das Subjekt sich dann bloß noch auf den Stuhl setzen, auf den Stuhl im Museum, und sich selbst als Relikt vergangener Epochen bestaunen? Das, oder sollte man nicht besser sagen der Subjekt als Reliquie seiner selbst im Rückspiegel verblendeter Aufklärung? Die Welt als „Pantheon des Geistes“ (Hegel) scheint zu sich selber gekommen zu sein in dem Sinn, daß, durch die Geschwindigkeit zum Stillstand erstarrt, sie sich als ‚tote‘ präkatastrophisch zur Mumie verdinglicht — so, als wäre alles vorbei. Zumindest wäre dies die eine Seite der Betrachtungsmöglichkeit der Medaille: Die ‚zweite Natur‘ der Menschen hat derart Verkrustungen produziert, daß diese sich durch „Verkunstung“ ästhetisch Überhöhen, um überhaupt noch ausgehalten werden zu können.

Und die Frauen?

Ihr Inter-esse steht buchstäblich da — und zwischen. Denn einerseits sind sie an dieser weltlichen Befindlichkeit unbeteiligt beteiligt, andererseits kann wohl von unterschiedlichen „inneren Produktivkräften“ gesprochen werden, die eine andere Wahrnehmung der Wirklichkeit evozieren. Somit wäre die Ambivalenz angesprochen zwischen dem Ausschluß der Frauen als Kulturtätige, der Vereinnahmung des Weiblichen in allen/m (männlichen) Werken und der Unentrinnbarkeit der symbolischen Ordnung, die als allgemeine männliche Weltdeutung — und Verhalten/Verhältnis zu deuten ist.

Was heißt es nun, wenn die „Musen“ sich selbst als Subjekt wie Objekt setzen und tendeziell ins Museum stellen wollen? Ist dies jenseits kulturpolitischer Gleichstellungspostulate und -rechte überhaupt denkbar und wünschenswert? Kunst fungierte immer schon auch als ‚außer-sich-selber‘ des Gesellschaftlichen. Frauenkultur und weibliche Kunst hätten damit eine mindestens doppelte Überschreitung des Gegebenen zur Auf-gabe. Wobei eben zu fragen ist, ob in der Zeit der sog. Postmoderne, in der Kunst, Mode und Werbung sich zusehend überzeichnen, dieses utopische Moment überhaupt noch aussagbar ist.

Sicher ist jedenfalls, daß das „interesselose Wohlgefallen“ an der Kunst historisch nicht für die Kunst von Frauen galt. Nicht nur im Desinteresse hat sich dies geäußert, sondern auch im meist geschlechtsideologisch präparierten „Wohl- oder Mißgefallen“, mit welchem weibliche Kunstwerke und ihre Urheberinnen verurteilt und verborgen worden sind. Deshalb suchten Berliner Künstlerinnen das Gefundene in einer Austeilung „Das verborgene Museum“ 1987/88 zusammen. (In Österreich ist dem Hören-Sagen nach ähnliches geplant, wobei die zwei Interessentinnengruppen — Kunsthistorikerinnen und Frauen von der „Intakt“ — sich bereits im Vorfeld nicht einigen können. Tu felix Austria — was bleibt dir wieder einmal erspart?) Wobei doch das Klopfen der Frauen vor der Tür der Kultur nicht nur in den vergangenen Jahrhunderten — ob laut, ob leise — zwar immer unüberhörbar war, aber überhört wurde und unerhört blieb, weil es ungehörig war.

Es bestürzt mich und unterstützt mich zugleich, dokumentiert zu sehen, daß sich Frauen immer wieder — und immer wieder mit dem Gefühl fehlender Rückendeckung duch Allgemeinheit oder Tradition — gezwungen fühlten, ihre geistigen Bedürfnisse, ihre kulturellen Leistungen zu rechtfertigen, daß sie ihren Verstand, ihre psychischen und körperlichen Kräfte nicht nur für die eigentliche Arbeit, sondern vor allem dafür einsetzen mußten, daß sie auch Menschen, auch Wissenschaftlerinnen, auch Künstlerinnen ... sind, daß sie als Wissenschaftlerinnen und als Künstlerinnen auch Frauen sind, und daß dies von Natur aus eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist bzw. von Kultur aus sein sollte.

(aus dem Katalog zur Ausstellung)

Diderot schreibt in seiner bissigen Analyse über die Vergeblichkeit der Bemühungen einer Künstlerin, im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in der Pariser Gesellschaft Anerkennung zu finden: „Es fehlt ihr nicht an Talent, um in einem Land wie dem unsrigen Aufsehen zu erregen; sie besitzt einiges Talent. Es fehlt ihr an Jugend. Schönheit, Bescheidenheit, Koketterie. Sie hätte vom Verdienst unserer großen Künstler schwärmen, bei ihnen Unterricht nehmen, mehr Busen und eine ansehnliche Hinterpartie haben und beides den Künstlern darbieten müssen.“

Dies entäußert sich heutzutage in statistischen Zahlen folgendermaßen:

Das auflagenstarke, populäre Kunstmagazin „art“ gibt jeweils in der Januarnummer eine Jahresvorschau über die wichtigsten Ausstellungen und Messen in Westeuropa, vor allem aber in den größeren Kunstmetropolen der BRD:

1984: 1 weibl. u. 23 männl. Einzelausstell. (4,2% Künstlerinnenanteil)
1985: 1 weibl. u. 36 männl. Einzelausstell. (2,7% Künstlerinnenanteil)
1986: 1 weibl. u. 57 männl. Einzelausstell. (1,7% Künstlerinnenanteil)
1987: 5 weibl. u. 59 männl. Einzelausstell. (7,8% Künstlerinnenanteil)

Eine den Künstlerinnen eher wohlgesinnte Zeitschrift („tendenzen“) zeigt bei Katalog- und Ausstellungsbesprechungen folgendes:

1983: 2 Rezensionen über Künstlerinnen, 15 über Künstler
1984: 2 Rezensionen über Künstlerinnen, 7 über Künstler
1985: 0 Rezensionen über Künstlerinnen, 6 über Künstler
1986: 2 Rezensionen über Künstlerinnen, 19 über Künstler

Das bedeutet, daß innerhalb von vier Jahren der Anteil der Künstlerinnen 11,3% beträgt. Nun, nicht nur daß die Herren der Schöpfung das Bild der Welt prägen, sie produzieren auch im Bild ihre Welt — und als solche wird sie dann auch wahr-genommen. Da Bilder und (Kunst-) Produktionen aller Un/arten immer die Gegenwart nicht nur spiegeln, sondern zum materialistischen Ausdruck bringen und Museen auch die Funktion des Gedächtnisses haben, kann man sich vorstellen, was, wer und wie von der Geschichte erinnert und vergessen wird und was in seiner Konsequenz immer auch Entwürfe einer Zukunft zeitigt. Das Kunstschöne, als Ästhetik des Realen, was immer auch Wahrnehmung der Wirklichkeit bedeutet, fällt so gesehen eindeutig zuungunsten des „schönen Geschlechts“ aus. Wirklich? Die Frau ist doch das „erdenmäßigere, pflanzlichere, in allem Erleben einheitlichere und durch Instinkt, Gefühl und Liebe weit stärker als der Mann geleitete Wesen“, das schlechthin konservativer sei und „zu den männlichen Exzessen in der Geschichte, sowohl zu jenen der Ideen als zu solchen der Sitten und Moden, eine fast ans wunderbare grenzende Ruhe und Konstanz“ bewahre. Nein, wer hätte das gedacht — wirklich ein Wunder! Galt (— und gilt?) doch in der bürgerlichen Kunsttheorie: „Während der Mann aus sich herausgeht (sic!, Anm. B.K.), seine Kraft in seine Leistung entläßt und damit etwas ‚bedeutet‘, was in irgendeinem Sinne außer ihm liegt, dynamisch oder ideell, schaffend oder darstellend — ist die Wesensidee der Frau jene Undurchbrochenheit der Peripherie, jenes organische Beschlossensein in der Harmonie der Wesensteile unter sich und ihrer gleichmäßigen Beziehung zu ihrem Zentrum — wie es eben die Formel des Schönen ist. Denn sie ist, in der Symbolik der metaphysischen Begriffe, die Seiende, und der Mann das Werdende“:
Und er wird und wird und wird und ...
Und sie ist und ist und ist ...
Und was wird bleiben?

Wenngleich auch Kunst sich im Laufe ihrer neuzeitlichen Geschichte im emphatischen Sinn von jeder Zweckgebundenheit emanzipiert hat, so hat sie den Sinn und Zweck männlicher Selbst- und Fremdinszenierung offen-sichtlich nicht verlassen. Wenn Wahrheit auch Entbergen, Sichtbarmachen bedeutet, so liegt dies noch in weiter Ferne. Insoferne bedarf es der Forcierung einer Optik, die immer die Hälfte vergessen hat, soz. einer Entheimlichung des/der Verheimlichten. Daß dies so manchem unheimlich ist, scheint so sonnenklar wie mondfinster.

Atomisierung des Geschmackurteils: eine Chance?

Trotzdem. Ob nun dieser Gesichtspunkt der vornehmlichen Analyse der großen Strukturen und eine Förderung der Frauen in die großen Museen hinein als Heilmittel gelten kann oder ob dies nicht gerade sehr heillos ist, bleibt offen. Denn die Teilhabe und Präsenz in/an der Öffentlichkeit heißt auch, sich ihren Bedingungen anzupassen. Und diese sind weder in ihren Konstitutionsvoraussetzungen noch in ihren Effekten weiblich konnotiert. Weiblichkeit ist asymmetrische Negation des Kulturellen. Sich mit dem musealen Prozeß verbinden zu wollen, hieße dann, sich in die Normierungen einzubinden — statt zu entbinden. Ob die Mehreinnahmen wirklich die Vereinnahmungen lohnen? Die Ersichtung von Frauen könnte eine Entsichtigung des Weiblichen nach sich ziehen, die im erneuten Besichtigen sich erschöpft. Gegenwärtig steht im allgemeinen wie im besonderen (der Frauen) zur Frage, ob eine Aufklärung von oben (durch/der Frauen) ex cathedra und aus den musealen Kammern aus einer zentralen Perspektive betrieben werden kann und ob dies nicht eine rückwärtsgewandte Heilsgeschichte ist. Durch die Musealisierung wird „alles Erinnerte, Gedachte, Bewußte ... Sockel, Rahmen, Postament, Verschluß seines Besitztums“ (W. Benjamin). In dem Moment, wo Ästhetik musealisiert wird und damit der Historisierung anheimfällt, wird das Leben bewahrt statt gelebt — zur Wahrung des Lebensscheins. Weshalb wohl auch die „Scheine“ zu der Währung des ‚Wahren, Guten und Schönen‘ geworden sind. In polit-ökonomischer Hinsicht funktioniert der Museumsbetrieb, indem man die dort ausgestellten Werke zum Maßstab der Kunstwerte stilisiert. Wer ins Museum kommt, macht geradezu eine Art Transsubstation durch. Doch von welchen Priestern man die höheren Weihen erhält, ist evident — selbst wenn es inzwischen auch Priesterinnen sind. Die Institutionalisierung des Kunsturteils ist weitgehend ökonomisiert, da ästhetische Kriterien keine allgemeine Anerkennung mehr haben.

Andererseits hält diese Bindungslosigkeit der Post/Moderne, die Atomisierung des Geschmackurteils, auch eine Chance für Frauen bereit. Die Un/Gleichzeitigkeit degeneriert einen eindeutigen Sinn und Bedeutung, was einerseits der Repräsentation der Frauen und andererseits weiblicher Produktionsweise entgegenkommt — hat sie sich doch immer schon der Präsentation eines stringenten ein-deutigen Sinns entzogen.

Was ins Museum kommt, erhält dadurch sozialen Ewigkeitswert. Es wird ‚aus-der-Welt-gebracht‘. Ob dies Künstlerinnen recht sein kann, wenn sie gerade dabei sind — außer Kinder in die Welt zu bringen —, sich in die Welt zu entwerfen? Es steht eben zu Frage, inwiefern Gleichstellung eine Angleichung inkludiert, die die Differenz unterschlägt. Was passiert, wenn frau sich auf die gleichen Schauplätze drängt, die eben Schau-plätze sind?

Womöglich wäre das weiblich-ästhetische Programm ein anderes — ohne auf die Tradition der Geschichtslosigkeit verworfen zu sein. Welche Räume für welches Gedächtnis wollen wir denn? „Und Objekt des Gedächtnisses an sich ist alles, was Objekt der Phantasie ist, mitfolgend aber alles, was nicht ohne die Phantasie auftritt oder vorgestellt wird“, sagte schon Aristoteles. Wie, wenn die Frauen ein anderes Gedächtnis, eine andere Phanatasie, eine andere Objekt-Bindung hätten?

„Man ist versucht, der Geschichte, der Kultur, die Frage nach der Frau in solch völlig elementarer Weise zu stellen, wie zum Beispiel: ‚Wo ist sie denn? Gibt es sie denn?‘ In Grenzfällen fragen sich viele Frauen, ob sie existieren. Sie haben das Gefühl, nicht zu existieren, und fragen sich, ob es jemals für sie einen Platz gegeben hat“ (H. Cixous).

Vielleicht ginge es darum, einen anderen Ort, eine andere Art zu erfinden, zu schöpfen. Vielleicht ist dies in aller Heimlichkeit bereits geschehen? Denn die Abwesenheit der Frauen ist ja doch immer irgendwie anwesend. Und die Objekte beginnen, wie Baudrillard attestiert, Rache zu nehmen. Auch, indem sie ‚sterben‘, sobald sie entdeckt sind. Eventuell ist dies die „weibliche List der Vernunft“ — zu entwischen.

„Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, seine Gründe nicht entdecken zu lassen“, also sprach Nietzsche. Diese ‚Gründe‘ und die Bestimmungen des Anderen lassen sich noch nicht auf einen Inhalt fixieren — wäre es doch Reduktion auf die Wiederholung der gleichen Logik. Der „Narbenschrift“ (D. Kämper) weiblicher Phantasie und weiblichen Gedächtnisses müssen noch viele Proben aufs Exempel geübt werden, damit der dem Weiblichen zugesprochene Schein nicht bloß im Nachweisen und Vorscheinen sich ‚erkaltet‘. Die Rituale der Gesellschaft sind bereits erstarrt. In Gestalt von Ironie und Maskerade könnte die bisherige Undeutlichkeit weiblicher ‚Regel‘findungen, zwar keine normative Deutlichkeit erringen, aber die „Verhältnisse zum Tanzen bringen“.

Da das „menschliche Gesicht sein Gesicht noch nicht gefunden hat“ (A. Artaud), die Unterwerfung des Anderen als Erkenntnisstrategie gescheitert ist und das Erwachen aus den Träumen der Vernunft, die Ungeheuer gebiert, am Beginnen ist, ginge es darum, statt Denkmale zu setzen — mal zu denken.