MOZ, Nummer 57
November
1990

Den Kapitalismus ökologisch modernisieren

Joseph Huber ist Wirtschafts- und Sozial­wissenschaftler. Mit seinen Publikationen übte er bedeutenden Einfluß auf die öko­logische Debatte aus. Seine Hauptthese, daß es ökologische Modernisierung nur mit der, nicht gegen die Industriegesell­schaft gäbe, führte in der Grünbewegung zu heftigen Kontroversen und machte Huber zu einem gefragten Ökoberater der traditionellen Parteien, etwa auch der SPÖ und bei Bundeskanzler Vranitzky. Im Berliner Wissenschaftszentrum, wo Huber derzeit tätig ist, sprach Christof Parnreiter mit ihm.

MONATSZEITUNG: Sie sind ein wichtiger Wegbereiter jener grünen Strömung, die für die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft eintritt. Was stellen Sie sich darunter vor?

Huber: Wir können aus der Modernisierungsbewegung nicht heraus, sondern wir müssen da hindurch. Die ökologische Anpassung, die fällig ist, kann nicht jenseits oder gegen die Industrie, sondern nur mit ihr realisiert werden. Im technischen Teilbereich heißt das: Festhalten an der modernen Technikentwicklung, im ökonomischen Bereich: Präferenz für die Marktwirtschaft, im Geldbereich: Priorität für eine freie Geld- und Kreditwirtschaft. Das ist der Grundansatz der ökologischen Modernisierung, wie er mittlerweile von allen Parteien bis hin zu den sogenannten Realogrünen anerkannt wird.

Allerdings ist es nicht nur eine technologische Frage. Die ökologische Modernisierung muß in allen gesellschaftlichen Teilsystemen gleichzeitig passieren: im Technischen, in der Wirtschaft, in den Bereichen des Rechts, der Politik, der Verwaltung, der Weltanschauung. Der nötige Durchbruch wird nicht erfolgen, solange von ökologischer Marktwirtschaft geredet, in Wahrheit aber Ökodirigismus betrieben wird.

Wie grenzen Sie sich von Konzepten der ökosozialen Marktwirtschaft etwa der ÖVP oder der SPÖ ab?

Mein Bedürfnis ist weniger, mich abzugrenzen, sondern mehr, zu erkennen, mit wem ich worin übereinstimme und sachdienliche Koalitionen herbeiführen kann. Die Voraussetzungen, um zu einem marktgerechten statt bürokratischen Umweltschutz zu kommen, sind bei den sogenannten Altparteien allerdings besser als bei den Grünen, denn die sind auf Grund ihrer Verbindung mit der linken Tradition voreingenommen zugunsten der bürokratischen Vorstellungen.

Wie sehen nun Ihre Umbaumaßnahmen aus?

In der Ökonomie muß man von staatsdirigistischen Maßnahmen zur Anwendung von ökonomischen Instrumenten, die marktgerecht sind, kommen, also Ökosteuern und Ökozölle, um Märkte, in denen ökologisch sauberer und damit teurer produziert wird, zu schützen. Im Rechtlichen ist ein Umschwenken von polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen zu zivilrechtlichen notwendig, was insbesondere eine stärkere Betonung der Haftungsregelung bedeutet, aber auch der freivertraglichen Kooperationsmodelle, bei denen Beteiligte und Betroffene aus der Wirtschaft, dem Staat, den Gemeinden, Anrainergemeinschaften aushandeln, wie man im betreffenden Fall vorzugehen hat, also so etwas wie eine Umweltpartnerschaft.

Marktwirtschaft und Industriegesellschaft bleiben für Sie unantastbare Konstanten?

Das kann man nicht sagen, aber es sind konstitutive Bedingungen der modernen Gesellschaft, die man sich nicht wegwünschen kann. Allerdings sind sie selbstverständlich einer Veränderung unterworfen. Der Markt ist, wie die Menschen sind. Was am Markt geschieht, hängt ab von der Wertorientierung der Marktteilnehmer, ihrer Mächtigkeit, von den rechtlichen Rahmenbedingungen, von den technischen Möglichkeiten und Sachzwängen, von den Bedingungen der Arbeitswelt. Und gerade weil in der Gesellschaft ein ökologisches Umdenken stattgefunden hat und im Bereich der Industrie gerade stattfindet, entstehen neue Impulse der ökologischen Nachfragelenkung.

Wieso nehmen Sie an, daß die Unternehmen, die doch aus der naturzerstörenden und rohstoffausbeutenden Produktion große Profite ziehen, Interesse hätten, ökologisch umzudenken?

Es kommen zunehmend ökologische Risiken und Kosten auf die Unternehmen zu: Es gibt ja schon viele Beispiele, wo es teurer ist, Materialien zu entsorgen als einzukaufen, oder wenn man an die zunehmenden Risiken denkt durch die Gefährdungshaftung, soweit sie schon besteht, bei der der Unternehmer für eventuelle Schäden aufkommen muß. Es ist also der negative Druck zu ökologischen Innovationen vorhanden.

Da übertreiben Sie aber stark.

Natürlich muß man nach Sektoren differenzieren, aber das ist für die Industrie eine reale Gefahr. Gleichzeitig eröffnen sich durch ökologisch angepaßte Verfahren neue Chancen, vor allem in verbrauchernahen Marktsegmenten. Hier kommt allmählich ein Ökowettbewerb in Gang, und das ist ganz entscheidend, weil ohne den gibt es keine ökologische Marktwirtschaft. Der Wettbewerb beschleunigt die ökologische Modernisierung, denn es sind daran ja technische Innovationsprozesse gebunden, die den Unternehmen eine höhere Umwelt- und Energieproduktivität, aber auch eine höhere Kapital- und Arbeitsproduktivität bringen. Wer Umweltproduktivität erhöht, erhöht auch die Rentabilität der Unternehmen.

Sie schreiben, die Ökologie könne der Wirtschaft helfen, „abzuspecken“. Die ökologische Frage also als Mittel, Unternehmen profitträchtiger zu machen?

Ihre Formulierung läßt auf eine voreingenommene Position schließen. Es gibt ja Kreise, die so tun, als sei es unanständig, ein rentables Unternehmen zu führen. Ich frage mich dann immer, wovon diese Leute eigentlich leben?

Der Kapitalismus hat schon eine große Modernisierungswelle hinter sich, nämlich die soziale, die zwar ganz unbestreitbar enorme Verbesserungen für die Menschen einiger Staaten brachte, weltweit gesehen ist die kapitalistische Marktwirtschaft allerdings nicht sozialer geworden.

Wenn Sie die heutigen Verhältnisse vergleichen mit jenen, wie sie Marx und Engels beschrieben haben, dann haben sich die Verhältnisse in ungeahntem Maße verbessert.

Ich sagte ja, daß sie in den Zentrumsländern Verbesserungen brachte, während es etwa für Afrika oder Lateinamerika anders aussieht.

In den „3. Welt“-Ländern vollziehen sich die ursprünglichen Industrialisierungsprozesse mit ihren Ausbeutungs- und Verelendungsbedingungen erst heute. Das ist eine Ungleichzeitigkeit.

Sie meinen also, daß die „3. Welt“ unsere Geschichte nur nachzuholen brauchte, um auch so reich zu werden?

Die herkömmliche linke Analyse und auch die mancher kirchlichen Kreise tut so, als beruhe unser Reichtum auf der Ausbeutung der armen Länder. Dem ist aber nur zum geringsten Teil so. Aktuell fließt zwar mehr Kapital aus der „3. Welt“ ab als investiert wird, aber im wesentlichen ist unser Reichtum aufgebaut durch die Knochenarbeit, die unsere Eltern, Großeltern, Urgroßeltern usw. geleistet haben. Der Hinweis auf die tatsächlich vorhandenen Fehlfunktionen der kapitalistischen Wirtschaft ist auch kein Argument gegen seine Vorzüge. Fehlentwicklungen muß man kritisch untersuchen, um sie dann nach Möglichkeit auszuschalten. Genau so ist es ja auch mit der ökologischen Modernisierung.

Sind die menschliche und ökologische Katastrophe nicht eher ein konstitutiver Bestandteil als eine Fehlentwicklung des weltweiten Kapitalismus?

Nicht notwendigerweise. Sowohl die liberalistischen wie sozialistischen Theorien des Marktes haben immer wieder naturgesetzartige Mechanismen unterstellt. Das sind Mythen, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben und die wir am Ende des Kalten Krieges endlich überwinden müssen zugunsten eines systemisch-evolutiven Denkens. Dann würde man erkennen, daß das, was am Markt passiert, bedingt wird durch technische, finanztechnische, rechtliche, wirtschaftliche, politische, ethische Voraussetzungen. Wenn Fehlentwicklungen am Markt auftreten, dann deswegen, weil manche dieser Bedingungen nicht so sind, wie sie anders sein könnten. Dann muß man sie eben ändern.

Nun sind es gerade die Opfer des Systems, die keine Möglichkeit haben, die Produktion, die Finanzwelt, das Recht usw. zu beeinflussen. Umgekehrt sind es die, die Elend und Naturzerstörung verursachen, die die Steuerungshebel in der Hand haben.

Wenn wir von den „3. Welt“-Ländern kurz wegkommen und uns konzentrieren auf die fortgeschrittenen Industrieländer, möchte ich behaupten, daß Ihre Aussage falsch ist. Einer Mehrheit hier, das sagt ja der Begriff „2/3 Gesellschaft“ aus, geht es gut, während eine Minderheit sich an den Rand und darüber hinaus gedrängt wiederfindet. Es kann durchaus sein, daß die wohlhabende Mehrheit ihren Wohlstand auf Kosten der Minderheit erhält. Die große Mehrheit jedenfalls empfindet das, was geschieht, nicht als Unrecht, sondern ist durchaus einverstanden.

Und die Minderheiten haben einfach Pech?

Damit möchte ich mich nicht abfinden.

Zurück zur Ökologie. Sie postulieren in einem Ihrer Bücher, Kapital und Ökologie seien keine Antagonismen, sondern ergänzten einander: Ökologie sei sparsam, um Ressourcen zu schonen, Kapital, um Profite zu maximieren. Historisch gesehen hat die kapitalistische Industriegesellschaft aber immer auf Kosten der Natur — und der Mehrheit der Menschen — funktioniert.

Sie werden doch zugeben müssen, daß historisch immer wieder Umweltprobleme aufgetaucht sind, die gelöst wurden. Man hat Grenzen erkannt und bestimmte Maßnahmen ergriffen, um die Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Diese Grenzen wurden immer dadurch bewältigt, daß die Grenzen des Agierens erweitert wurden, daß man also die Probleme auslagerte.

Das ist aber noch nicht die ganze Wahrheit. Diese Expansion war immer begleitet von technischen Innovationen und Produktivitätssteigerungen. Heute ist die historische Erstmaligkeit, daß es keine weißen Flecken auf der Landkarte mehr gibt, eine Ausdehnung der Grenzen also nicht mehr möglich ist, wir somit nur mehr die Chance haben, die Probleme durch Innovationen zu lösen. Das wird den Beteiligten, von den Wissenschaftlern über die Politiker zu den Managern, immer bewußter. Ich bin im Grunde also optimistisch, weil ich die Bedingungen heranreifen sehe, die das Umschalten von einem bürokratischen Umweltschutz auf einen innovativen, marktgerechten Umweltschutz ermöglichen, erzwingen und beschleunigen. Nur in einem solchen können die Techniker und Manager im Zusammenspiel mit Verbrauchern am Markt integrierte Lösungen suchen, die das Problem nicht lediglich verschieben, wie es die „end-of-pipe“- oder nachgeschalteten Technologien — wie zum Beispiel der Katalysator — tun.

Auch wenn Sie den Begriff „Technikgläubigkeit“ ablehnen, Ihr Plädoyer für technische Innovationen und Fortschritt verdient diese Bezeichnung.

Mein Fortschrittsbild verbindet sich nicht notwendigerweise mit der Vorstellung, daß die Dinge besser werden. Das ist ein kulturellmoralisches Urteil, das sehr unterschiedlich ausfallen kann. Ich würde Fortschritt so definieren, daß die Systeme sich weiter ausdifferenzieren und ihre Komplexität zunimmt. Das ist eine Modernisierung, die wir ohne Zweifel erleben.

Der Frage, ob es den Menschen dadurch auch besser geht, muß man sich allerdings schon stellen, wenn man zur Welt ein nicht bloß deskriptives Verhältnis hat.

Die moderne Gesellschaft kann heute die Grundbedürfnisse wie Essen, Kleidung, anständiges Wohnen befriedigen ...

... für vergleichsweise eine Minderheit ...

... nein, für alle. Gerade die ungeheure Produktivität des Systems erlaubt es, eine Weltbevölkerung von 12 Milliarden Menschen zu ernähren. Natürlich ist nicht nur die Produktivität, sondern auch die Destruktivität gestiegen. Das systemisch-evolutive Denken sagt uns nun, daß die Komplexität sich selbststeuernder Prozesse unser Wahrnehmungs- und Gestaltungsvermögen immer übersteigt. Man kann nur stattfindende Entwicklungen möglichst schnell begreifen und versuchen, die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, wie naive Stimmen verlangen, eine zuverlässige Technikfolgenabschätzung per Genehmigungsverfahren durchzuführen. Man kann etwa Gentechnik nicht darauf hin untersuchen, ob dabei was Schlimmes rauskommt und es dann unterbinden oder genehmigen. Das ist eine bürokratische Vorstellung. Man muß diese Entwicklung betreiben, allerdings offen und kritisch, man muß Wirkungen und Nebenwirkungen möglichst schnell erkennen und daraus Konsequenzen ziehen. Die beste Technikfolgenabschätzung passiert nicht in bürokratischen Prozeduren, sondern ...

... sondern in Tschernobyl etwa. Das war wohl ein überzeugendes Beispiel von Technikfolgenabschätzung.

Das ist ein sarkastisches, fast zynisches Beispiel. Es hätte nicht so weit kommen brauchen, wenn man aus der Debatte in der kritischen Öffentlichkeit Konsequenzen gezogen hätte. Die beste Technikfolgenabschätzung ist die, die einen möglichst offenen und kritischen Diskurs in der Öffentlichkeit verfolgt.

Vor einem halben Jahr sprach ich mit Otto Ullrich, der, ähnlich wie Sie, allerdings von einer ganz anderen theoretischen Position aus, großen Einfluß auf die Ökologiebewegung hat. Sein zentrales Motto lautet: „Die Gesellschaft entschleunigen“. Was würden Sie als Motto nennen?

Die ökologische Modernisierung beschleunigen durch Umschwenken vom bürokratischen Umweltschutz zu einem zivilrechtlich-marktwirtschaftlichen. Was die Entschleunigungsforderung betrifft, stimme ich ihr ja im Sinne einer kulturphilosophischen Kritik am industriellen Status quo zu, in praktische Politik gewendet ist sie aber illusorisch, weil mir meine Analyse sagt, daß der Prozeß der Beschleunigung seine Grenzen noch nicht erreicht hat.

Illusorisches zu fordern widerstrebt Ihnen?

Völlig, weil man seine Existenz unsinnig opfert. Man begibt sich in Abseitspositionen, ohne etwas zu bewirken. Otto Ullrich warf mir vor, daß ich damit einen Ökokapitalismus vertrete. Wenn man es so nennen will, dann meinetwegen.

Danke für das Gespräch.