FORVM, No. 305/306
Mai
1979

Der Direktor und seine Leute waren zu allem fähig

Erlebnisse eines Schülerzeitungsredakteurs
N. N.

Das Ganze begann eigentlich recht harmlos. Nach einer unserer ersten Redaktionsbesprechungen setzten wir uns in einem verrauchten Café zusammen. Jeder redete frei von der Leber über seine Schulsorgen. Der „Baron“ ließ sich unheimlich über seinen Direktor aus. Er erzählte die ärgsten Schauergeschichten mit einer Selbstverständlichkeit, daß es einem kalt über den Rücken lief. Beiläufig erwähnte er, daß sein Direktor einen Schüler blutig geprügelt hatte, bloß weil der am Skikurs ein bißchen zuviel getrunken hatte. Wenn ihn nicht einer von uns unterbrochen und gefragt hätte: „Sag, weißt du überhaupt, was du da sagst?“, hätten wir die Sache sicher überhört.

So wurden wir aufmerksam. Was lag näher, als diese Geschichte in der nächsten Nummer unserer Schülerzeitung, der Kritik, aufzugreifen. Wir begannen, wie die Wahnsinnigen zu recherchieren. Alles, was der „Baron“ gesagt hatte, stimmte. Direktor Haunschmied hatte während eines Skikurses den Schüler Michael Urwalek durch Hiebe ins Gesicht blutig geschlagen und anschließend derart in den Magen geboxt, daß sich Urwalek übergeben mußte. Das war so ziemlich der krasseste Fall, den wir in Erfahrung bringen konnten, aber viele kleine Mosaiksteinchen aus dem Schulalltag im Marianum ergaben ein Bild, das diese Szene abrundete.

Weil unser verantwortlicher Redakteur so schrecklich vorsichtig ist, mußten wir für jede Behauptung, die wir schreiben wollten, zwei Zeugen haben. „Falls einer umfällt“, hieß es. Damals haben wir ziemlich gemeckert, aber heute sind wir froh, daß die Sache so gut abgesichert ist. Denn unser Artikel enthält ja allerlei Zündstoff. Deshalb glaubten wir auch, daß nach seinem Erscheinen irgend etwas passieren müßte. Wozu gibt’s Behörden, Vorgesetzte, Kontrollinstanzen ?

Vorerst passierte gar nichts. Obwohl wir allen „zuständigen Stellen“ die Zeitung schickten, mit einem Begleitbrief „Bitte um Prüfung der Vorfälle“. Vier Monate später kam ein Brief vom Stadtschulratspräsidenten, in dem er uns mitteilte, daß er unsere Zeitung erhalten hätte und „sofort darauf“ eine Untersuchung eingeleitet hätte. Seit diesem Schreiben sind wieder sechs Monate vergangen, und wir haben nichts mehr von ihm gehört. Dafür sagte uns so ein Ministerialrat im Unterrichtsministerium, daß sich der Herr Sektionschef persönlich die Leitung der ▒▒▒▒▒ [*]

Ministerialrat Leitner
kann nichts dafür

Reaktionen gab’s dafür von Schülern. Die waren zuerst hellauf begeistert. Wir bekamen einen ganzen Haufen neuer Informationen über den merkwürdigen Herrn Direktor, und etliche Schüler sagten uns, wie toll sie das fänden, daß wir uns so etwas schreiben trauen. Sogar Eltern gratulierten uns. Eine Frau rief bei einem unserer Redakteure an und erzählte ihre Leidensgeschichte mit Direktor Haunschmied. Wir hatten also bald einen neuen Artikel zusammen, der zwei Nummern nach dem ersten Haunschmied-Bericht herauskommen sollte. Tja — sollte. Denn er kam nicht.

Dafür sorgte der Herr Direktor mit allem Eifer. Mit großem Paukenschlag begann er die Informantenhatz. „Ich werde die Informanten noch ausfindig machen, und dann gnade ihnen Gott!“ schrie er. Zuerst wurde ein Schüler in Haunschmieds Kanzlei beordert, der gar nicht recht wußte, wie ihm geschah. Wir kannten den Knaben nicht und er uns nicht. Erst im Laufe des Gesprächs kam der verschreckte Schüler dahinter, warum gerade er verhört wurde: Er war über ein paar Ecken mit einer unserer Redakteurinnen verwandt, trug denselben Namen daher mußte ihm auf den Zahn gefühlt werden.

Ähnlich erging’s einem Schüler, der mit einem Kritik-Verkäufer vor der Schule gesprochen hatte. Auch er wurde verdächtigt, eingeschüchtert. Natürlich stand auch der Schulsprecher auf der Abschußliste. Er war von Anbeginn seiner Amtszeit verdächtig, weil er der erste Schulsprecher war, der nicht den politischen Erfordernissen entsprach, die man in katholischen Privatschulen an Schulsprecher stellt: beim MKV zu sein. Außerdem war er Augenzeuge der Prügelszene. Haunschmied brüllte ihn an, er werde dafür sorgen, daß er als Schulsprecher abgesetzt werde, daß diese Elemente von der Schule fliegen werden etc.

Der Terror richtete sich aber nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern gegen alle Schüler. Und so kam es, daß uns eines Tages eine Schülerdelegation aus dem Marianum aufsuchte, um uns mitzuteilen, daß wir den geplanten Artikel über die weiteren Schweinereien nicht bringen dürften. Was sollten wir tun? Also, wir brachten ihn nicht. Wer in keiner Schule sitzt, kann uns leicht Hosenscheißer schimpfen.

Direktor Haunschmied
regiert mit fester Hand

Die Herren von der Behörde, die da monatelang Dinge untersuchten, die wir in zehn Tagen herausgefunden hatten, ließen nichts von sich hören. Die haben ja keine Ahnung, welchem Druck man da ausgesetzt ist, bloß weil man die Wahrheit über irgendwelche gottverdammten Schweinereien schreibt. Der Haunschmied und seine Leute waren zu allem fähig.

Als wir vor dem Marianum wieder einmal unsere Zeitung verkauften, wollten uns die doch glatt mit der Funkstreife abführen lassen. Sie hatten ohnehin keine Chance, weil wir im Recht waren. Außerdem bissen die Polizisten nicht ganz so, wie sich das die Lehrer vorgestellt hatten. Es ist schon merk- und denkwürdig, daß hierzulande die Exekutive freundlicher ist als die Herren Professoren.

Da bot sich eine gute Gelegenheit, die festgefahrene Situation ein bißchen in Bewegung zu bringen. Christian, ein Redakteur von uns, nahm an einer Club 2-Diskussion zum Thema „Schülerselbstmorde“ teil. Einer seiner Mitdiskutanten: jener Sektionschef vom Unterrichtsministerium, der sich angeblich die Prüfung der Haunschmied-Angelegenheit persönlich vorbehalten hatte. Ein gewisser Leo Leitner. Als Christian kurz den Fall Haunschmied erwähnte, fiel ihm Leitner sofort ins Wort und erklärte breitspurig: „Also wenn Sie den Fall ansprechen, da muß ich Sie gleich unterbrechen, weil ja Ihrer Zeitung in diesem wie auch in anderen Fällen eklatante Unwahrheiten nachgewiesen wurden.“ Er sagte dann noch etwas von schlampiger Recherche und absichtlichem Generalisieren, und dann griff der Diskussionsleiter ein. Nicht aber auf Seite der Schwächeren, sondern zugunsten des Herrn Sektionschefs. Die Sache war erledigt.

Ploing. Da saßen wir nun wie begossene Pudel. So einfach geht das bei uns. Kusch, blöder Schüler. Der Haunschmied hat nie geschlagen, der Urwalek hat nie geblutet. Wir müssen uns im Fernsehen verleumden lassen. Aber keiner von den „Untersuchenden“ hat sich bis heute die Mühe gemacht, mit dem geschlagenen Schüler zu sprechen. Kein einziger Zeuge des Vorfalls wurde um seine Beobachtungen gefragt. Wir haben bis heute keine Untersuchungsergebnisse gesehen.

Aber wir wollten nicht aufgeben. Wenn du dir selbst nicht helfen kannst, hilft dir nicht Gott, sondern ein Ombudsman, dachten wir uns. Wir machten uns auf den Weg in die Kronen-Zeitung, wo gerade Hübl ins Amt getreten war, Retter der Armen, Helfer der Verzweifelten zu sein. Nachdem wir unsere Geschichte einer enthusiastischen Hübl-Mitarbeiterin erzählt hatten, trat der Meister selber auf den Plan und erklärte uns, daß er sich nicht zum „Fahnenträger“ unserer „Revolution“ machen lasse, daß er nicht daran denke, unseren Dreck wegzuwischen. Nachher erfuhren wir, daß Hübl seinen Sohn gerade im Marianum angemeldet hatte. Ombudsman mit Maulkorb!

Ich könnte jetzt noch erzählen, wie fertig wir waren und all das. Aber das bringt ja nichts. Wir haben uns gedacht, wenn wir uns jetzt schon so auf die Sache eingelassen haben, dann soll sie ein würdiges Ende finden: Wir haben Sektionschef Leitner auf „üble Nachrede“ geklagt, weil er uns „eklatante Unwahrheiten“ vorgeworfen hat. Auf diese Weise wird der Fall doch noch geprüft. Vor Gericht. Ob dort die Wahrheit siegen wird?

[*▒ hier dürfte in der gedruckten Ausgabe mindestens eine Zeile dem Umbruch zum Opfer gefallen sein.

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