MOZ, Nummer 57
November
1990
Buchhandel

Der Überlebenskampf der ostdeutschen Verlage

Noch einmal, wahrscheinlich zum letzten Mal, standen die ostdeutschen Verlage auf der Frankfurter Buchmesse in einem eigenen Eck, hinter Italien, Afrika, der Karibik und Hongkong. Jetzt, im vereinten Deutschland, haben auch sie sich der bundesdeutschen Realität anzupassen.

Neben anderen, nicht unbedingt erfreulichen Phänomenen der Kultur im realen Sozialismus verschwinden allmählich auch die manchmal schäbigen, oft aber auch sehr wohlfeilen und nicht uninteressanten DDR-Bücher und Klassikerausgaben vom Markt. Schon letztes Jahr krachte Pahl-Rugenstein, ein DKP-orientierter Verlag, der neben aktuellen politischen und historischen Analysen auch schöne Bücher aus der „Dritten Welt“ verlegte, nieder: Name und etliche Autorenverträge wurden westdeutscherseits aufgekauft und fanden sich in einer kleinen Koje auf der Messe ausgestellt. Der große deutsche Medieneinheitsmarkt frißt sich erbarmungslos seinen Weg. Mit dem Fehlen staatlicher Subventionen — die großzügig für die einschlägige politische Literatur, aber auch für wunderschöne preiswerte Klassikerausgaben, Ostliteratur, Frauen- und „Dritte Welt“-Bücher flossen — steht der ehemals ostdeutsche Verlagsbereich vor der Stunde Null. Entweder vereinigen sich die Verlage mit ihren westdeutschen Pendants, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden oder als eigenständiger westdeutscher Teil aufrecht blieben (wie z.B. J.H.W. Dietz), oder sie versuchen, ihre bisherigen Schwerpunkte den neuen Gegebenheiten anzupassen. Zweifellos wird es einigen Fachverlagen für Architektur, Technik oder Landwirtschaft gelingen, sich mit ihrem speziellen Verlagsprogramm zu behaupten. Einen nicht geringen Teil ihrer Geschäfte hatten sie ohnehin schon im Westen getätigt. Große, gut eingeführte Verlage, die mit einer gewissen Anhänglichkeit ihrer ostdeutschen Leserschaft rechnen können, haben dadurch die selben Chancen, die einem neugegründeten westdeutschen Verlag eingeräumt werden können. Die anderen müssen zusperren.

Vom stalinistischen Regen in die medienkapitalistische Traufe

Wie schade oder auch nicht das ist, muß im Einzelfall beurteilt werden. Die Blüten der stalinistischen Propaganda oder ödester Ostblockrealismus werden eigentlich niemandem abgehen, für junge, kritische Literatur und Wissenschaft war bekanntlich ohnehin kein Platz am ostdeutschen Buchmarkt

Wie große Chancen die neugegründeten kleinen, im weiteren Sinne kritischen Verlage haben, läßt sich leider relativ einfach von den bundesdeutschen Verhältnissen her beurteilen. Die Situation für Kleinverlage generell hat sich in den letzten Jahren wesentlich verschärft. Die kleinen Verlage und ihr publizistisches Umfeld erweisen sich als Experimentierfeld für die Großverlage, die ihnen die Mühe und das Risiko von Erstveröffentlichungen neuer Autorinnen und Autoren oder die Einführung neuer Themengebiete (wie Ökologie oder Frieden) überlassen, in Ruhe die Entwicklungen des Käuferinteresses abwarten und im Erfolgsfalle Titel und Rechte kaufen und dann mittels preisgünstiger Ausgaben den Rahm abschöpfen. Durch die modernen Produktionstechniken sind die Großen auch in der Lage, preisgünstige Kleinauflagen von einigen tausend Stück auf den Markt zu bringen und so den Kleinverlagen ihren ohnehin bescheidenen Marktanteil abzunehmen.

Die Buchhandlungen, die von der Fülle der Neuerscheinungen überrollt werden und deren Verkaufsfläche von den Ständern der Taschenbuchreihen dieser Großverlage vollgestellt ist, sind kaum mehr in der Lage, Titel von kleineren Verlagen auf Lager zu halten. Sie sind auch zunehmend weniger bereit, solche Titel auf Anfrage zu bestellen. Angesichts dieser Erfahrungen werden die kritischen Verlagsprojekte im ehemaligen Osten genau wie die im ‚Westen‘ Deutschlands haft zu kämpfen haben.

Buchhandelsketten nun in privater Hand

Wie wird es dem Buchhandel im früheren Ostdeutschland ergehen? Nach Jahren, in denen ganz- und halbstaatliche Buchhandelsketten das Bild bestimmten und das Wohl und Wehe von Einzelbuchhandlungen von ihrer Zuteilungsquote an Büchern abhing, ist der nicht mehr ‚planmäßig‘ bestimmte Bucheinkauf sicherlich eine Wohltat. Andererseits wäre es unrealistisch, sich über den Kundengeschmack allzu viele Illusionen zu machen. Es käme doch eher überraschend, wenn Menschen, die mehrheitlich Kohl wählen und sich für westliche Konsumgüter begeistern, plötzlich, nur weil auf einmal erhältlich, massenweise kritische Literatur und Wissenschaft kaufen. Ein gewisser Aufholbedarf, z.B. an sozialwissenschaftlicher Literatur, ist natürlich zu verzeichnen; im Rahmen einer früher oder später, stärker oder bescheidener zu erwartenden Vergangenheitsbewältigung wird wahrscheinlich auch ein gewisser Bedarf entstehen, aber nach Meinung Berliner Auslieferer könnte sich dieser ohne weiteres auf die Dimensionen üblicher Regionalgeschichte beschränken.

Momentan kaufen sich große Buchhandelsketten ein, neugegründete Buchhandlungen tauchen auf und verschwinden (großteils) wieder; Berlin boomt, die früher günstigen Mieten steigen um ein Vielfaches, die Konkurrenz verschärft sich allgemein.

Sonderausgabe des Börsenblattes für den Deutschen Buchhandel (Ost); zum ersten Mal — zum Unmut des Publikums — nicht kostenlos

Ohne Subvention kommt die Arbeitslosigkeit

Für die vielen Menschen, die in Verlagen gearbeitet haben, bedeutet die Umstellung auf westliche Realitäten den Verlust ihres Arbeitsplatzes ohne große Aussichten auf einen neuen. Die verzweifelten Versuche, diese Entwicklung aufzuhalten, wirken nicht unbedingt vielversprechend. Es scheint mir auch fraglich, ob tatsächlich eine Aufwertung der Leipziger Buchmesse gelingt. Obwohl sie jahrhundertelang in ernsthafter Konkurrenz zur Frankfurter Buchmesse stand, wurde der Buchteil in den letzten Jahrzehnten auf ein Anhängsel der Leipziger Frühjahrsmesse reduziert und war nur für den östlichen Buchmarkt interessant. Trotz offensichtlich intensiver Werbeanstrengungen hat eine zweite allgemeine Buchmesse neben Frankfurt und den verschiedenen Fachbuchmessen wie Kinderbücher in Bologna oder der zweijährlichen Frauenbuchmesse keine allzu großen Chancen.

Wer — außer der Bildzeitung — jubelt eigentlich?

Die atemberaubend eilige Wiedervereinigung — oder eher Einverleibung — der DDR in den bundesdeutschen Markt und den Geltungsbereich bundesdeutscher Gesetze ist bekanntlich kein reiner Segen: neben der längst überfälligen Schließung hochgiftiger Fabriken und Bergwerke fällt die frauenfreundlichere Abtreibungsregelung. Für die Verlagsbranche gilt ähnliches: Die Probleme mit der ideologischen Reglementierung sind ausgestanden, dafür droht die beinharte Konkurrenz des immer enger werdenden deutschsprachigen Buchmarktes. Der ewige Papiermangel droht den Verlagen nicht mehr wegen planwirtschaftlicher Engpässe, sondern wegen mangelnder finanzieller Ressourcen zum existentiellen Problem zu werden. Da ist dann schon einmal ein gut eingeführter, an sich nicht übler DDR-Verlag für ein paar zehntausend Mark zu haben.