Der Wahnsinn hat Methode
Am 6. November findet in Innsbruck der Prozeß gegen jene Frauen statt, die gegen die zwangsweise Einweisung einer Frau in die Psychiatrie protestierten.
Am Abend des 4. September 1989 wurde in Innsbruck eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie, unter Anwendung von brutaler Gewalt von Seiten des Amtsarztes und der Polizei, gegen der Willen der ‚einzuweisenden‘ Frau und gegen den Willen der anderen beteiligten Frauen durchgesetzt.
Frau A (Synoym für die zwangseingewiesene Frau) ist unter großem Einsatz von Polizei, Feuerwehr und Rettung aus eine Frauenwohngemeinschaft gewaltsam herausgeholt und in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie zwangseingewiesen worden. Die Einsatzleitung lag, laut Akt, bei der Staatspolizei. Der Aufenthaltsort von Frau A wurde von ihrer Therapeutin, die vorher von den Frauen der WG kontaktiert wurde, an die Polizei und Psychiatrie weitergegeben.
Nach dem Einsatz wurde ein offener Brief im Stadtteil und in Frauenzeitungen veröffentlicht, um die Hintergründe des Polizei- und Feuerwehreinsatzes zu vermitteln und eine erste Öffentlichkeit herzustellen. In diesem Brief heißt es u.a.: „Wir aber wollten Frau A nicht in die Psychiatrie abschieben, weil wir weder in der Verwahrung von Frauen in psychiatrischen Anstalten noch in der medikamentösen Behandlung, die sie dort erhalten eine Lösung sehen — im Gegenteil. Frauen, die in der Psychiatrie waren, erzählen, daß ihnen durch die Verabreichung von Medikamenten und durch das Nicht-Eingehen auf ihre Situation, diese Zeit, die Verzweiflung und der Umgang damit genommen, ihnen ein Stück Lebensgeschichte enteignet wurde. Durch die starken Medikamente (Neuroleptika) können sie sich nachher kaum noch an die Zeit erinnern; es bleibt ein dunkles Loch und die ständige Bedrohung, daß ‚es‘ wieder einmal ‚passiert‘. Daß ‚es‘ zum größeren Teil Frauen ‚passiert‘, in Psychiatrien zwangsweise eingewiesen, angehalten und psychiatrisiert zu werden, wird in unseren patriarchalen Herrschaftsverhältnissen totgeschwiegen. Psychiatrie wird somit zu einer Form institutionalisierter Gewalt, um Normierung weiblichen Verhaltens und Disziplinierung von Frauen zur heterosexuellen Lebensform durchzusetzen. Die medizinischen Rechtfertigungen dieser Institution verschleiern nur ihren Gewaltcharakter, der jedoch bei sog. Nicht-Freiwilligkeit durch ZWANGSeinweisung, ZWANGSanhaltung, ZWANGS‚behandlung‘ offensichtlich wird.
Psychiatrie verstehen wir demnach als patriarchale Gewaltinstanz, die Schmerz, Zorn, Leid und Gewalterfahrungen von Frauen pathologisiert und mit Medikamenten bzw. Elektro-Schocks knebelt.
Uns geht es aber darum, unseren Schmerz, Zorn und unser Wissen um Gewalterfahrungen, die ein Potential für unseren Widerstand sind, in unser Leben zu integrieren und unseren Zorn und Widerstand gegen jene zu richten, die Gewalt ausüben.
Die Instanz Psychiatrie versucht jedoch, diese Erfahrungen von uns abzuspalten, zu kontrollieren und in Krankheitsbildern zu verwalten.
Mit den eingeleiteten Strafverfahren ist klar geworden, wie Staatsanwaltschaft, Polizei, Gericht und Psychiatrie auf den Widerstand von Frauen gegen die zwangsweise Einweisung in die Psychiatrie und die Veröffentlichung ihrer Durchsetzung reagierten. Zunächst erhielten die Frauen eine Verwaltungsstrafe wegen Lärmbelästigung, eine Ordnungsstrafe wegen Aussageverweigerung bei Ladung als Zeuginnen gegeneinander und laut Aussage eines einvernehmenden Beamten auch eine Eintragung in die STAPO-Akte. Als zweiter Schritt wurde ein Strafverfahren wegen „übler Nachrede“ auf Grund der Veröffentlichung des Offenen Briefes gegen sie eingeleitet.
Die Anklage bezieht sich auf folgende Passagen des Offenen Briefes: „Der Amtsarzt wollte Frau A weder sprechen noch sehen, er wollte nur mit allen Mitteln ihre Abholung erzwingen. ... Es lag also weder ‚Selbstgefährdung‘, im Sinne von selbstmordgefährdet, noch ‚Fremdgefährdung‘, im Sinne von Agressionen gegen andere, vor. ... Für uns wurde wieder deutlich, daß es ihm nicht um Frau A ging, sondern nur um die Durchsetzung seiner Macht. ... Der Amtsarzt Sourour machte daraus ein Machtszenario, das wir Gewalt nennen. Er wollte ... eine Zwangseinweisung mit allen Mitteln bewirken.“
„Der erste Schritt mit dem am 6. November stattfindenden Prozeß politisch umzugehen ist, uns gemeinsam als Frauengruppen dazu zu verhalten. Der Ort, das Gericht ist uns aufgezwungen. Wie wir uns an diesem Ort verhalten, wollen wir selbst bestimmen. Um das trotz der vorgegebenen Struktur einer Gerichtsverhandlung durchsetzen zu können, brauchen wir eine Frauenöffentlichkeit im Gerichtssaal und darüber hinaus. Es geht nicht darum, nach der Logik der Gerichte sich als ‚schuldig‘ oder ‚unschuldig‘ darzustellen, sondern darum, das einzelnen Frauen Vorgeworfene in einen politischen Zusammenhang zu stellen: D.h. die Psychiatrie als Institution der Disziplinierung und Ausgrenzung zu benennen, d.h. Gerichte und Polizeiapparate als Hüter der kapitalistisch-patriarchalen Ordnung zu begreifen, d.h. weiters, zu zeigen, daß in der Zwangseinweisung in die Psychiatrie die Befugnisse aller drei Repressionsapparate Zusammentreffen. Das Gesetz legitimiert die Psychiatrie als den Ort der Verwahrung, besonders für Frauen, die den HERRkömmlichen Normen nicht entsprechen (wollen). Den Frauen, die diese Zusammenhänge und die darin handelnden Täter öffentlich benennen, droht durch Paragraphen wie den der ‚Üblen Nachrede‘ (§111 StGB) oder den der ‚Verleumdung‘ (§ 297 StGB) die Kriminalisierung“, heißt es in dem Flugblatt zum Prozeß.
Für Frauen, die Interesse am Prozeß haben, gibt es die Möglichkeit zu schreiben an: „Frauensolidaritätsgruppe gegen Kriminalisierung von Frauenwiderstand“, Autonomes Frauenzentrum, Liebeneggstr. 15, 6020 Innsbruck oder anzurufen am 6.11. ab 10h, Tel.: 0512/58 08 39.
DRINGEND nötig sind Spenden für die zu erwartenden Prozeß- und Anwaltskosten:
Spendenkonto PSK Privatsparbuch, Nr. 17.614.991
Stichwort: Psychiatrie
