Wurzelwerk, Wurzelwerk 28
März
1984

Die Grenzen des quantitativen Wachstums

Chance für eine umweltfreundliche Wirtschaftsform?

Die „unbestrittene Bibel der Ökonomen“ (M. Blaug) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war nicht das Werk von A. Smith, nicht das Buch von Ricardo — mit dem sie allerdings den Titel gemeinsam hatte — und sicher auch nicht das „Kapital“ von Marx. Vielmehr waren es die „Principles of Political Economy“, die J. St. Mill 1848 in erster Auflage erscheinen ließ. Knapp 125 Jahre später erregte eine Studie großes Aufsehen in der Öffentlichkeit und vehementen Widerspruch der Ökonomen zur darin entwickelten These von den „Grenzen des Wachstums“.

In beiden Büchern wird über — wie es heute heißt — Nullwachstum geschrieben. Als Rezept gegen die in Computer-Simulationen vorweg genommenen Katastrophenoutputs in dem einen. Als angenehmer stationärer Zustand — so hieß es damals — in dem anderen, älteren:

I cannot, therefore, regard the stationary state of capital and wealth with the unaffected aversion so generally manifested towards it by political economists of the old school. I am inclined to believe that it would be, on the whole, a very considerable improvement on our present condition. I confess I am not charmed with the ideal of life held out bythose who think that the normal state of human beings is that of struggling to get on; that the trampling, crushing, elbowing, and treading on each other’s heels, which form the existing type of social life, are the most desirable lot of human kind, or anything but the disagreeable symptoms ofone of the phases of industrial progress.

So schrieb der einflußreichste Lehrbuch-Ökonom des vorigen Jahrhunderts. Warum reagierten die zeitgenössischen Ökonomen so bitter auf die Forderung nach Nullwachstum im Jahre 1972? Weil Wachstum nach 1945 im Wettlauf der Systeme die wichtigste Qualitätsmarke wurde und Volkswirtschaften zuerst nach ihrem Rang in der Wachstumsliga beurteilt wurden. Es ist eine bittere Ironie, daß knapp nach Erscheinen der „Grenzen des Wachstums“ — in einer ausgeprägt kräftigen Wachstumsperiode — das geforderte Nullwachstum in fast allen westlichen Ländern (auch in Österreich 1975) eingetreten war. Nicht als Ergebnis wirtschaftspolitischer Lenkungskunst natürlich, sondern als Folge von Ölpreisen und marktwirtschaftlicher Dynamik.

Inzwischen lebt und rechnet man mit kleinen Raten: Das Realwachstum des Sozialprodukts wird in den westlichen Ländern in den achtziger Jahren niedriger sein als im vergangenen Jahrzehnt und davor (Europ. OCED-Länder: Durchschnitt 1969-1979 bei 3,3%; Durchschnitt 1980-1982 bei 0,9%. Die entsprechenden Zahlen für Österreich sind 4,1% bzw. 1,6%. Nach OCED, Economic Outlook, December 1981). Bedeutet niedrigeres Wachstum bessere Bedingungen für eine gute Umwelt? Dies ist die These der Freunde des Nullwachstums. Wachstumsstopp zur Erhaltung der Umwelt. Nun sind die Wachstumsraten gefallen. Material- und Energiedurchfluß sind weniger stark angestiegen, damit zunächst auch sicher die Umweltbelastung durch Produktion und Konsum. Für die Umweltpolitik aber sind die Bedingungen schlechter geworden. Das amerikanische Beispiel der sogenannten Deregulierung zeigt, daß ökologische Zielsetzungen schnell zugunsten einer Wirtschaftsankurbelung — auf Kosten der Umwelt — geopfert werden können.

Es gilt festzuahlten: Schonung der Umwelt ist eben nur ein Ziel neben anderen. Hebung des Lebensstandards, akzeptierte Wohlstandsverteilung und Sicherung der Arbeitsplätze sind andere gesellschaftspolitische Zielsetzungen, die mit dem ökologischen Ziel konkurrieren und ihm heute auch zuwiderlaufen können. Nicht Nullwachstum hilft hier weiter, sondern umweltfreundlicheres, eben qualitatives Wachstum: Wohlstandssteigerung (selbst wenn sie durch den unvollkommenen Maßstab des BSP ausgedrückt wird) bei relativer (oder z.T. sogar absoluter) Senkung von Material- und Energieeinsatz und Minderung kompensatorischer Kosten im Umwelt- und Gesundheitsbereich.

Wie ist qualitatives Wachstum zu erreichen? Drei Vorstellungen werden behandelt: Alternativbewegung, Postindustrielle Gesellschaft und Bekämpfung der Stagnation durch Politik für qualitatives Wachstum.

Schafft die Alternativbewegung eine umweltfreundlichere Wirtschaftsform?

Ist eine „umweltfreundlichere Wirtschaftsform“ (so der Titel des Referats) nun gleichbedeutend mit Produktions- und Lebensformen, wie sie die sogenannte Alternativbewegung (z.T. nichtmonetäre Wirtschaft, außerhalb des Marktes) versucht und empfiehlt? Sind von einer weniger konsumintensiven Arbeits- und Lebensweise Verringerungen der Umweltbelastung zu erwarten?

Eines der zentralen Leitbilder der ökologischen Alternativbewegung ist der Versuch, mit weniger besser leben zu wollen. Kann das von ökologischer Relevanz sein? Wohl kaum. Ein solches Experiment kann nur einen geringen Teil der Bevölkerung berühren. Alternative Lebensstile sind für die große Mehrheit der Bevölkerung nicht relevant, vielleicht auch nicht wünschbar, sicher aber nicht durchzusetzen. Es sind vor allem drei Bedingungen in unserer Gesellschaft, die dagegen stehen: Massenproduktion, Verstädterung und Geldwirtschaft. Solange diese Bedingungen bestehen, ist eine einfache Ersetzung von Erwerbsarbeit durch Eigenarbeit nicht möglich. Heute verfügen nur noch sehr kleine Gruppen, vor allem auf dem Lande, über die Möglichkeiten (Gelände, Gebäude, Fähigkeit), die ihnen eine teilweise und relativ bescheidene Selbstversorgung ermöglichen. Die große Mehrheit der Bevölkerung in den Großstädten ist davon ausgeschlossen, sie muß auf industrielle Art versorgt werden. Ein nichtmonetäres Wirtschaftspotential gibt es nur in Ansätzen. Es wird auch kaum herzustellen sein, es sei denn in Form einer Krisen- oder Armutsökonomie, wie man sie aus der Nachkriegszeit kennt.

Wie steht es mit dem innovativen Potential der Alternativbewegung? Hier muß man genau hinsehen und unterscheiden. Ideen wie Wirtschaftsschrumpfung, asketischer Lebensstil, Konsumaskese, Sozialstaatsabbau, Rückkehr zu Formen von patriarchalischer Familie zeugen weniger von einem innovativen als von einem restaurativen Potential der Ökologiebewegung. Positiv dagegen scheint der Impuls für technische Innovation zu sein. Nicht in dem Sinne, daß die Ökologiebewegung solche technischen Innovationen entwickeln und selbst einführen kann, aber indem sie entscheidende Anregungen gibt. Dazu gehört ein neuer Sinn für angemessene Größenordnung, die Betonung von möglichem umweltverträglichem sowie rohstoff- und energiesparendem Wachstum durch neue Technologien wie Mikroelektronik, Biotechnologie und Solartechnik. Eingeführt werden können solche Verfahren nur durch die Industrie, zum Teil auch mit massiver staatlicher Hilfe. Bei der Anregung und auch bei der Vorbereitung der sozialen Akzeptanz solcher Verfahren hat die Ökologiebewegung aber Anteil.

Das Schwergewicht des Innovativpotentials der Alternativbewegung liegt aber vor allem auf sozialem Gebiet, bei dem Erproben neuer Formen des Zusammenlebens und -arbeitens. Soziale Innovation wird von besonderer Bedeutung, wenn die verfügbare Freizeit weiter steigen wird. Aber fragen wir zunächst, ob mehr Freizeit an sich schon ein Beitrag zu einer umweltfreundlicheren Wirtschaftsform darstellt. Das ist nicht sicher: Moto-Crossfahren, Surfen, Angeln, Lesen; die Umweltbelastung ist ganz verschieden. Sicherlich wird aber auch mehr Nachfrage nach personenbezogenen Dienstleistungen angeregt werden, die in der Regel weniger an Umwelt, Rohstoffen und Energie verbrauchen als Produktion und Konsum materieller Güter.

Die Aufgabenteilung bei der Bereitstellung derartiger personenbezogener Dienstleistungen (Bildung, Kultur, Gesundheit) zwischen Wirtschaft (Markt), Staat und privaten Haushalten könnte sich dabei verschieben. Denn in dem Maße, in welchem die Organisation, Finanzierung und Bereitstellung solcher Dienstleistungen zunehmend vom Staat erwartet wird, ergeben sich Probleme, die nicht mit den Stichworten Staatsquote und Bürokratie angedeutet sind. Eine Rückverlagerung personenbezogener Dienstleistungen in die private Sphäre — und hier liegt der experimentell-innovative Impuls der Alternativbewegung — sollte nicht verwechselt werden mit der häufig erhobenen Forderung nach einer „Reprivatisierung staatlicher Aufgaben“, d.h. nach einer marktmäßigen Abdeckung solcher Dienstleistungsbedürfnisse. [1] Vielmehr geht es hier nicht um Vermarktung, sondern um Rückführung — sozusagen aus dem bürokratischen Staat am anonymen Markt vorbei — in den Bereich der „ganz privaten“, nichtmonetären Wirtschaft. Eine derartige Dienstleistungserstellung bedeutet umweltfreundliches Wachstum, ohne daß der Staat sich finanziell und organisatorisch übernimmt.

aus: „Wege aus der Umwelt- und Wirtschaftskrise“, ÖGNU 10/82. Der 2. Teil erscheint im „Wurzelwerk“ 4/84

[1Ausführlich dazu Rosanvallon, P., La Crise de l’État-Providence, Paris 1981, insb. S. 109 ff.

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