Grundrisse, Nummer 2
Juni
2002
Joseph Stiglitz:

Die Schatten der Globalisierung

Siedler Verlag 2002, 303 Seiten

Joesph Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2001 hat nun ein auch für Nichtökonomen lesbares Buch vorgelegt, in dem er vor allem seine Kritik an der Politik des IWF darlegt. Insofern ist der Titel etwas zu weit gefasst. Das Buch dreht sich weniger um die Globalisierung im allgemeinen als um die verheerenden Folgen der Politik des IWF in Südostasien, Lateinamerika und Russland.

Stiglitz wurde in den letzten Jahren zu einem der prominentesten Kritiker von IWF und Weltbank. Seine Analysen sind insbesondere deswegen interessant, weil sie von einem „Insider“ stammen: Stiglitz war von 1997 bis 1999 Chefökonom der Weltbank und hat daher hautnah erlebt, wie die Entscheidungsfindung in IWF und Weltbank funktioniert und welchen Interessen diese beiden Institutionen zum Durchbruch verhelfen bzw. welche unter die Räder kommen.

Verwunderlich ist es aber, dass er die Politik des IWF erst erkannt hat, als er seine Tätigkeit im Dienst der Weltbank aufgenommen hat. So schreibt er, er „hätte es sich nie träumen lassen, dass eines der größten Hindernisse für die Entwicklungsländer“(S. 39) - der IWF sei. Als Stiglitz dies feststellte, konnte man schon auf eineinhalb Jahrzehnte verfehlter neoliberaler Strukturanpassungsprogramme des IWF in Lateinamerika zurückblicken, die zwar den Staaten ein neoliberales Wirtschaftsmodell aufzwangen, nicht aber den Lebensstandard der Menschen verbessert oder die Verschuldung reduziert hätten.

Und so ist das Buch für jene, die sich bereits mit der Materie beschäftigt haben, keines, das neue Erkenntnisse bringt, weil Stiglitz aus seinen Erfahrungen jene Kritikpunkte schlussfolgert, die von der Linken seit zwei Jahrzehnten formuliert werden. Trotzdem ist das Buch lesenswert, weil es Details und Hintergrundinformationen über IWF und Weltbank „von innen“ bringt.

Die Tatsache, dass der IWF bei völlig unterschiedlichen Problemen immer dasselbe Programm vorgeschlagen hat, bringt Stiglitz pointiert auf den Punkt: „Wenn man einem Papagei den Spruch ‚fiskalische Austerität, Privatisierung und Marktöffnung’ beigebracht hätte, dann hätte man in den achtziger und neunziger Jahren auf den Rat des IWF verzichten können.“

Stiglitz analysiert, dass der IWF nicht (mehr) den Interessen der Weltwirtschaft, sondern denen der Finanzwelt dient. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt er, dass die Kredite des IWF, die den von Finanzkrisen betroffenen Ländern gewährt wurden, stets den westlichen Gläubigern ermöglicht haben, ihr Kapital ohne große Verluste abzuziehen („bail out“), während die verarmte Bevölkerung den Gürtel enger schnallen musste. Während etwa in Russland die Renten und Löhne nicht ausbezahlt wurden, landeten die IWF-Kredite auf den westlichen Konten der herrschenden Oligarchen. In der Asienkrise ordnete der IWF die Kürzung von Nahrungsmittelsubventionen für die verarmte Bevölkerung an, die Kredite ermöglichten den westlichen Investoren ihre Schafe ins trockene zu bringen. Für die Schuldenrückzahlung werden die dortigen Arbeitnehmer aufkommen müssen.

Obwohl Stiglitz zum Beraterstab von Clinton zählte, kritisiert er sehr offen die Politik der USA . So ist insbesondere seine Kritik an der Durchführung der Privatisierung in Russland sowie die Rolle und die Methoden, mit denen der Westen das Regime Jelzins absicherte, bemerkenswert. „Zudem hat es den IWF und das US-Finanzministerium nie gestört, ein System zu unterstützen, dem die politische Legitimation fehlt und in dem es die Vermögenden durch Diebstahl und Klüngelei mit einem politischen Führer - Jelzin -, der seine Glaubwürdigkeit und Legitimation restlos verspielt hat, zu Reichtum gebracht hatten.“ (S. 219)

Stiglitz hat sich lange mit „Marktversagen“ beschäftigt und kann daher die Widersprüche neoliberaler Marktgläubigkeit profund widerlegen. Seine Alternativen bewegen sich aber alle im Rahmen einer Marktwirtschaft, in der der Staat versuchen soll, Marktversagen zu kompensieren. Er ist ein Befürworter von Privatisierungen, kritisiert aber die Art und Weise wie diese in Russland durchgeführt wurden, weil sie zur Bereicherung einer kleinen Schicht führte, die nicht in die Unternehmen investiert, sondern - ermöglicht durch die Deregulierung der Finanzmärkte - das angeeignete Vermögen ins Ausland transferiert. Als erfolgreiches Gegenmodell zum Desaster Russlands verweist er auf China, das seine Transformation zur Marktwirtschaft nicht unter dem Diktat des IWF und nicht überstürzt durchführte. Die Tatsache, dass die völlige Unterdrückung demokratischer Rechte der chinesischen Bevölkerung und insbesondere der Lohnabhängigen vom Autor nicht erwähnt wird, zeigt, dass das Buch eher durch die Analyse des IWF als durch das Weisen fortschrittlicher Alternativen zu überzeugen vermag.

Stiglitz schlägt - wie viele andere - einen dritten Weg vor. Dieser Begriff lässt allerdings nicht auf sein Programm schließen. Diejenigen, die einen dritten Weg weisen, postulieren, dass sich die Wirklichkeit davor auf zwei Wege reduzieren ließ, denen nun originellerweise ein dritter als Alternative hinzugefügt wird. Schon die Unzahl der dritten Wege, die mittlerweile proklamiert wurden, zeigt, dass das ein falsches Verständnis darstellt.

Während Schröder und Blair einen dritten Weg zwischen keynesianischem Wohlfahrtsstaat und neoliberalem Thatcherismus vorschlagen (aber nicht gehen), will Stiglitz einen Weg zwischen Sozialismus und neoliberalem „laisser-faire“ einschlagen. Er steht damit auf einer Position, die mehr an Systemkritik zulässt, als die neoliberal gewendete Sozialdemokratie. Aber aus dieser in weiten Bereichen zutreffenden Kritik wird keine Alternative formuliert, die der antikapitalistischen Bewegung „wissenschaftliche Assistenz“ liefern könnte.

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