Heft 1/2001
März
2001

Die wahren HeldInnen der Weltgeschichte

Ein Buch über jüdische Rache an NS-Tätern

Als Jude geboren zu sein, ist keine Schande, es ist ein Unglück!
Meine geliebte Frau Anna, wirst du gerächt werden?
Meine kleine Tochter Athalia, wirst du gerächt werden?
Die Asche dreier Millionen jüdischer Männer, Frauen, Kinder, in Treblinka verbrannt, werdet ihr gerächt werden? [1]

Das Motiv der jüdischen Rachsucht zählt zu den ältesten antisemitischen Stereotypen. Theodor W. Adorno, ein Vertreter der Kritischen Theorie, analysierte dieses Motiv folgendermaßen: „Der Verhalten der Juden nach dem Zusammenbruch wird von manchen als Rachsucht gedeutet, und im Namen einer Humanität, die während des Dritten Reiches nicht eben hoch im Kurs stand, wird diese Rachsucht verpönt.“ An anderer Stelle schreibt er: „Der Gestus, es solle alles vergeben und vergessen sein, der demjenigen anstünde, dem Unrecht widerfuhr, wird von den Parteigängern derer praktiziert, die es begingen.“

Die Angst vor einem Anstieg antisemitischer Projektionen war es wohl auch, die mehr als fünfzig Jahre verstreichen ließ, ehe ein Buch über jüdische Rache an NS-Tätern auf dem deutschsprachigen Markt erscheinen konnte, das sich mit den damaligen RächerInnen durchaus sympathisierend auseinandersetzt. Allerdings bleibt auch bei den Autoren dieses Buches staatsmännisches Geplänkel nicht aus: „Das Thema ist ein wichtiges Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte wie auch der deutsch-israelischen Beziehungen. Denn nur wer die psychische Situation der Holocaust-Überlebenden zumindest erahnt, kann die Versöhnungsleistung von Juden und Israelis gegenüber Deutschen und der Bundesrepublik würdigen.“ (S. 8) Dass das israelische Interesse an der Versöhnung mit Deutschland mit dem Wunsch nach immerwährender Zerschlagung Deutschlands vieler Überlebender der Shoah divergierte, interessiert die Autoren nicht.

Nach der Niederschlagung des „Dritten Reiches“ trugen laut einer israelischen Studie etwa 80 Prozent der Überlebenden des Nazi-Terrors den Gedanken an Rache in sich: „Wir Juden, Schwestern und Brüder derer, die wie Vieh geschlachtet, in den Öfen von Majdanek verbrannt und in den Gaskammern erstickt wurden, wir, die nur durch ein Wunder nicht dasselbe Los erlitten, wir haben keine ‘nüchterne Logik’, auch keine ‘besonderen Bedürfnisse’ oder ‘globalen Interessen’. Wir haben nur eine höchst moralische Pflicht: Das vergossene Blut zu rächen. Buchstäblich rächen, sich denen anschließen, die Rache und Vergeltung fordern, nicht nur im Krieg, sondern auch nach dem Krieg. Unser brennender Hass muss das deutsche Volk verfolgen, das Hitler an die Macht gebracht hatte, indem Millionen für ihn stimmten. Rache an dem elenden, grausamen, korrupten Volk, von dem Millionen an der Vernichtung beteiligt waren. Rache, selbst wenn sie alle umkommen, wenn sie verhungern und von Fremden regiert werden. Egal, was die ‘aufgeklärten Völker’ denken mögen, unter deren Augen uns das Schlimmste angetan wurde.“ (S. 103)

Die Wenigsten waren aber tatsächlich an Racheaktionen beteiligt. Die psychische und physische Verfasstheit sowie die Auswanderung nach Palästina und die Perspektive auf einen eigenen Staat hielten die meisten Überlebenden davon ab, Rache an ihren Peinigern zu nehmen. Die Gründung eines jüdischen Staates hielten viele — nicht zu Unrecht — für einen Schlag ins Gesicht des Gegners: „Hitler wäre entsetzt gewesen, hätte er gesehen, dass die israelische Fahne in Bonn weht. Das ist die wahre Rache“, so der ehemalige Soldat der Jewish Brigade und spätere Knesset-Abgeordneter Meir Argov. (S. 83)

1944 entstand NAKAM (hebr. Rache), eine Organisation, die sich aus etwa fünfzig ehemaligen jüdischen PartisanInnen und GhettokämpferInnen zusammensetzte. Diese Gruppe konzipierte zwei Pläne, um Rache an den Deutschen zu nehmen. Plan A sah Anschläge auf die Bevölkerung mehrerer deutscher Großstädte vor, Plan B sollte gezielte Anschläge auf NS-Täter, SS-und Gestapo-Angehörige umsetzen. Vordringlich war jedoch auch für diese Gruppe die Hilfestellung bei der Auswanderung von Überlebenden nach Palästina. Erst der Ausbau der Bricha (Fluchthilfe) zur einer schlagkräftigen Organisation rückte die Rachepläne wieder in den Vordergrund, die aber bei den entscheidenden jüdischen Organisationen vorwiegend auf Ablehnung stießen. Sowohl die Führung der Haganah, die illegale Bürgerwehr der jüdischen Bevölkerung in Palästina, wie die Jewish Brigade, eine Kampfeinheit innerhalb der britischen Armee, die von März bis Mai 1945 in Italien gegen die deutschen Truppen kämpfte, lehnten Racheakte in diesem Ausmaß ab. Die Autoren des Buches schildern diese Auseinandersetzungen sehr detailreich und folgern, dass „Vergeltungsmaßnahmen (...) auf internationaler politischer Ebene vermutlich auf entschiedene Ablehnung gestoßen (wären) und (...) damit die beabsichtigte Gründung des Staates Israels gefährden (hätten) können.“ (S. 30) Lediglich einzelne Angehörige von Haganah und Jewish Brigade unterstützten NAKAM-AktivistInnen bei ihren Kampfmaßnahmen. In die Tat umgesetzt wurde schlussendlich nur der Plan, SS-Männer und Gestapo-Angehörige, die im US-Internierungslager Nürnberg-Langwasser einsaßen, mit Brot zu vergiften. Laut offiziellen Quellen erkrankten dadurch rund 2000 Gefangene, Todesfälle traten keine ein. Danach flüchteten die AktivistInnen der NAKAM nach Palästina und beteiligten sich am Aufbau und der Verteidigung Israels.

Der deutschen Abteilung, einer Eliteeinheit der Palmach (Kommandotruppe der Haganah), die ausschließlich aus in Österreich oder Deutschland geborenen Juden bestand und erst knapp vor Kriegsende nach Europa verlegt wurde, übertrug die Jewish Brigade die Aufgabe, Informationen über NS-Gräueltaten zu sammeln und die Verantwortlichen dafür dingfest zu machen. Die Hagana erklärte sich mit Vergeltungsaktionen nur unter der Bedingung einverstanden, dass ausschließlich Verbrechen am jüdischen Volk geahndet werden und dass der Liquidation von Nazis der Nachweis von deren konkreten Taten vorausgehen. Folglich wurden den von den Brigadisten erwischten NS-Verbrechern ein Prozeß gemacht, in dem die Angeklagten auch die Möglichkeit erhielten, sich zu verteidigen. Erst danach wurden über deren Hinrichtung entschieden, die in den meisten Fällen auch durchgeführt wurde.

Den Autoren geht es nachweislich nicht um eine vorschnelle Aburteilung der damaligen RächerInnen. Vielmehr stehen deren Beweggründe im Vordergrund, wie die nicht erfolgte Bestrafung zahlreicher NS-Täter und die Unterstützung der Kirche und der Amerikaner bei der Flucht ehemaliger Nazis. Allem voran ist es aber der maßgeblich von Deutschen und ÖsterreicherInnen verübte Mord an sechs Millionen Juden und Jüdinnen, der die RächerInnen antrieb.

Wie kaum anders zu erwarten war, wurde versucht die Drucklegung diese Buches zu verhindern. Die deutsche Justiz eröffnete nach einem Fernsehinterview mit zwei Rächern ein Strafverfahren gegen diese, sodaß ständig mit der Beschlagnahme des dem Buch zugrunde liegenden Recherchematerials zu rechnen war. Kurz vor Abgabetermin wurden die Ermittlungen wegen Verjährung des eigentlich unverjährbaren Straftatsbestands des „versuchten Mordes“ eingestellt. Prof. Michael Bar Zohar, Autor eines 1968 erschienenen Buches über jüdische Racheaktionen in Deutschland, verurteilte das Vorgehen der Justiz aufs Schärfste. Der Historiker bezeichnete die Ermittlungen als „Beweis dafür, dass die Welt anfängt, den Holocaust zu vergessen“ und forderte einen „gebührenden Platz“ für die Rächer in der israelischen Geschichte. „Erst jetzt, wo viele von ihnen schon tot sind oder bald sterben werden, erhalten sie verspäteten Ruhm. (...) Die Rächer wissen jedoch, dass sie eine historische Aufgabe erfüllt und nicht sinnlose Vergeltung geübt haben. Sie verspürten ein elementares Bedürfnis: Rache für das vergossene Blut derjenigen zu nehmen, die nur noch als Rauch aus den Verbrennungsöfen zum Himmel aufstiegen.“ (S. 134)

Tobias, Jim G./Zinke, Peter: Nakam — Jüdische Rache an NS-Tätern
Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2000, Preis: ÖS 219,— DM 30,—, ISBN 3-89458-194-8

Die Pflicht uns zu rächen, ist Euch auferlegt, es komme kein Mensch zur Ruhe, niemand schlafe, noch finde Rast. So wie es uns im Schatten des Todes ergeht, so sollt ihr leben, in der Heiligkeit der Rache für das vergossene Blut. Verflucht sei, wer diese Zeilen liest, seufzt, und seiner täglichen Arbeit nachgeht; verflucht, wer sich damit begnügt Tränen zu vergießen, denn er vergisst unserer Seelen. Wir rufen Euch zur Rache auf, Rache ohne Mitleid, ohne Gefühle und ohne Gerede über ’gute’ Deutsche. Ein guter Deutscher soll eines leichten Todes sterben. Er soll als letzter sterben, so wie sie ihrem ’guten’ Juden versprachen: Du wirst erschossen. (S. 102)

[1Perechodnik, Calel: Bin ich ein Mörder? Das Testament eines jüdischen Ghetto-Polizisten. Lüneburg 1997

[2Perechodnik, Calel: Bin ich ein Mörder? Das Testament eines jüdischen Ghetto-Polizisten. Lüneburg 1997

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