Grundrisse, Nummer 17
März
2006

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser!

Uje, zwei Tippfehler auf der 16er-Umschlagseite, der Korrekturleseburnout forderte Opfer. Aber was sind schon zwei alte Fehler gegen einen Umschlag, der sich gewaschen hat. Grundrisse proudly presents: Die neue Kollektion. Nach zwei Jahren im strengen Streifenlook ist uns der Kragen geplatzt – und prompt auf dem Cover gelandet. Wir hoffen, das gefällt und verweisen sogleich auf den Call for Textiles unten im Kasten. Mit Gewinnspiel!

Und es geht weiter mit den Selbstbezichtigungen: Bei den MitarbeiterInnen der letzten Nummer sind uns gleich zwei durch die Lappen gegangen: Slave Cubela und Nemo Klee fielen den Aussetzern unserer Gehirnaktivitäten zum Opfer. Tut leid! Nun aber zu dem, was euch auf den kommenden 60 Seiten erwartet:

Der erste Text freut uns besonders, weil er dem Untertitel der grundrisse etwas mehr an Wahrheitsgehalt gibt: Als kritische Anknüpfung an den Artikel zu den „Rot-Schwarzen Flitterwochen“ von Paul Pop (grundrisse #14) versteht sich Philippe Kellermanns Text über Gustav Landauer. Da es auch der Redaktion ein Anliegen ist, die Debatte über das Verhältnis zwischen Marxismen und Anarchismen produktiv fortzuführen, würden wir uns auch über weitere Beiträge zur Thematik freuen. „Das Kapital wieder lesen“ kann ebenfalls als Fortführung einer in der letzten Ausgabe geführten Auseinandersetzung gelesen werden, nämlich jener um den Gebrauchswert der wertkritischen Lesart des Marxschen Kapitals. Der Beitrag von Karl Reitter geht aber über die kritische Auseinandersetzung hinaus und versucht grundsätzliche Bestimmungen für eine an der Zentralität des Klassenkampfes orientierten Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie zu geben.

Andrea Benino und Max Henninger widmen sich den Aufständen in den Pariser banlieues im vergangenen November. Die Analyse bezieht dabei ein ansonsten – und vor allem in den Kommentaren der bürgerlichen Öffentlichkeit – nur allzu gerne ver- und beschwiegenes Themenfeld in die Betrachtung ein bzw. ins Zentrum der Aufmerksamkeit: die koloniale Vergangenheit Frankreichs. Zum anderen versuchen die Autoren, sich mit begrifflichen Instumentarien der strukturalen Marx-Lektüre, aber auch mit postoperaistischen Zugängen und Begriffen Carl Schmitts der europäischen (und politischen) Dimension der Riots anzunähern.

In „Auf Uhren schießen“ macht sich Martin Birkner Gedanken über ein Symposium zu John Holloways „Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen“, das vor kurzem in der britischen Zeitschrift „Historical Materialism“ dokumentiert wurde. Zwei Themenfelder stehen dabei im Mittelpunkt: Die Frage nach dem Ausgangspunkt eines möglichen Kommunismus – müssen wir vom Schrei, vom NEIN zum Kapitalismus ausgehen, oder braucht die Theorie einer „anderen Welt“ eine Vielfalt konstituierender JAs als Startpunkt? Das zweite Feld handelt von der Notwendigkeit bzw. Unmöglichkeit einer Theorie der Organisation. In der ebenfalls behandelten Antwort Holloways auf seine Kritiker eröffnet sich hier ein anderer, jedoch nicht weniger spannender Ansatzpunkt: Die Revolution, so Holloway, muss – vor allem in den Zentren – eine der Zeitlichkeit selbst sein. Nicht ein vorher-nachher Schema sondern das Zerbrechen der kapitalistischen Dauer hier und jetzt ermöglicht die Konstitution kommunistischer Verhältnisse.

Verbindungslinien zwischen der Theorie von Marx und jener von Gilles Deleuze und Felix Guattari zeichnet Gerald Raunig in „Einige Fragmente über Maschinen“ nach. Dabei steht schon im Titel das berühmte „Maschinenfragment“ Marxens aus einem Werk Pate, das wiederum schon vor mittlerweile mehr als vier Jahren bei der Gründung einer Zeitschrift weit mehr als nur Pate stand ... Der Maschinenbegriff und seine Bedeutungen und Bedeutungsverschiebungen, ausgeführt nicht nur anhand der oben beschriebenen Theoretiker, sondern auch anhand von künstlerisch-politischen Praktiken. Auch der EuroMayday als Maschine wird dabei über seine doppelte Zeitlichkeit – und es ist eben jene, die auch bei Holloway zur Sprache kommt – der Dauer wie auch der „lange[n] Zeit der instituierenden Praxis“ ins Spiel gebracht. Darauf wird noch zurückzukommen sein.

In der Rubrik „MIT NACHDRUCK“ präsentieren wir diesmal einen Text, der 1983 als Kollektivarbeit in einem römischen Gefängnis entstand: „Do You Remember Revolution“ gibt aus der Sicht von 11 inhaftierten Aktivisten und Theoretikern der Autonomia Operaia einen politisch-analytischen Rückblick auf die sozialen Kämpfe der 1970er Jahre, ihre Verschärfung, ihre Vervielfältigung, ihre Militarisierung und schließlich ihre Zerschlagung durch den staatlichen Repressionsapparat. Nicht nur als historischer Bericht ist dieser Text von Bedeutung, sondern auch als theoretischer Hinweis auf die sozialen Veränderungen jener Periode, die nicht zuletzt die fordistisch-keynesianischen Modelle kapitalistischer Vergesellschaftung endgültig zum Einsturz gebracht haben.

So, jetzt wird aber zurückgekommen. Auch heuer wird es nämlich eine Mayday-Parade in Wien geben. Der Treffpunkt ist bereits fix (1160 Wien, Yppenplatz), sonst aber noch nix! Und genau deshalb rufen wir euch hiermit auf: Beteiligt euch, es wird euch bereichern! Nähere Informationen unter www.euromayday.at

Und noch eine web-Adresse gilt es zu verlautbaren: „Die Linke“, Zeitung der Sozialistischen Alternative, ist nicht mehr – auf dem Papier zumindest. Postfordismus und Postgebührenerhöhungen um ein vielfaches bescheren uns aber dafür eine nagelneue Netzzeitung aus dem bewegungslinken Spektrum. Wir empfehlen hiermit nachdrücklich www.dielinke.at und wünschen alles Gute und zahlreiche LeserInnen!

Herzlich bedanken möchten wir uns bei Julia Kläring und Nils Olger für die Bildleisten (unter Verwendung von Stills aus dem film „I went to work today, I don’t think I’ll go tomorrow“, kläring/olger, 2005)

Und hier der Aufruf: Nachdem die grundrisse es sich zum Ziel gesetzt haben, die Grenzen zwischen TheorieproduzentInnen, politischen AktivistInnen und künstlerischem Aktivismus niederzureissen oder zumindest durchlässig zu machen:

Wir bieten hiermit definitiv ab der Nummer 18 die Mittelseite Künstlerinnen und Künstlern zur Gestaltung an. Es kann also ein ganzer A3-Bogen verwendet werden, eine Seite eventuell auch färbig. Da die nächste Ausgabe zum Mayday herauskommen soll, würden wir uns natürlich über die Bearbeitung des weiten Feldes Prekarisierung/Prekarität besonders freuen. Ansonsten gilt es anzustreben, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx). Interessierte mögen mailen: grundrisse @ gmx.net

Viel Spaß beim Lesen, Abonnieren, und www.grundrisse.net ansurfen

Die grundrisse-redaktion
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