Grundrisse, Nummer 37
März
2011

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Die männliche Dominanz, an der die grundrisse wie viele Theoriezeitungen laborieren, wurde in der letzten Nummer besonders sichtbar. Aufgefallen ist uns auch, dass gerade im Rahmen des Schwerpunktes „Organisierung“, als „wichtiges Thema“, nur männliche Autoren schreiben. Vorgeworfen wurde uns, dass bei den grundrissen die Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen nur Lippenbekenntnis sei. Und auch, dass ein Schwerpunkt „Geschlechterverhältnisse“ wohl nur das „Sonderthema Frauen“ beinhalten könne. Beide Vorwürfe sind nicht von der Hand zu weisen, es handelt sich allerdings um Probleme, die nicht nur uns betreffen, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse sind. Die vorliegende Nummer zu Geschlechterverhältnissen war schon länger geplant, vor allem auch auf Druck der wenigen weiblichen Redaktionsmitglieder, und natürlich – self-fullfilling prophecy – kommen die Beiträge von Frauen.

Zuerst waren wir unsicher, ob auf unseren Call for Papers überhaupt Artikelangebote einlangen werden. Zwar haben wir versucht, den Aufruf möglichst breit bekannt zu machen, die zu erwartende Resonanz konnten wir jedoch nicht einschätzen. Unaufgefordert schicken uns im Allgemeinen nur Männer Artikel. Zwei Übersetzungen von Beiträgen aus dem Englischen, die wir für relevant erachten, sollten daher zumindest den Kern des Schwerpunkts füllen. Am Tag nach Redaktionsschluss lagen uns dann jedoch erfreulicherweise mehr qualitativ wertvolle Textangebote vor, als in eine Ausgabe passen. Deshalb haltet ihr nun die Schwerpunktnummer „Geschlechterverhältnisse und gesellschaftliche Arbeitsteilung 1“ in Händen und könnt nicht nur auf die Fortsetzung in Nr. 38 gespannt sein, sondern auch auf die Diskussionsveranstaltung anlässlich der Präsentation dieser Nummer am 21. März, an der unter anderem die Autorinnen zweier Beiträge teilnehmen werden (siehe nebenstehende Ankündigung).

In den meisten Artikeln ist das Verhältnis zwischen Reproduktion und Produktion zentral. Kathi Weeks untersucht in ihrem Essay „In der Arbeit gegen die Arbeit LEBEN“, was von früheren feministischen Debatten über den Wert (unbezahlter) (Reproduktions)Arbeit sowie von Analysen der White Collar Arbeit (von Angestellten) bzw. der Pink Collar Arbeit (Dienstleistungsarbeit) im Postfordismus noch gültig ist. Ein Interview mit Silvia Federici diskutiert den Sexismus bei Universitäts-Besetzungen des letzten Jahres in Kalifornien wie auch die „Kapitalisierung des Studiums“ durch den Zwang, Kredite aufzunehmen. Almut Bachinger setzt in „Lohn für Hausarbeit reloaded“ bei den Diskussionen der 1970er an und kommt zum Ergebnis, dass sich manche Fragen durch die Veränderungen des Kapitalismus, d.h. dessen Entwicklung in Richtung einer neuen DienstbotInnen-Gesellschaft, heute anders stellen. Um Subjektbildung geht es im Artikel „Vom konstruierten Subjekt zur gegenderten Marke Ich?“ von Elisabeth Perchinig, in dem die (de)konstruktivistische Sichtweise aus psychologischer und pädagogischer Perspektive kritisiert wird.

Ergänzend bringen wir einen Bericht über Frauenräte in einem kurdischen Flüchtlingslager. Außerhalb des Schwerpunktes kommentiert Karl Reitter das neue Buch John Holloways, „Kapitalismus aufbrechen“, als Annäherung an die wertkritische Theorie und Johann-Friedrich Anders unterzieht die „Neue Marxlektüre“ – die glaubt, auf die Analyse von Klassenkämpfen verzichten zu können – einer Kritik. Vervollständigt wird dieses Heft durch Buchbesprechungen über den Maoismus in der neuen Linken nach 1968 sowie das bedingungslose Grundeinkommen.

Natürlich sind wir begeistert von den Ereignissen in Nordafrika und im Mittleren Osten; Aufstände, die uns alle überrascht haben. Da wir uns außer Stande sehen, kurzfristig selbst eine Analyse zu liefern, drucken wir die Übersetzung eines inspirierenden Textes von Alain Badiou ab, der in diesen Bewegungen und den darin entstehenden nichtstaatlichen Strukturen einen „Kommunismus der Bewegung“, vergleichbar mit der Pariser Commune, erkennt.

Gleich im Anschluss findet ihr noch eine Erklärung zu den aktuellen Versuchen AktivistInnen der Studierendenbewegung zu kriminalisieren. Last not least empfehlen wir – nicht zuletzt als Nachlese zum Artikel von Dieter Behr in den letzten grundrissen – nachdrücklich die Berichte der erfolgreichen Bamako-Dakar-Karawane für Bewegungsfreiheit und selbstbestimmte Entwicklung unter www.afrique-europe-interact.net.

Einen bewegten Frühling wünscht

Eure grundrisse-Redaktion

P.S.: Abonnieren tut gut, und zwar uns und euch! Deshalb gibt´s ab sofort zu jedem neuen 2-Jahres-Abo eine Ausgabe von „Die Krise Denken – Finanzmärkte, soziale Kämpfe und neue politische Szenarien“ (Hg. Andrea Fumagalli & Sandro Mezzadra, unrast-Verlag 2010)!

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