ZOOM 6-7/1998
Dezember
1998

Eine Gelegenheit für interessierte Kreise

Die Buchpreisbindung und die Wettbewerbsgesetze der EU

Wir interessieren uns für im Wirtschaftswettbewerb erhebliche Vorgänge und nicht für Kulturförderung.

Frank Rawlinson, EU-Administrator der Generaldirektion X, Wien, 23.3.1994

Kulturpolitik wird nicht nur innerhalb der Europäischen Union, sondern auch innerhalb Österreichs in aller Regel als Frage der Höhe und Verwaltung von Subventionsmitteln verstanden. Völlig frei von kulturpolitischen Überlegungen bleiben hingegen die gesetzlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen und die Umsetzung von künstlerischen und kulturellen Leistungen. Ein Musterbeispiel auf europäischer Ebene zeigt sich in der seit dem Beitritt Österreichs zur EU geführten Auseinandersetzung um den grenzüberschreitenden „festen Ladenpreis“, dem von Verlagen für den gesamten deutschen Sprachraum festgelegten Endverkaufspreis von Büchern. Welcher Stellenwert kulturellen bzw. demokratiepolitischen Standpunkten in der Auseinandersetzung mit einer der vier Grundfreiheiten der EU – dem freien Waren-, Kapital-, Dienstleistungs- und Personenverkehr – zukommt, läßt sich an keinem anderen Beispiel besser dokumentieren als am Verfahren zur Aufhebung des festen Ladenpreises der EU-Kommission in Brüssel.

Vom Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen befristet freigestellt

Am 18. März 1993 unterbreiteten die Verlage Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Nomos Verlagsgesellschaft und die Droemersche Verlagsgesellschaft Th. Knaur Nachf. der Kommission gemäß Artikel 4 der Verordnung Nr. 17 des Rates eine Vereinbarung zur Bindung von Endabnehmerpreisen für Verlagserzeugnisse in Deutschland und Österreich („Sammelrevers“). Am 7. Oktober 1993 traten zahlreiche andere in Deutschland und Österreich tätige Verlage dieser Anmeldung bei.

Die Anmeldung betrifft Vereinbarungen zwischen deutschen Verlegern und österreichischen Buchhändlern, österreichischen Verlegern und deutschen Buchhändlern sowie auch zwischen deutschen Verlegern und deutschen Buchhändlern sowie österreichischen Verlegern und österreichischen Buchhändlern. Das Zustandekommen sowie die Kontrolle dieser Vereinbarungen zur Bindung von Endabnehmerpreisen werden in beiden Ländern in zentralisierter Form durch Vermittlung sogenannter Preisbindungstreuhänder gewährleistet. Für sieben große deutsche Verlage wird die Preisbindung durch ein vom Sammelrevers separates Verfahren durchgeführt („Einzelreverse“).

Am 29. Juli 1994 erteilte die Generaldirektion für Wettbewerb mit einem Verwaltungsschreiben eine vorläufige und bis zum 30. Juni 1996 befristete Freistellung des Sammelreverses vom Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen nach Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrags. Am 6. Januar wurde ein entsprechendes Verwaltungsschreiben mit derselben Befristung für die Einzelreverse erteilt. Beide Verwaltungsschreiben stellen lediglich das Ergebnis einer vorläufigen Prüfung dar und hatten den Zweck, für eine Übergangszeit Rechtssicherheit für die Beteiligten herzustellen. Sie beinhalten keinerlei gültige Stellungnahme der Kommission zu der Frage, ob die Freistellungsvoraussetzungen für die Buchpreisbindung nach Artikel 85 Absatz 3 erfüllt sind oder nicht. Dies wird Gegenstand einer formellen Entscheidung der Kommission sein, die derzeit vorbereitet wird. Die Kommission gibt interessierten Kreisen hiermit die Gelegenheit, zum Sammelrevers und den Einzelreversen Stellung zu nehmen. [1]

Ein erster interessierter Kreis

An die Wettbewerbsdirektion der Europäischen Gemeinschaft:

In Ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften geben Sie interessierten Kreisen Gelegenheit, zur Buchpreisbindung im deutschen Sprachraum Stellung zu nehmen. Die IG Autorinnen Autoren ist der Überzeugung, daß es ohne festen, für alle deutschsprachigen Buchhandlungen gültigen Ladenpreis zu einer wesentlichen Verschlechterung der Arbeits- und Einkommensbedingungen für alle deutschsprachigen und insbesondere für österreichische Autorinnen und Autoren kommen würde.

Es gibt in Österreich ca. 3000 Schriftsteller, die mit dem Vertrieb ihrer Bücher auf den Buchhandel angewiesen sind. Dem stehen ca. 500 Verlage gegenüber, die bis auf wenige Ausnahmen Klein- und Kleinstbetriebe sind und die zumeist von nur einer Person geführt werden. Insbesonders jene Verlage, die sich um das Publizieren österreichischer Literatur bemühen, können ihre Produktion nur über einen funktionierenden Buchhandel absetzen. Eine Aufhebung der Ladenpreisbindung würde die vorhandene und in mehr als hundert Jahren gewachsene Buchhandelsstruktur wesentlich verändern. Der mittlere und kleinere Buchhandel würde verschwinden. Die Marktmacht der Ladenketten würde nur mehr schnell verkäufliche Buchtitel berücksichtigen, der einzelne Autor würde zum Außenseiter und für seine Leser unerreichbar. Daher sind unseres Erachtens folgende Tatsachen besonders berücksichtigenswert:

Das Buch ist als Kulturgut eine besondere Ware („books are different“), die nicht unbeschränkt den Marktgesetzen ausgesetzt werden kann, ohne daß die produzierenden und vertreibenden Handelsstufen und die Gesellschaft Schaden nehmen. Die Preisbindung ist daher keine Marktordnungsmaßnahme, sondern ein ideelles Regulativ. Das Wesentliche eines Buches ist sein Inhalt, Druck und Bindung sind seine Form.

Das Buch ist ein verfassungsnahes Gut, das die Informationsfreiheit und Meinungsfreiheit fördert und verkörpert. Der Gesetzgeber sollte bei einfachen Gesetzen wie den Wettbewerbsgesetzen bei verschiedenen Auswahlmöglichkeiten diejenige wählen, welche den berührten Verfassungsgütern am besten dient. Die Preisbindung ermöglicht die Präsenz vieler verschiedener Publikationen und deren bestmöglichen Vertrieb, daher kommt sie dem verfassungsrechtlichen Anspruch der Informations- und Meinungsfreiheit am nächsten.

Der feste Ladenpreis ist zugleich der beste Preis des freien Marktes. Wirtschaftsdaten und Prognosen belegen, daß die Aufhebung der Preisbindung zu tiefgreifenden negativen Erscheinungen, insbesondere zu Marktumstrukturierungen, Konzentrationen und Reduktionen der Titelzahlen, nicht jedoch aber zu Preissenkungen führen würde.

Der feste Ladenpreis senkt das Veröffentlichungs- und Verlagsrisiko. Ein weiterer Autorennachteil ist die Umstellung der vorhandenen Verlagsverträge, die erfolgsbezogen an einen Prozentsatz des Endverkaufspreises gekoppelt sind. Die Umstellung auf einen Fixbetrag pro verkauftem Buch ist zwar möglich, es werden jedoch dadurch völlig neue Kalkulationsvoraussetzungen geschaffen. Der vielleicht wichtigste Vorteil für Autoren im Zusammenhang mit der Preisbindung ist schließlich, daß der Verleger durch die Mischkalkulation befähigt ist, auch bei unsicheren Absatzaussichten mit dem Autor abzuschließen und von daher auch die wirtschaftlich unkalkulierbare Veröffentlichung zu riskieren. Das geduldige Durchstehen von Mißerfolgen wird durch die Aufhebung der Preisbindung verhindert. Geringere Titelzahlen und vorsichtigere Veröffentlichungspolitik bedeuten liegenbleibende Manuskripte und das Ausscheiden von Autoren aus dem Markt.

Der feste Ladenpreis garantiert Vielfalt und Bewahrung der Eigenständigkeit der Kultur. Der österreichische Buchmarkt leidet seit vielen Jahren unter der wirtschaftlichen Dominanz weniger großer deutscher Produzenten. Die Folgen im kulturellen Bereich sind u.a.: die „Entaustrifizierung“ der Sprache bei gleichzeitiger „Exotisierung“ der Inhalte der österreichischen Literatur von in Deutschland verlegten und in Österreich angebotenen österreichischen Themen und Autoren (4/5 der in Österreich verkauften Bücher weisen Deutschland als Herstellerland auf) bzw. die Beschränkung beim Bezug von Büchern in zahlreichen Regionen Österreichs auf den Versandhandel eines einzigen derartigen Anbieters in Österreich, den Buchklub Donauland bzw. die Firma Bertelsmann.

Einziger Garant zur zwar ökonomisch bescheidenen, aber kulturell hochwirksamen Fortsetzung einer eigenständigen österreichischen literarischen Buchkultur waren bisher die kleinen und kleinsten österreichischen Verlage, die ihre Entsprechungen in spezialisierten und gutsortierten Buchhandlungen gefunden haben. Sollte der feste Ladenpreis aufgehoben werden, werden zuerst diese Buchhandlungen ihre Geschäftslokale schließen, in weiterer Folge werden die österreichischen Verlage bis auf einige wenige ihre Arbeit einstellen müssen und schließlich die österreichischen Autoren und die österreichische Literatur in ihrer gesamten Ausdrucksvielfalt und letztlich auch das Publikum auf der Strecke bleiben. Die IG Autorinnen Autoren ersucht daher die Wettbewerbskommission, die „Ware Buch“ als Kulturgut zu betrachten. Dies sollte Vorrang vor allen wirtschaftspolitischen Argumenten haben. [2]

Ein zweiter und ein erweiterter interessierter Kreis

Zweite Stellungnahme an die Wettbewerbsdirektion der Europäischen Gemeinschaft:

Die österreichische Laden-Kette Libro, die inzwischen in deutsche Eigentümerschaft übergewechselt ist, hat sich vor der Wettbewerbs-Direktion der Europäischen Gemeinschaft gegen die Beibehaltung des festen Ladenpreises ausgesprochen. Diese Offensive erfolgte zu einem Zeitpunkt, als Libro in Verkaufsverhandlungen mit deutschen Interessenten stand.

Ob dieses Auftreten gegen den festen Ladenpreis als „Betriebsvermögen“ in die Verkaufsverhandlungen eingebracht werden sollte, entzieht sich unserer Kenntnis. Fest steht, die Laden-Kette Libro war und ist nur am Rande mit dem Verkauf von Büchern beschäftigt. Und auch innerhalb der Marginalie „Buchverkauf“ führt Libro hauptsächlich Restposten oder „Buchwaren“, die nicht für den Buchhandel bestimmt sind. Es ist somit in Zweifel zu ziehen, ob eine Papier- und Bürowarenhandelskette – die Bilderrahmen ebenso führt wie Musik- und Tonträger – über die nötigen Erfahrungen, Voraussetzungen und Kenntnisse verfügt, einen ernsthaften Gesprächspartner mit ernstzunehmenden Argumenten zur Frage der Ladenpreisbindung abzugeben.

Im Gegensatz dazu haben sich sämtliche mit dem Buch und der Literatur in Österreich befaßten Organisationen und Einrichtungen über viele Jahre hinweg für die Beibehaltung des festen Ladenpreises ausgesprochen, ohne daß der feste Ladenpreis zu irgendeinem Zeitpunkt von einer österreichischen Regierung in Frage gestellt worden wäre. Diese Haltung zum festen Ladenpreis ist auch in der derzeitigen Situation unverändert festzustellen. Der wesentlichste Grund für diese Haltung ist, daß nach einer Aufhebung des festen Ladenpreises schon kurzfristig kein einziges in Österreich hergestelltes Buch mehr erscheinen könnte, da die Auflagen österreichischer Bücher zu gering sind, um auf einem Markt der – marktstrategisch vorübergehend – nach unten uneingeschränkt offenen Preise mitbieten zu können. Die für Österreich schreckliche Folge wäre der Wegfall jeglicher Möglichkeit der kulturellen Selbstreflexion auf dem Sektor der über Tages- und Wochen- und Monatsaktualität hinausgehenden Printmedien.

Angesichts der Tatsache, daß Österreich innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten aus derselben Unfinanzierbarkeit heraus schon jetzt die wenigsten Tageszeitungen aufzuweisen hat und auch auf diesem Gebiet von der kulturellen Selbstaufgabe bedroht ist, und im Einvernehmen mit allen auf dem Gebiet der Literatur- und Buchproduktion in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Organisationen, ersuchen wir Sie daher dringend, den festen Ladenpreis ohne Einschränkungen und Abweichungen beizubehalten. [3]

Das Europa-Regionen-Kabarett

In einer mehr als fragwürdigen „Studie“ kommt die EU zum Schluß, daß es keine kulturell negativen Auswirkungen durch die Aufhebung der grenzüberschreitenden Buchpreisbindung gäbe, da ohnehin nur spezialisierte Verlage existierten und daher die „Mischkalkulation“ der gängigeren Titel mit riskanteren Titeln nicht der Fall sei. Ähnlich argumentiert die EU im Titel-Produktionsvergleich der Mitgliedsländer mit und ohne Buchpreisbindung.

Solche „Studienergebnisse“ legen nahe, daß der EU-Kommission kein einziges der Verlagsprogramme der rund 130 österreichischen Kulturverlage und keine einzige Verkaufszahl eines literarischen Buchtitels aus einem österreichischen Verlag bekannt sein kann und somit keinerlei qualifizierter kultureller und kulturgeschichtlicher Vergleich vorgenommen wurde, sondern lediglich ein paar Daten oberflächlich zusammengerafft wurden, um ein gewünschtes Ergebnis notdürftig scheinzuargumentieren.

Deutlich wird, daß die EU, obwohl ihrer Wettbewerbsdirektion zahlreiche Stellungnahmen österreichischer und deutscher Autorenorganisationen vorlagen, nicht den geringsten Versuch unternommen hat, Recherchen zur Erstellung dieser Studie bei Autorenorganisationen durchzuführen, insbesondere nicht bei der IG Autorinnen Autoren, die über genaueste Daten der österreichischen Literaturproduktion verfügt.

Die traurigste Rolle in der Beschwerdeführung gegen die Buchpreisbindung hat nicht etwa die Diskonterkette Librodisk sondern die österreichische Arbeiterkammer gespielt, die sich als interessenpolitischer Motor gegen die grenzüberschreitende Buchpreisbindung betätigt hat. Wenn die Arbeiterkammer nun versucht, sich als „Warnerin“ vor der Unzulässigkeit der grenzüberschreitenden Buchpreisbindung darzustellen, so versucht sie, ihre Kulturtotengräberrolle zu beschönigen. Diese Rolle hat sie nicht zum ersten Mal. So hat die Arbeiterkammer schon in früheren Jahren alles unternommen, um etwa die – von der EU in Richtlinien beschlossene – Bibliothekstantieme oder auch die Reprografievergütung zu verhindern.

Als die Arbeiterkammer vor einiger Zeit für die Beibehaltung der Arbeiterkammer-Pflichtmitgliedschaft geworben hat, haben nicht wenige Autoren dieses Anliegen unterstützt. Diese Unterstützung war ein Fehler, da sie offensichtlich nur die Kompetenzanmaßung der Arbeiterkammer provoziert, in kulturellen Fragen, in denen sie selbst keine Aktivitäten aufzuweisen hat, Maßstäbe zu setzen. Maßstäbe, die in der kulturellen Frage der Buchproduktion auch innerhalb der EU nicht von den die Buchpreisbindung befürwortenden Kulturministern, sondern von Wettbewerbsrechtkommissaren vorgegeben werden.

Der Artikel 128 des Maastrichter Vertrages, der die kulturelle Verträglichkeit von Entscheidungen der EU garantieren sollte und mit dem die Beitrittsbefürchtungen österreichischer kultureller Einrichtungen zerstreut werden sollten, hat sich als Leerformel herausgestellt, da dieser Artikel unter Anwendung der Wettbewerbsgesetze offenbar nahezu beliebig, und zwar ebenso am audiovisuellen Sektor wie jetzt auch am Printmediensektor, außer Acht gelassen werden kann.

Die nunmehr von der EU angepriesene nationalstaatliche Regelung ist ein Zynismus sondergleichen, schreibt die EU doch damit das wirtschaftliche Stärkerecht ein für alle Mal als den einzigen gültigen Maßstab für die Buchproduktion fest. Kein großer deutscher Verlag wird Mühe haben, sich in seiner Preispolitik an die nationalstaatliche Buchpreisregelung Deutschlands zu halten und zugleich den österreichischen Markt mit unterpreisigen Büchern auch noch im restlichen Fünftel zu beliefern (80 % der in Österreich abgesetzten Bücher stammen aus deutschen Verlagen, 3–5 % der Umsätze deutscher Verlage werden in Österreich erzielt) und somit aus dem wirtschaftlich schwächeren Produktionsstandort einen kulturellen Dritte-Welt-Absatzmarkt zu machen.

Damit hat sich auch das „Europa der Regionen“ als Kabaretteinlage herausgestellt: „Die Beschwörung der Regionen bleibt Geschwätz, wenn die common debate einer synchronisierten Gleichmacherei Platz macht, die sich nur am globalen Konsumverhalten orientiert.“ (Gerd Bacher)

Daß die IG Autorinnen Autoren diesem Ruin der österreichischen Literaturproduktion durch kulturell inkompetente Instanzen und Einrichtungen nicht zusehen wird, hat sie bereits vor rund einem Monat angekündigt. Sie erneuert daher ihre Forderung an die Österreichische Bundesregierung, die verbleibende Zweimonatsfrist zu nützen, eine über die nationale Buchpreisbindung hinausgehende nationalstaatliche Förderungsmaßnahme zu verwirklichen, die Billiganbieter im Buchhandel zu einer Abgabe verpflichtet, die dem Qualitätsbuchhandel und den Kulturverlagen zugute kommen soll.

Darüber hinaus soll auch die österreichische Arbeiterkammer dazu verpflichtet werden, einen materiell wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung des österreichischen Qualitätsbuchhandels und der österreichischen Kulturverlage beizusteuern. Weder den kommerziell motivierten Beschwerdeführern noch der Arbeiterkammer kann die Verantwortung erlassen werden, die sie mit der Beschwerdeführung vor der EU übernommen haben, daß sie die Literatur in österreichischen Verlagen und somit die Autoren, die in österreichischen Verlagen verlegen, vor die Überlebensfrage stellen. [4]

Ab ins Reservat
Das Subventionsabfindungsdenken der EU

EU-Wettbewerbskommissar Karel van Miert hat vor dem Kulturausschuß des Europa-Parlaments den von der Aufhebung der Buchpreisbindung betroffenen Autoren und Verlagen ein zutiefst unmoralisches Angebot unterbreitet: Die Buchpreisbindung soll durch einen Förderungsfonds für literarische Werke ersetzt werden, diesen Vorschlag werde er dem Ministerrat unterbreiten. Damit erhofft sich der EU-Wettbewerbskommissar jene Zustimmung für sein Vorhaben, die Buchpreisbindung aufzuheben, die er weder bisher erhalten hat noch in Zukunft erwarten kann.

In frappanter Übereinstimmung mit dem Beschwerdeführer Libro führt der EU-Wettbewerbskommissar nicht nur die Gefährdung des traditionellen Buchhandels durch die bereits in den USA üblichen Online-Bestelldienste für die Notwendigkeit uneinheitlicher Verkaufspreise für ein- und dasselbe Buch an, sondern greift mit diesem Vorschlag auch ein bereits von der IG Autorinnen Autoren in direkten Gesprächen mit der Firma Libro abgelehntes Angebot zur Einrichtung einer solchen Stiftung auf, in die Libro 30 Mio. öS investieren wollte: „Bei einer öffentlichen Diskussion vor einigen Wochen im Wiener Literaturhaus sei aus dem Publikum der Vorschlag gekommen, Libro möge einen Literaturfonds zur Unterstützung heimischer Autoren finanzieren. Gerhard Ruiss hat damals namens der IG Autoren abgewunken.“ (Die Presse, 28./29.3.1998) Offenbar haben die Firma Libro und die EU-Wettbewerbsdirektion dieselben Marketingberater.

Mit einem solchen Versuch, die Literatur mit Abschlagszahlungen aus dem Markt herauszudrängen, haben die Beschwerdeführer und die EU-Wettbewerbsdirektion jeden Vertrauenskredit in die „guten Absichten“ ihrer Ziele verspielt. Diese „guten Absichten“ bestanden allerdings bisher schon nur aus wenig überzeugenden Marktüberlegungen. Fest steht, die Firma Libro ist in ihrer betrieblichen Expansion an die Grenzen der Buchgemeinschaftskonkurrenz gestoßen. Da sich diese Buchgemeinschaftskonkurrenz nicht bereit gezeigt hat, die Konditionen der Buchgemeinschaften auch für Libro und damit den Diskontbuchhandel zuzulassen, hat Libro im Verbund mit der österreichischen Kammer für Arbeiter und Angestellte Beschwerde bei der EU-Wettbewerbsdirektion gegen den festen Ladenpreis und damit gegen den Buchhandel erhoben, mit dem Libro weder in wirtschaftlicher Konkurrenz steht, noch die Absicht hat, je in wirtschaftliche Konkurrenz zu treten. Diesen Umstand hat der Vorstandsdirektor von Libro, André Rettberg, in einem Gastkommentar im Wirtschaftsteil der FAZ Anfang dieser Woche einbekannt.

Warum aber ein einzelner Buch- und Papierwarendiskonter, der die Konkurrenz zu Buchgemeinschaften sucht, nicht selbst eine Buchgemeinschaft gründet, sondern dem Einzelbuchhandel dreier Länder die Corporate Identity von Libro aufzuzwängen versucht, darauf fehlt jede Antwort. Aus diesem Grund haben sowohl Libro als auch jetzt der EU-Wettbewerbskommissar van Miert zu einem Angebot gegriffen, das die Kritik an diesem leicht durchschaubaren Vorgang neutralisieren soll.

Während ein solches Angebot von einer einzelnen Firma als üblicher Geschäftsvorgang im Firmeninteresse angesehen werden kann, wird ein Wettbewerbskommissar der EU, zumal einer, der für sein ausschließlich marktwirtschaftlich orientiertes Handeln bekannt ist und der ohnehin den Grundfreiheiten – dem unbeschränkten Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital – der EU zu folgen verpflichtet ist, sich bei einem solchen Vorschlag nicht mehr vom Verdacht des Subventionsabfindungsdenkens freisprechen können. Dieses Denken ist für eine Literatur, die sich ihren Marktplatz unter größtem Investitions- und Ertragsrisiko täglich von neuem zu erkämpfen hat, nur als unsittlicher Anschlag auf ihre Erwerbswirklichkeit zu begreifen. Weder dem EU-Wettbewerbskommissar van Miert noch einem einzelnen Diskonter wird es gelingen, die österreichische, deutsche und Schweizer Literatur für ihren Reservatsvorschlag zu gewinnen. [5]

Für mehr Wettbewerb in der EU

Übergabe der „Leipziger Erklärung“ an den Kommissar für Wettbewerbsrecht, Karel van Miert, in Brüssel

Der Verband deutscher Schriftsteller, die IG Autorinnen Autoren, die Gruppe Olten und der Schweizer Schriftstellerverband sowie der European Writers’ Congress haben in einer Unterredung mit dem EU-Wettbewerbskommissar Karel van Miert am 11.6.1998 in Brüssel der Wettbewerbsdirektion der EU die von mehreren tausend deutschsprachigen Autoren unterzeichnete „Leipziger Erklärung zur Beibehaltung des grenzüberschreitenden festen Ladenpreises“ überreicht und die Wettbewerbsdirektion der EU zu mehr Willen zur Wettbewerbsgestaltung aufgefordert.

Der Grund für diese Aufforderung sind die bisher nicht berücksichtigten Umstände für Autoren und Literaturauflagen bei der beabsichtigten Aufhebung des grenzüberschreitenden festen Ladenpreises in den Mitgliedsländern Österreich und Deutschland durch die EU.

Die EU tritt für den freien Wettbewerb ein. Wenn die EU für den freien Wettbewerb eintritt, so tritt sie damit auch dafür ein, daß dieser freie Wettbewerb stattfinden kann. Dieser freie Wettbewerb kann in der „Europaregion Österreich“ und für den Großteil der europäischen Literaturauflagen nur dann stattfinden, wenn auch für diese Europaregion der Kleinauflagen und der europäischen Literaturauflagen Marktmöglichkeiten bestehen.

Der österreichische Beschwerdeführer Libro fordert mit der Aufhebung des festen Ladenpreises einen Marktzugang, den er weder bisher genützt hat noch zukünftig nützen wird. Auf der Strecke bleibt damit die weitaus überwiegende Zahl der Neuerscheinungen, die von Diskontern wie Libro nicht angeboten wird und von Einzelbuchhandlungen durch die geänderten Wettbewerbsbedingungen (Billigstverkauf von gutgehenden Titeln in Diskontermärkten, kostenintensiver Verkauf von nicht gutgehenden Titeln in Einzelbuchhandelsgeschäften) nicht mehr angeboten werden kann.

Für die erste österreichische EU-Präsidentschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahres hat die Europäische Gemeinschaft eine neue Epoche der Europapolitik angekündigt. Im Vordergrund des gemeinsamen Europa sollen nach dem erfolgreichen Abschluß der Europäischen Währungsgemeinschaft – und neben der Erweiterung der EU – der Beschäftigungsplan, die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik und die gemeinsame europäische Kulturpolitik stehen.

Zur Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik werden die europäischen Autorenverbände wenig beizutragen haben, zur Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Kulturpolitik und zu einem Beschäftigungsplan dafür umso mehr. Ganz oben auf der Agenda einer gemeinsamen europäischen Kulturpolitik und der in der Kultur Beschäftigten steht für die Autorenverbände die Erhaltung und der Ausbau der Vielfalt des Buch- und Medienangebotes und eines leistungsfähigen Buch- und Medienmarktes in Europa. Dieses Buch- und Medienangebot kann nicht durch blindwütige Deregulierungen mit Förderungsersatzleistungen – das zeigen insbesondere die österreichischen Entwicklungen – erhalten und verbessert werden, sondern nur durch einen intakten Markt.

Aus diesem Grund fordern der Verband deutscher Schriftsteller, die IG Autorinnen Autoren, die Gruppe Olten und der Schweizer Schriftstellerverband sowie der European Writers’ Congress die politisch dafür zuständigen Einrichtungen der EU dazu auf, mit der Erarbeitung und Verabschiedung einer Kulturrichtlinie zum festen Ladenpreis für die Erhaltung und den Ausbau der Vielfalt des Buch- und Medienangebotes und eines leistungsfähigen Buch- und Medienmarktes in Europa zu sorgen und weniger Willen zur Wettbewerbsbürokratie und dafür deutlich mehr Willen als bisher für die Wettbewerbsgestaltung zu zeigen. [6]

Die Schnittmenge interessierter Kreise

„Inzwischen betreiben die Manager der Libro-Kette eifrig Lobbying. Nicht nur, daß sie Walter Famler von der linken Literaturzeitschrift ’Wespennest’ für eine eigene Buchedition gewinnen konnten, haben sie auch Gerhard Ruiss von der IG Autoren dreißig Millionen Schilliung für einen Fonds zur Förderung der Literatur angeboten. Ruiss ist zwar – nach eigener Aussage –– für Gespräche mit allen offen, der Vorschlag erschien ihm allerdings, nicht zuletzt wegen der Höhe der in Aussicht gestellten Summe, als nicht zielführend.“ (Die Presse, 10./11.10.1998)

Ende Februar dieses Jahres hat die IG Autorinnen Autoren ihre „Leipziger Erklärung für die Beibehaltung des festen Ladenpreises“ gestartet. Eine der ersten Beitrittserklärungen unter diese „Leipziger Erklärung“ stammte von Walter Famler, dem Verlagsleiter der Zeitschrift und Edition Wespennest. Rund zwei Wochen später, am 7.3.1998, fand im Rahmen der Präsentation der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift Buchkultur im Wiener Literaturhaus eine Gemeinschaftsveranstaltung des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels, der IG Autorinnen Autoren und der Zeitschrift Buchkultur über den festen Ladenpreis statt. Anwesend waren u.a. auch eine Vertreterin der österreichischen Arbeiterkammer und der Vorstandsdirektor von Libro, André Rettberg. Im Anschluß an diese Diskussion wurde eine Kooperation zwischen Libro und Wespennest mit der Herausgabe eines Readers („Lektüre“) bekannt.

Ende März wurden die bisherigen Unterzeichner der „Leipziger Erklärung“ auf der Leipziger Messe vorgestellt, am 11. Juni wurden ihre 10.000 Unterstützungserklärungen von der IG Autorinnen Autoren, dem Verband deutscher Schriftsteller und den Schweizer Schriftstellerverbänden dem Kommissar für Wettbewerbsrecht, Karel van Miert, in Brüssel überreicht. Mitte September fand ein Hearing der beteiligten Streitparteien zum festen Ladenpreis in Brüssel statt, an der der vom Hauptverband des österreichischen Buchhandels nominierte Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren, Gerhard Ruiss, wegen Erkrankung nicht teilnehmen konnte.

Kurz vor Beginn der Frankfurter Buchmesse tauchte zur großen Überraschung der IG Autorinnen Autoren zum ersten Mal der Name des Herausgebers und Verlegers von Wespennest, Walter Famler, als Programmgestalter des neugegründeten Verlages von Libro auf. Bei der heurigen, soeben zu Ende gegangenen Frankfurter Buchmesse stellte sich überdies die Teilnahme Walter Famlers beim September-Hearing in Brüssel auf der Lohnliste von Libro heraus.

Diese Zusammenhänge machen folgende Erklärung nötig: Der Standpunkt der IG Autorinnen Autoren in der Frage des festen Ladenpreises war immer klar und deutlich auf der Seite des für die Beibehaltung des festen Ladenpreises auftretenden österreichischen Verlagswesens und Buchhandels zu finden. An dieser Haltung hat sich nicht das geringste geändert. Die IG Autorinnen Autoren wird weiterhin für das für die Literatur zielführendere Modell des festen Ladenpreises eintreten, zumal sich bisher alle Argumente und noch viel mehr die Fakten von Beschwerdeführerseite als schnellebige Werbegags erwiesen haben. Das betrifft auch die monatelange Ankündigung der „Förderung von neuer Literatur“ durch Libro, die sich in einem Debut und in einem Reprint erschöpft und mit der sich die Verlagsstärke des „Literaturförderers Libro“ auf der Höhe eines neugegründeten Kleinstverlages bewegt.

So billig ist „Literaturförderung“ nicht zu haben, so billig gibt es vielleicht die Risikobereitschaft eines Diskonters, der seine Werbeausgaben durch geschicktes „Productplacement“ seines Firmennamens verringern kann. [7]

[1„Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften“, Brüssel, 23.2.1996.

[2IG Autorinnen Autoren, Wien, 22.3.1996.

[3LVG/Literar-Mechana, Österreichischer P.E.N. Club, Grazer Autorenversammlung, IG Autorinnen Autoren, Wien, 24.9.1996.

[4IG Autorinnen Autoren, Wien, 14.1.1998.

[5IG Autorinnen Autoren, Wien, 19.3.1998.

[6Verband deutscher Schriftsteller, European Writer’s Congress, IG Autorinnen Autoren, Brüssel, 11.6.1998.

[7IG Autorinnen Autoren, Wien, 13.10.1998.

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