FORVM, No. 63
März
1959

Existenzfragen des Adels

Seit Alexander Lernet-Holenia vor zwei Jahren im „Monat“ (Heft 101) seinen Aufsatz „Adel und Gesellschaft in Österreich“ veröffentlicht hat, ist die Diskussion über dieses Thema nicht mehr zur Ruhe gekommen, obwohl, was Lernet-Holenia über die diesbezüglichen Verhältnisse zu sagen wußte, unvergleichlich milder war als die Art, in der sich zum Beispiel Nancy Mitford, gleichfalls im „Monat“, über den englischen Adel äußerte. Ein Wiener Club hat vor kurzem einschlägige Fragen prinzipieller Natur an Lernet-Holenia gerichtet. Nachstehend bringen wir auszugsweise die in Form eines Vortrages erfolgten Antworten Lernet-Holenias.

Hat der österreichische Adel, als Stand, heute noch Daseinsberechtigung?

Selbstverständlich; und zwar gilt dies nicht nur für den österreichischen Adel, sondern für den Adel überhaupt. Denn wenn er in Österreich juristisch abgeschafft, in Deutschland zu einem bloßen Bestandteil des Namens herabgesetzt, in Frankreich aber geradezu Freiwild ist (das heißt, daß sich dort jeder nennen kann, wie er will); wenn Italien in die Fußstapfen Österreichs getreten ist und seinen jahrtausendalten Adel, über Nacht, aufgehoben hat; wenn auch sonst auf der Welt die Lebensbedingungen für den Adel immer ungünstiger werden, da sich die Welt, durch fortschreitende Technisierung, mehr und mehr von den Zuständen entfernt, unter denen der Adel entstehen und bestehen konnte: wenn all dies der Fall ist und wenn es den Adel trotzdem noch gibt, ja wenn alle Welt mehr denn je von Königen und Königinnen, Fürstenhochzeiten, Prinzen und Prinzessinen und vom Adel im allgemeinen spricht und ihn für den erstrebenswertesten Stand hält — dann ist der Adel auch daseinsberechtigt wie nur irgend etwas.

Ich weiß nicht, warum man, sonst, der gegenteiligen Meinung ist. Vielleicht weil man die Abschaffung der Vorrechte des Adels mit der Aufhebung des Adels überhaupt verwechselt. Es ist zwar wahr, daß der Adel bei uns kein einziges offizielles Vorrecht mehr besitzt. Weder übt er auf seinen ihm noch verbliebenen Gütern die Gerichtsbarkeit aus, noch sitzt er im Herrenhause; weder darf er seine Titel führen, noch empfängt er, wie es bei den Mitgliedern des Herrscherhauses der Fall war, staatliche Apanagen. Doch hat ein großer, ja der größte Teil des Adels an den Bevorzugungen der Hocharistokratie ohnedies schon die längste Zeit keinen Anteil mehr gehabt. Die Mehrzahl des niedern, wenn auch alten Adels sowie die neugeadelten Militärs und Beamten hatten nie über Grundbesitz verfügt, und in den erblichen Adelsstand erhobene Kaufleute, Bankiers und Industrielle haben auf ihren Gütern schon seit den Tagen der Fugger keinerlei Verbrecher mehr in Eisen schließen lassen oder um einen Kopf kürzer machen dürfen. Wenn aber alle offiziellen Vorrechte des Adels abgeschafft worden sind, so haben, je unadeliger die Welt geworden ist, die inoffiziellen Vorrechte des Adels an Anwert zweifellos ständig gewonnen. In der Armee und in der Diplomatie zum Beispiel ist der Adel gesuchter als je. Es gibt kaum ein industrielles oder Bankunternehmen, das nicht den Wunsch hätte, sich durch Mitheranziehung von Adeligen zu schmücken. Und was das Gesellschaftliche anlangt, so machen die vom Bürgertume oder vom — sei’s nun halbrechten oder halblinken — Pseudobürgertume gegebenen Diners, Soupers oder Empfänge den Gastgebern selbst keine rechte Freude, wenn ihre Einladungen nicht auch durch die Mitheranziehung von Adeligen aufgeputzt sind.

Kurzum, wenn man den Adel als das ansieht, was er jetzt in Wirklichkeit ist, und nicht bloß als das, was er einmal war, so wird man zugeben müssen, daß der Adel im Grunde ebenso lebendig geblieben ist wie eine ganze Anzahl sonstiger Einrichtungen, die man schon für abgestorben gehalten hatte, die es aber durchaus nicht sind, so zum Beispiel die katholische Kirche, die menschliche Anständigkeit und manches andre. Doch nicht vorwärts-, sondern zurückzublicken ist trotzdem immer ein Fehler, sogar beim Adel selbst. Denn was hat es für Sinn, etwa eine Stammreihe, die mit 1350 beginnt, durchaus bis 1150 hinauftreiben zu wollen, was für ein Unterschied besteht denn heute noch zwischen einem Briefadel aus der Zeit der Renaissance und einem uradeligen Hause, bei dem das erste Siegel schon — sagen wir — 1380 auftaucht? Bis zur Renaissancezeit stammen wir von etwa 1024 Ahnen ab, und bis 1380 sind’s allerdings bereits 64.000; aber angesichts der Unzahl, welche die zuerst genannten 1024 an sich schon sind — es handelt sich dabei um mehr Leute als um den ganzen Stand eines Kavallerieregiments —, kommt es auf die Differenz, welche die 63.000 Ahnen bis 1380 ausmachen, auch schon nicht mehr an.

Daß der Adel nicht lebensfähig sei, ist jedenfalls ein ähnliches Vorurteil wie die Behauptung, daß Arbeit nicht schände. Natürlich schändet die Arbeit, sonst würde sich die Arbeiterschaft selbst doch nicht ständig bemühen, die Arbeitszeit herabzusetzen; und wenn der Adel nicht mehr lebensfähig, nicht mehr daseinsberechtigt wäre, so würde es ihn schon längst nicht mehr geben.

Von welchen allgemeinen inneren und äußeren Gefahren ist der österreichische Adel bedroht?

Von äußeren Gefahren weniger denn je, dafür aber von inneren Gefahren mehr denn je; und zwar gilt auch dies nicht nur für den österreichischen Adel, sondern für den Adel überhaupt.

Halten wir uns zunächst die Gefahren vor Augen, denen der Adel in früheren Zeiten ausgesetzt gewesen ist. Die Todesgefahr war früher akuter, die Jugendsterblichkeit der Menschen überhaupt größer als jetzt. Die meisten Frauen erreichten damals nicht annähernd das Alter, zu dem sie es heute bringen, sondern eine große Zahl von ihnen ging im Kindbett zugrunde, und es war keine Seltenheit, daß ein Mann drei bis vier Male Witwer wurde und sich vier bis fünf Male wiederverheiratete. Acht bis sechzehn Kinder waren in den meisten Familien die übliche Menge, aber der schlechten sanitären Verhältnisse wegen überlebten die wenigsten, und das war noch bis tief hinein ins neunzehnte Jahrhundert so. Auch rafften immer wieder Seuchen, Hungersnöte und Kriege die Menschen hinweg.

In die Städte sowie in die festen Schlösser und Klöster drangen feindliche und eigene Truppen — und diese waren nur wenig besser als jene— bloß selten. Hingegen plünderten, brandschatzten und mordeten sie sozusagen schon aus prinzipiellen Gründen im flachen Land. Das Anzünden von Dörfern gehörte zum Vergnügen, die Plünderung von Bauernhöfen zur Verproviantierung, die Vergewaltigung zum Liebesleben der Soldaten. Der exponierteste Stand also waren ehedem die Bauern, denn sie vermochten sich nicht oder kaum zur Wehr zu setzen; am wenigsten exponiert aber waren der Klerus und das Bürgertum, denn diese beiden Stände exponierten sich weder freiwillig noch brauchten sie sich zu wehren; und dazwischen stand der Adel, der, als Kriegerstand, zwar verpflichtet war, sich zu exponieren, sich dabei aber wenigstens auch wehren durfte.

Doch kam hiezu beim Adel auch noch etwas, das man in unserm bürgerlichen Zeitalter, wenngleich fälschlicherweise, nur noch den Luxus der Gefahr nennen würde, nämlich die Verpflichtung, sich gegebenenfalls zu duellieren; sie griff auch auf den gesamten Offiziersstand über, ob er nun adelig war oder nicht, und schließlich sogar auf das gehobene Bürgertum.

Die eigentliche Zeit der Zweikämpfe war das siebzehnte Jahrhundert, und das eigentliche Land der Duelle war Frankreich. In Frankreich allein sind im siebzehnten Jahrhundert mehr als 30.000 Edelleute im Zweikampf gefallen, während eine vielfache Anzahl davon bloß verwundet wurde. Jeder Edelmann, der auf diesem Gebiete ein übriges tun wollte, ging mit einer beachtlichen Menge von Stichnarben durchs Leben, bis er schließlich auch noch den Tod im Zweikampf fand. Im achtzehnten Jahrhundert nahm die Sitte, sich selbst schon aus dem geringsten Anlasse zu schlagen, erheblich ab, und im neunzehnten ward die Möglichkeit zum Duell durch eine beträchtliche Menge von Prozeduren und Vorschriften noch weiter eingeengt. Aber in Ländern, die damals noch für halb wild galten, in Ungarn also und vor allem in Rußland, blühte das Duell kräftig weiter, und so sind denn auch zum Beispiel zwei der namhaftesten russischen Dichter, Puschkin und Lermontow, im Zweikampf gefallen. Doch auch in Wien gab es bis hinein in unser eigenes Jahrhundert noch genug Duelle. Ich selbst erinnere mich noch der Zeit, zu der sie, am Anfange des ersten Weltkriegs, überhaupt untersagt wurden, um danach nie wieder gestattet zu werden. Nach dem Kriege wurden zwar noch einige Versuche gemacht, die Ehrenräte und Duelle wieder ins Leben zu rufen, wenn aber einer der Gegner bei der bewaffneten Auseinandersetzung getötet wurde, so lief nicht nur der Überlebende, sondern es liefen auch die Sekundanten und die übrigen Zeugen des Duells Gefahr, als gemeine Mörder festgenommen und abgeurteilt zu werden.

Kann sich der Adel Europas also schon vor dem Gefährlichsten, dem Duell, sicherfühlen; genießt er auch die Vorteile der allgemeinen Kriegsmüdigkeit und Kriegsgegnerschaft überhaupt; und profitiert er ganz ebenso wie das Bürgertum und das Proletariat von der Tätigkeit der Anti-Atomverbände und der friedfertigen Gesinnung der amerikanischen Frauenvereine: so ist er überdies, ob nun Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, sozial versichert, gewerkschaftlich organisiert und von Krankenkassen umsorgt wie die übrige Welt auch. Man wird also zugeben müssen, daß es dem Adel zumindest so gut geht, beziehungsweise gehen könnte, wie dem Bürgertum, wahrscheinlich aber, weil er geachteter ist als jenes, sogar noch um einige Nuancen besser, und daß daher auch die äußeren Gefahren, denen er ausgesetzt ist, heutzutage geringer einzuschätzen sind als je. Was allerdings die inneren Gefahren anlangt, so dürfte die größte Gefahr davon die sein, daß er diese inneren Gefahren, vor lauter Wegfall der äußeren, gar nicht mehr merkt.

Seltsamerweise nämlich ist gerade diejenige Institution, die, durch eine Art von Verdünnungsprozeß der alten, strengeren Prinzipien, aus dem Adel selbst hervorgegangen ist, die auch das gehobene Bürgertum mit umfassende sogenannte Gesellschaft, die Hauptträgerin der Bazillen, für die der Adel am anfälligsten ist. Im allgemeinen gilt die Gesellschaft, welche praktisch die Stelle des Adels eingenommen hat, der früher ganz unter sich selbst war, für eine Schöpfung der Großen Französischen Revolution, die mit der Hinzufügung des Tiers Etat — des dritten, bürgerlichen Standes zu den beiden Urständen Adel und Klerus — recht eigentlich ihren Anfang genommen hatte. Aber schon vor der Revolution in Frankreich waren Bestrebungen des Bürgertums im Gange gewesen, in den Adel einzudringen, das heißt, in Gemeinschaft mit ihm eben die neue Gesellschaft zu bilden. Wenige Jahrzehnte später begann sich die Gesellschaft — es sei denn, daß es sich um eine reine Hofgesellschaft gehandelt hätte — mehr und mehr aus Bürgern zu konstituieren, die, an Stelle des immer weiter zurückgedrängten Adels, aus reichen Leuten bestanden, welche sich am Ende sogar ihrerseits wiederum adeln ließen. Der alte Adel aber blieb auch weiterhin in der Gesellschaft, wenngleich in einer für seine innere Situation besonders gefährlichen Lage: er hatte in wesentlichen Fragen nichts mehr zu sagen und zu entscheiden. In wesentlichen Fragen entschied das Bürgertum allein, und diese dem Adel aufgedrängte Verantwortungslosigkeit machte ihm die Rolle, die er zu spielen, beziehungsweise nicht zu spielen hatte, geradezu verführerisch bequem.

Hat der österreichische Adel eine Aufgabe, und wenn ja, dann welche?

Diese Frage ist, ebenso wie die erste, mit einem „Selbstverständlich“ zu beantworten. Der österreichische Adel hat eine Aufgabe, und zwar ist es diese: Er selbst zu bleiben und sich durch keinerlei Einflüsse korrumpieren zu lassen.

Welches sind nun die Einflüsse, die ihn korrumpieren könnten, beziehungsweise schon begonnen haben, ihn zu korrumpieren?

Neben den bereits bei Beantwortung der zweiten Frage aufgeführten Gefahren möchte ich vor allem nennen: Oberflächlichkeit, Snobismus, abgeschwächtes Ehrgefühl, Unbelesenheit, Posieren auf Unbildung, weil man fürchtet, daß es nicht für standesgemäß gelten könnte, zu lesen und sich zu bilden, mit einem Worte all das, was den Adeligen zur Karikatur seiner selbst zu machen imstande wäre.

Um mit der Erörterung des Snobismus zu beginnen: Da die ganze übrige Welt snobistisch ist, hat der Adel — als der einzige Stand, der sich’s leisten kann, nicht snobistisch zu sein — die strikte Verpflichtung, alle Arten von Snobismus denn auch in der Tat bleiben zu lassen. Snobismus ist immer und unter allen Umständen ein Zeichen von Unvornehmheit; das sagt schon die Auflösung des Wortes Snob, das eigentlich eine Abkürzung ist, nämlich für: sine nobilitate, ohne Vornehmheit. Möge der Snobismus also den Unvornehmen überlassen bleiben.

Stellen Sie sich nun aber vor, welchen Eindruck es auf Ihre Umwelt machen müßte, wenn Sie, die hier Versammelten, wirklich snobistisch wären, das heißt, wenn diejenigen, die keinen Zutritt zu Ihrem Club haben, mit Recht sagen könnten: Hier sitzen lauter junge Leute, die im Grunde wenig oder gar nicht von uns andern verschieden sind, die sich aber nur deshalb zu diesem Club zusammengeschlossen haben, weil sie wegen ihrer gesellschaftlich bevorzugten Stellung glauben, anders zu sein! Was bliebe — Hand aufs Herz — von uns allen übrig, wenn wir unsere Umwelt wirklich zur Analyse unserer Personen herausfordern würden? Ich will versuchen, es zwar nicht von Ihnen, wohl aber wenigstens von mir selbst zu erraten: Wahrscheinlich nichts weiter als ein ebenso durchschnittlicher Literat wie die meisten andern auch, nur mit einem etwas besseren Stil, obwohl mir auch dieser Stil von einem unserer führenden Ölindustriellen bestritten worden ist, der, ich weiß nicht worauf, offenbar aber auf seiner Kenntnis des Petroleums basierend, der Meinung Ausdruck gab, ich schriebe nicht viel besser als ein zwölfjähriges Kind.

Sie sehen also, wie vieler unsachlicher Kritik man schon unterworfen ist — wie gefährlich ist es erst, berechtigte Kritik herauszufordern! Ja, eigentlich hat der Adel vor allem deshalb stets so unangefochten bestanden, weil er entweder keine Gelegenheit zur Kritik geboten oder weil er um sich eine Atmosphäre zu schaffen verstanden hat, welche die Kritik überhaupt abzuschrecken imstande war.

Ein weiterer Defekt nicht nur der Gesellschaft im besonderen, sondern unserer Zeit im allgemeinen ist das Prunken mit extremer Unbelesenheit. Ich weiß nicht, ob es wirklich wahr ist, daß sich Hindenburg gerühmt hat, zeitlebens nur zwei Bücher gelesen zu haben: die Bibel und das Exerzierreglement. Zuzutrauen wäre es ihm jedenfalls gewesen. Aber selbst wenn es sich in der Tat so verhalten hätte, wäre er ein Leser unvergleichlich besserer Bücher gewesen als die meisten Leute von jetzt, die sich mit dem Verschlingen von Kriminalromanen begnügen. Auch ich selbst lese äußerst ungern: selten die Bibel, noch seltener das Exerzierreglement, und Kriminalromane überhaupt nicht. Aber ich muß trotzdem sagen, daß auch ich selbst oft erstaunt, ja geradezu sprachlos bin, wenn ich entdecke, was andre Leute alles nicht gelesen haben; und insonderheit in der Gesellschaft liest man sogar dasjenige nicht, was die Gesellschaft selbst unmittelbar angeht. Dieses halbstarke Sich-selbst-seiner-Unwissenheit-Berühmen ist jedoch längst überholt. Im Zeitalter der sogenannten Aufklärung war die Gesellschaft der intelligenteste und gebildetste Stand. Doch seit die Aufklärung wirklich ihren Einzug gehalten hat, will die Gesellschaft durchaus wieder analphabetisch geworden sein. Aber mit Unbelesenheit und Unbildung stellt man die Weltuhr nicht zurück. Vielleicht war eine — zum mindesten verhältnismäßige — Primitivität dem Leben auf den ungarischen und polnischen Gütern der Vergangenheit noch angemessen. Denn die Elemente des adeligen Daseins waren damals an sich schon schlicht genug, und die Eintönigkeit der Existenz, zu der man verurteilt war, wurde nur gelegentlich durch ein Tanzvergnügen, eine Jagd und die eine und andre Fahrt nach Budapest oder Lemberg unterbrochen. Ja, manche kleineren Besitzungen lagen so aus der Welt, daß dort niemand etwas daran fand, wenn die Dienerschaft barfuß servierte. Heute jedoch, wo meist überhaupt keine Dienerschaft mehr, weder barfuß noch in Schuhen, serviert, wo es dafür aber jedem von uns möglich ist, binnen wenigen Minuten ein Gespräch mit Paris oder Hamburg zustande zu bringen und in nicht viel mehr als einem Dutzend Stunden in New York zu sein, in dieser unserer Zeit, wo praktisch schon jeder von uns einen Wagen besitzt, der zwanzig- bis dreißigmal mehr Pferdekräfte hat als die Equipage seines Großvaters, und wo wir zwar statt in Schlössern mit vierzig oder fünfzig Zimmern und Sälen in zwei bis drei Zellen der wabenartigen Stockwerke großer Wohnblocks hausen müssen, hingegen über Radios, Television, vollmechanisierte Küchen, Schnellbahnen und Mondraketen verfügen, macht sich ein Mensch, der auf den Bildungsstand posiert, wie er in den Achtzigerjahren in der Wildnis üblich war, nur lächerlich.

Die eigentümlichste und wahrscheinlich auch verhängnisvollste Erscheinung in der guten Gesellschaft ist aber die, daß sich die Herren an der Gesellschaft und an ihren Bestrebungen und Zielen mehr und mehr desinteressiert erklären, das heißt, daß sie fast ganz in ihren Berufen aufgehen, viel zu ermüdet sind, beziehungsweise sich etwa auch bloß zu ermüdet stellen, um sich um das Gesellig-Soziale zu kümmern und alle diesbezüglichen Verpflichtungen und Arrangements auf ihre Damen schieben, wenn nicht gar denselben ganz überlassen. Wir sind auf diese Art aus einer patriarchalischen Welt in eine matriarchalische Welt geraten, und daß es sich bei diesem Matriarchat eigentlich um ein Matronat handelt, macht die Sache nicht besser.

Lassen Sie mich, jedenfalls, abschließend wiederholen:

Zweifeln Sie nicht daran, daß der Stand, dem die meisten von Ihnen angehören, der Adel, ja daß sogar auch die Institution, der Sie alle angehören, die gute Gesellschaft, volle Daseinsberechtigung hat. Natürlich hat sie auch ihre Schwächen, und selbstverständlich hat sie auch der Adel. Denn wer oder was hätte sie nicht! Wie ich aber einmal versucht habe, die Schwächen Österreichs, das wir alle so sehr lieben und weil wir es alle so sehr lieben, durch den Satz zu charakterisieren: Österreicher ist, wer es trotzdem ist, so versuchen auch Sie, die Schwächen Ihres Standes in sich selbst zu überwinden, indem Sie dem Satze nachleben: Adelig ist, wer es trotz seiner Schwächen ist.

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