Fähnchen im Kopf
Wir erleben es in rascher Abfolge, das politische Weltgeschehen hält Entscheidungen für uns parat, wir sollen Angebote affirmieren: kauft Frieden Leute, bejaht den Krieg! Wir sollen uns daran gewöhnen, für oder gegen etwas zu sein, Niederlagen machen uns nicht klüger, zum mitspielen sind wir gezwungen, die Agenda des vorgeblich Politischen — das, was vorgeblich heute zur Entscheidung steht — wird anderswo gemacht.
Und wir kalkulieren, wägen ab zwischen den Übeln, zählen Tote, rechnen uns vergebene Chancen vor, dasselbe Spiel zu spielen (warum nicht auch gegen das Regime x; warum nicht gegen den Krieg y), schultern das Schicksal, alle sind wir tragische HeldInnen, die sich für das kleinste moralische Übel entscheiden müssen. Sie packen uns am heiklen Punkt: Wir können nicht neutral bleiben, nicht teilnahmslos, wir schämen uns beim Gedanken, keine Position zu beziehen und wissen, dass wir den aggressiven Zynismus, die Disposition der Unbeteiligten nicht hinnehmen können.
Also sind wir gegen diesen Krieg und den Militarismus, der Kriege wie diesen zu seiner Aufrechterhaltung braucht. Wir sind gegen diesen Krieg, weil er die prinzipielle Möglichkeit — losgelöst von jeder Begründung — erfolgreicher militärischer Interventionen, die höhere Profite als Kosten für den Aggressor verursachen, als Angebot aktualisiert. (Heute sind es Massenvernichtungswaffen, morgen ein gebrochener Handelsvertrag ...) Wir sind gegen diesen Krieg, weil er das Völkerrecht als politisches Instrument schwächt, indem es sanktionslos gebrochen wird.
Also sind wir gegen das faschistische Regime der Baath-Partei, gegen deren Terrorregime. Wir haben den BürgerInnenkrieg verfolgt, den Einsatz von Giftgas gegen die kurdische Bevölkerung, die zahllosen und doch zu zählenden anderen Massaker. Wir wissen, dass demokratisch gewählte Regierungen dieses Regime aus Eigeninteresse militärisch in großem Umfang unterstützt haben, der Krieg im Inneren mit unseren Mitteln erfolgt und die verhängten Sanktionen noch Waffe in diesem Krieg geworden sind.
Wir beziehen Position und stehen auf verlorenem Posten: die Ambivalenzen und Konflikte, in die uns das stürzt, machen unsere Stimmen vibrieren, wenn wir davon sprechen, wir hören kaum zu, gehen in der Diskussion zum Gegenangriff über (... die Qualität der Argumente unserer FreundInnen, an der wir erkennen, dass sie außer sich sein müssen, weil in keinem anderen Rahmen sie auf ähnliche Aussagen zurückgreifen würden ...) Wir können uns nicht darauf verlassen, dass unsere engsten Freundinnen auf die selbe Seite fallen (ist uns die Entscheidung schwer gewesen, halten wir es noch schwerer aus, dass die gewählte Lösung uns nicht einmal mit einem Gefühl der Sicherheit belohnt).

Wie wir im Krieg die militärischen Bewegungen verfolgen, verfolgen wir das Auseinandertreten unserer Allianzen. Was bringt sie dazu, dass ... von ihm hätte ich das nie geglaubt ... was hat sie um den Verstand gebracht ... was ist bei ihm gebrochen? Plötzlich der Graben und auf der anderen Seite stehen dicht an dicht jene, auf die wir uns bislang immer verlassen konnten, die uns ein halbwegs optimistisches Wir ermöglichten, mit Gruppierungen, die unsere Gegnerinnen immer schon waren. Gemeinsame Sache mit Antisemitinnen, einschwenken in die Koalition der KriegstreiberInnen. So werden wir beschäftigt, beschämt, getrennt und der Krieg beginnt, hält ein, geht weiter und unsere Fähigkeit, die Agenda selbst zu bestimmen, kommt nicht zu Kräften.
Kollektive Selbsttechniken: Alternativen zu finden zu den aufgezwungenen Alternativen, sich nicht trennen lassen und Kollektive bilden auf Basis gemeinsamer politischer Programmatiken. Uns darauf verlassen, was wir über uns und jene, mit denen wir leben und arbeiten, wissen und wenn schon tragisch scheitern, dann daran, dass wir nicht so freundlich sein können, wie wir gerne wollten. Für diese Übungen werden wir noch oft Gelegenheit bekommen.
