Grundrisse, Nummer 17
März
2006
Andrea Griesebner:

Feministische Geschichtswissenschaft

Eine Einführung

Wien: Löcker Verlag, 2005, 202 Seiten, 15 Euro

Das Ergebnis kann vorweggenommen werden: Die an der Universität Wien lehrende Frühe-Neuzeit-Historikerin Andrea Griesebner hat mit diesem Buch eine sehr gute Einführung vorgelegt. Sie gibt einen Überblick über die verschiedenen Ansätze der Frauen- und Geschlechtergeschichte und die Entstehung der „modernen“ Wissenschaft samt ihren Institutionen und schildert die darauf bezogene feministisch motivierte Kritik der letzten Jahrzehnte. Durch den ganzen Text hindurch wird deutlich, wie politisch Geschichte und Geschichtsschreibung ist, was sich allein schon an der Frage zeigt, wessen Perspektive als historische Wahrheit legitimiert werden soll. Feministische Geschichtswissenschaft lasse sich, so die Autorin, nicht über einen einheitlichen Gegenstand definieren, sie sei auch keine Teildisziplin – sondern im Gegenteil Geschichtsschreibung aus einer feministischen Perspektive.

Im ersten von drei Kapiteln erzählt Griesebner die Entstehung der Geschichtswissenschaft ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach. Frauen waren von der Wissenschaft ausgeschlossen, noch Anfang der 1980er Jahre gab es in ganz Österreich nur zwei geschichtswissenschaftliche Professorinnen. Frauen erkämpften sich nur sehr langsam und sehr verstreut den Einlass in die Trutzburg der Konkurrenz fürchtenden Männer.

Im zweiten Kapitel werden – nach einem kurzen Ausflug in die 1970er und 1980er Jahre, der Zeit der zweiten Frauenbewegung – chronologisch die verschiedenen theoretischen Ansätze einer feministischen Geschichtswissenschaft vorgestellt: von dem sehr prägenden Text von Maria Mies „Methodische Postulate zur Frauenforschung“ von 1978 über die Kritik daran, vor allem durch die Mittäterschaftsthese von Christina Thürmer-Rohr 1983, bis zur grundsätzlichen Infragestellung von Gegensatzpaaren wie Natur/Kultur, öffentlich/privat und vor allem auch ”Mann”/”Frau” in späteren Jahren. Aktuelleren Debatten nähert sich die Autorin, indem sie fragt, wie bestimmte Aspekte der Historischen Anthropologie oder auch das Bourdieusche Konzept der Praxeologie zur näheren Bestimmung und zur Aufhebung des Widerspruchs zwischen Struktur und Erfahrung benutzt werden können.

Im dritten Kapitel widmet Griesebner sich schließlich dem weiten Feld der Dekonstruktion und den Debatten um sex und gender: Sex als ein anatomisches Merkmal des Körpers, und gender als kulturelles Konstrukt dessen, was eine Gesellschaft als „weiblich“ oder „männlich“ ansieht. Auch wenn die Einführung des Begriffs „gender“ ein politischer und wissenschaftlicher Fortschritt gewesen sei, so Griesebner, verbleibe er doch einem körperlichen Substrat verhaftet und beachte zu wenig, dass geschlechtliche Identitäten in erster Linie ein Produkt von Normen und der individuellen Sozialisation seien – und weniger eines von körperlich feststellbaren „Tatsachen“. Zu untersuchen sei nun, wie sich in den letzten 150 Jahren die Geschlechterdifferenzen (bzw. ihre Wahrnehmung) herausbildeten. Dies würde auch bedeuten, von der Vorstellung Abschied zu nehmen, es gebe einen harten Kern individueller Identität – denn diese Identität entstehe schließlich immer in Auseinandersetzung mit anderen Menschen, sei also nicht zuletzt historisch. Zweitens könne Geschlecht nicht mehr als unverrückbare Kategorie angesehen werden, und auch „Erfahrung“ sei ein diskursives Ereignis, und nicht etwa unhinterfragbare Realität.

Die Autorin positioniert sich forschungspolitisch sehr parteilich, was schon allein deshalb zu begrüßen ist, da es in letzter Zeit etwas aus der Mode gekommen ist. Konstruktivistische Ansätze werden von der Autorin bevorzugt: Sie fordert im Hinblick auf eine handlungsfähige Frauenbewegung einen Verzicht auf Identitätspolitik. Wie jedoch ein Handeln jenseits des „feministischen Paradoxons“ (Joan W. Scott), das immer schon gefangen ist in der Herstellung der Kategorie „Frau“, die aufzulösen es angetreten ist, aussehen könnte, bleibt unklar – und damit nach wie vor aktuell. Emanzipatorische Bewegungen (und auch Wissenschaft) werden politisch erst wieder handlungsfähig, wenn sie auf die Anrufung kollektiver Identitäten verzichten. Angezeigt sei eine „Politik der Allianzen“, deren Verbindung über das auszuverhandelnde gemeinsame Ziel, und nicht im Rückgriff auf vorgeblich gemeinsame Identitäten (Arbeiter, Frau, etc. pp.) erfolgen sollte.

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