Feministischer Eigensinn
Auf der Basis der Vorträge, die am „ersten feministischen Politikwissenschafterinnentag“ im Mai 2000 in Marburg gehalten wurden, ist nun im Argument-Verlag ein Sammelband unter dem Titel Feministischer Eigensinn erschienen, dessen Untertitel „Kompaß für Politik und ihre Wissenschaft“ so sehr nach Zeitschrift klingt, daß die Fortsetzung quasi schon mitgemeint ist.
Gründe, einen feministischen Kongreß — gleich welcher Disziplin — zu organisieren, gibt es wohl mehr als genug und es sollte auch keinerlei Notwendigkeit bestehen, ein solches Unterfangen zu rechtfertigen. Daß hier trotzdem einleitend ein Grund oder besser ein Anlaß genannt wird und daß dieser die Leserin, den Leser gleich aufhorchen läßt — „[e]in mutwillig heruntergerissenes Plakat feministischen Inhalts“ (S:7) — liegt wohl an dessen einschlägiger Banalität. Hier wird signalisiert: Nicht (nur) in akademische Diskurse soll interveniert werden, sondern (auch) in den universitären Alltag, wobei die Universität als durchaus austauschbarer Ort der Artikulation gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zu sehen ist.
Bemerkenswert ist, daß es ein solches Projekt, das „von insgesamt 20 Studentinnen/Doktorandinnen inhaltlich und organisatorisch vorbereitet“ (S.8) wurde, dann tatsächlich bis zur Publikation in einem renommierten Verlag schafft und nicht gleichzeitig in die Falle tappt, sich unter die „Schirmherrschaft“ prominenter WissenschafterInnen zu stellen, womit nicht nur die eigene Arbeit unsichtbar gemacht würde, sondern womöglich auch die „feministische[...] Widerspenstigkeit“(S.9) zu leiden hätte. Die „Ehre“ der Herausgeberinnenschaft bleibt also zwei jungen Politikwissenschafterinnen: Ayla Satilmis und Telse Jacobs, die derzeit feministische Diplom- bzw. Doktorarbeiten schreiben.
Die thematische Unbestimmtheit, die die dem Sammelband zugrunde liegende Veranstaltung bereits im Titel trägt, setzt sich auch in Buchform fort, was einerseits gut mit der Anforderung, feministische Kritik aus „verschiedenen Perspektiven“(S.8) zu Wort kommen zu lassen, korrespondiert, andererseits kaum einen durchgängigen inhaltlichen Bogen zwischen den Beiträgen schafft. Ohne der Schwierigkeit, die thematische Breite in eine Rezension zu verpacken, ganz ausweichen zu können, werde ich im Folgenden einzelne Aufsätze einer genaueren Lektüre unterziehen — im Versuch auch so dem Ganzen gerecht zu werden.
Ingrid Kurz-Scherf, Professorin für Politikwissenschaft an der FH Bielefeld mit den Schwerpunkten politische Ökonomie, Gewerkschafts- und Arbeitsmarktpolitik und feministische Politikwissenschaft unterzieht in ihrem Beitrag — „Was heißt und zu welchem Behufe studieren und betreiben wir feministische Politik(wissenschaft)?“ — die Positionierung als feministische Politikwissenschafterin einer grundlegenden Reflexion. Die verquere Syntax ihres Titels — übrigens ein doppelt abgewandeltes Zitat: zunächst verwendete Schiller 1789 eine ähnliche Formulierung in Bezug auf die „Geistesgeschichte“, dann diente es 1989 als Motto einer „Jubiläumsveranstaltung“ der Politischen Wissenschaft an der FU Berlin in Bezug auf die Politikwissenschaft — soll auf ein zentrales Problem im Selbstverständnis hinweisen: Wie kann feministische Politik(wissenschaft) zugleich Subjekt und Objekt des Interesses sein? Und sie kommt über diesen kleinen stilistischen Umweg gleich zur zentralen These ihres Aufsatzes: „Vorrangig geht es mir aber im folgenden um die Verortung feministischer Politikwissenschaft in der spannungsgeladenen Dreiecksbeziehung zwischen Politischer Wissenschaft, feministischer Wissenschaft und feministischer Politik.“ (S.50) Zunächst geht es — und diese Perspektive findet sich in mehreren Beiträgen dieses Bandes — um die Bestandsaufnahme einer, im Vergleich zu anderen Geistes- und Sozialwissenschaften deutlich verspätet, aber schließlich doch angekommenen — doch bei weitem noch nicht angenommenen — „feministischen Herausforderung“ in der Politikwissenschaft. In einer kurzen Erinnerung an die jüngere Geschichte dieser Disziplin, die unter dem heutigen Namen in Deutschland nach 1945 in die Universitäten Eingang gefunden hat und damals vor allem im Zeichen von Demokratisierung, politischer Bildung und Reeducation gestanden ist (vgl. S.55), sich aber bald darauf — im Zuge des Kalten Kriegs — nach amerikanischem Vorbild „zu einem wissenschaftlichen Arm der Systemkonkurrenz“ (S.55) entwickelt hat und damit zu einer durchwegs affirmativen und „staatstragenden“ Grundhaltung gelangt ist. Doch auch die kritische Politikwissenschaft, die sich in den 70er und 80er Jahren herausgebildet hat, unterliegt weithin dem „male bias“ (S.56). Im Vergleich zu ihren Nachbardisziplinen hat sich die Politikwissenschaft als besonders resistent gegenüber feministischen Theorien und Methoden erwiesen. Ingrid Kurz-Scherf erklärt dieses Phänomen unter anderem mit „dem in der Politikwissenschaft dominierenden Politikbegriff im vorrangigen Sinn von Regierungs- und Herrschaftshandeln“ (S.57).
Nun ist aber in den letzten zwei Jahrzehnten doch einiges in Bewegung geraten — feministische Politikwissenschaft hat an den meisten Universitäten zumindest am Rande Eingang in die Lehre und Forschung gefunden und es stellt sich in einer ersten Bilanz die Frage, ob mit der „feministischen Herausforderung“ tatsächlich eine Öffnung der Disziplin einhergegangen ist, ob es zu einer Erweiterung des Politik-Begriffs gekommen ist, ob diese nur der Erosion des politischen Staatshandelns im Allgemeinen und einer Ökonomisierung der Gesellschaft zuzurechnen ist, oder ob es auch progressive Elemente dieser Entwicklung gibt bzw., wie es Ingrid Kurz-Scherf nennt, es zu einer „demokratiewissenschaftlichen Rückbesinnung“ (S.60) in der Politikwissenschaft kommt. Im Zuge der „Dialektik von Autonomie und Anerkennung“ (S.60), die die feministische Politikwissenschaft in allen drei vorhin skizzierten Spannungsfeldern bestimmt, ist es wichtig, die produktive Dynamik und die selbstbewußte Setzung, in dem durch Politikwissenschaft, feministische Wissenschaft und feministische Politik bzw. Frauenbewegung geschaffenen Rahmen, als „feministisch — politisch — wissenschaftlich“(S.69) voranzutreiben ohne allzu sehr dem Anpassungsdruck zu unterliegen, ohne sich aber auf der anderen Seite in ein Ghetto zurückzuziehen. Deshalb bleibt die zuvor gestellte Frage wohl aufrecht: „[B]edarf es nicht ganz grundsätzlich einer Neubegründung politischer Wissenschaft in einem neuen, anderen, feministischen Verständnis des Politischen?“(S.67)
In einen aktuellen Kontext greift der Artikel von Christina Schenk mit dem Titel „Lebensweisenpolitik — die Alternative zur ’Homo-Ehe’“ (S.130) ein. Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete und familien- sowie Lesben- und Schwulenpolitische Sprecherin der PDS und formuliert in ihrem Beitrag eine grundlegende Kritik an der „Ehe“ für homosexuelle Paare, die an der Bevorzugung der Ehe unter sämtlichen möglichen Lebens- und Zusammenlebensformen nicht rüttelt. „Die Gleichstellung aller Lebensweisen ist kein Problem sogenannter Randgruppen oder Minderheiten, sondern sie gewährleistet die Freiheit für jede und jeden, die eigenen Lebenszusammenhänge so authentisch wie subjektiv möglich zu gestalten.“(S.132) Daß einer realen Diversifizierung von Lebens- und Familienformen — insbesondere in Großstädten — kein entsprechender gesetzlicher Rahmen gegenübersteht, daß ein Großteil der Lebensformen rechtlich nicht abgesichert ist - ist das Problem, das durch grundsätzliche Novellierungen des Sozial- und Steuerrechts, des Miet-, Erb-, Kindschafts- und Adoptionsrechts entschärft werden könnte. In der Alternative zwischen „Bürgerrechtspolitik“, die versucht, sich an politischen Mehrheiten zu orientieren und die Gleichstellung der eigenen Gruppe fordert und einer „emanzipatorischen Politik“, die auf Veränderung des Ganzen zielt und — wie Christina Schenk meint — „grundsätzlich nicht mehrheitsfähig“(S.138) ist, sondern nur auf lange Perspektive durch „Provokationen“ und „radikale Forderungen“ zu neuen Entwicklungen beitragen kann, sind beide legitim — auch wenn die Autorin kein Hehl daraus macht, auf welcher Seite sie steht — und in der Wechselwirkung zwischen diesen Formen politischer Intervention liegt viel Konfliktstoff, aber auch die Belebung der öffentlichen Debatten.
Schließlich möchte ich noch auf einen Beitrag eingehen, der durch seinen geographischen Bezugspunkt etwas aus der Reihe tanzt, aber zu einer Öffnung in außeruniversitäre und außerEUropäische Themenfelder, die doch insgesamt in diesem Band zu kurz kommen, beiträgt. Heidi Wedel beschreibt in ihrem Aufsatz „Identitätsbewegungen und Geschlecht in der Türkei“ (S.179) die Beteiligung von Frauen am politischen Leben in verschiedenen Kontexten: dem nach wie vor staatstragenden, säkular und westlich orientierten Kemalismus, der islamistischen Bewegung in der Türkei und der kurdischen Bewegung, aber auch in feministischen Gruppierungen. Das strenge Prinzip des Einheitsstaates im Kemalismus, der keine abweichenden Identitäten und keine Interessenkonflikte duldete, führte vor allem seit den 80er Jahren zu einem Erstarken der islamistischen Bewegung einerseits, der Organisierung der kurdischen Bevölkerung andererseits. Frauen sind in der kemalistischen Modernisierungsideologie grundsätzlich gleichgestellt, auch das Frauenwahlrecht wurde vergleichsweise früh eingeführt (1930 bzw. 1934), [1] doch diese „Frauenbefreiung von oben“ stieß einerseits auf große soziale Widerstände vor allem in ländlichen Gebieten und betraf andererseits nur eine Minderheit von Frauen, meist aus der städtischen Oberschicht. Außerdem mußte „[d]ie Beteiligung am öffentlichen Leben [...] mit einem weiterhin geschlechtshierarchischen Familienleben, die Berufstätigkeit mit der Mutterrolle harmonisieren.“ (S.183) So haben sich viele Frauen aus ärmeren Schichten und ländlichen Gebieten, die von den Errungenschaften der Modernisierung ausgeschlossen waren, in islamistischen Organisationen engagiert. Hier spielt zum einen die lokale soziale Arbeit, die von diesen Parteien geleistet wird, eine wichtige Rolle, die Attraktivität bezieht der Islamismus aber auch, so Heidi Wedel, aus der ideologischen Erklärung für die eigene Position. „Der“westlichen„Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Aufhebung der räumlichen Geschlechtertrennung wird eine“islamische„Komplementarität entgegengesetzt, nach der die Geschlechter unterschiedliche Aufgaben in getrennten Räumen wahrnehmen.“ (S.185) Gerade in den suburbanen Armenvierteln der in die Stadt migrierenden Bevölkerungsgruppen können religiös-islamistische Gruppen einen Rahmen für die Vernetzung und Kooperation von Frauen bieten, die sonst völlig auf den häuslichen Raum beschränkt wären. Daß diese Frauengruppen dann oft noch wichtige lokalpolitische Aufgaben wahrnehmen und auf informellen Wegen Lobbying betreiben, bleibt oft — gerade von den Männern und den islamistischen Parteien selbst, aber auch in der „westlichen“ Wahrnehmung — unberücksichtigt.
Der Assimilationszwang, dem die KurdInnen in der Türkei unterliegen, trifft Männer — durch häufigeren Schulbesuch, Militärdienst und Berufstätigkeit — stärker als Frauen. Deshalb „wurden die Frauen von der kurdischen Bewegung zu Trägerinnen der kurdischen Identität stilisiert, weil sie weniger assimiliert seien.“ (S.191) Das heißt natürlich auch, daß ihr Ausschluß aus der öffentlichen Sphäre damit idealisiert und gefestigt wurde. In vielen Untersuchungen zu ungleich behandelten Bevölkerungsgruppen läßt sich feststellen, daß die Unterordnung von Frauen in der unterdrückten Gruppe verstärkt wird, während sie in der bevorzugten Gruppe verringert werden kann. Doch mit einem erstarkenden kurdischen Selbstbewußtsein und der umstrittenen Hinwendung einiger kurdischer Gruppierungen (insb. der PKK) zum bewaffneten Kampf und der „zunehmende[n] Präsenz von Frauen in der Guerilla und ihre[r] aktive[n] Beteiligung am Kampf [...] werden bestehende Geschlechterverhältnisse in Frage gestellt und allmählich verändert.“(S.192). Auch hier wird aber ein stilisiertes Bild der „entsexualisierten Mitstreiterin“ proklamiert. Eine feministische Haltung wird von den in der PKK organisierten Frauen zumeist als partikularistisch abgelehnt. Andere kurdische Frauenorganisationen arbeiten seit den 90er Jahren durchaus auch mit türkischen Feministinnen zusammen — v.a. zu den Bereichen Vergewaltigung und Gewalt in der Ehe. Seither sind einige gemeinsame Projekte zustande gekommen: feministische Zeitschriften, Frauenfriedensinitiativen, Kampagnen etc. Zunehmend organisieren sich kurdische Feministinnen auch autonom und üben Kritik sowohl an kurdischen Männern, als auch an einem am „universellen Frausein“ orientierten türkischen Feminismus, der die spezifische Unterdrückung kurdischer Frauen zu wenig anerkenne. Diese Bewegungen sind in zwei Richtungen bedeutend, einerseits um den — Geschlechterhierarchien verneinenden oder ideologisch verklärenden — Identitätsbewegungen eine eigenständige Positionierung von Frauen entgegenzusetzen, andererseits um eine immer wieder wichtige Diskussion innerhalb der feministischen Bewegung über ihre „blinden Flecken“ in Bezug auf Klasse, Religion oder kultureller Zugehörigkeit anzuregen.
„Feministischer Eigensinn“ enthält eine Reihe von sehr interessanten Aufsätzen, bei denen immer wieder nachgeschlagen werden kann. Es kommen auch Autorinnen und Themen zur Sprache, die in den meisten Einführungsbänden zur feministischen Politikwissenschaft [2] fehlen. Wenn auch das Buch einem — zugegebenermaßen hohen — Anspruch an einen Sammelband, durch Zusammenstellung und Verknüpfung der einzelnen Beiträge weit mehr zu sein als die Summe seiner Teile, nicht ganz gerecht werden kann, wäre eine Fortsetzung dieses Projekts — gerade auch aufgrund der intergenerationellen Verknüpfungen, die es zustande gebracht hat — eine sehr wünschenswerte und wichtige Initiative.
[1] vgl. auch: Heidi Wedel: Frauen in der Türkei. - in: Der Bürger im Staat. Jg.50 (2000) Heft 1 - http://www.lpb.bwue.de/aktuell/bis/1_00/tuerkei06.htm.
[2] z.B. Eva Kreisky, Birgit Sauer (Hg.): Feministische Standpunkte in der Politikwissenschaft. Eine Einführung. - F./M., N.Y.: Campus Verlag 1995.
Ayla Satilmis, Telse Jacobs (Hg.):
Feministischer Eigensinn. Kompaß für Politik und ihre Wissenschaft.
Hamburg: Argument Verlag 2001. (Argument Sonderband NF 283)
206 S.
DM 35,—/ 255,— öS
