FORVM, No. 256
April
1975

Freiheit ist Zwang

Ein Interview über Berufsverbote in der BRD

Dr. Richard Bünemann, Jahrgang 1920, ist Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein und war bis vor kurzem Mitglied des dortigen SPD-Landesvorstands; er war es noch, als Adalbert Krims dieses Gespräch für das NEUE FORVM mit ihm führte. Mittlerweile wurde er aus der SPD ausgeschlossen.

NF: Wie viele Fälle von Berufsverbot gibt es?

Bünemann: In der BRD gibt es heute etwa 300 Fälle von Berufsverboten. Das Bedrückende ist, daß diese Berufsverbote gegen das geltende Recht und sogar gegen das Verfassungsrecht ausgesprochen werden können, so z.B. in den Fällen, wo die Mitgliedschaft in nicht verbotenen Parteien — insbesondere in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) — als Grund für die Ablehnung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst als ausreichend genommen wird.

Auch SPD-Mitglieder

Welche politischen Richtungen und welche Berufe sind am häufigsten?
Richard Bünemann

Das Berufsverbot ist nicht beschränkt geblieben auf Mitglieder der Kommunistischen Partei oder freischwebenden Kommunisten — wie z.B. Mitglieder „Roter Zellen“ usw. —, sondern unter diesen 300 sind auch mindestens 30 Sozialdemokraten. Es sind sogar Angehörige der FDP darunter, parteilose Gewerkschafter usw.

Beruflich handelt es sich in erster Linie um Lehrer und in zweiter Linie um Juristen. Aber wir haben auch schon Fälle, wo man einen Kreisarzt entlassen hat, weil er Mitglied der DKP ist. Auch Sozialarbeiter sind betroffen. Die Berufsverbotspraxis ist bereits bis auf die kommunale Ebene vorgedrungen, während früher im wesentlichen Landesbeamte betroffen waren. Nach dem Willen von Regierung und Opposition soll die Berufsverbotspraxis auch auf den halbstaatlichen Bereich, z.B. auf Rundfunk- und Fernsehanstalten, ausgedehnt werden.

Laut Grundgesetz darf niemand wegen seiner politischen Meinung bzw. der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei diskriminiert werden. Nach Artikel 33 darf er auch nicht zum Zugang zum öffentlichen Dienst ferngehalten werden. Wie begründen die Einstellungsbehörden ihre Ablehnungen?

Man beruft sich auf das Beamtenrechtsrahmengesetz und die Landesbeamtengesetze, wo es eine Formulierung gibt, daß Beamter nur der werden darf, der die „Gewähr bietet, sich jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ der BRD einzusetzen. Und der berüchtigte Ministerpräsidentenbeschluß vom Jänner 1972 stellt fest, daß Mitglieder sogenannter „radikaler Parteien“, und damit ist in erster Linie die DKP gemeint, im allgemeinen nicht die Voraussetzung dafür bieten. Das ist schlichter Verfassungsbruch, denn nur das Bundesverfassungsgericht darf die Verfassungswidrigkeit einer Partei feststellen.

Seit den ersten Berufsverboten im Jahre 1971, die vom Hamburger Senat erlassen wurden, gibt es Initiativen, auch eine nationale, gegen das Berufsverbot. Kannst du etwas über den Umfang und das Wachstum dieser Initiativen sagen?

Diese Bürgerinitiativen gegen Berufsverbote haben sich. zunächst spontan örtlich und regional gebildet. Wenn irgendwo in einer Stadt — wie z.B. bei mir in Preetz in Holstein — ein Mädchen, das im Ort als gute demokratische Mitbürgerin bekannt war, nach einem guten Examen nicht in den Schuldienst übernommen wurde, dann haben sich Bürger aller politischen Richtungen zu einer Bürgerinitiative zusammengefunden.

Auch in der nationalen lnitiative gegen die Berufsverbote sind Demokraten aller Richtungen gemeinsam tätig — Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberale, Gewerkschafter und Christen. Die Bewegung ist in den letzten Monaten erheblich gewachsen, was auch der Zunahme der Berufsverbotsfälle entspricht. Der beabsichtigte Einschüchterungseffekt ist also nicht erreicht worden. Vor einem halben Jahr hatten wir in der BRD 130 örtliche Initiativen, heute sind es über 180. Auch die Veranstaltungen werden immer mehr besucht, so beteiligten sich in den letzten Wochen in Kiel 1.500 Bürger an einem Fackelzug der dortigen Initiative gegen die Berufsverbote. In Baden-Württemberg haben sich eben 100 Professoren gegen Berufsverbote ausgesprochen.

Gibt es Erfolge?

Es hat Erfolge gegeben: in Hamburg, in Marburg, in München und auch in Schleswig-Holstein, wo die Landesregierung bzw. die kommunale Einstellungsbehörde vor der öffentlichen Kritik zurückgewichen ist. Aber das sind vereinzelte Erfolge gewesen, und zwar nur dort, wo es uns gelungen ist, die Öffentlichkeit ausreichend zu mobilisieren.

Formierung der Mittelklasse?

Geht es nur um Intelligenzler oder auch um Arbeiter und Angestellte?

Leider sehen sowohl Intellektuelle als auch Arbeiter häufig nicht die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes. Hier stellt sich unseren Bürgerinitiativen eine ganz besonders wichtige Aufgabe. Denn der Kampf gegen das Berufsverbot im öffentlichen Dienst ist nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist der Kampf für Demokratie im Betrieb. Ich erinnere daran, daß Jugendvertreter nach Beendigung ihrer Lehrzeit mit infamer Regelmäßigkeit nicht weiterbeschäftigt wurden, bis erst jüngst eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes die gröbsten Fälle für ungesetzlich erklärte. Hier ließen sich noch weitere Beispiele anführen. Deshalb nennt sich unsere Initiative ja auch „Freiheit im Beruf — Demokratie im Betrieb“.

An der Berufsverbotspraxis beteiligen sich auch sozialdemokratisch geführte Bundesländer. Genosse Bünemann, du bist Mitglied des Landesvorstands der SPD in Schleswig-Holstein. Wie kannst du dir als Sozialdemokrat und Kämpfer gegen die Berufsverbote die Haltung jener Sozialdemokraten erklären, die die Berufsverbotspraxis mitmachen?

Vor ein paar Jahren war die Unruhe in der Sozialdemokratie aufgrund der Berufsverbote überall sehr stark. Daher haben wir auf dem SPD-Parteitag in Hannover im April 73 immerhin einen Erfolg errungen, wenn auch nicht die gänzliche Aufhebung des Ministerpräsidentenbeschlusses. In der Zwischenzeit scheint man in der SPD müde geworden zu ein. Ich führe das darauf zurück, daß es vor allem die Parteiführung — angesichts einer öffentlichen Meinung, die in der BRD in ihrer übergroßen Mehrheit militant antikommunistisch ist — unterläßt, in dieser Frage die Parteitagsbeschlüsse zu vertreten und das Grundgesetz zu verteidigen, weil sie dadurch Stimmenverluste befürchtet. Man nimmt volle Deckung, weil man die Auseinandersetzung „um einige Kommunisten“, wie man abschätzig sagt, nicht führen will. Daß führende Sozialdemokraten damit vor allem in den CDU/CSU-geführten Ländern auch SPD-Mitglieder ans Messer liefern, wird meist nicht bedacht.

Die UNO fragt nach

Welche Reaktionen gibt es im Ausland?

Um mit der UNO zu beginnen: der Internationale Demokratische Juristenverband, dem über 60 nationale Verbände angehören, hat als Mitglied der UNESCO von seinem Recht Gebrauch gemacht und eine Beschwerde über die Berufsverbote in der BRD der UNO vorgetragen. Der UNO-Menschenrechtsbeauftragte hat daraufhin die Bundesregierung schriftlich aufgefordert, Stellung zu nehmen. Wir versprechen uns zumindest eine moralische Verurteilung der BRD, was uns natürlich bei unserer Aufklärungsarbeit behilflich wäre.

Ich möchte hier auch als Beispiel Sicco Mansholt anführen. Als wir ihm vor einigen Monaten die Dokumente zu verschiedenen Berufsverbotsfällen unterbreiteten, stellte er erschrocken fest: „Das ist faschistisch!“ Wiederholt registrieren wir Kritik aus Frankreich, Dänemark, Norwegen, Schweden und anderen Ländern. Leider verschweigt unsere bürgerliche Presse solchen Protest. So war auch nichts darüber zu lesen, daß elf finnische Organisationen eines breiten politischen Spektrums sich jüngst gegen die Berufsverbote gewandt haben.

In der BRD sehen wir uns gegenwärtig einer rapiden Rechtsentwicklung gegenüber.

Der Kampf gegen die Berufsverbote ist ein Kampf für die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ein Kampf gegen Reaktionäre in staatlichen Ämtern und ihre Hintermänner, die das Grundgesetz aushöhlen. Der Kampf gegen das Berufsverbot ist nur ein Teil, allerdings ein wesentlicher Teil, des Kampfes gegen Antidemokraten — wie z.B. Strauß, Dregger und Carstens, die schon neue Ziele im Visier haben, nämlich das Demonstrationsrecht, die Tarifautonomie der Gewerkschaften!

Es begann in Hamburg

Die Berufsverbote sind nur ein Symptom des Rechtstrends in der Bundesrepublik. Es wäre zynisch, die verfolgten kritischen Intellektuellen als Hauptopfer der gegenwärtigen Entwicklung in der BRD hinzustellen. 1,2 Millionen Arbeitslose als Folge der Krise bedeuten schließlich 1,2 Millionen Berufsverbote für Arbeiter und Angestellte. Dennoch dürfen die rund 300 Berufsverbote für Lehrer, Juristen und Ärzte nicht verharmlost werden. Sie spiegeln einen Prozeß des Abbaus demokratischer Rechte wider, der sich gegen systemkritische Intellektuelle wendet, jedoch letztlich alle bedroht.

Den Startschuß zur Berufsverbotspraxis gab der SPD-geführte Hamburger Senat. Bundesweit wurden die Berufsverbote dann am 28. Jänner 1972 durch den sogenannten „Radikalenerlaß“ der Ministerpräsidentenkonferenz eingeführt, dem der damalige Bundeskanzler Willy Brandt zustimmte. Die Berufsverbote wurden von Maßnahmen gegen linke Studentenorganisationen begleitet: Entzug der Anerkennung und der Förderung der verfaßten Studentenschaft, des VDS; die SPD verbot dem SHB, sich sozialdemokratisch zu nennen; Auflösung der Allgemeinen Studentenausschüsse als politische Organe durch das Bayerische Hochschulgesetz und schließlich Entzug der (öffentlichen) Bundesjugendplanmittel beim größten Studentenverband der BRD, dem Sozialistischen Hochschulbund (SHB).

A. K.
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