Grundrisse, Nummer 47
Mai
2013
Elisabeth Koch, Manuela Saringer, Rosemarie Schöffmann, Viktorija Ratković:

„Gastarbeiterinnen“ in Kärnten

Auf Spurensuche der weiblichen Arbeitsmigration

Klagenfurt: Drava Verlag 2013, 142 Seiten, Euro 14,80

„Gastarbeiterinnen“ in Kärnten resultiert aus einem Forschungsprojekt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, das die Spuren der weiblichen Arbeitsmigration untersucht. Es ist in drei Teile gegliedert: Nach der Einleitung wird der theoretische Rahmen der Arbeit zu Migration, Erinnerung und Geschlecht dargestellt, dann werden Tageszeitungen der 1960er und 1970er Jahre untersucht und zum Schluss Auszüge aus biografischen Interviews dokumentiert und reflektiert.

Migration und die damit zusammenhängenden Erfahrungen verändern Menschen und Gesellschaften, im Herkunfts- und im Ankunftsland. Sie müssen, so die Forderung der Autorinnen, sichtbar gemacht und damit Bestandteil der nationalgeschichtlichen Meistererzählung werden. Zwischen 1962 und 1973 werden in Österreich gezielt Arbeitskräfte angeworben, v.a. im benachbarten Jugoslawien. Ihre Zahl steigt von 24.000 im Jahr 1964 auf 204.000 im Jahr 1972. Dies entsprach ca. einem bzw. dann acht Prozent der abhängig Beschäftigten. Die Hälfte aller „Gastarbeiter_innen“ in Österreich waren Frauen. Sie waren in der Regel nicht „nachziehende Familienangehörige“, sondern migrierten selbstbestimmt. In Österreich herrscht seinerzeit ein wirtschaftlicher Boom und deshalb Arbeitskräftemangel. Die Arbeitgeber fordern eine Liberalisierung, die Gewerkschaften ein Gesetz gegen Ausländerbeschäftigung. Schließlich werden die auch aus anderen Ländern bekannten Kontingentlösungen vereinbart. In Folge kommt es ab Anfang der 1970er Jahre zu einer rassistischen Unter- und Umschichtung des Arbeitsmarktes: Die „Gastarbeiterinnen“ arbeiten v.a. in den typisch weiblichen Berufen des schlecht bezahlten Dienstleistungssektors, etwa der Gastronomie und in den Industrieberufen mit hohem Handarbeitsanteil. Im Gegenzug haben Bio-Österreicher_innen bessere Aufstiegschancen.

Nach dieser Skizze der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen folgt der theoretische Teil, der deutlich zeigt, wie eng kollektive Erinnerung mit Macht verknüpft ist. Weder persönliche Erinnerungen noch das über die Familie hinausreichende „kulturelle“ Gedächtnis sind statisch. Was dazu gehört und was – erst recht öffentlich – sagbar ist, ist einer permanenten Auseinandersetzung unterworfen. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass „Gastarbeiter_innen“ vom kollektiven Gedächtnis ausgeschlossen sind. Dieses naturalisiert die Nation und ihre Angehörigen auch über nicht änderbare Tatsachen, etwa die Hautfarbe, das Geschlecht oder den Geburtsort. Die „anderen“ sind ausgeschlossen und konstruieren durch diesen Ausschließungsprozess die Nation - und die dazu passenden Erinnerungen - mit. Die Autorinnen liefern hier auf wenigen Seiten eine fulminante Übersicht über die einschlägige Debatte zu Migration, Macht, Erinnerung und Geschlecht.

Der zweite Teil ist eine auf 360 Artikeln beruhende Quellenanalyse. Die Artikel stammen aus zwei Tageszeitungen, die der SPÖ bzw. der ÖVP nahe stehen, und deren Auflage zwischen 1964 und 1976 zwischen jeweils 25.000 und 40.000 schwankt. Ihr eindeutiger Tenor ist, das „Gastarbeiter_innen“ als Problem dargestellt werden. Sie gehören nicht dazu, was schon allein daran deutlich wird, dass der Begriff in über hundert Artikeln in deren Überschrift steht. Gastarbeiterinnen werden oft als Opfer, „Gastarbeiter“ als Täter dargestellt und die „Gastarbeiter_innen“ dienen als Gegenfolie zum einheimischen „wir“. Der hegemoniale Diskurs wiederum debattiert im Untersuchungszeitraum die Emanzipation der weißen österreichischen Frauen, unter anderem durch ihre steigende Berufstätigkeit – während Lohnarbeit für Migrantinnen längst Normalität ist.

Die Interviews im letzten Teil illustrieren das Thema dann noch auf eine sehr persönliche Weise: Sechs Frauen berichten über ihre Geschichte. Sie migrierten mit Hilfe von familiären oder freundschaftlichen Netzwerken. Kontakt zu den staatlichen Vermittlungsstellen hatte von den sechs Interviewten keine. Für sie waren die harte Arbeit und der geringe Lohn keine Umstände die sie in Frage stellten.

Zusammengefasst ist „Gastarbeiterinnen“ in Kärnten ein kluges, gut geschriebenes und preiswertes Buch, in dem sich wissenschaftliche Themen und persönliche Passagen gut ergänzen. Seine Lektüre kann uneingeschränkt empfohlen werden. Es zeigt die Ambivalenzen der „Autonomie der Migration“ und noch mehr, dass Migrantinnen damals nicht in erster Linie Ehefrauen und Mütter sind, die als Opfer unter dem Migrationsprozess zu leiden haben. Ob das nationale Narrativ nun um die Perspektive von Migrant_innen erweitert oder nicht besser radikal kritisiert werden sollte, das ist dann freilich eine ganz andere Debatte.

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