Gastarbejteri — 40 Jahre Arbeitsmigration
Der Ausstellungskomplex Gastarbajteri umfasst drei Vermittlungsebenen und -orte: die historisch-dokumentarische Ausstellung im Wien-Museum, die künstlerischen Darstellungen in der Wiener Hauptbücherei und Filme zum Thema im Filmarchiv Austria. Die Ausstellung besteht somit aus mehreren Ausstellungen, befindet sich an relativ weit auseinanderliegenden Orten (man fährt quer durch Wien, um von einem Ausstellungsteil zu den anderen zu gelangen) und symbolisiert mit dieser Struktur Merkmale von Migration: Distanzen, Orte, Mobilität, Vielschichtigkeit und unterschiedliche Perspektiven. In den Ausstellungen soll die Perspektive von MigrantInnen wiedergegeben werden, um jene, die als Subjekte marginalisiert und im Alltagsbewusstsein der Mehrheitsgesellschaft zu fremden Objekten gemacht wurden, „in das kulturelle Gedächtnis Österreich hineinzureklamieren“, wie es in der Broschüre zu der Ausstellung heißt. Gelingt das?
Um dieser Frage nachzugehen, möchte ich das Hauptaugenmerk auf die Ausstellung im Wien-Museum richten. Parallel zu Lisi Pongers Film Phantom Fremdes Wien 1991/2004 wird dort anhand von elf symbolischen Orten die Geschichte der Gastarbajteri wiedergegeben: die Anwerbestelle der Österreichischen Wirtschaftskammer in Istanbul, die „Gastarbeiterroute“, die Arbeitersiedlung Walddörfl, Frauenarbeitsmigration anhand der Fischfabrik Warhanek, Herkunft aus dem und Rückkehr in das westtürkische Dorf Adatepe, selbständige Erwerbsarbeit am Beispiel Mexikoplatz, der Verein der Zeitungskolporteure, Migration und Gastronomie am Naschmarkt, Selbstorganisation und Widerstand, Übersiedelung der Fremdenpolizei sowie die Errichtung des islamischen Friedhofs in Wien.
Mit diesen symbolischen und realen Orten werden nicht nur geographische Verortungen vorgenommen und wesentliche Themen aufgegriffen, sondern die Auswahl deckt auch Lebensstationen ab. Sowohl aus der politischen und strukturellen (mit den Orten Anwerbestelle, Fremdenpolizei, Selbstorganisation) als auch aus der lebensgeschichtlichen Perspektive (mit den Orten Wohnverhältnisse, Frauenarbeit, prekäre Arbeit, Herkunfts- und Rückkehrort Adatepe, islamischer Friedhof) wird hier die Geschichte der vergangenen 40 Jahre exemplarisch abgedeckt.
Der Titel Gastarbajteri soll die Perspektive der MigrantInnen beinhalten, da es sich um ein serbisch-kroatisches Lehnwort, eine Selbstbezeichnung der jugoslawischen Arbeitsmigranten handelt. Der Titel repräsentiert Gastarbajteri jugoslawischer Herkunft, in der Ausstellung selbst dominiert die Geschichte von türkischen MigrantInnen. In Summe überrascht und beeindruckt die Vielzahl an privaten und alltäglichen Gegenständen (Dokumente, Fotos, Gebrauchsgegenstände), welche die Perspektive der Subjekte dieser Ausstellung wiederspiegeln. Überraschend deswegen, weil manche Ausstellungsobjekte auf den ersten — zugegebenermaßen privilegierten — Blick banal wirken. Doch Privatfotos, eine Thermoskanne, Geldbörsen, ein Notizbuch mit Aufzeichnungen von Zwischenstopps auf der Busfahrt entlang der „Gastarbeiterroute“ oder eine Kinderpuppe sprechen Bände, welcher Wert und welche Bedeutung für die BesitzerInnen damit verbunden ist und was damit kommuniziert wurde und wird. Demgegenüber wirkt in manchen Ausstellungsteilen die Fülle an Gesetzestexten, offiziellen Dokumenten und Formularen als unerträgliche und verwirrende Komplexität der Strukturen. Doch hier kann der oder die AusstellungsbesucherIn einen Eindruck davon gewinnen, was es heißt, wenn das Leben permanent und existenziell von solchen staatlichen, wirtschaftspolitischen und rechtlichen Instanzen geprägt wird, vor allem, wenn man unzureichende Vermittlungsinstanzen, relative Rechtlosigkeit und nicht zuletzt die Sprachbarrieren mitdenkt. Das zum Subjektmachen der MigrantInnen funktioniert in dieser Ausstellung, da nicht nur die Ausstellungsobjekte subjektive Geschichten erzählen, viele MigrantInnen in Videointerviews zu Wort kommen und ihre Migrationsgeschichten erzählen können, sondern da auch durch die Darstellung der Selbstermächtigung, des Widerstandes und des Engagements in politischer, kultureller oder arbeitsorganisatorischer Hinsicht der Subjektstatus manifest wird. Wie das alles mit dem Objektstatus und den ent- und befremdenden Strukturen auf alltagsrassistischen, staatsrepressiven und diskursiven Ebenen korrespondiert, wird durch Medienberichterstattung und Gesetzestexte deutlich. Doch so anschaulich die Fülle an Textmaterialen ist, so überfrachtet ist die Ausstellung auch damit. Die einführenden Texte bieten einen Überblick und Einstieg in den jeweiligen Ort, doch an manchen Stellen wäre es hilfreicher gewesen, die essentiellen Elemente aus Texten herauszugreifen und als Bausteine zu eigenen Texten zusammenzusetzen, statt sie als Originale oder Kopien auszustellen. Dass alle sprachlichen und bildlichen Texte in Originalgröße ausgestellt sind und keine Quelle gegenüber den anderen Materialien hervorgehoben wird, verweist zwar auf die Intention, alle Quellen gleichermaßen zu würdigen, doch wären optische Hinweise zur Gewichtung hilfreich.
Die Videointerviews werden auf überdimensionalen Bildschirmen gezeigt und bekommen durch diese optische Vergrößerung mehr Bedeutung zugewiesen als die Texte und Objekte, was wiederum die Intention, Menschen sichtbar zu machen und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, deutlich werden lässt. So gesehen schafft es die Ausstellung, sowohl die strukturellen als auch die menschlichen, subjektiven Ebenen sichtbar zu machen und damit das kulturelle Gedächtnis wachzurütteln. Nicht zuletzt ist der als Buch mit zusätzlichen Texten weit über die Ausstellungen hinausgehende Katalog ein wichtiger Beitrag zur kultur- und sozialhistorischen sowie soziologischen Migrationsforschung.
- Ausstellung „Gastarbajteri" der Initiative Minderheiten und des Wien-Museums bis 11. April 2004 (www.gastarbajteri.at)
- Hakan Gürses/Cornelia Kogoj/Sylvia Mattl (Hg.): Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration. Mandelbaum, Wien 2004, 200 Seiten, EUR 17,90
Context XXI Leserlnnen-Führung durch die Ausstellung Gastarbajteri
im Wien-Museum am Karlsplatz
mit Thomas Schmidinger
(Recherchekoordination der Ausstellung)
Sonntag, 4. April 2004,13.00h
Ermäßigter Gruppeneintrittspreis: EUR 2,—
