Streifzüge, Heft 65
November
2015

Gastspiel

Alle paar Monate kommt Besuch der anderen Art, um für einige Tage zu bleiben. Demnächst ist es wieder so weit; ich freue mich schon vor, wie man sagt. Mein Gast heißt Max und steht auf vier rastlosen Beinen. Er ist Hund – ich bin Mensch (für die Dauer seines Aufenthalts spielt diese Differenzierung keine Rolle!). Sein Eintreffen ist ein kleines Spektakel mit festgeschriebenem Ablauf: Kaum ist die Türe einen Spalt geöffnet, schon schiebt sich die Schnauze und der ganze pechschwarze, zottelige Rest herein – ein vor Freude bebendes, schnaufendes Energiebündel. Unversehens hat er einen Schuh im Maul, den er mir in auffordernder Geste zu geben andeutet, sogleich aber mit der Wendigkeit eines Boxers abdreht, um meine Hand ins Leere fahren zu lassen; flinke Kehrtwende, dann steht er mir wieder gegenüber, sieht mich unverwandt mit sprechenden Augen an; ich erwidere seinen Blick; für einen Atemzug versichern wir uns gegenseitig der unverbrüchlichen Zuneigung des andern, bevor er mehrmals seine Schnauze samt Trophäe in meine Richtung hebt und dabei ostentativ zu grunzen anfängt: Das Spiel beginnt …

… für mich! Für Max hat es augenscheinlich nie aufgehört! In Maxens Universum scheint alles Spiel und es vollzieht sich spontan und unmittelbar von einem Moment zum nächsten, von einem Szenario zum nächsten. Nicht immer kann ich mitziehen, glaube dann, seinem tollen Treiben mit scharfem Ton ein Ende setzen zu müssen, etwa wenn er sich unvermutet, aber leidenschaftlich in den Besen verbeißt, mit dem ich den akribisch in handliche Schnitzel zerfetzten Karton beseitigen wollte; oder er beim Anziehen bedenkenlos am Socken zerrt, bevor er mit dem Laufschuh durchgeht. Es braucht auch jetzt noch ein, zwei Tage, bis ich so einigermaßen ins Maximundus akkommodiert bin. Dann gelingt es, mit ihm über Stock und Stein zu preschen, ohne dabei einen Gedanken an das miserable Wetter zu verlieren, den Gatsch an den Schuhen oder an den gesundheitlichen Nutzen des Waldlaufs oder über die Lächerlichkeit, mit Verve einem Hund ein Stück Holz abzujagen und mit drückendem Unbehagen einem Amtstermin entgegenzuzittern.

Die Präsenz eines Wesens, welches so bedingungslos dem gegenwärtigen Moment ausgeliefert ist, wirkt auf unerklärliche Weise erfrischend, belebend. Ich erinnere mich an Zustände von seltener Ausgelassenheit, von exzessiver Heiterkeit. Sorgen weichen intensiverer Wirklichkeit und es überkommt einen ein unbändiges Verlangen, zu spielen, was und wo nur zu spielen ist. Mich wundern drum auch die zahllosen Videos über teils bizarre Freundschaften zwischen anderen einander artfremden Tieren nicht, die sich völlig dem gemeinsamen Spiel überlassen – es ist dies wohl das Lebensprinzip schlechthin! Der wissenschaftliche Geist will uns die Domestikation ursprünglich wilder Tiere als zweckrationales Kalkül vorstellen; ich glaube vielmehr, dass wir uns mit den Tieren seit Menschengedenken auch die Erinnerung halten, an ein Leben, das grundlegend ein spielerisches hätte sein können.

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