Grundrisse, Nummer 31
September
2009
Jörg Nowak:

Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft

Eine Integration marxistischer und feministischer Staatstheorien

Münster: Westfälisches Dampfboot 2009, 292 Seiten, 29,90 Euro

Seit einigen Jahren kann im deutschsprachigen Raum ein verstärktes Interesse an marxistischer Staatstheorie konstatiert werden, was sich an der Wiederveröffentlichung von „Klassikern“ – etwa Nicos Poulantzas „Staatstheorie“ oder Claus Offes „Strukturprobleme des kapitalistischen Staates“ –, ebenso wie am Erscheinen einer ganzen Reihe neuer Sammelbände und Monographien zeigt. Ein relativ randständiges Thema blieb in diesem Zusammenhang bislang die Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen im Allgemeinen sowie mit der feministischen Staatstheorie im Besonderen. Letztere, also die feministische Staatstheorie, hat sich parallel zur weit gehenden Marginalisierung marxistischer Ansätze v. a. in der deutschsprachigen Politikwissenschaft seit den 1980er Jahren aus ihrer anfänglichen Verklammerung mit diesen gelöst und sich in eine Vielzahl unterschiedlicher Traditionen ausdifferenziert. Die in den 1970ern noch zentrale Frage nach den Wechselwirkungen zwischen kapitalistischen Klassen- und patriarchalen Geschlechterverhältnissen sowie nach der Rolle des Staates im Rahmen von deren Reproduktion verloren im Zuge dieser Entwicklung relativ an Bedeutung.

Ausgehend von dieser doppelten Leerstelle bemüht sich der Berliner Politikwissenschafter Jörg Nowak in seinem Buch „Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft“ um eine systematische Integration marxistischer und feministischer Staatstheorien. Sein Ansatzpunkt ist dabei die gesellschaftliche Arbeitsteilung; konkret die These, dass besagte Integration von der Teilung gesellschaftlicher Arbeit nach klassen- und geschlechtsspezifischen Kriterien sowie von deren institutioneller Vermittlung durch den Staat – als Teil dieser Arbeitsteilung – auszugehen hat. Entsprechend ist das Buch in drei Teilen aufgebaut:

In einem ersten Teil werden marxistische und feministische Debatten um die Frage gesellschaftlicher Arbeitsteilung rekapituliert. Nowak geht dabei davon aus, dass die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen über den Markt vermittelter Lohnarbeit und über die Familie vermittelter nicht-entlohnter Arbeit eine zentrale Dimension von Geschlechterverhältnissen markiert und auf die Koexistenz von kapitalistischen und häuslichen Produktionsverhältnissen verweist. Damit in Verbindung – obschon als relativ autonome durch Eigenlogiken bestimmt – stehen geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen im Bereich der Lohnarbeit im Sinne von Segregationen des Arbeitsmarkts als weitere Dimension der Geschlechterverhältnisse. In beiden Dimensionen erweist sich die hierarchische Anordnung von Männern und Frauen als Konstruktionsmodus der Geschlechterverhältnisse: Statusdistribution qua Geschlecht bedingt eine ungleiche Verteilung von Lebenschancen bspw. in Gestalt des Zugangs zu bestimmten Teilarbeitsmärkten, wobei diese Verteilung wiederum u. a. entlang von Klassenverhältnissen gebrochen wird.

Im Rahmen des zweiten Teils führt Nowak in die Entwicklung marxistischer bzw. feministischer Staatstheorie ein, wobei sein Fokus auf Ansätzen liegt, die den Staat ausgehend von der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zu bestimmen versuchen. Dabei geht er von der Existenz staatlicher Produktionsverhältnisse aus, welche neben den häuslichen und kapitalistischen bestehen, wobei letztere hinsichtlich ihrer Wirkungsweise insofern als dominant anzusehen sind, als ihnen eine zentrale Rolle bei der Verteilung materieller Ressourcen zukommt. Das Wechselspiel zwischen Markt, Familie und Staat sowie der Grenzverlauf zwischen diesen drei Zentren sozialer Reproduktion werden dabei als historisch kontingent angesehen. Für die Reproduktion bzw. Transformation des jeweiligen Arrangements und die mit ihm verbundene Arbeitsteilung zentral verantwortlich zeichnet das, was Nowak im Anschluss an Poulantzas als „geschlechtsspezifisches Verdichtungsregime“ bezeichnet; also das seitens des Staates auf der Basis gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse in je spezifischer Form kodifizierte Geschlechterregime.

Ein solches Arrangement und dessen Wandel bildet schließlich den Gegenstand des abschließenden (Empirie-)Teils des Buches, nämlich das so genannte „Familienernährermodell“, das auf symbolisch-kultureller Ebene als hegemoniales Geschlechterleitbild des deutschen Sozialstaats der Nachkriegsjahrzehnte fungierte und neuerdings eine Transformation durchläuft. Nowak analysiert diese Veränderungen im Kontext des aktuellen Wandels der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung anhand von drei familienpolitischen Maßnahmen und den sie begleitenden diskursiven Verschiebungen. Das unter den Frauenministerinnen Renate Schmidt und Ursula von der Leyen durchgesetzte geschlechtsspezifische Verdichtungsregime begreift er dabei als „klassenselektives Ernährermodell“, insofern es für Frauen je nach Einkommensposition divergierende Möglichkeiten zur Realisierung relativ egalitärer bzw. hierarchischer Ernährermodelle eröffnet: Während für die einen das Leitbild eines Doppel-Vollzeitmodells gilt, in dem sich eine relativ stabile Integration in den Arbeitsmarkt mit einer „Umverteilung“ nicht-entlohnter Arbeit in Form haushaltsnaher Dienstleistungen verbindet, bleibt für die anderen das Zuverdienerinnenmodell aktuell, in dem eine prekäre Integration in den Arbeitsmarkt mit der Zuweisung nicht-entlohnter Arbeit im Privathaushalt einher geht. Politisch-strategisch sieht Nowak die Durchsetzung des „klassenselektiven Ernährermodells“ mit der Hegemonie eines in den Staatsapparaten repräsentierten „liberalen Feminismus“ verbunden, der um den Preis der Subsumtion der Familien- unter die („aktivierende“) Sozial- und Arbeitsmarkpolitik eine „Modernisierung“ des deutschen Ernährermodells vorantreibt.

„Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft“ überzeugt v. a. bei der Anwendung des zuvor entwickelten hegemonie- und strategietheoretischen Staatsverständnisses auf seinen empirischen Gegenstand. Bei der Lektüre der vorangegangenen Kapitel hätte man sich allerdings mitunter eine stärkere Redaktion des ursprünglich als Dissertation an der Universität Kassel verfassten Buchs gewünscht, ist die schiere Fülle an rezipierten Theoriebausteinen der Stringenz des Argumentationsgangs doch nicht immer zuträglich. Abgesehen von diesem Manko – das hinsichtlich des dadurch gewonnen Überblicks über die Debatten um Arbeitsteilung und Staatstheorie allerdings durchaus auch als Vorzug gelesen werden kann – bietet das Buch jedoch viele Anregungen dafür, eine auch in der außer-akademischen Linken weitgehend versiegte Debatte wieder aufzunehmen. V. a. aber – und darin besteht der zentrale politische Einsatz von „Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft“ – fordert es dazu heraus, das seiner These zufolge hegemoniepolitisch zentrale Feld der Familienpolitik als Interventionsfeld von Links stärker und angesichts seiner aktuellen Transformation auch neu zu besetzen.

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