FORVM, No. 473-477
Juli
1993

Gieskannen und Rasenmäher

Oder: Wie die Salzbürger wieder einmal zu sich selber gekommen sind.
In Linz müßte man sein.

Den Salzburgern gehört ja schließlich Salzburg. Hätten sie es zwar selbst gebaut, es sähe wie Linz aus. Und immer wieder überrascht denn auch die Gegenwart des derb-fröhlichen und zutiefst provinziellen, ja xenophoben Alpenvolkes in der zarten italienischen Stadt. Der Widerspruch äußert sich überdies in dem Konflikt zwischen Reaktion und Weltoffenheit [...]. Leider nämlich ist Salzburg [...] ein wahres Wespennest kleinstädtischer Intrige. Und nicht allein jene Landbewohner, die jeden weltäufig Gekleideten mit hinterwäldlerischem Hohn bedenken — auch die Stadtväter und Landesverwalter sind eifrig am Werk, die kosmopolitische Sendung Salzburgs zur lokalpatriotischen Aktion herabzumindern. [...] Die Stadtverwaltung von Salzburg [...] hat seit jeher eine provinziell-verstockte Haltung eingenommen.

Der interessierte Beobachter des kulturpolitischen Geschehens in der hiesigen (Welt)-(Kultur)-(Haupt)-Stadt könnte bei solchen Worten schließen, der Schreiber habe eine „neue“ „Kulturpolitik“ anno 1993 im Blick. Weit gefehlt! Schon vor fast einem halben Jahrhundert sah sich Hilde Spiel, die sensible und intelligente Beobachterin Salzburger Vorgänge, genötigt, solches unter dem Titel „Kabale und Kunst“ in der europäischen Zeitschrift Der Monat zu veröffentlichen. Thomas Bernhard ist nicht weit, und auch Jean Améry und Wolfgang Amadé lassen grüßen! Kein Zweifel, Salzburg hat wirklich Tradition, auch wenn es eine ist, die sich — gegen Ende des abendländischen Jahrtausends — in dem selbstentblößenden Satz des „neuen“ Spitzenrepräsentanten der Salzbürger wieder einmal offenbart: „Ich brauche ein Kulturprofil!“ (vgl. Spectakel ...)

Ja, bedrängend ist es schon, das neue, altbekannte kulturpolitische Rasenmäher-Spektakel der Biedermänner und Biederfrauen des provinziell-verstockten Alpenvolkes wieder einmal aufgeführt zu bekommen. Bisher hätten die orientierungslosen und um künstlerische Qualität unbekümmerten Gießkannen-Fetischisten das Aufführungsrecht in der Salzburger Kultur gehabt, so behaupten die eingefleischten Rasenmäher-Anhänger. Jetzt aber müsse endlich gesenst werden, insbesondere das Unkraut — und welche Blumen überleben dürfen, das wissen die Unkrautausrotter und selbsternannten Qualitätsfreaks schon genau: durchschnittlich 15 Prozent Subventionskürzungen gegen die Unkraut-Kultur, bei gleichzeitiger Erhöhung der Ausgaben für das, was die Sensenmänner für die schöne, gute und wahre Repräsentativ-Kultur halten und — man höre und staune — bei gleichzeitiger durchschnittlicher Erhöhung der Ausgaben für die verantwortliche Tätigkeit der Subventionskürzer selber in der Höhe von 21 Prozent.

Aber Scherz (?) beiseite und Ernst herbei!

Was sich derzeit in der kulturpolitischen Debatte Salzburgs abspielt, ist einerseits als Anschauungsbeispiel für das sich fortsetzzende Auseinanderbrechen von Geist und Macht zu beschreiben, andererseits als eine Facette eines weit über die Provinz hinausreichenden kulturpolitischen Umbruchs. Jedenfalls geht es wieder einmal um die rückwärtsgewandte Zurichtung der Wahrnehmung der Menschen.

1.

In solchen kulturpolitischen Zeitenwenden treten, gekoppelt mit Wendehälse-Syndromen, folgende Erscheinungen zu Tage, die sich gegenseitig ergänzen und miteinander koalieren. An ihrer Sprache werden sie jeweils kenntlich, nicht an ihren parteipolitischen Zugehörigkeiten, wie man annehmen könnte.

Da sind zum ersten die unverbesserlichen, in „modernen“ Zeiten als Koalitionäre nicht mehr so gern gesehenen, aber dennoch brauchbaren, frei und frank herausredenden Zensur-Apostel, die z.B. für die Abschaffung des angeblich punkerigen KINOS plädieren. Auch für SPOT wurde das „Aus!“ schon angedroht.

Dann gibt es die feinen Bourgeois, die noch immer einem Kunst- und Kulturbegriff eines schon vor 100 Jahren überholten 19. Jahrhunderts frönen, indem sie sich z.B. daran stoßen, daß an den Wänden keine Bilder hängen, weil der Raum stattdessen von einer Installation belebt wird.

Nicht zu vergessen sind jene Heimatverbundenen und Stadtverantwortlichen, die sich gegen österreichweite — nein, nicht internationale — Ausschreibungen verwahren. Die »Galerie 5020« hatte nämlich einen Wettbewerb für „Kunst am Bau“ ausgeschrieben und ihn nicht auf Salzburg beschränkt.

Eine weitere Erscheinungsform der aus solch fruchtbarem Schoß kriechenden Koalitionäre sind die Saturierten, die Kenner: zu wenig experimentierfreudig und innovativ — noch ein abgegriffenes Wort gefällig? — seien die Kulturschaffenden geworden, alles habe man schon gesehen, fad und öd sei alles geworden und deswegen müsse man eben — logisch — rasenmähen. Kunstadäquate Qualitätskriterien sind dabei anscheinend nicht gefragt oder können — aus welchen Gründen immer — nicht genannt werden. Auch werden schon überholt geglaubte Vorstellungen von Kreativität als eines der zarten Muse Genie verpflichteten Freizeitvergnügens reaktiviert und dementsprechend moralinsaure Appelle an die brotlose Schaffensfreude ausgegeben bei gleichzeitiger Forderung nach künstlerischer Professionalität. Schließlich können auch diejenigen nicht ausbleiben und dürfen mitkoalieren, die schon längst — aus privatistischen Abgründen — ihre Rechnungen vor Ort begleichen wollen. Betroffene sprachen in diesem Zusammenhang vom Nepotismus der Provinz.

Von besonderem Interesse aber, weil ungewollt von den neu-alten Kulturpolitikern für ihre Zwecke ausbeutbar, ist jene Spezies, die — aus reiner SN-Ausgewogenheit — zwar für eine „Lichterkette für die Kultur“ schwärmt, aber die „kulturlose Debatte“ damit beenden will, daß sie denjenigen, die sich seit Monaten gegen die Rasenmäher-Praxis wehren, „vordergründigen Aktionismus“ bescheinigt und den Kulturinitiativen „oft blindwütige Produktivität“ vorhält, was ja justament die neu-alten Kultur-Pepis vorgeben „sanieren“ zu wollen. Gleichzeitig feiert bei dieser — leider — kulturpolitisch ausbeutbaren Spezies ein Kulturverständnis fröhliche Urständ’, das wirklich noch immer meint, die „Kraft“ der Kunst sei dazu da, den brüchigen „gesamtgesellschaftlichen Konsens“ herzustellen — nicht einmal die Klassiker haben das vor 200 Jahren geglaubt, wenn es auch — ganz gegen den Geschmack z.B. eines Karl Kraus — in Salzburg per „Salzburger Großem Welttheater“ probiert wurde. Allein die heutigen Stadl-Moikianer — in welchen Verkleidungen immer — tun es ohnehin tagtäglich. „Kultur“ als Kittungs- und Verschweißungsinstrument!

Schließlich läßt sich insbesondere an den Äußerungen des derzeit städtischen Kultur-, nein: Fiskusverantwortlichen ein Phänomen ablesen, das in solchen Wendezeiten — immer reflexartig — seine Kraft beweist: das Phänomen der Projektion, oder anders ausgedrückt: wenn man selber anscheinend nicht weiß, wie und was eine „Struktur“ sein soll oder wer nach welchen Kriterien „Qualität“ beurteilen soll — hinreißendste Qualität der Aussage: „Es gibt einen gewissen Qualitätsanspruch“ —, der muß „Struktur“ und „Qualität“ einmahnen. Er darf dabei natürlich nicht vergessen, sich selber als fortschrittlich, innovativ, experimentierfreudig und als forsch formulierenden Macher zu loben: „Ich würde mir eine Lagerhalle anlachen, wo ich 1000 Quadratmeter hinstelle und einen Kunstbetrieb aufziehen kann“. Nicht zuletzt muß er sich als einer „von unten“ — in der Tradition der 68er? — gerieren. Kulturpolitisch tiefschürfend sind die Aussagen allemal: z.B. müsse das Literaturhaus Eizenbergerhof „zur Verfügung“ stehen oder: „Im breiten Bereich sehe ich noch sehr wenig Konnex zwischen Wirtschaft und Kultur. [...] Für ein breiteres Kulturbewußtsein ist in der Wirtschaft aber noch viel zu tun.“

Das Projizieren beglückt anscheinend die Bürgermeister-Psyche: wie sonst wäre es zu verstehen, daß der Salzburger Kulturverantwortliche sogar einen Marsch auf Wien, nein: einen „Aufstand“ organisieren will, um sich bei Minister Scholten Geld zu holen:

„Ich organisiere dem einen Aufstand, der wird sich wundern, wenn die Salzburger Szene einmal vor sein Biedermeiertürl marschiert.“ (Dieser Satz wurde aus unerfindlichen Gründen nicht in das Spectakel-Interview aufgenommen.)

Wenn das keine „Ideen“ sind, die der Verantwortliche — prinzipiell, versteht sich — „fördern“ will“?

Scheu haben die Salzburger Nachrichten denn auch mehr „Inhalt“ in der kulturpolitischen Debatte eingemahnt. Aber was ist, wenn Leere und Hohlheit bei den Stadtvätern und Stadtmüttern regieren und schamhaft versteckt, aber dennoch unablässig scheu die Rasenmäher-„Kultur“ideologie zum Vorschein kommt?

Erstaunlich ist die Tatsache, daß die Anfang der 80er Jahre opportune „Umwegrentabilitätsdebatte“ — es ging damals um die Rettung von Karajans Hochglanz-Repräsentationsfestival — jetzt, da es um die „Kleinen“ geht, nicht geführt wird. Dabei hätten gerade zum passenden Zeitpunkt — just die von Hilde Spiel so mitgenommenen Linzer — das Hölzl geworfen. Eine Studie lobte erst jüngst den volkswirtschaftlichen Gewinn des Linzer Landestheaters, auch wenn diese Repräsentations-Einrichtung betriebswirtschaftlich „hoch defizitär“ sei. Zu erinnern sei in diesem Zusammenhang an eine ähnliche Studie des Salzburger „Dachverbandes“ über die sogenannten alternativen Kultureinrichtungen in Salzburg, die Analoges herausarbeitete. Sind die Linzer betriebswirtschaftlich so defizitär, weil sie so qualitätslos sind? „Sahnen“ die ab oder „geiern“ sie nach Subventionen, wie der neue Kultur-Verantwortliche [von Salzburg, Red.] so verständlich-salopp formulieren kann?

2.

Der Zustand der Salzburger Kulturpolitik ist, so muß man befürchten, nichts Einmaliges — höchstens in der decouvrierenden Provinz-Qualität der Sprechweisen und der offensichtlichen Geschichts- und Bewußtseinslosigkeit der Akteure —, sondern Teil eines großräumigen kulturpolitischen Umbruchs. Kurz gesagt: die „Kultur-für-alle“-Ideologie sei europaweit am Ende, sie habe zu einer „Entleerung, zu einer „ungeheuren Inflation“ des Kulturbegriffs geführt — überall im angeblich 68erverseuchten Europa, in Deutschland ebenso wie im Frankreich des Jacques Lang (vgl. Burkhard Müller-Ulrich, Arbeit am Kulturbegriff, im Standard). Die Fast-food-Kultur sei im Zeichen des klassisch-antiken Bildungskanons, im Namen der Kultur und in jenem des Geistes und der Nation zu retten.

Es [daß nämlich künstlerische Qualität kein Thema mehr sei] kommt von einem philosophischen Zersetzungsprozeß im Innern des Kulturbegriffs, von einer, nein: der dekonstruktivistischen Katastrophe, die die Semantik ins Schleudern brachte und die Kultur in einen Zustand galoppierender Beliebigkeit. [...] Aids ist schon fast zu einer Kunstform für sich geworden. [??? K.M.]

(B. Müller-Ulrich, Arbeit am Kulturbegriff, Teil 2, im Standard)

Also her mit der wirklichen Kunst und der echten Qualität im Namen der Tradition — welcher? —, im Namen der Kultur — welcher? Der fiskalischen?

Stehen die im österreichischen Kulturministerium geführten Debatten um die Frage, wie die Qualität von Kulturproduktionen am besten zu beurteilen sei — mit Hilfe des demokratischen Beirats- oder des autoritativen Kuratorenmodells — in einem solchen Zusammenhang, noch dazu, wenn der „Kurator“ zum geniehaften Beurteilungs-Guru stilisiert wird? Oder werden die Kulturinstitutionen gar gemäß dem Motto Freie Bahn dem wirklich Tüchtigen auf den Markt geworfen?

Verfehlt wäre es, so zu tun, als wäre Kunst jeglicher Kritik entzogen. Ganz im Gegenteil: gerade die Kunst lebt aus der Kritik, und will sie ernst genommen werden, stellt sie sich — naturgemäß — dieser Kritik, sie lernt daraus, vorausgesetzt die Kritik ist qualifiziert und kunstadäquat. Künstlerische Qualität ist kein leeres Wort. Aber wie lauten die Kriterien der Mächtigen dafür? Viele sind neugierig, was diese zu sagen haben werden. Werden sie etwas sagen? Wo gibt es in diesem unseren Land auch nur in Ansätzen die Verbindung von Geist und Macht? Wenn es doch die Havels und Malrauxs und Montaignes gäbe — das wären Partner, mit denen über Kunst und Qualität und Utopien und Visionen zu streiten wäre.

Und nicht zuletzt: Künstlerische Qualität ist kein Privileg der sogenannten repräsentativen Kultur. Künstlerisch wertvolle Leistungen — ob in Hoch- oder Alternativkultur — sind das Ergebnis harter, langer Arbeit, aber auch des glückhaften „Zufalls“.

Wir brauchen das Zulassen, das Probieren, Wieder-Verwerfen und das Neu-Beginnen, wir brauchen diese Freiheit und keine Rasenmäher-Drohungen.

Kein Leserbrief, sondern K. M. schrieb dies fürs Elisabethbühnen-Magazin, das den Beitrag aus dem Blatt nahm, um zugesagte Subventionen — „die Zeiten sind rauher geworden“ — nicht zu gefährden, und sich im Editorial dafür entschuldigt hat. Hoffentlich hilft’s wenigstens was. Red.

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