Amelie Lanier, Transformation Osteuropas
Mai
1992
Die Privatisierung in der Tschechoslowakei, Teil I:

„Große“ und „kleine“ Privatisierung

Bei der sogenannten „Großen Privatisierung“ stehen praktisch alle wichtigen Industriebetriebe der CSFR zum Verkauf an. Hier sollte – und wird – die Entscheidung über die Zukunft der Wirtschaft der CSFR fallen – wahrscheinlich nicht ganz den Vorstellungen entsprechend, die die Veranstalter davon haben.

Ein Teilurteil ist bereits ergangen: Das ausländische Kapital, das der erste Adressat dieses nationalen Verkaufsprogrammes gewesen wäre, hat bisher sehr geringes Interesse am Erwerb tschechoslowakischer Industriebetriebe gezeigt. Wenn in diesem Zusammenhang von Erfolgen betreffend die Höhe der Kapitalbeteiligungen gesprochen wird, so sind das „Erfolge“ nur im Vergleich zu früheren Zuständen, als Kapital nicht erwünscht und daher nicht zugelassen war, oder im Vergleich zu anderen Reformstaaten, die in einer ähnlichen Bredouille stecken. Sie werden ergänzt durch ständig sinkende Produktionszahlen – im Jahre 1991 um 19%, also fast ein Fünftel (nach einer OECD-Studie Anfang 1992) – und wachsende Arbeitslosigkeit. Jetzt ist das eigene Volk an der Reihe und soll dem Staat dabei helfen, seine Betriebe loszuwerden und in Privateigentum zu überführen, damit dieses dann seine segensreiche Wirkung entfalten kann.

Hier , gleich zu Beginn, ist also festzuhalten, daß die besondere Form der tschechischen Privatisierung, die Kuponprivatisierung, oder die vermeintlich „volksfreundliche“ Variante der Beteiligung an Unternehmen eine Verlegenheitslösung war, weil das ausländische Kapital, die ersehnten Investoren, nicht um tschechische Betriebe Schlange standen. Diese Form der Privatisierung wurde gewählt, um überhaupt eine Privatisierung einzuleiten, und sie stand auch nicht im Gegensatz zu den immer noch bevorzugten Direktinvestitionen.

Zu diesem Zweck wurde ein kompliziertes Verfahren ausgetüftelt, mit dessen Hilfe Millionen von CSFR-Staatsbürgern zu Kleinaktionären gemacht werden sollten. Zunächst – innerhalb eines festgelegten Zeitraumes – sollte jeder Anspruchsberechtigte, d.h. jeder über einen ständigen Wohnsitz verfügende volljährige Bürger der CSFR, ein kleines Couponbüchlein kaufen. In dem Heft befinden sich Coupons mit insgesamt 1.000 Punkten – auf 1.000-, 500-, 200- und 100-Punkte-Abschnitten, um die Möglichkeit zu gewährleisten, daß der Besitzer sie entweder alle in ein, oder teilweise in mehrere Unternehmen investiert. Mit diesem – um 35 Kronen erhältlichen – Heftchen mußte der zukünftige Volksaktionär dann auf sein zuständiges Bezirksamt gehen, seine Identität ausweisen und das Couponheftchen mit einer 1.000 Kronen-Stempelmarke gültig machen. Für diese Schritte war eine bestimmte Frist gesetzt. Nach Ablauf dieser Frist war die Umwandlung der Unternehmen in AGs geplant und er sollte dann ein – oder mehrere – Unternehmen seiner Wahl aussuchen, dann sollte – abhängig vom jeweiligen Andrang – festgelegt werden, wieviel die Punkte ebendieses Couponheftbesitzers wert sind und wieviele Anteile er dafür an dem von ihm gewählten Unternehmen bekommt. So lautete zumindest der ursprüngliche Plan.

Für jedes Unternehmen wurde ein eigener Privatisierungsplan ausgearbeitet, in dem 1. der Wert des Unternehmens festgestellt werden soll, 2. die Umwandlung des Unternehmens in eine AG stattfindet, 3. festgelegt werden soll, wie hoch der Aktienanteil der Volksaktionäre sein soll, wieviel in Staatshand verbleiben (bei Grundstoffindustrie-Betrieben) und welcher Teil für ausländische Beteiligungen reserviert bleiben soll. Dazu gibt es noch die Möglichkeit eines „Alternativ“-Verkaufs: Jeder andere interessierte Käufer kann ein Angebot machen, das wird dann geprüft und entschieden, ob das Unternehmen an ihn geht oder im Rahmen des Privatisierungsplans behandelt wird. Es soll also kein hoffnungsvoller Investor durch die Volksaktionäre abgeschreckt werden.

Der Verkauf der Heftchen und Stempelmarken begann im November 1991. Das Interesse der Bevölkerung erwies sich zunächst als unerwartet gering: Bis Ende Dezember 1991 gingen zwar die Heftchen weg wie die warmen Semmeln – 8 Millionen wurden verkauft –, aber nur ein geringer Teil der 12,5 Millionen Anspruchsberechtigten, nämlich weniger als 1 Million, verschafften dem Heftchen auch durch Kauf der 1.000 Kronen-Stempelmarke Gültigkeit.

Diese heftig beklagte „Gleichgültigkeit“ ist keineswegs ein „Erbe der Vergangenheit“, die die Menschen des „Umgangs mit Eigentum entwöhnt“ hat, sondern hat ihre guten Gründe: Von den Leuten wird verlangt, daß sie sozusagen die Katze im Sack kaufen, also 1.000 Kronen (immerhin ein Drittel bis die Hälfte eines normalen Monatslohns) hinlegen für etwas, was sie nicht kennen. Denn wonach sollen sie sich denn richten, um ein Unternehmen auszusuchen? Alle machen Verluste, drohen mit Entlassungen. Niemand, auch nicht die Minister und Wirtschaftsfachleute, kennen die etwaigen Chancen eines durchschnittlichen CSFR-Betriebes unter Weltmarktbedingungen. Und selbst die Entscheidung für ein Unternehmen, sofern sie einmal gefallen sein sollte, unterliegt noch einer Revision durch die mit der Privatisierung betrauten Organe. Die entscheiden dann, wie groß der Anteil sein soll, den ein einzelner Volksaktionär bekommt. Die einzige Attraktivität, die dieses Aktionärsdasein auf den normalen CSFR-Bürger ausüben konnte, war die, daß er den Betrieb mitbesitzt, in dem er arbeitet – und so vielleicht das Zusperren des Betriebes und die Vernichtung seiner Existenz verhindern kann. Das ist aber ein Interesse, dessen Inhalt nicht, wie bei einem westlichen Aktionär, das Erwirtschaften und Ausschütten eines Gewinnes ist, sondern die Abwendung einer existenziellen Bedrohung – also erst recht nichts, was mit Wert und Leistungsfähigkeit eines Betriebes zu tun hat.

In dieser Krise traten die sogenannten Investmentfonds auf den Plan. Ihre Gründer sind tschechoslowakische Banken oder Joint Venture-Unternehmen, aber auch Einzelpersonen, wie im Fall des – etwas mißtrauisch betrachteten – Harvard-Fonds, dessen beispielloser Reklamefeldzug erst die ganze Sache ins Rollen gebracht hat. [1] (Im Zuge des allgemeinen Investmentfonds-Fiebers z.B. haben sogar landwirtschaftliche Kooperativen solche Fonds gegründet.) Einige dieser Fonds versprachen zunächst einmal nur, die 1.000 Kronen zurückzuzahlen, falls ihnen jemand das mit Stempelmarke versehene gültige Couponheftchen verkaufen würde. Andere versprachen 10.000 - 12.000 Kronen nach Ablauf eines Jahres, falls der Besitzer ihnen sein Couponheftchen verkauft – was immer noch deutlich über der Inflationsrate der CSFR liegt. Mit solchen „Sicherheiten“ in der Hand begann ein Run auf die Heftchen und Stempelmarken, und bis Mitte Januar hatten bereits 4,7 Millionen Anspruchsberechtigte ihre Heftchen gültig registriert. Infolge dieses plötzlich unerwartet großen Interesses gingen zeitweise die Heftchen aus und wurden zu überhöhten Preisen schwarz gehandelt – eine auch nicht ganz eingeplante Randerscheinung. Der Mangel wurde schließlich durch den Druck von Ersatzkarten behoben, Ende Jänner begann auch das Interesse der Registrierwilligen nachzulassen. Immerhin haben bis zum Ablauf der Registrierfrist Ende Februar beinahe 8,5 Millionen Bürger, also fast 70% der Anspruchberechtigten, ihre Couponheftchen registrieren lassen.

Jetzt wiederum stellen die Fonds für die Regierung ein Problem dar. Man befürchtet „Mißbrauch“, „Verzerrung der Beteiligungsstrukturen“ in dem Augenblick, in dem die Betriebe zur Aktienausgabe schreiten werden. Bedenken, die deswegen dumm sind, weil den Unterschied zwischen korrektem „Ge-“ und „Miß“brauch, zwischen „normalen“ und „verzerrten“ Beteiligungsstrukturen niemand sagen könnte. Denn aus dem bloßen Ideal, alles sollte möglichst gut gelingen, läßt sich nichts für die Praxis ableiten. Realistischer ist die Befürchtung des Chefs der tschechoslowakischen Staatsbank, daß diverse Investmentfonds versuchen werden, Kredite aufzunehmen, um die versprochenen Gewinne auszuzahlen. (Salzburger Nachrichten, 3.3.92) Wenn sie sie auszahlen wollen, wird ihnen nichts anderes übrigbleiben – woher soll das Geld denn sonst kommen? Die Betriebe der CSFR schreiben alle rote Zahlen. Um Gewinne auszuzahlen, müßten erst einmal welche gemacht werden. Wie das gelingen sollte, ist nicht abzusehen.

Nur: Ohne die Investmentfonds wäre die Angelegenheit sozusagen gescheitert, bevor sie überhaupt angefangen hätte. Wenn sie jetzt vielleicht zu Praktiken Zuflucht nehmen, die nicht eingeplant waren, so liegt das in der Natur der Sache.

Es gab ursprünglich fast 500 solcher Fonds. Ungefähr die Hälfte von ihnen hat die rechtlichen Auflagen (Vorweisen eines Grundkapitals von 1 Million Kronen, einschlägige Erfahrungen) erfüllt, wurde also zugelassen. Ein Vertreter der CA hält nur 1015 davon für seriös, allerdings ohne auszuführen, worin sich denn eigentlich die „seriösen“ von den „nicht seriösen“ unterscheiden. (Presse, 14.1.1992)

Die Fonds sind als AGs organisiert. Wer seine Couponpunkte bei ihnen einbringt, ist ab da Aktionär. Am 17. Februar hat die sogenannte „Vorrunde“ begonnen, in der die Besitzer eines gültigen Couponscheinheftchens sich als Aktionäre in die Investmentfonds eintragen können. Die Werbung der Investmentfonds ist allgegenwärtig. Mit kindischen Zeichnungen und Betonen ihrer Erfahrung versprechen sie ihren zukünftigen Aktionären abwechselnd einen sorgenfreien Lebensabend, einen Geldregen und ähnliches. (Die CA, die ebenfalls einen Investmentfond gegründet hat, gibt sich vergleichsweise bescheiden: Ihr – nicht zu bestreitender – Leitsatz lautet: Aus dem Ei wird das Küken!) Die Vorrunde geht dann zu Ende, wenn die Betriebe selbst als AGs zur Beteiligung ausgeschrieben werden. Dieser Schritt war ursprünglich für das Jahresende ’91 vorgesehen, dann für März 1992. Die Frist wurde deshalb 2x verschoben, weil die mit der Ausführung der Privatisierung beauftragten Organe sich außerstande sahen, innerhalb der ursprünglichen Frist eine Bewertung der Betriebe und die Erstellung der Privatisierungspläne vorzunehmen.

Die Frage nach dem Wert eines Unternehmens ist in der CSFR allerdings eine Frage, deren Beantwortung unmöglich ist. Denn es handelt sich bei den Unternehmen der CSFR durchwegs um Betriebe, die nie einer kapitalistischen Konkurrenz ausgesetzt waren und nie nach marktwirtschaftlichen Kriterien kalkulieren mußten. Es gibt daher keine Grundlage, auf der ihre Tauglichkeit für den Weltmarkt festgestellt werden könnte – etwas, das in einer kapitalistischen Ökonomie noch jeder Konkursbetrieb in irgendeiner Form aufweist. Die Chancen auf dem Weltmarkt machen jedoch den Wert eines Unternehmens aus, nicht das Zusammenzählen von Maschinen, Lagerhallen und sonstigem Betriebsvermögen. Die Betriebe der CSFR haben also keinen Wert, es soll ihnen aber dennoch einer verliehen werden. Mit diesem Problem sind die jeweiligen Firmenleitungen sowie verschiedene Kommissionen befaßt, die den Privatisierungsministern der beiden Teilrepubliken unterstehen. Wonach richten sie sich bei ihren Berechnungen? Sie wissen bestenfalls, wie sich die betreffenden Betriebe bisher bewährt haben. Sie können also in Erfahrung bringen, welchen Umsatz diese Betriebe z.B. beim Export in den RGW erzielt haben – d.h. auf einen Markt, der dank deutscher Wiedervereinigung, sowjetischer Zahlungsunfähigkeit und Devisenabrechnung im zwischenstaatlichen Warenverkehr stark geschrumpft ist und sich gegen Null bewegt. Sie können den Umsatz betrachten, den ein Betrieb in der CSFR gemacht hat – zu einem Zeitpunkt, da Preissteigerungen und steigende Arbeitslosigkeit noch nicht die Wirkungen auf die Kaufkraft der Bürger gehabt haben, die jetzt allerorten von Betrieben und Geschäften beklagt werden, die auf ihrem Zeug sitzenbleiben. Sie können schließlich die Exporterfolge auf westlichen, kapitalistischen Märkten studieren – Erfolge, die dem geschuldet waren, daß die Verkaufspreise nicht nach Rentabilitätskriterien zustandegekommen sind, sondern darauf beruht haben, daß der gegenständliche Reichtum der CSSR und anderer RGW-Staaten – z.B. die sowjetischen Energieträger Öl und Gas – dazu verwendet wurde, die Verkaufspreise westlicher Konkurrenten zu unterbieten, um an die begehrten Devisen heranzukommen. Mit anderen Worten: daß die Kosten für die Erzeugung der Ware in eigenem „hölzernem“ Geld bestritten werden konnten und zu den beim Verkauf erwirtschafteten Devisen nicht in Vergleich gesetzt wurden. Dieses Verfahren ist inzwischen nicht mehr möglich, das ökonomische Hinterland fehlt, Kosten und Ertrag müssen sich miteinander vergleichen. Damit entgeht aber diesen „Paradepferden“ der CSFR-Wirtschaft (z.B.Fabriken für Glaswaren, Autos, Bier) ihr Preisvorteil gegenüber ihren westlichen Konkurrenten – sie scheitern nicht an mangelhafter Qualität, erst recht nicht an der angeblich mangelhaften Arbeitsmoral, sondern an ihren zu kostspieligen Produktionsverfahren. Die Verkaufszahlen, Einkaufspreise usw., die bisher für tschechoslowakische Betriebe ermittelt wurden, sagen also nichts, aber auch gar nichts über die Zukunftsperpektiven dieser Betriebe aus, es läßt sich aus ihnen kein Wert ableiten.

Aktiengesellschaften, Investmentfonds, Börse – diese Begriffe sind der Marktwirtschaft entnommen und die damit bezeichneten Dinge sind auch als Nachahmung kapitalistischer Institutionen gedacht. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihnen die Grundlage abgeht, die eine AG erst zu einer AG, eine Börse zu einer Börse macht: Die Betriebe, die in AGs umgewandelt werden, haben kein Kapital, sie wirtschaften nicht nach Rentabilitätskriterien, sondern müssen staatlich subventioniert werden, andernfalls müßten sie zusperren. Die „Aktionäre“ haben kein Geld, stellen also gar nicht, wie im Kapitalismus, dem Betrieb Liquidität zur Verfügung, sondern sind rein nominelle Teilhaber. Die Börse, auf der diese Aktien dann zirkulieren, handelt also mit Papieren, die zwar Aktien heißen, hinter denen aber gar keine Kapitalakkumulation steht und denen daher niemand so recht glauben will, daß sie Repräsentanten irgendeiner Art von Wert sind. Die Investmentfonds können wohl das nicht vorhandene Kapital ihrer Aktionäre, die Couponpunkte, in irgendeinen Betrieb „investieren“ – wenn der versprochene Gewinn ausbleibt, weil z.B. der Betrieb zusperrt oder zumindest nur Verluste einfährt – dann kann man auch nichts machen, denn „kein einziger ernstzunehmender Investmentfonds irgendwo auf der Welt kann einen sicheren Ertrag garantieren“. (Ivan Volmuth vom CA-Investmentfonds in einem Interview für das Új Szó, 21.2.1992)

Ungelöst bleibt das Grundproblem der ganzen Privatisierung: Woher kommt das nötige Kapital? Von den Bürgern nicht, die haben keins. Das Geld, das die Regierung schließlich ihren Bürgern aus der Tasche und ins Staatssäckel gezogen hat, ist als zweifelhafter Erfolg einzustufen, (abgesehen davon, daß der größte Teil davon ohnehin für die Finanzierung des ganzen Privatisierungsverfahrens draufgeht). Es handelt sich nämlich dabei um eine Summe in tschechoslowakischen Kronen – also einem nicht weltmarkttauglichem Geld. Das kann er zwar in seine Wirtschaft investieren und braucht nicht extra eins zu drucken – der Effekt ist aber letztendlich der gleiche: Er ist mit seinem Kronenvermögen auf seine eigene Wirtschaft zurückgeworfen, hat keinen Zugriff auf die Produkte anderer Nationalökonomien. Das ausländische Kapital wiederum weiß genau zu unterscheiden zwischen einer rein rechtlichen Umwandlung der Betriebsform – von Staatseigentum in eine AG – und tatsächlichen Produktionsumstellungen, die die Konkurrenzfähigkeit des Betriebes verbessern. Zusätzlich ist es zumindest fragwürdig, ob die Attraktivität eines Betriebes gerade gesteigert wird durch den Umstand, daß neben dem Staat – der ja als Teileigentümer weiterhin über Existenz oder Untergang des Betriebes entscheidet, entscheiden muß, – auch noch ein Haufen Volksaktionäre in dem Unternehmen sitzen, die zwar kein Geld einbringen, aber trotzdem eines haben wollen.

Fazit: Der ganze Zirkus heißt zwar „Privatisierung“, ist aber gar keine: Die Betriebe werden gar nicht in Privateigentum übergeführt, die Umwandlung in „AGs“ ändert nichts an der Tatsache, daß sie weiterhin Staatseigentum bleiben müssen, um irgendeine Art von Produktion weiterzuführen. Ihre Konkurrenzfähigkeit wird nicht verbessert, ihre Gewinne wachsen nicht, ihre Schulden verschwinden nicht durch diese formelle Umwandlung. Es ist nicht abzusehen, woher den neuen „Mitbesitzern“, den Volksaktionären, irgendeine Art von Einkommen erwachsen soll.

Die Frage der Privatisierung ist zu einem zentralen Thema der tschechoslowakischen Parteienkonkurrenz geworden. Der heftigste Parteigänger der „Coupon-Privatisierung“, Václav Klaus, erwartet sich von ihrer raschen Durchführung eine wundersame Erholung der auf Talfahrt befindlichen CSFR-Wirtschaft. Der vorliegende Artikel versucht nachzuweisen, warum das eine Illusion ist. Klaus beschuldigt die Exekutoren dieser Privatisierung, selbige durch absichtsvolle und unnötige „bürokratische“ Verfahren zu verzögern. Diese halten dem entgegen, daß sie erst die nötigen Informationen beschaffen müssen, und beklagen sich ihrerseits über mangelnde Kooperationswilligkeit des bisherigen Firmenmanagements, das versucht, sie aufs Glatteis zu führen und entweder falsche Zahlen vorlegt.oder Informationen unterschlägt. Wo das tatsächlich der Fall ist und nicht nur eine Ausrede für das Scheitern an den der Frage innewohnenden Widersprüchen, ist es auch verständlich, warum das geschieht: Jeder in dem Betrieb hat Angst um seinen Posten und den Fortbestand seines Betriebes, wenn er die Schwierigkeiten offen darlegt, in denen er steckt.

So gibt es eine muntere Schuldsuche von ganz oben bis ganz unten, deren Inhalt darin besteht, nach Verantwortlichen dafür zu suchen, warum die „Privatisierung“ nicht vorankommt. Wirtschaftliche Argumente kennt diese Debatte nicht: Wichtiger sind da Fragen wie das kommunistische? Vorleben einer Person, ihre Nationalität – Tscheche, Slowake, Ungar – und der Vorwurf, jemand würde den Ausverkauf der Nation betreiben.
Abschließend noch eine Bemerkung zu dem Argument, mit dem die Notwendigkeit und Richtigkeit dieser „Großen Privatisierung“ begründet worden ist.

Dem Volk sei jahrzehntelang das Privateigentum vorenthalten worden, daher müßten sie jetzt, sozusagen als Akt der seelischen Wiedergutmachung, mit etwas Eigentum ausgestattet werden. Man müßte sie, in kleinen Dosen sozusagen, an etwas gewöhnen, das eigentlich ihrer Natur entspricht. „In jedem von uns steckt ein Homo oeconomicus … Man muß nur verschiedene Hindernisse wegschieben. Dann können die Leute ihre tief verborgenen Instinkte wiederfinden.“ (Václav Klaus, in Spiegel 17/1991)

Abgesehen von der eigenartigen Vorstellung einer „naturgemäßen Veranlagung“, der erst mit Hilfe eines umfassenden Gesetzeswerkes und diverser Anreize auf die Sprünge geholfen werden müßte – ein kleiner Widerspruch in sich, den die jetzigen Politiker der CSFR von ihren Vorgängern geerbt haben, wenngleich mit anderem Inhalt – garantiert Eigentum als bloßer Rechtstitel noch lange keine Einkommensquelle, so bescheiden sie auch sein mag – auch im Westen nicht. (Wenn dort jemand aus einem Eigentumstitel Einkommen bezieht, so dadurch, daß er eine stattfindende Kapitalakkumulation kreditiert.) Schon gar nicht kann er aus dem Nichts Kapital gebären. Um die Erklärung, wie aus der Beteiligung von Habenichtsen an Betrieben 1. für die Betriebe Profit und 2. für die „Aktionäre“ Zinsen herauskommen soll, wäre Klaus jedoch nie verlegen:

Spiegel: Sie vertrauen darauf, daß irgendwann der Markt alles richten wird?
Klaus: Ja.

Das Beispiel Skoda

Die Skoda-Autowerke in Mlada Boleslav (Jungbunzlau) galten nach der „Sanften Revolution“ als einer der attraktivsten Betriebe der CSFR. Es hat sich dann schließlich auch ein westliches Unternehmen dort eingekauft, insofern haben sich die Erwartungen erfüllt. Die im Lauf der Zeit aufgetretenen Schwierigkeiten führe ich als Illustration zum Prozeß der Privatisierung an.

Der erste Schlag erfolgte bereits recht bald: Die von Václav Havel im Januar 1990 verkündete Amnestie brachte die Skoda-Werke um ihre fast kostenlosen, vom Staat ins Haus gelieferten Arbeitskräfte. Der Skoda wurde nämlich zum Teil von Sträflingen gebaut, und der Ausfall einiger Hundert Arbeiter auf einen Schlag stellte das Unternehmen vor ernste Probleme. Es konnte sie zwar relativ rasch ersetzen bzw. die begnadigten Häftlinge als normale Arbeiter anstellen, ihre Lohnkosten sind jedoch dadurch beträchtlich gestiegen.
Ausländische Autohersteller interessierten sich für den Betrieb, Skoda betraute ein amerikanisches Consult-Unternehmen mit der Beratung bei den Verhandlungen. Zwei Firmen kamen in die engere Auswahl: Renault und VW. Das Rennen hat VW gemacht, es hat höhere Investitionen angeboten und eine Beschäftigungsgarantie für die Skoda-Arbeiter abgegeben, die daraufhin mit einer Streikdrohung gegen einen Vertragsabschluß mit Renault Stellung bezogen. VW hat zunächst 31% des Betriebes erworben. Noch vor einigen Monaten hieß es, eine Erhöhung des Geschäftsanteils auf 70% bis 1995 sei geplant. Allerdings war auch eine Produktion von VW-Passat ab September ’91 im Werk Bratislava geplant, von der bisher Abstand genommen wurde. Die bisherige Entwicklung verlief nicht zufriedenstellend für VW.
Die Erhöhung von Preisen für Vorprodukte und Energie sowie eine Erhöhung der Umsatzsteuern hat den Preis eines Skoda-Favorit innerhalb eines Jahres auf beinahe das Doppelte steigen lassen. Die Kaufkraft der Bevölkerung ist in diesem Zeitraum beträchtlich geschrumpft, zusätzlich eröffnet sich inzwischen die Möglichkeit, westliche Gebrauchswägen zu erwerben. Der größte ausländische Markt, Jugoslawien, fiel aus. Die Verkaufszahlen gingen auf weniger als die Hälfte des Vorjahres zurück, in der CSFR selbst gar von 123.000 auf 35.000 – auf weniger als ein Drittel. Zusätzlich ist Skoda als Folge der Reform des Kreditwesens der CSFR hoch verschuldet. Die Produktion wurde gedrosselt, Kurzarbeit wurde eingeführt, die Beschäftigungs„garantie“ ist kein Thema mehr.
Die Klagen und Beschwerden der VWManager bei der Regierung hatten Erfolg: Die Umsatzsteuern für inländische Neuwägen wurden von 29 auf 19% gesenkt, Zölle und Importsteuern für ausländische Autos auf insgesamt 34% erhöht. Ob das den gewünschten Erfolg bringen wird, ist fraglich. Die Tschechen und Slowaken werden immer ärmer, der Skoda bleibt teuer.
Was will eine Firma wie VW mit einem Unternehmen wie Skoda? Der inländische Markt ist für VW nur insofern wichtig, als das dort eingenommene Geld die in Kronen zu bezahlenden Unkosten deckt, also Arbeitslöhne, Lagerkosten, Energie usw. Den Gewinn und die Deckung importierter Bestandteile will VW selbstverständlich auf Westmärkten erzielen, also in einem Geld, das auch außerhalb der Landesgrenzen als Träger von Wert anerkannt und angenommen wird. Daher die Pläne vom Passat bzw. einem Nachfolgemodell des Favorit, das ab 1993 als Alternative zum Polo in den Verkauf gelangen soll. Die CSFR ist also für VW als Billiglohnland attraktiv, ein Taiwan vor der Haustür sozusagen, mit ausgebildeten Facharbeitern und geringeren Transportkosten.
Für die anderen Beteiligten wird das eine Quelle herber Enttäuschung sein: Die Arbeiter waren ja für die VW-Beteiligung, weil sie sich dadurch einen sicheren Arbeitsplatz und eine vielleicht auch allmähliche Anpassung an BRD-Lohnniveau erhofft haben. Nun ist aber ein sicherer Arbeitsplatz ein Unding: Die Kalkulation eines kapitalistischen Betriebes kennt allemal andere Notwendigkeiten als den Erhalt von Arbeitsplätzen: Wettbewerbsfähigkeit, daher neue Maschinen, daher Entlassungen; gesunkene Produktion, daher Abbau von Arbeitsplätzen, Auslagerung von Produktionen usw. Das Erzielen von Gewinn ist oberste Bedingung für den Arbeitsplatz, verträgt daher keine Einschränkung durch selbigen. Was die Löhne betrifft: VW schätzt an den tschechischen Arbeitern ja gerade den Umstand, daß sie billiger sind als die deutschen, hat also nicht vor, diesen Umstand abzuschaffen, im Gegenteil.
Auch der tschechoslowakische Staat kommt bei der Sache nicht wirklich auf seine Kosten: Er will sich über Steuern an seinen Betrieben bereichern, daher die Erhöhung der Umsatzsteuer. Die Firma Mercedes hat daher gleich als erstes Steuerbefreiung verlangt für den Fall, daß sie sich an dem LKW-Unternehmen LIAZ in Jablonec (Gablonz) beteiligen. Beinahe alle ausländischen Firmen bestehen zumindest auf Steuererleichterungen für die ersten ein, zwei Jahre, falls sie sich in ein CSFR-Unternehmen einkaufen. Aber auch wenn sie bereit sind, die Steuern genauso wie tschechische Unternehmen zu zahlen: Kein oder geringer Umsatz – keine oder geringe Steuern. In Devisen will schon überhaupt niemand seine Steuern zahlen. Ein größeres Problem als die Steuer stellt die sogenannte „Gewinnrepatriierung“ dar: Viele Unternehmen verlangen, daß ihnen ein Teil der in Kronen gemachten Gewinne in Westwährung abgegolten wird.
Der Nutzen für den Staat ist also eher gering – weder besondere Kroneneinnahmen, noch Deviseneinnahmen. Der Hauptvorteil liegt in einer Verringerung seiner Unkosten: Die Überlegung, den Betrieb zuzusperren, weil es zu teuer kommt, ihn zu subventionieren, wird zumindest teilweise dem ausländischen Investor aufgebürdet.
Es ist zudem ein hartes Urteil über eine Nationalökonomie und deren lebendiges Inventar, wenn ihr der Status eines Billiglohnlandes zugesprochen wird. Der Staat geht damit hausieren, daß er seine Lohnarbeiter billiger hält als andere Staaten, wirft also nicht wirtschaftliche Vorzüge seines Landes in die Waagschale, sondern seine Gewalt, die er als ökonomische Potenz einsetzen möchte. Das ausländische Kapital wiederum, das er mit diesem Angebot anzieht, möchte seine Produktionskosten senken, und zwar nicht, indem es die Produktion modernisiert und damit die Stückkostenzahl seiner Produkte senkt, sondern indem es die Lohnkosten senkt – also unter Vermeidung von Investitionen.
Das Beispiel Skoda zeigt aber auch, mit was für Schwierigkeiten die anderen Betriebe der CSFR zu kämpfen haben: Die Verteuerung von Energie, Rohstoffen, Vorprodukten trifft ja alle Unternehmen, genauso wie Umsatzsteuern, Kaufkraftverlust und Überschuldung. Die Investitionen, die VW macht oder angekündigt hat, um die Produktion zu modernisieren, muß bei solchen Unternehmen, die keinen Käufer gefunden haben, der Staat machen. Tut er es nicht, so machen die Betriebe Verluste und müssen weiterhin subventioniert werden – so oder so schlucken sie Geld, anstatt dem Staat eines zu liefern. Und die Modernisierung ist auch so eine Sache: Hätte die CSFR-Wirtschaft modernere Technologie liefern können, so hätte sie es bereits früher getan. Kann sie es nicht, so muß sie im Ausland eingekauft werden – für hartes Geld. Kann dieses Geld nicht durch Exporte erwirtschaftet werden, so müssen Kredite aufgenommen werden. Gesetzt der Fall, sie würden gewährt, so verschlingt der Schuldendienst die wachsenden Exporteinnahmen, usw. Der Kreislauf, den die Staaten der Dritten Welt seit einigen Jahrzehnten durchlaufen, öffnet sich auch hier.
Die dritte Möglichkeit, mit unrentablen Betrieben umzugehen, wird auch angewandt, hat aber ihre Grenzen: „Es können ja schließlich nicht alle zusperren.“ (Ein amerikanischer Berater der Firma Tesla Prelouc, in: Wochenpresse/Wirtschaftswoche Nr.4/92)

„Kleine Privatisierung“

Wäschereien, Haarschneider, Geschäfte, Gasthäuser, also solche Wirtschaftseinheiten, zu deren Erwerb und Betrieb ein geringeres Vermögen ausreicht, wurden in der seit Januar (Tschechische Teilrepublik) bzw. Februar (S.T.) des Vorjahres laufenden sogenannten „Kleinen Privatisierung“ auf öffentlichen Versteigerungen an die Meistbietenden verkauft. Die Bedingungen waren, daß der ursprüngliche Besitzer sie nicht innerhalb einer gewissen Frist beanspruchte und daß der Käufer Bürger der CSFR sein mußte. Letztere Bedingung war nicht sehr schwierig zu umgehen: Ausländer besorgten sich eben Strohmänner. Die Verkaufspreise unterschieden sich oft um ein 50 bis 100-faches von den Ausrufungspreisen, besonders für zentral gelegene Geschäfte in den beiden Hauptstädten wurden beachtliche Summen hingelegt. Die kleine Privatisierung wurde zwar mit Einschränkungen, aber doch als Erfolg gefeiert: Die Betriebe wurden in Privathand übergeben, der Staat streifte Geld ein, sogar mehr als erwartet.
(Was die kritischen Stimmen betrifft, so beklagte z.B. eine Gruppe von Ökonomen, daß „Leute mit einer ausreichenden Menge an Geldmitteln gegenüber Firmenleitungen und Normalverbrauchern im Vorteil sind“ und daß auch! „die Existenz eines wirklichen Problems sichtbar wird: eine ambivalente Haltung der Mehrheit der Bevölkerung angesichts der Privatisierung“ in: Economic Reform in CSFR, J. Klacek u.a.)
Der Erfolg ist trügerisch: Die in der „Kleinen Privatisierung“ veräußerten Betriebe gehören allesamt nicht der produktiven Sphäre an, sondern der konsumtiven, ihr Geschäftserfolg hängt von den Entwicklungen ab, die sich woanders ereignen. Mit anderen Worten: Die Kunden von Wirts- und Warenhäusern müssen das nötige Kleingeld woanders verdienen, um es hier auszugeben, sie müssen also entweder Arbeit haben und Lohn erhalten, oder andere anstellen und daraus Gewinn machen. Wenn in einem Land ein Industriebetrieb nach dem anderen zusperrt, die restlichen Betriebe unter Verlusten arbeiten, das Realeinkommen ständig sinkt – dann kann vielleicht das ein oder andere Geschäft dadurch florieren, daß es ein paar Neureichen oder Ausländern westlichen Schmonzes bzw. einheimische Produkte, die auch bereits zu unerschwinglichen Luxusgütern aufgestiegen sind, teuer verkauft; ein Wirtshaus in der Prager Innenstadt kann mit biertrinkenden Touristen ein Geschäft machen – für Dienstleistungsbetriebe und Geschäfte insgesamt gilt jedoch, daß sie nicht Grundlage einer nationalen Ökonomie sein können, sondern umgekehrt gerade davon abhängen, wie sich diese Ökonomie in ihren wesentlichen Bereichen entwickelt.

Der Harvard Fond wurde von Viktor Kožený gegründet, der in Harvard studiert hatte und sich deshalb als Wirtschaftsexperte ausgab. Er versprach den Staatsbürgern der damals noch Tschechoslowakei 100% Gewinn, falls sie ihre – mit Stempelmarke versehenen – Kuponbücher seinem Investmentfond anvertrauen würden. Dieses Versprechen brachte er mit einer Werbekampagne unter die Leute, bei der erstmals alle damals im Westen üblichen Mittel eingesetzt wurden – großflächige Plakate, Einschaltungen in Radio und Fernsehen, Verteilen von Broschüren in den Betrieben selbst, usw.

Das Geld für diesen Werbefeldzug stellte ihm die Regierung in Form eines Kredits zur Verfügung. Kožený war ihr Rettungsanker, um die Privatisierung nicht scheitern lassen, er konnte sich jeder Unterstützung gewiß sein.

Kožený stieg dadurch zu einem der größten Investoren und Unternehmer der Tschechischen Republik auf – alles ohne einen Heller Eigenkapital. Seine undurchsichtigen Machinationen rund um die Privatisierung waren lange kein Thema für Justiz und Medien, solange Václav Klaus Regierungschef war. Nach 1998 mehrten sich jedoch die kritischen Stimmen, um so mehr, als die ganze Privatisierung und ihre unbefriedigenden Ergebnisse ins Visier der Politik gerieten. 2003 wurde in Tschechien ein internationaler Haftbefehl gegen ihn ausgestellt, kurz darauf auch in den USA. Dennoch gelang es ihm bis heute, sich auf den Bahamas einer Auslieferung zu entziehen. Es steht zu vermuten, daß er über zu viele Informationen verfügt, um einen Prozeß in Tschechien – und auch in den USA – wünschenswert erscheinen lassen. (Ergänzung aus dem Jahr 2013)

Erstmals publiziert in: FORVM – österreichische 2-monatlich erscheinende Zeitschrift, 1995 eingestellt. Der Artikel erschien im Mai 1992.

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