FORVM, No. 367/370
Oktober
1984

Halt die Luft an!

Die Pest unseres Jahrhunderts ist Krebs, Herz- und Kreislaufkrankheiten. Der beste Schutz gegen Pest ist Sauberkeit.

Jahrzehntelang war man weltweit der Meinung, für das Streben nach möglichst billigen Produktionsabläufen die Umwelt umsonst benützen zu können. Heute wissen wir, wie lebensnotwendig auch für die Gesundheit saubere Luft und sauberes Wasser sind. Die Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung und Krankheitsbelastung kündigten sich schon bei den großen Smogkatastrophen (im Maastal, Belgien, 1930, in Donara, USA, 1949, in London, 1952 und in Pittsburgh, 1975) an. Luftverunreinigungskatastrophen mit einer so hohen Übersterblichkeit aufgrund einer extrem hohen Schadstoffkonzentration sind selten, aber Millionen Menschen werden täglich durch die Schadstoffe der atmosphärischen Luft chronisch belastet.

Zapletal (CSSR) berichtete über schlechtere Lungenfunktionswerte bei Kindern aus einem böhmischen Industrieballungsgebiet. Prim. R. Schindl (Linz) fand signifikante Unterschiede in der Lungenfunktion zwischen Kindern aus Linz und dem Reinluft-Gebiet Bad Leonding. Diese Differenzen bei Kindern sind bei Männern nach dem 45. Lebensjahr nicht mehr nachweisbar: Mit zunehmendem Lebensalter spielen konkurrierende Schadfaktoren (vor allem das Rauchen) eine Rolle. Die Bedeutung des SO2-Gehaltes der Luft für akute Erkrankungen der Atemwege konnte Bredel nachweisen, der in Leipzig bei Kindern (ein halbes Jahr bis drei Jahre) ein überzufälliges Auftreten von Bronchitiden in Abhängigkeit vom Überschreiten des SO2-24Stunden-Mittelwertes von 0,24 mg/m2 nachwies.

Weingärtner (DDR) untersuchte 18.000 Schulkinder verschiedener Altersklassen in Gebieten mit verschiedener Luftverschmutzung. Nicht nur das gehäufte Auftreten von Bronchitis-Perioden bei höherer Luftverschmutzung konnte nachgewiesen werden, sondern auch weitaus schwerere Verlaufsformen. Ostdeutsche Studien legen den Schluß nahe, daß in Gebieten mit hoher Luftbelastung die chronische Bronchitis häufiger ist und in früheren Jahren auftritt. Auffallend war auch die Tendenz zu Verschlechterung der Asthmapatienten.

Herzinfarkt bei Kindern

Die Verschlechterung der Lungenfunktion hat sicher auch eine Bedeutung bei den chronischen Bronchitiden und Emphysematikern in Bezug auf Auswirkungen auf das Herzkreislaufsystem. Insgesamt muß gesagt werden, daß die Menschen durch die chronische Schadstoffexposition Veränderungen erfahren, die zwar noch im Grenzbereich der Gesundheit liegen, aber ein latentes Gesundheitsrisiko darstellen.

Was viel zu wenig beachtet wird ist die Kombination von SO2 mit den übrigen Luftschadstoffen wie Stickoxide, Stäube oder polycyclische Kohlenwasserstoffe, die zu einer Wirkungssteigerung auf das 5- bis 10-fache führen kann.

Aus Deutschland liegen erschreckende Nachrichten vor, daß die Krankheit „Pseudo-Krupp“, die bei Kleinkindern lebensbedrohliche Atemnot auslösen kann, offensichtlich doch verstärkt in Regionen mit hoher Luftverschmutzung auftritt. Der Leiter der Kinder-Klinik Duisburg, Prof. Harald Haupt, erklärte, daß in Stadtteilen, in denen der Schwefeldioxidgehalt der Luft über 0,3 mg/m2 betragen habe, der Anteil der Pseudo-Krupp-Fälle doppelt so hoch gewesen sei als in den weniger belasteten Duisburger Gebieten. Wo die SO2-Konzentration über 0,2 mg/m2 Atemluft liege, ist die Gefahr nachweisbar da. Deutlich steige der Anteil der Pseudo-Krupp-Fälle auch in Stadtgebieten mit einer stärkeren Staubkonzentration. Immer wieder sei darauf hingewiesen, daß auch die Stickoxide, die in Österreich steigende Tendenz haben, Reizerscheinungen an den Schleimhäuten hervorrufen, und Kombinationseffekte bewirken, die man schwer abschätzen kann. Aufhorchen läßt auch eine Meldung im „American Journal of Epidemiology“. 1981 meldete der Arzt Hoppen-Brouwers, Los Angeles, daß die Fälle von plötzlichem kindlichen Herztod, deren Ursache man bisher nicht genau kennt, regelmäßig sieben Wochen nach solchen Tagen auftreten, an denen Schadstoffspitzenbelastungen in der Luft gemessen worden waren. Eine Vermutung geht dahin, daß unter anderem auch Umweltverschmutzung fatale Kettenreaktionen bei diesen bedauernswerten Kleinkindern auslösen können, die schließlich mit dem Tod enden.

Krebs in Voitsberg

Es wird aus dem Gesagten wohl sehr verständlich, daß sich die Arzte im Tullnerfeld geschlossen für eine Entschwefelung des Riesenkraftwerkes von Dürnrohr einsetzten. Beängstigend ist auch das Ergebnis einer Studie des Grazer Hygieneprofessors Möse, der ein 63%ig höheres Risiko eines Atemwegskrebstodes für die Region Voitsberg (2 kalorische Kraftwerke, Industrie) errechnete im Vergleich zum Reinluft-Gebiet Aussee.

Sogar gegenüber Graz bestand für die Region Voitsberg noch immer ein ca. 18% höheres Atemwegskrebsrisiko. Aber auch die allgemeine Krebssterblichkeit lag in Köflach deutlich höher. Die im Gebiet Voitsberg-Köflach ansässigen Praktiker stellten zudem auch eine deutliche Häufung von Asthma-Anfällen schon im zarten Kindesalter fest. Als äußest interessant wurde erachtet, daß es bei Ortswechsel in ein umweltmäßig günstigeres Gebiet regelmäßig zu einer raschen Besserung kam. Prof. Möse abschließend vorsichtig: „Die vorliegenden Daten lassen es zumindest wahrscheinlich werden, daß die umweltbezüglichen Einflüsse eine erhebliche Rolle spielen.“

Dreckschleuder Dürnrohr:
Nicht nur der Wald nimmt Schaden

Salmonellen im Trinkwasser

Aber nicht nur die Luftgefährdungen sind zu beachten. Auch das Trinkwasser könnte durch sauren Regen Schaden leiden. Prof. Dr. Wassermann von der Universität Kiel warnte erst kürzlich: „Unter bestimmten geologischen Voraussetzungen muß durch eine zunehmende Versauerung des Bodens eine verstärkte Mobilisierung von Metallen befürchtet werden, z.B. von Aluminium und toxischen Schwermetallen wie Blei, Kadmium, die dann über das Trinkwasser zu Gesundheitsgefährdungen führen können.“ Wenn man jetzt in der Stellungnahme des Amtes der Wiener Landesregierung deutlich lesen kann, welche negativen Auswirkungen ein Stau bei Hainburg für die Trinkwasserversorgung aus der Lobau für Wien hätte, kann man nur noch hoffen, daß nichts schiefgeht. Daß die Wasserversorgung heikel werden kann, haben nämlich viele Bürger dieses Landes hautnah erfahren müssen (Verseuchung von Brunnen mit chlorierten Kohlenwasserstoffen in der Mitterndorfer Senke und Graz — Borverseuchung in Wien). Erfahrungsgemäß rutscht die Wassergüte eines Flusses wegen der geringeren Fließgeschwindigkeit, Selbstreinigung des Wassers wegen größerer Erwärmung und weniger Sauerstoff zwangsläufig um etwa 1 Grad ab.

Bei einer im Oktober bei Deutsch-Altenburg durchgeführten Wasseruntersuchung wurden in 19 von 22 Wasserproben zwischen 100 und 130 Kolibakterien pro ml gefunden. In 7 von 22 Wasserproben waren Salmonellen nachweisbar. Salmonellen sind immerhin Spiegelbild der Gesamtsituation eines Gewässers. Ihr Vorhandensein läßt den Schluß zu, daß auch Viren zu finden sind (Hepatitis, Polio usw.) Es ist bei einem Aufstau damit zu rechnen, daß ufernahe Trinkwasserbrunnen infiziert werden und damit das Grundwasser verseucht wird.

Dieser Problematik einer Staustufe unterhalb der Millionenstadt Wien mit allen ihren Abwässern will man laut Minister Haiden durch rigorose Auflagen im Zuge des Wasserrechtsverfahrens Herr werden.

Sanfter Tourismus ...

Bezüglich der Schaffung von Nationalparks sollte man noch ein allgemein gesundheitliches Argument einbringen. Vor allem der Stadtbewohner lebt in einem immer größer werdenden Streß. Dies führt zu einer immer größeren Fülle von psychosomatischen Erkrankungen. Das Wandern in unverbrauchter Natur, in frischer Luft bei größtmöglicher Ruhe schafft den Zustand, der von Menschen als äußerst angenehm empfunden wird. Schon Hippokrates heilte mit Wasser, Luft in Bewegung in erholsamen Hainen. Kein Mensch wird den Erholungswert von Naturwanderung bestreiten. Dieses Prinzip gehört unbedingt im Sinne der Gesundheitsförderung ausgebaut. Gerade in jungen Jahren sollte man diesen wichtigen Kontakt mit der Natur erlernen. Derzeit hat man aber den Eindruck, daß eher das Gegenteil der Fall ist (zunehmende Motorisierung). Gerade Nationalparks haben in diesem Zusammenhang eine hervorragende Signalwirkung, die man langfristig nicht unterschätzen sollte. Alles, was da unter dem Schlagwort „Sanfter Tourismus“ läuft, Könnte auch mit dem Wort „Gesunder Tourismus“ ergänzt werden.

... ist gesunder Tourismus

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß sich die Österreichische Ärzteschaft schon ausführlich mit dem Problemkreis Umweltschutz beschäftigt hat. Aus der Sicht der oben aufgeführten Details fordern die Umweltschutzreferenten der Ärztekammern ein Nationalparkkonzept, ein Energiekonzept mit Schwerpunkt auf Einsparung und Umweltverträglichkeit, bei bestehenden Kraftwerken sind die modernsten Maßnahmen zu ergreifen, um den Schadstoffausstoß zu minimieren, denn nicht nur der Wald nimmt Schaden, sondern auch der Mensch.

Dr. Erwin Rasinger ist Umweltschutzreferent der Österr. Ärztekammer.

Literatur

  • Prim. R. Schindl: Klinisch pneumologische Bedeutung der Luftverunreinigung (Workshop Lunge — Umwelt — Arbeitsmedizin, Linz 1981)
  • Dr. Dittermann: Die Bedeutung der kommunalen Umweltbelastung für die Entstehung von chronischen Atemwegserkrankungen (Wiener Medizinische Wochenschrift, Supplement 71, 1982)
  • Prim. R. Schindl: Atemfunktion und Umwelt bei Schülern (Wiener Medizin Wochenschrift, Supplement 71, 1982)
  • Prof. Haupt, Dr. Mersmann, Prof. Schmidt: Wissenschaft/Gesundheit, DPA 18. Mai 1984
  • Prof. Möse: Untersuchung über die Krebssterblichkeit in kleineren Regionen mit unterschiedlichen Strukturen und lufthygienischen Gegebenheiten (Hygiene Institut Graz 1983)
  • Prim. Doz. Stur: Über die Bedeutung der Umwelteinflüsse für die Entstehung bronchopulmonaler Erkrankungen bei Kindern (Workshop Lunge-Umwelt-Arbeitsmedizin, Linz 1981)
  • Prof. Schlipköter: Die Erfahrungen mit dem Wirkungskataster für Luftverunreinigungen (Wiener Medizinische Wochenschrift, Supplement 71, 192)
  • Dr. Rasinger: Warum kämpfen Ärzte für optimale Entschwefelung Dürnrohrs (Österreichische Ärztezeitung 23, 1982)
  • Prof. Muhar: Erfassung und Bewertung von inhalativen Belastungen mit Lungenfunktionsprüfungen (Workshop Lunge — Umwelt — Arbeitsmedizin, Linz 1981)
  • Dr. Struwe: Umweltsituation-Luft (Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen, 1981)
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