FORVM, No. 481-484
April
1994

Heintel im Kontext

Kurt Rudolf Fischer

Ein Wiener aus der Albertgasse im 8. Bezirk flüchtet 1938 rechtzeitig nach Schanghai; dort wird er Boxmeister, in den USA später Chairman of the Departement of Philosophy am Pennsylvanian State College. Von Sehnsucht getrieben kam er wieder nach Wien, wo er es bis zum Honorarprofessor brachte. Am 12. Juni 1989 schrieb er an Heintel, der sich einem Symposium über »Philosophie und Nationalsozialismus« entziehen wollte:

Seit fast fünfunddreißig Jahren habe ich immer wieder gehört, daß Sie ein Nationalsozialist gewesen sind. Das hat mich weder gefreut noch gestört. Als ich 1954 nach Wien kam und dann auch später immer wieder — übrigens zum großen Teil durch Ihre Bemühungen — und zuletzt in Wien an der Universität geblieben bin, mußte ich annehmen, daß jeder über, sagen wir über fünfundsechzig, ein Nazi hätte sein können. (Fischer/Wimmer 1993, S. 248)

Selbst hatte ich bis dahin nur zwei Anläufe zur Aufdeckung von Heintels Vergangenheit erlebt:

  • Als ihn 1968 die sozialistischen Studenten mit einigen Stellen aus seiner »Metabiologie« (l.c. S. 274 ff.) konfrontierten, hatte ich selbst zu seinen Schild- und Speerträgern gehört, will sagen: ihn verteidigt. Denn einen kruden Blubo-Rassismus mochte ich so wenig herauslesen wie später Hans-Dieter Klein — und muß jetzt, ein Vierteljahrhundert später, den 68ern, Silvio Lehmann voran, Abbitte leisten.
  • Als Frank Hartmann original unter dem Titel »Geistiger Anschluß« in »Information Philosophie« H. 3, Juli 1989, über die Wiener Philosophie und den NS schrieb und Klein bei der Redaktion intervenierte, um den Beitrag zu unterdrücken. Frank schrieb — es war Farias-Zeit — damals auch hier über Nazisophen, aber nicht über Heintel; dies auch wegen der Quellenlage: Die Republik läßt nur handverlesen in die Archive, auch ins BDC schauen, wie z.B. die Grazer um den Germanisten Uwe Baur, in dessen Projekt seit Jahren alle Information begraben liegt.

Hans-Dieter Klein

Noch im Beitrag zum Fischer/Wimmer-Buch ließ sich Klein zu der Behauptung hinreißen, Heintel sei überzeugt gewesen, allem Wahnsinn der Zeit könne durch Philosophie entgegengewirkt werden. Er habe seine Habilitation gegen Nazi-Intrigen durchsetzen wollen, um philosophische Aufklärung vermitteln, zum Beispiel den rassistischen Naturalismus widerlegen zu können; zu diesem Zweck »bewarb er sich um Mitgliedschaft bei der NSDAP und war Mitglied des NSKK. Er wurde jedoch nie in die NSDAP aufgenommen. ... All diese Tatsachen hat Heintel nie verschwiegen oder abgestritten.« (l.c. S. 272)

Der Modellfall des ehrenhaften Mannes, der nichts zu verbergen hat, bis es aufkommt: Gleichzeitig war, 264 Seiten davor, auf Seite 8, die Mitgliedsnummer von Erich Heintel abgedruckt (vgl. hier, S. 28).

Nun könnte Klein dem Heintel bös’ sein, daß der ihn so reingelegt hat; isser aber nicht. Weil wer lügt schon nie, und es gehört ja zur Heintelschen Lehre, daß Lügen erlaubt ist, wenn Häscher nach wem fragen und so: Kants Kasuistik schwieriger Fälle, gewendet gegen dessen Ableitung des kategorischen Lügenverbots aus dem Kriterium der Verallgemeinerungsfähigkeit jeder Maxime. Die zwingende Folge — daß man grundsätzlich keinem was glauben kann — wird im Heintel-Kreis durch innige Bindung ausgeglichen, wo »Bejahung« nicht auf das Tun, sondern direkt auf die Person geht; das findet man in der Liebe und in Führer-Strukturen, und dem Führer ist man nicht bös’, sondern treu.

Zwei Knackse mit Heintel

  1. An einem Mittwoch — am Institut damals ein Hauptkampftag —, dem 7. Februar 1968, beschloß der Nationalrat die Abschaffung der Todesstrafe auch im standrechtlichen Verfahren bei Aufruhr; ich hört’s im Radio, lief im Hochgefühl zur Toilette, wo ich im Vorraum den Professor Heintel traf und ihm die Frohbotschaft brühwarm erzählte. Lauwarme Reaktion: Er finde schon, daß der Staat im Krisenfall ein Recht haben muß, seinen Bestand mit der Todesstrafe zu schützen. Da wurde er mir erstmals zweifelhaft.
  2. Februar 1969, bei ihm in Ottenschlag zur Arbeit an seinem Buch »Die beiden Labyrinthe der Philosophie«; Pause, gemeinsamer Spaziergang im Schnee. Sagt Heintel, ihm sei es ganz recht, daß in Vietnam der Krieg ist, irgendwo sei immer Krieg, besser dort und weit weg als da. Ab da ging er alleine weiter im Schnee, und ich, verstört, allein zurück; im Sommer wurde der Knacks zum Bruch.

Karl Otto Apel

Um ein Haar hätte Apel Nachfolger von Kainz werden können; in Heintels Privatissimum (für Dissertanten, persönliche Anmeldung) trug er vor und stellte sich der rüden Diskussion. Der grüblerisch-zweifelnde Apel wies, in Zusammenhang mit der demokratiepolitisch erforderlichen Mündigkeit des Publikums, auf die verderbliche Wirkung von Illustrierten-Scheiß’ hin. Temperamentvoll Heintel: »Wer sowas liest, den soll von mir aus der Teif’l hol’n.« — So einer kündigt hernach als 13. Buch den schönen Titel an: »Mündiger Mensch und christlicher Glaube« (Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt).

Seinesgleichen

Von Heintel erschienen seit 1936 in 58 Jahren 12 Bücher und eine Fülle kleinerer Schriften, 507 Nummern zählt das Verzeichnis bis 1992; nicht faul und vielgeehrt. Was wiegt’s, daß einer gelegentlich das Hakenkreuz aus List sich angesteckt hatte, gegen ein Werk, das schon professionell von Gutheit zehrt? Schrieb er nicht 1993, immer noch gegen »rassistischen Naturalismus«, in Werkverzeichnis Nr. 508:

In unserer Zeit, in der der Mensch an seiner eigenen Zivilisation zu Grunde zu gehen droht, gewinnt der ethische Naturalismus große gesellschaftliche und politische Stringenz. Dabei ist freilich nicht zu übersehen, daß der ethische Naturalismus in Positionen ideologisiert und pervertiert werden kann, die schlechthin der Humanität und der Würde des Menschen unverträglich sind: man bedenke in dieser Hinsicht die von einem derart missionarischen Naturalismus her entwickelten Theorien des Rassismus und ihre Verwirklichung bis zum Völkermord hin.

Hätt’ er es nicht im »FPÖ-Jahrbuch 1993« »Freiheit und Verantwortung« getan; hg. von Hobelt, Mölzer und Brigitte Sob, seine und/oder Kleins Schülerin, einerlei.

Das paßt dazu, wie er in »Wehrpsych. Mitt.« 1941 launig schrieb, daß »der Dialekt z.B. auch die Juden ›distanzierte‹, die im Wien der Systemzeit die vielleicht stärkste einheitliche Gruppe bildeten, deren Glieder zum größten Teil nur ›reines Deutsch‹ sprachen.« — Ähnlich hat Fussenegger die Prager Juden verhöhnt; im FPÖ-Kontext steht sie bisher nicht.

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