MOZ, Nummer 56
Oktober
1990

Herausforderung für die Deutschen

1990 feiert das „Unabhängige Nachrichtenmagazin Österreichs“ „profil“ Geburtstag. In einer Sonderbeilage sind die zwei Dezennien bunter Titelblätter abgebildet. Sie haben mich zu einer flüchtigen Statistik gereizt.

Nur wenige Frauen genießen die Ehre, Teil von „20 Jahren Zeitgeschehen“ zu sein. Ganze 14 Mal in 913 Heften wurden Frauen auf Grund ihrer eigenen Leistungen titelblattwürdig: 1 Sportlerin, 5 Politikerinnen (Ottilie Matysek und Ingrid Leodolter doppelt), 1 Schriftstellerin, 1 Bühnenschauspielerin, 1 Filmstar (tot), 1 Fürstin (tot), 1 Mörderin, 1 Fotomodell. Umso häufiger, gleich 20 Mal, werden Frauen als Opfer abgelichtet: als Vergewaltigte, Mißhandelte und Gefesselte, als Leiche, Aidskranke und Opfer der Spielleidenschaft. Ebenso beliebt sind Frauenkörper zur Illustration von Titelgeschichten über Medizin und Psychotherapie, nackt, wenn es leicht geht. Und ‚natürlich‘ darf sich der „profil“-Leser auch 14 Mal an der bewährten Kombination Sex = Frau erfreuen, mit Vorliebe zum Jahreswechsel.

Niemals käme man an Hand der „profil“-Titelgeschichten darauf, daß die Frauen in diesen beiden Jahrzehnten einen epochalen Aufbruch durchlebt haben, heraus aus der Familie, hinein in das Erwerbsleben, hinaus auf die Straße. Nur die sich alle paar Jahre wiederholenden Scheidungs-Stories deuten darauf hin. Den Vogel schießt Hannes Androsch ab, der uns 23 Mal mit seinem Konterfei beglückt. Bloß einmal in all den Jahren fragt sich „profil“: „Wozu Frauen in die Politik?“

Ja, wozu denn, bin auch ich verleitet zu fragen, wenn ich mir vor Augen führe, was aus der BRD-Grünen „Feminat“-Pastorin Antje Vollmer geworden ist. Freda Meissner-Blau gleich, hatte die „Aufbruch“-Politikerin immer schon einen Hang zum Staatstragenden, doch nun hat Deutschland der Fraktionssprecherin der Grünen im Bundestag endgültig den Kopf verdreht. Während sie früher bloß darum bemüht war, ihr Seelenheil auf dem Rücken der RAF-Häftlinge zu retten, geht sie heute aufs Ganze: Die „neue Rolle Deutschlands als einer Weltmacht“ hat es ihr angetan. Und ihr Mitarbeiter Bernd Ulrich, begnadet mit einer doppelt späten Geburt, fühlt sich zusammen mit seinen Volksgenossen als „Leithammel der Weltgeschichte“: „Alles, was wir in Zukunft tun, wirkt weit über die Staatsgrenzen hinaus.“

Die U-Boote in Südafrika, die Flugzeuge in Israel, das Giftgas im Irak, alles unerheblich, denn es erfolgte „in der kleindeutschen Idylle und mit beschränkter Haftung“. Das bißchen Vergangenheitsbewältigung der 68er Generation, die mühsame Überzeugungsarbeit der Friedensbewegung, der Kampf der Frauenbewegung gegen die deutsche Hausfrau, die allmähliche und nur allzu prekäre Integration von weit über vier Millionen AusländerInnen, die das Leben in der westdeutschen Gesellschaft erst erträglich gemacht haben — unerheblich auch sie, denn, so Ulrich, „erstmals seit ’45 ist die innere Rückkehr nach Deutschland möglich“.

Ein kollektiver Wir-Taumel hat Grüne und DKP-Erneuerer erfaßt. Deutschland, die Nation, der Staat sind wir! Und gedankenlos sprechen Grüne Frauen (und die liberale „Zeit“) von zweierlei Abtreibungsrecht für deutsche Frauen. Als ob ausländische BürgerInnen nicht unter deutsche Gesetze fielen, und als ob nicht gerade bei den Memminger Prozessen deutlich geworden wäre, wie eine restriktive Handhabung des § 218 gerade Ausländerinnen mit besonderer Härte trifft. Die Frauen haben am allerwenigsten Grund, „wir“ zu sagen. Sie sind die eindeutigen Verliererinnen des neuen deutschen Großstaates.

Derselbe national gestimmte Bernd Ulrich, der sich in einem Aufsatz in der Frankfurter „Kommune“ in seiner verschwitzten Abgrenzung von linker Politk für den politischen „Sieg“ ausspricht und fordert, „auch wir Deutschen“ müßten „etwas gegen die Invasion der Iraker tun“, plädiert in einem von fünf „Aufbruch“-Leuten verfaßten „ökologischen Manifest für eine Grüne Zukunft“ samtpfotig für die „Kunst des Sein-Lassens“. „Ökologie ist kein Macker-Projekt“, heißt es in dem im Mai dieses Jahres verfaßten Manifest, das Ulrich mit seiner martialischen Deutschdümmelei schon im August Lügen straft.

Dem Plädoyer für das „naturverträgliche“ Zusammenleben der Menschen gebricht es so sehr an Argumenten, daß die vielstrapazierte „Schöpfung“ herhalten muß. Darf „der Mensch“ sie „in die eigenen Hände nehmen“, dürfen die „Eigenrechte der Natur mit Füßen getreten werden“? Ja, darf er denn das?

Was für eine schwachsinnige Frage! Natürlich darf ER. ER darf alles, einschließlich foltern, aushungern, töten, millionenfach. ER darf es und ER tut es. Nur — ist es auch vernünftig? Doch auch diese Frage ist falsch gestellt. Für diejenigen, die davon profitieren, ist es durchaus vernünftig. Es gibt keine übergeordnete, uns alle zu einer Schicksalsgemeinschaft verbindende Moral.

Rolf Henrich, einer der GründerInnen des Neuen Forums, will als „kulturelle Herausforderung für die Deutschen“ der Natur Rechtssubjektivität verschaffen. Die Natur soll also den Menschen gleichen, nur so ist offenbar ihre Schutzwürdigkeit zu rechtfertigen.

„Als wäre das Unrecht, die mitlebende Welt ununterbrochen zum Objekt der Ausbeutung zu machen, nur abzustellen, wenn der ausbeutende Mensch sich selbst im Ausbeutungsobjekt wiedererkennt und nur so seine verlorengegangene Beißhemmung aktiviert“, sagte bei einer „Aufbruch“-Veranstaltung in Bonn Christina Thürmer-Rohr, und wurde nicht verstanden. Einfacher wäre es, den Menschen — allen Menschen — Rechtssubjektivität zugestehen. Das mit der Natur würde sich dann von selbst ergeben.

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