Streifzüge, Heft 53
Oktober
2011

Hinter den Masken des Akademischen

Wie Kapitalinteressen und Hochschulreformen die Universitäten verändern

Eine kurze „Typisierung“ der Akteure an deutschen Universitäten zwischen klassischen Hierarchisierungen und dem Versuch ihrer Umgestaltung nach betriebswirtschaftlichen Kriterien.

In der Institution Universität liegt die klassische Dreiteilung von Forschung, Lehre und Verwaltung in der Natur der Sache. Angestellte im administrativen und technischen Bereich, wissenschaftliches Personal, gestaffelt nach ProfessorInnen, wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und Lehrbeauftragten, und selbstverständlich Studierende sind die Akteure, die sich in dieser institutionellen Struktur verorten müssen. Was sich u.a. mit den so genannten Hochschulreformen und dem Einfluss privater Unternehmen zunehmend verändert, sind Forschungs- und Lehrinhalte, das Verhältnis des „Personals“ untereinander und zu den Studierenden und insbesondere Funktion und Zielsetzungen von Universitäten – womit sich auch ihre „Beschäftigen“ und die Studierenden ändern.

„Eure Spektabilität, sehr verehrte Herren Professoren“ – die Anrede stammt aus einer vergangenen Zeit und scheint überwunden zu sein. Weit gefehlt, ein derartiger oder ähnlicher Beginn, z.B. einer Disputation, ist nur ein Ausdruck von zunehmend hierarchisierten Verhältnissen in einer zunehmend zum „Betrieb“ verkommenden Lehr- und Forschungsanstalt.

Oberbau …

An der Spitze dieser Hierarchisierung lassen sich zumindest vier Kategorien von ProfessorInnen identifizieren, die in „Reinform“ aber auch in Mischformen vorkommen.

Die „Arrivierten“: Sie lehnen sich nach ihrer Berufung zurück, versuchen sich aus allem herauszuhalten, machen nur das Nötigste, gestalten ihre Forschungsinhalte und teils auch ihre Pflichtlehrveranstaltungen womöglich nach individuellen Vorlieben. Warum trinken Frauen lieber ein Gläschen Wein und Männer lieber Bier? Aus solchen und ähnlichen Fragen wird dann ein soziologisches Seminar zur Kulinaristik. Es hat bei manchen dieser ProfessorInnen den Anschein, als sei ihre letzte wissenschaftliche Tätigkeit ihre Habilitation gewesen. Eine Gewichtung bzw. Differenzierung von Themen nach deren gesellschaftlicher Bedeutung ist einem Großteil von ihnen verpönt. So kommt es, dass Themen und aktuelle Problemfelder wie die gegenwärtige Ernährungskrise, ökonomische Krisen oder der Klimawandel im Lehrangebot oftmals fehlen, während das zuvor genannte Thema der Getränkepriorität, teils noch kulturell überhöht, Gegenstand sozialwissenschaftlicher Kompetenzbildung in den Seminaren wird.

Die „Fürsten“: Sie bauen sich womöglich nach ihren Vorstellungen ihr „eigenes“ Institut auf. Ihr Wort gilt, wer es des Öfteren in Frage stellt, stellt letztlich den eigenen Arbeitsplatz in Frage. Da sie z.T. die einzigen ProfessorInnen an ihrem für sie maßgeschneiderten Institut sind und über allen anderen stehen, entscheiden oder delegieren sie letztlich fast alles. Hieraus wächst Borniertheit, was häufig dazu führt, dass sie ihre Entscheidungsmacht mit Kompetenz und Leistungsfähigkeit gleichsetzen oder gar verwechseln. An ihnen scheinen die im Verlauf der „68er-Bewegung“ erkämpften und vielfach wieder abgeschafften Reformen, die u.a. zu demokratischeren Strukturen an den Hochschulen führten, gänzlich vorbeigegangen zu sein.

Die „KarrieristInnen“: Vermutlich in Zukunft die bedeutendste Fraktion innerhalb der ProfessorInnenschaft, sie schmücken sich mit Kontakten zu den Chefetagen der Unternehmen, betrachten Universitäten als Dienstleister für zahlungskräftige Nachfrager und leiden z.T. darunter, nicht selber in diesen Etagen zu sitzen. Sie sitzen oftmals in vielen Gremien, „Gesellschaften“ und in einer Reihe namhafter Institutionen und sind dort äußerst engagierte Männer und Frauen. Ihr Erfolg, teils von wissenschaftlichen Fähigkeiten entkoppelt, definiert sich wesentlich über ihr „social-networking“, die Summe eingeworbener Drittmittel und über die Anzahl von teils belanglosen, von Kritik befreiten Publikationen, insbesondere in so genannten peer-reviewed Zeitschriften, Magazinen u.ä. Während die „Fürsten“ ihre untergebenen MitarbeiterInnen verpflichten, derartige Texte zu verfassen, die sie dann zensieren und mit ihrem Namen versehen (die Namen der MitarbeiterInnen werden dabei oftmals erst nach den der ProfessorInnen genannt), arbeiten die KarrieristInnen und ihre MitarbeiterInnen wie besessen, um so viel wie möglich zu veröffentlichen. Denn ein Kriterium, um in der akademischen Hierarchie aufsteigen zu können, ist die Anzahl, weniger die analytische Schärfe oder die Kritiktiefe der Veröffentlichungen.

Die „Fossile“: Sie sind eine gesellschaftskritische Minderheit an den Universitäten, die im Zuge der o.g. Reformen an die Hochschulen „gespült“ wurden. Sie sind oftmals intern isoliert, werden zum Teil als Relikte oder Exoten belächelt und bleiben insbesondere mit ihren gesellschaftspolitischen Ansprüchen von KollegInnen und StudentInnen zumeist unverstanden. Sie sind oftmals nicht willens oder in der Lage, die von ihnen mitinitiierte Linie der kritischen Wissenschaften durch die Integration Jüngerer in die Hochschulen fortzusetzen, wodurch an den Universitäten insbesondere die Kritik an gesellschaftlichen Praxen als wissenschaftlicher Anspruch zunehmend verschwindet. Für jüngere kritische Intellektuelle bedeutet das u.a. ihren allmählichen „akademischen Genozid“, da ihre berufliche Einbindung in den akademischen Betrieb in Zukunft – u.a. durch die Ausdehnung der Drittmittelforschung, d.h. der direkten und indirekten Umgestaltung der Forschung nach Erfordernissen und Vorgaben herrschender Politiken und der Privatwirtschaft – nahezu ausgeschlossen sein wird. Es sei denn, sie sind bereit, unbezahlt oder „fremdfinanziert“ an den Hochschulen zu arbeiten.

… und Unterbau

Wissenschaftliche MitarbeiterInnen werden vielfach als ZuarbeiterInnen für ProfessorInnen „verheizt“ und haben dadurch nur wenige Möglichkeiten, ihre eigenständigen Forschungsinteressen – soweit diese überhaupt noch vorhanden sind –, zu verfolgen. Lehrverpflichtungen von bis zu 16 Semesterwochenstunden überfrachten sie zudem, und die permanente Angst, ihre zur Regel gewordenen befristeten Arbeitsverträge nicht verlängert zu bekommen, erzeugt nicht nur Druck. Selbst bei habilitierten WissenschaftlerInnen, die für eine Berufung zu fast allem bereit sind, werden Schlaflosigkeit und gesundheitliche Probleme – vom Erschöpfungssyndrom bis hin zum „Burn-out“ – allmählich zur neuen Normalität, die sie jedoch bereit sind, in Kauf zu nehmen, denn die Angst vor „Hartz IV“ ist inzwischen auch bei ihnen angekommen.

Unabhängige Forschung ist demnach aus mehreren Gründen kaum möglich: Personelle Abhängigkeiten und ökonomische Unsicherheiten, politische Richtungs- und Zielvorgaben und vor allem die Interessen privater Kapitale, alles und jeden danach zu beurteilen, wie schnell und in welchem Umfang ihr investiertes Kapital wächst, werden so zu Kriterien der Entwicklung von Forschungsfragen und -richtungen. Hiermit wächst auch die Gefahr der inneren Distanzierung der WissenschaftlerInnen zum Gegenstand ihrer Arbeit oder der Identifikation mit ihnen fremden Forschungsinhalten und -methoden. Abhängigkeiten, Identitätskonflikte und Entfremdung werden somit auch an Universitäten verstärkt zu Begleitern des Kapitals.

Werden wissenschaftliche MitarbeiterInnen wenigstens während ihres befristeten Angestelltenstatus mit Gehältern bezahlt, die ein „durchschnittliches“ Leben ermöglichen, sind Lehrbeauftragte praktisch die Paria der WissenschaftlerInnen. Sie tragen zwar wesentlich zur thematischen Vielfalt in der Lehre bei, sichern z.T. in einigen Studienbereichen sogar das vorgesehene Grundangebot in der Lehre, beraten und prüfen darüber hinaus Studierende bis zu ihrem Studienabschluss, wodurch die so genannten „Hauptamtlichen“ erheblich entlastet werden. Sie haben aber keine Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Hochschule und keinen Zugang zu sozialen Sicherungssystemen der gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Die „Bezahlung“ von Lehraufträgen ist gesetzlich nicht geregelt. Es gibt lediglich empfehlende Richtlinien. So variiert selbst innerhalb einer Universität die Vergütung zwischen den einzelnen Instituten erheblich, wobei die überwiegende Mehrheit der Lehrbeauftragten oftmals gar nicht bezahlt oder mit Honoraren in Höhe von einigen Hundert Euro pro Semester abgespeist werden. Sie bleiben trotzdem – oft in der Hoffnung, ihre Chancen auf eine Stelle als hauptamtliche/r MitarbeiterIn zu erhöhen – jahrelang in diesem unteren prekären Zustand, ohne dass für sie arbeitsrechtliche Mindestvorschriften wie Urlaub, Mutterschutz oder Kündigungsschutz existieren und leben demzufolge oftmals auf relativem Armutsniveau von „Nebenjobs“, einem/er lohnarbeitenden LebenspartnerIn oder von so genannten sozialen Transferleistungen.

Die oftmals ignorierten Studierenden sind sich dieser Realitäten fast nie bewusst. Für die meisten von ihnen sind „die Lehrenden“ DienstleisterInnen, die die Vorgaben zu vermitteln haben, die für ein erfolgreiches Studium erforderlich sind. So sollen angestellte und auf Honorarbasis arbeitende WissenschaftlerInnen gleichermaßen als Exekutivkräfte von Studienordnungen den Ansprüchen vieler StudentInnen gerecht werden, d.h. vor allem, sie arbeitsmarkttauglich zu machen. Denn insbesondere mit der Bachelorisierung des Studiums wandelt sich das Anforderungsprofil. Studiengebühren, wachsende formale Anforderungen und zeitlich und inhaltlich restriktivere Studienordnungen erschweren vertiefte Auseinandersetzungen mit dem Gegenstand des Interesses und engen Freiräume für kreative und soziale Prozesse zunehmend ein. Ein Studium wird so zu einem von bestimmten politischen und ökonomischen Interessen zugeschnittenen Schnelldurchlauf, der darüber hinaus durch einen zunehmend ideologischen Filter gepresst wird. Das diszipliniert, richtet zu, führt zu verkürzten Verständnissen und zu einer Kultur der Oberflächlichkeit.

Kompetenzen sedimentieren durch so einen Apparat der Anpassung in die Form, die von den jeweiligen ArbeitgeberInnen vorgegeben ist. Bildung wird so reduziert auf Ausbildung, um auf dem sich schnell wandelnden Arbeitsmarkt konkurrenzfähig sein zu können. Solche Wissenschaft ist nicht Werkzeug der Erkenntnis bzw. dient nicht der Kritik von Gesellschaft und der Beförderung emanzipatorischer Praxen, sondern stellt sich zunehmend in den Dienst des Kapitals und der herrschenden Politiken. Das kommt dem unausgesprochenen Motto vieler angepasster StudentInnen – „Creditpoints statt kritische Analysen“ – entgegen.

Der Verlust der Forschung

Durch den Abbau von Personal auch in der Verwaltung müssen administrative Tätigkeiten vermehrt von ProfessorInnen, überwiegend aber vom akademischen Mittelbau übernommen werden, was zu einem Wandel im Verhältnis von Forschung, Lehre und Verwaltung führt. Das wissenschaftliche Personal muss immer mehr Zeit für diese Art von Arbeiten aufwenden, die dann für Forschungstätigkeiten fehlt.

So entwickeln sich „Professoral-Universitäten“, in denen die Qualität der Forschung und somit auch der Lehre sinkt, in denen sich ein Denken in ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkülen breit macht, und undurchsichtige und undemokratische Entscheidungsprozesse – ob bei Berufungsverfahren (die einer „Black Box“ gleichen) oder z.B. bei der Vergabe und Vergütung von Lehraufträgen – den Alltag der Akteure bestimmen.

Mit derartigen Entwicklungen stellt sich verstärkt die Frage nach den zukünftigen Orten der kritischen Analyse von gesellschaftlichen Prozessen, des Denkens in übergreifenden Zusammenhängen und des Anspruchs der Verbindung von Kritik, Praxis und Emanzipation. Die zuvor geschilderten Universitäten scheinen hierfür zunehmend ungeeignet.

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