FORVM, No. 401-405
Juli
1987

Hommage à Günther Anders

Ihm verdankt diese Zeitschrift ein gut Teil ihrer wiedergewonnenen internationalen Reputation, für Freundschaft und guten Rat dankt der Herausgeber ihm; in ein paar Tagen wird er sich, ohne Koketterie, nicht gern gratulieren lassen — 85 und kein bißchen milder.

Vor vier Jahren hat er, von diesem Blatt aus, in der Friedensbewegung — als deren geistiger Vater — selbstgenügsame Friedfertigkeit attackiert, aufgerufen zur Blockade der Abschußrampen in der Bundesrepublik; die deutschen Grünen haben sich in der von ihm — im Gespräch mit Manfred Bissinger in der „Natur“ und mit seinen Texten hier — entfachten Diskussion über die Frage der Gewalt erst kürzlich zerkriegt; seine FORVM-Artikel zum Thema sind ausführlich und kontroversiell in „FAZ“ und „Zeit“, in der „Wiener Zeitung“ und der „Neuen Zürcher“ besprochen worden, „Konkret“, die Zürcher „Wochenzeitung“ und die Berliner „taz“ haben Günther Anders aus dem FORVM nachgedruckt.

Wir feiern den ewigen Störenfried für den Frieden, zu seinem Geburtstag, so gut wir können und auf die ihm sowie dem FORVM einzig gemäße Weise: durch fortsetzende Darstellung der lebendigen, also kontroversen Diskussion.

Das erste Wort — gesprochen an einer „Hommage à Günther Anders“ bei der „Literatur im März“, in Wien — hat der Jubilar, Günther Anders:

Liebe Freunde,

ich danke Ihnen dafür, daß Sie hierher gekommen sind, um mich, den nicht ganz bequemen Zeitgenossen, zum 85. Jahre zu begrüßen und zu beglückwünschen. Ich kann Ihnen versichern, unbequem ist Günther Anders immer nur deshalb gewesen, weil er hoffte, helfen zu können, oder weil er meinte, Hilfe mindestens versuchen zu müssen.

Daß ich nicht in persona hier erscheine, sondern nur als Fernsehphantom, hat etwas Komisches an sich, denn ich habe vor 30 Jahren einen berüchtigten Essay gegen das Fernsehen geschrieben und gegen die Massenmedien. Aber — und ich bedaure es, daß ich nicht in Person hier erscheinen kann — mir scheint es, daß Sie als Phantom zu begrüßen, immer noch besser ist, als gar nicht anwesend zu sein.

Was nun die Geschichte betrifft, die ich vorzulesen im Begriff stehe, so hat es mit ihr die folgende Bewandtnis.

Im Jahre 1961, also drei Jahre nach meinem Aufenthalt in Hiroshima und ein Jahr nach der Veröffentlichung meines Briefwechsels mit dem Hiroshimapiloten Claude Eatherly, erhielt ich aus der BRD von einer mir unbekannten Dame oder einem Mädchen einen Brief, in dem sie mich bat — sie erklärte, sie habe meinen Briefwechsel mit dem Hiroshimapiloten gelesen —, für einen Sammelband etwas über die atomare Situation zu schreiben. Das sollte ein Sammelband werden von Texten aller deutschsprachigen Schriftsteller, und in der Tat hat sich dieser Aufforderung auch kein anständiger — anständig im literarischen und im moralischen Sinn — Kollege von mir entzogen. Diese Geschichte benutzte die Herausgeberin als Portalstück zu dem Bande, und so ist es erschienen; der Band ist neulich sogar wieder erschienen. Die Herausgeberin ist unterdessen gestorben oder, um der Wahrheit die Ehre zu geben, sie ist gestorben worden. Ihr Name, der Name dieses Mädchens, das ich nie gesehen habe in meinem Leben, war nämlich Gudrun Ensslin. Ohne sie wäre die Geschichte, die ich Ihnen nun vorlesen werde, niemals entstanden.

Die Geschichte heißt — der Titel mochte damals im ersten Augenblick sonderbar geklungen haben oder sogar frappierend, der Titel der Geschichte lautet: Die beweinte Zukunft. Heute, 1987, da es niemanden gibt, der nicht wüßte, wie sterblich die kommenden Generationen heute schon sind; daß sie vielleicht zum Tode verurteilt sind; daß sie gewissermaßen heute schon gestorben sein könnten, wenn wir nicht eingreifen — heute ist der Titel gar nicht mehr frappant, leider nicht mehr frappant.


Im FORVM März 1987, S. 49, steht eindeutig zusammengefaßt: „Wir werden nicht davor zurückschrecken, diejenigen Menschen zu töten, die ... vor der Gefährdung und Tötung der Menschheit nicht zurückschrecken.“ Das heißt, ganz eindeutig ist es nicht, aber deutlich genug.

Schon im Ersten Weltkrieg, in meiner Obergymnasialzeit, liebäugelte ich mit dem Tyrannenmord, vom F. J. I. angefangen bis zu den Hindenburgern. Als wenige Jahre vor seinem Tod Fritz Heer mit den 200.000 „geistigen“ Zulieferern zu den heutigen Massenvernichtungswaffen, zu den totalen Toden, Tötungen, Torturen, schriftlich und mündlich abrechnete, empfahl ich ihm, doch deutlich zu werden. So sterben „wir“ halt im Dienst des Geschwätzes ....

Wäre F. H. nicht so früh gestorben, ich hätte ihn überzeugt, was ich schon im Ersten Weltkrieg für wichtig und zeitgemäß gehalten hätte. Wer schreckt nicht zurück? Wer ist wir? Wieviel sind wir? In einem Volk von Berufshosenscheißern (95 oder gar mehr Prozent).

Viktor Matejka
Wien

Vielleicht werde ich Herrn Anders fragen, warum er plötzlich redet und denkt wie ein Gauleiter. Oder ist das als „Entertainment“ gemeint?

Montuolo
Friedrich Aergerter

Kontroverse in FORVM und „Falter“

Der Vortrag dieser und ähnlicher Thesen — bei der diesjährigen „Literatur im März“ von Anders per Videoschirm vorgetragen — war dem Anders-Monographen Jürgen Langenbach im „Falter“ eine Replik wert. Eine sanfte, unter Bezugnahme auf frühere Positionen des jetzigen Theoretikers der Militanz, eine vom Zusammenhang zwischen falschem Mittel (etwa dem des für unsere Breiten tatsächlich nicht adäquaten Tyrannenmordes) und solcherart geschändetem ursprünglich gutem Ziel. Eine, die den 85jährigen so erzürnte, daß er weitere Publikationen im „Falter“ absagte.

Wien Peter Pelinka, AZ

Der Anlaß des Zorns: Langenbach hatte Anders’ einmalige Erwähnung von Gudrun Ensslin gleich zweimal, und mißverständlich, angegriffen — im Vorspann zu seinem umseitigen Beitrag erklärt er, wie es gemeint war (was die Erzürnung, wünsche ich mir, beseitigen sollte). Danach folgen Überlegungen des FORVM-Beirats Fritz Herrmann, an deren Ende steht, auf Seite 20, eine Liste der bisherigen Veröffentlichungen von Günther Anders im FORVM.

G.O.
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