Konsequente Entgrenzung
Hauptsache anti-irgendwas könnte man annehmen, wenn man genauer schaut, welche Anti-Haltungen auf Anti-Globalisierungsveranstaltungen zu finden sind.
Beirut und London sind in diesem Herbst zwei Orte, an denen jede/r antisemitisch und anti-amerikanisch motivierte Anti-GlobalisierungsaktivistIn, der/die etwas auf sich hält, anwesend war oder sein sollte.
Beirut — Mitte September luden u.a. die Hisbollah und die Libanesische Kommunistische Partei zur Konferenz Where Next for the Global Anti-War and Anti-Globalization Movements? Unter den 300 Delegierten von 200 Organisationen aus 43 Ländern hatten auch das Austrian Social Forum und Südwind ihr Kommen angekündigt. Verabschiedet wurde eine Deklaration in der fast ausschließlich „der Kampf gegen die Besetzung des Irak, Palästinas, konzerngeleitete Globalisierung und Diktaturen“ und gegen die „Apartheid-Mauer“ in Israel proklamiert [1] oder der Traum von einer alternativen Supermacht, die den USA trotzen würde, geträumt wurde. Wohin die Anti-Kriegs- und -Globalisierungsbewegung will, war vermutlich schon vor Konferenzbeginn entschieden. Darum ist sie auch dort angekommen.
London — Mitte Oktober findet dort das Europäische Sozialforum (ESF) statt und sorgt schon im Vorfeld wieder für Aufregung. Denn Londons Bürgermeister Ken Livingstone lud in seiner Funktion als ESF-Schirmherr den islamistischen Kleriker Yusuf al-Qaradawi zum ESF ein, was berechtigtes Entsetzen und Proteste bei jüdischen, feministischen und lesbischwulen Organisationen hervorrief, da Qaradawi der Muslimbruderschaft sehr nahe steht, palästinensische SelbstmordattentäterInnen als MärtyrerInnen rechtfertigt und die Bestrafung von homosexuellen Lebensweisen befürwortet. Seine klerikalen Ansichten zu Homosexualität (unter Männern!) legte Qaradawiin in einer Fatwa dar: „Moslemische Juristen haben unterschiedliche Ansichten betreffend der Bestrafung dieser abscheulichen Praktik. Sollte es dieselbe Bestrafung wie für Unzucht sein [gemeint sind 100 Schläge; Anm. d. Verf.], oder sollten beide, der aktive und der passive Beteiligte, hingerichtet werden? Während solche Bestrafungen grausam erscheinen, wird von ihnen angenommen, die Reinheit der islamischen Gesellschaft zu erhalten und sie von widernatürlichen Elementen rein zu halten.“ [2] Qaradawi legt mit klerikaler Autorität auch die Methoden fest, wie ein Mann seine Frau schlagen sollte: „Es ist für ihn zulässig sie leicht mit seinen Händen zu schlagen, ihr Gesicht und andere empfindliche Stellen vermeidend. In keinem Fall sollte er zu einem Stock oder einem anderen Gegenstand greifen, der Schmerzen und Verletzungen verursachen könnte.“ [3] In einer auf seiner Homepage qaradawi.net veröffentlichten Fatwa vom 6. April 2002 erklärte Qaradawi unter welchem einzigen Umstand es moslemischen Frauen erlaubt ist, keinen Hijab zu tragen: nämlich beim Durchführen von Selbstmordattentaten [4]
Wenige Tage bevor Qaradawi am ESF teilnimmt, wird er in London neben Tariq Ramadan als Redner bei der Konferenz Islam for Europe auftreten. Ramadan wiederum tat sich mit seinen Äußerungen im Vorfeld des Pariser ESF im vergangenen Jahr hervor, als er französischen Intellektuellen vorwarf, als „Juden“ im Dienste Israels zu agieren. [5]
[5] Vgl. Context XXI 2-3/2004, S. 26.
