Grundrisse, Nummer 13
März
2005

Kriegskommunismus in Russland und China: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Gleicher Arbeitszwang für alle Mitglieder der Gesellschaft bis zur vollständigen Aufhebung des Privateigentums. Bildung industrieller Armeen, besonders für die Agrikultur.

Friedrich Engels in „Die Grundsätze des Kommunismus“ 1847 (Marx/Engels, Band 1, 1972: S.347f)

Zwei Mal wurde in der Geschichte der Versuch unternommen, direkt in den Kommunismus überzugehen: 1919 in Russland und 1958 in China. Auch wenn diese Versuche nicht einmal ein Jahr dauerten, so hatten sie doch weitreichende Folgen für die Entwicklung beider Länder und verursachten große Hungersnöte. Unter Kommunismus verstanden die linken Bolschewiki und die MaoistInnen weniger eine „freie Assoziation der Produzenten“ als eine komplette Militarisierung der ganzen Gesellschaft auf dem Boden von staatlichem Eigentum. An dieser Stelle sollen die beiden Konzeptionen des Kriegskommunismus und der Militarisierung der Arbeit herausgearbeitet und verglichen werden.

A. China: „Der Große Sprung nach vorne“ und der direkte Übergang zum Kommunismus (1958-1961)

Im Herbst 1958 verkündete die chinesische Regierung, der Kommunismus sei „keine Frage der fernen Zukunft mehr“ (GNN 1988: S.32). Mit Hilfe eines ökonomischen, kulturellen und politischen „Großen Sprungs nach vorne“ sollte China in kürzester Zeit in eine moderne Industrienation verwandelt werden und die führenden Staaten des Westens wirtschaftlich einholen. „Der Kommunismus ist das Paradies – die Volkskommune die Brücke dorthin“ wurde zum Schlagwort der Transformation der chinesischen Agrargesellschaft in den Kommunismus.

Die Militarisierung des Dorfes

Mit dem Beginn des „Großen Sprungs nach vorne“ rückte das Dorf wieder in den Mittelpunkt der sozialistischen Umwälzung und die BäuerInnen wurden verstärkt als die Triebkraft der Revolution gepriesen. Ein Kommentar der „Volkszeitung“ betonte, dass die BäuerInnen die Grundlage von Armee, ArbeiterInnenklasse und Industrialisierung seien und unterstrich diese Auffassung mit Mao Zedong-Zitaten aus dem BürgerInnenkrieg. Die BäuerInnenfrage sei außerdem das grundlegende Problem des sozialistischen Aufbaus (Volkszeitung 1.7.1958: S.1).

Die große Arbeitsarmee der BäuerInnen wurde zum Mittel erklärt, China in kürzester Zeit zur modernen Industrienation zu machen. Die militarisierten Massen sollten mit ihrem Enthusiasmus früher nie Erreichtes vollbringen. Wu Zhipu, der Provinzführer von Henan und einer der radikalsten Vertreter des „Großen Sprungs“, sagte: „Früher glaubten wir, dass es sehr schwierig sei, England zu überholen. Jetzt können wir in der Stahlproduktion und vielen anderen Schwerindustriezweigen nächstes Jahr England einholen (...). Wenn 600 Millionen Menschen Hand anlegen und alle Kräfte anspannen, können wir alles, was wir wollen, erreichen.(...) Wir müssen nur an die Führung der Kommunistischen Partei glauben und die Linie der Partei und Regierung durchführen, uns fest auf die breiten Volksmassen stützen und uns mit der verbündeten Armee der Bauern zusammenschließen“ (Wu Zhipu 1958: S.7).

Die Bildung der „Großen Arbeitsarmee“ ging mit der Stahl- und Bewässerungskampagne einher. Im Dezember betonte das ZK der Partei selbst in der sogenannten Wuhan-Resolution, die die „Ausrichtung“ der Volkskommune einleitete, noch ein Mal die Militarisierung der gesamten ländlichen Arbeitskräfte: „Die sogenannte Militarisierung der Organisation bedeutet auch eine fabrikmäßige Umwandlung, dies heißt, dass die Arbeitsorganisation der Kommune genauso organisiert und diszipliniert erfolgen muss wie in den Fabriken und der Armee; das ist in einer landwirtschaftlichen Produktion großen Maßstabes notwendig (...)”. Das ZK ordnete die Schaffung einer „landwirtschaftlich industriellen Armee” an (Martin, Band 3, 1982: S.302). Geschichtlich begründete die Führung: Das Bürgertum habe die moderne industrielle Armee organisiert und jede Fabrik würde einer Kaserne gleichen. „Die Strenge der Disziplin des Arbeiters, der an der Maschine steht, steht der Disziplin in der Armee in nichts nach. Die industrielle Armee in der Industrie der sozialistischen Gesellschaft ist die industrielle Armee einer einzigen Klasse, der Arbeiterklasse (...)“. Dieses System würde statt auf Ausbeutung auf Einsicht und der Freiwilligkeit des demokratischen Zentralismus beruhen. „Wir wenden nun dieses System auf die ländlichen Gebiete an (...)“ (ebenda: S.301f.).

Die dörfliche Produktion sollte nach militärischen Prinzipien organisiert werden und eine fabrikmäßige Disziplin etabliert werden. Militarisiert wurde nicht nur die Arbeit, sondern auch die Sprache. „Die Arbeitsinstrumente sind Waffen und das Feld ein Schlachtfeld“ wurde als Parole ausgegeben.

Mit dem ZK-Beschluss im August zur Einführung der Volksmiliz wurde versucht, die BäuerInnen auch in SoldatInnen zu verwandeln. Bis 1962 sollten alle Männer und Frauen zwischen 16 und 50 Jahren, die ein Gewehr tragen konnten und nicht zu den „schlechten Vier“ gehörten, in den Milizen organisiert werden. Falls der „imperialistische“ Feind angreifen sollte, würde er im großen Meer der Volksmiliz ertränkt werden (Jgyl, Band 11, 1995: S.471) In der Broschüre „Volkskommune und Kommunismus“ wurde sogar behauptet, dass, wenn alle ChinesInnen zwischen 18 und 40 Jahren in die Miliz eintreten, China mehr Soldaten als alle Staaten in beiden Weltkriegen zusammen hätte (Wu Ren 1958: S.27). Eines Tages sollte die Miliz die reguläre Armee ersetzen, was aber noch längere Zeit brauchen würde (ebenda: S.29). Als weiteres Argument wurde die Ersparnis von Kosten angeführt. So fügte Mao in seiner persönlichen Überarbeitung des Statuts der Sputnik-Kommune ein, dass die Volksbewaffnung die Verteidigungsausgaben reduzieren könne (Mzdwg, Band 7, 1992: S.345).

Die Einführung der Volksmiliz wurde keinesfalls rein militärisch begründet. Mit dieser neuen Organisation könne Leben und Arbeit auf dem Dorf militarisiert werden (ebenda: S.28). Mao Zedong begründete im Gespräch mit JournalistInnen, die Volksmiliz sei eine Einheit von Produktion, Verteidigung und Erziehung (Mzdwg, Band 7, 1992: S.430). In der Presse wurde diese Definition immer wieder wiederholt. Die „Volkszeitung“ berichtete über die Erfahrungen im Produktionsmanagement der Sputnik-Kommune in Henan und die Einführung von militärischen Rängen und Strukturen, die erfolgreich zur Durchsetzung einer militärischen Disziplin beigetragen hätten (Volkszeitung 7.10.1958).

Die Volksmiliz wurde von der „Roten Fahne“ zur Schule des Kommunismus erhoben (Rote Fahne, Nr. 7, 1.9.1958: S.15). Mitte Oktober hieß es in dem Theorieorgan bezüglich der Volksbewaffnung: Die kommunistische Erziehung durch die Volksmiliz könne den neuen ganzheitlichen Menschen schaffen. Selbst ohne äußere Feinde wäre die Volksmiliz das Instrument zum Krieg gegen die Natur, sowie zur Urbanisierung und Industrialisierung des Dorfes (Rote Fahne, Nr. 10, 16.10.1958: S.21).

Die Gründung der Miliz wurde dargestellt, als sei sie das natürliche Bedürfnis der BäuerInnen. Auch wenn die BäuerInnen die Forderung von Marx und Engels aus dem „Manifest der Kommunistischen Partei“ [1] nicht kennen würden, so neigten sie aus den Erfahrungen des Bürgerkrieges zur Militarisierung (Rote Fahne, Nr. 7, 1.9.1958: S.13). Ein Krieg gegen Japan, die USA oder die Natur könne auf gleiche Weise geführt werden (Volkszeitung, 30.9.1958: S.2).

Franz Schurmann ist einer der wenigen AutorInnen, die die zentrale Bedeutung der Militarisierung im Programm des „Großen Sprungs“ erkannt haben. Er schreibt über die Ideologie der Bewegung: „Three years of suffering would be followed by thousand years of happiness, the peasant was told. If the ideal of communism was the pure ideology of communism, its practical ideology was militarization. The methodology of the revolution was the militarization of the peasantry” (Schurmann 1968: S.480).

Der Übergang zum Kommunismus in China

Die zentralen Fragen, die im Herbst 1958 im Zusammenhang mit dem Übergang zum Kommunismus diskutiert worden sind, waren:

  • Die Überführung des kollektiven Eigentums der BäuerInnen und der Parzellen zur privaten Nutzung in das Eigentum des ganzen Volkes.
  • Die Ersetzung der Entlohnung nach Leistung und Naturalien durch ein Lohnsystem, was den schrittweisen Übergang zum Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“ möglich machen sollte.
  • Die Einführung einer Rundum-Versorgung in den Volkskommunen (Kindergärten, Volksküchen, Altenheime, Zuteilung von Kleidung und Gebrauchsgegenständen usw.).

Die Frage des Absterbens des Staates spielte eher eine untergeordnete Rolle und wurde nur am Rande erwähnt.

Mao sah wie Stalin in der Transformation der Eigentumsverhältnisse zu immer höheren Stufen des Eigentums den Weg zum Kommunismus. Er wollte dies mit Hilfe von unterunterbrochenen Massenbewegungen erreichen (Martin, Band 3, 1982: S.24).

Mao setzte sich mit Stalins These zu den Voraussetzungen zur Verwirklichung des Kommunismus im November 1958 auseinander. Bei Stalins Punkten würde das Prinzip „Die Politik hat das Kommando“, die Massenbewegungen, „Die ganze Partei und das ganze Volk betreibt Industrie, Landwirtschaft, Kultur und Erziehung“, die Ausrichtungsbewegungen und der Kampf zur schrittweisen Abschaffung des bürgerlichen Rechts fehlen. Mit der Volkskommune sei das Problem des Übergangs relativ leicht zu lösen (Mzdwg, Band 7, 1992: S.596f.).

Der Beschluss des ZK zur Gründung der ländlichen Volkskommunen vom 29.8.1958 besagte, dass der Kommunismus keine Sache der fernen Zukunft sei (Jgyl, Band 11, 1995: S.450). Der Beschluss legte fest, dass die Frage der Parzellen und privaten Bäume nicht übereilt geregelt werden sollte und auch später wieder neu bestimmt werden konnte. Im Allgemeinen sollten die Parzellen zur privaten Nutzung in die kollektive Bewirtschaftung übernommen werden. Die Bäume der BäuerInnen durften vorerst privat bleiben. Wenn sich die Produktion gut entwickle und sich die Einkommen erhöhten, würden die Bäume nach ein bis zwei Jahren automatisch Kollektiveigentum werden. Den Übergang vom Kollektiv- zum Volkseigentum könnten einige Orte in drei bis vier Jahren vollziehen. Andere würden fünf bis sechs Jahre oder länger brauchen. Das Volkseigentum würde dann noch sozialistischen Charakter haben (ebenda: S.449). Der Beschluss unterstrich, dass die Verteilung nach der Arbeitsleistung, also nach bürgerlichem Recht, noch erhalten bleiben sollte.

Dieser Beschluss zur Volkskommune, der auf der Beidaihe-Konferenz verabschiedet wurde, war im Vergleich zur Politik der folgenden zwei Monate noch relativ gemäßigt, beweist aber auch, dass die Übergabe der Parzellen zur privaten Nutzung an die Kommune die Politik der Zentralregierung war. Das Kollektiveigentum sollte zwar nicht sofort in Volkseigentum verwandelt werden, aber drei bis vier Jahre waren für die völlige Vernichtung des kollektiven und privaten Eigentums sicher eine sehr kurze Zeit. In diesem Beschluss wurde die Volkskommune als kollektives Eigentum definiert, die aber auch Faktoren des gesellschaftlichen Eigentums in sich tragen würde (Volkszeitung 4.9.1958).

Die Politik radikalisierte sich im Laufe des Septembers. Die Einführung der Volksküchen war, wie schon erwähnt, ein willkommener Anlass, die Parzellen zur privaten Nutzung für überflüssig zu erklären (Rote Fahne, Nr. 7: S.23 und Volkszeitung, 3.9.1958: S.3). In der offiziellen Broschüre „Die Volkskommune und der Kommunismus“ von Oktober 1958 schrieb Wu Ren, dass mit der Einführung der Volkskommune die Parzellen zur privaten Nutzung, das private Vieh und die Haustiere sowie die privaten Bäume nun nicht mehr geschützt werden müssten und sie der Kommune übergeben werden könnten. Damit wäre das Privateigentum an Produktionsmittel entgültig abgeschafft (Wu Ren 1958: S.2). Die Volkskommune würde das alte Ideal der Vorfahren „Alles unter dem Himmel wird öffentlich“ verwirklichen (ebenda: S.11).

Außerdem wurden die Modell-Kommunen in Henan und Hebei, von denen z.B. Xushui plante, 1963 in den Kommunismus einzutreten, in der Presse gefeiert. Das Statut der Sputnik-Kommune von Chayashan in der Provinz Henan wurde am 1.9. in der „Roten Fahne“ und am 4.9. in der „Volkszeitung“ veröffentlicht. Im Artikel 5 des Statuts hieß es: „Da die Produktionsmittel in das Eigentum der Kommune übergehen, sollen die der Kommune beitretenden Mitglieder ihr gesamtes privates Hofland, eigene Häuser, Äcker, Vieh und Obstbäume in das Eigentum der Kommune überführen; sie können jedoch einen kleinen Bestand an Haustieren und Geflügel als Privatbesitz behalten“ (GNN 1988: S.33). Die Kommunisierung der Häuser und auch der Sparguthaben war der nächste Schritt in der Umwälzung der Eigentumsverhältnisse.

Der Kommentar der „Volkszeitung“ zur Veröffentlichung des Statuts unterstrich den Vorbildcharakter von Chayashan für die Gründung von Volkskommunen, betonte aber auch, dass das Modell nicht zwangsweise überall kopiert werden sollte (Volkszeitung 4.9.1958: S.1). Der Provinzführer von Henan, Wu Zhipu, verkündete, dass die Bildung der Volkskommunen die Abschaffung des Privateigentums und Vernichtung der drei Unterschiede sowie die Industrialisierung des Dorfes bedeute (Rote Fahne, Nr.8. 16.9.1958: S.5-11). Schon am 2. September berichtete die „Volkszeitung“ von der vollständigen Volkskommunisierung in Henan und erwähnte meines Wissens zum ersten Mal öffentlich den baldigen Übergang zum Kommunismus (Volkszeitung 2.9.1958: S.1). Durch die Propagierung des Henaner Modells als nationales Vorbild und die Besuche führender Politiker in diesen Kommunen trieb die Zentralregierung die Umwälzung in Richtung Kommunismus aktiv voran.

Gegen das „bürgerliche Recht“: Im Namen der Rationalität und der PartisanInnentradition

Wie oben erwähnt, unterstrich das Statut der Sputnik-Kommune noch die Verteilung nach Leistung, sprich das „bürgerliche Recht“. Unter „bürgerlichem Recht“ verstanden die chinesischen Kommunisten damals die Entlohnung der Arbeit nach Leistung. Im Herbst fand in der „Volkszeitung“ eine ausführliche Debatte zum Verteilungssystem statt. Sollten die Kommunen nun zur Verteilung nach den Bedürfnissen übergehen? In welchem Verhältnis sollte ein festgesetzter Geldlohn zur Verteilung von Naturalien stehen? Wie konnte man das Prinzip der Verteilung nach Leistung und mit den „Keimen des Kommunismus“, sprich einer Verteilung nach den Bedürfnissen, kombinieren?

Für die chinesischen KommunistInnen war Lenins Kritik des „bürgerlichen Rechts“ von zentraler Bedeutung. Auf die Passagen in „Staat und Revolution“ wurde mehrfach Bezug genommen (Volkszeitung, 10.1.1958: S.11). Die „Volkszeitung“ berichtete über „Keime des Kommunismus“ in Henan, wo ein Zuteilungssystem von Getreide plus Lohn verwirklicht und aus den BäuerInnen angeblich landwirtschaftliche ArbeiterInnen wurden. Besonders bemerkenswert sind die Argumente gegen das System der Arbeitspunkte: Die Festlegung der Arbeitspunkte nach Leistung sei eine zu große Zeitverschwendung und ihre Abschaffung habe zur Erhöhung der Produktivität geführt (Volkszeitung, 29.9.1958: S.3). Wieder wird hier die Abschaffung des Leistungsprinzips mit ökonomischer Rationalität begründet, auch die „Rote Fahne“ behauptete, dass die Abschaffung de Leistungsprinzips Arbeitseifer frei setzten würde (Rote Fahne, Nr. 10: S.5).

Neben der Rationalität gab es aber auch eine andere Argumentationslinie gegen das Prinzip der Arbeitspunkte. Zhang Chunqiao, das spätere Mitglied der „Vierer-Bande“, schrieb einen wichtigen Artikel zur Kritik des „bürgerlichen Rechts“ (Volkszeitung 13.10.1958: S.7). Er begründete die Abschaffung des „bürgerlichen Rechts“ mit der PartisanInnentradition von Jinggangshan. Dort hätte es ein kommunistisches Verteilungssystem gegeben, in dem Soldaten und ZivilistInnen, sowie Offiziere gemeinsam und gleichberechtigt das „bittere“ Leben durchgestanden hätten. Nach der Befreiung dauerte es nicht lange, bis dieses System unter Beschuss durch die bürgerliche Ideologie geraten und als „Partisanenstil“ angegriffen worden wäre. Diese Kritik sei in Wahrheit eine Verteidigung des „bürgerlichen Rechts“. Zhang bezog sich auf die von Mao in dem Artikel „Der Kampf im Jinggang-Gebirge“ beschriebene Leidensgemeinschaft. „In der Roten Armee gibt es bis jetzt keine reguläre Auszahlung von Sold, es werden nur Getreide, Geld für Speiseöl, Salz, Brennholz und Gemüse sowie eine geringe Summe als Taschengeld gewährt. Alle Offiziere und Soldaten der Roten Armee, die im Grenzgebiet ansässig sind, haben Boden zugeteilt erhalten“ (Mao Zedong, Band 1, 1968: S.89). Neben diesem Artikel bezog sich Zhang noch positiv auf die Pariser Kommune von 1871, die gleiche Löhne für ArbeiterInnen und BeamtInnen eingeführt hatte.

Mao Zedong schrieb in einem Brief, dass der Artikel von Zhang Chunqiao im Prinzip korrekt sei, aber ein bisschen einseitig (Mzdwg, Band 7, 1992: S.447). Warum er ihn einseitig fand, erwähnte er jedoch nicht. Auf der Beidaihe-Konferenz machte Mao längere Ausführungen zur PartisanInnentradition. Leider ist diese Rede bis heute nicht veröffentlicht worden und wir haben nur eine Zusammenfassung von Maos damaligen Sekretär Li Rui. „Unser Kommunismus wurde zuerst von der Armee hervorgebracht“, verteidigte Mao den „Partisanenstil“ (Li Rui, Band 2, 1999: S.123). Während des über zwanzigjährigen Krieges hätte die KPCh einen Kriegskommunismus praktiziert, wo es keinen Lohn gab und man sich selbst mit Getreide versorgen musste. Die KritikerInnen würden behaupten, dass diese Gleichmacherei FaulenzerInnen hervorbringen würde. Mao erwiderte, dass er in den vergangenen 22 Jahren nicht viele FaulenzerInnen gesehen hätte. Der Grund dafür sei, dass die Politik den Oberbefehl und man ein gemeinsames Ziel im Klassenkampf habe. Mit dem Versorgungssystem und dem kommunistischen Lebensstill hätte die KPCh den Krieg gewonnen, warum könne man so den Kommunismus nicht einführen und müsse unbedingt ein Lohnsystem haben (ebenda: S.105)? Der Schritt zurück zum Verteilungssystem der Armee sei in Wirklichkeit ein Schritt nach vorne, mit dem 600 Millionen Menschen den kommunistischen Stil praktizieren könnten (ebenda: S.106).

An dieser Debatte wird deutlich, dass Zhang Chunqiao und auch Mao Zedong ganz anders als Lenin gegen das „bürgerliche Recht“ argumentierten. Für Lenin war es ein notwendiges Muttermal, was der Sozialismus unvermeidbar zu tragen hatte. Erst wenn die Gesellschaft rationell wie eine Fabrik organisiert und ihre Mitglieder zu freiwilliger Arbeit und Verwaltung in der Lage seien, könne das Leistungsprinzip durch eine Verteilung nach den Bedürfnissen ersetzt werden. Zhang meinte nicht, dass eine enorme Steigerung der Produktion für diesen Prozess von Nöten sei, sondern plädierte gesamtgesellschaftlich für die Rückkehr zum Versorgungssystem der Armee im Bürgerkrieg. Was an diesem Versorgungssystem kommunistisch sein soll, ist mir völlig schleierhaft. Wie aus dem Zitat von Mao hervorgeht, handelte es sich dabei keineswegs um eine Verteilung nach den Bedürfnissen der Menschen, sondern nur um eine Garantie des Minimalbedarfs. So stellt sich die Frage, was die chinesischen Kommunisten unter Bedürfnissen verstanden, wenn in China von 1958 von den „Keimen des Kommunismus“ im Verteilungssystem gesprochen wird. Was war an einem staatlichen Zuteilungssystem generell kommunistisch? Viele kapitalistische Staaten führten im 1. und 2.Weltkrieg zur Versorgung der Armee und Bevölkerung eine strenge Lebensmittelrationierung ein.

B. Russland: Kriegskommunismus und Bürgerkrieg (1918-1921)

Wenn man den „Großen Sprung nach vorne“ auch als Kriegskommunismus betrachtet, bietet sich der Vergleich zum bolschewistischen Russland an, weil die Debatte um die Erziehung aller Menschen zur Arbeit sowie die Militarisierung der Arbeit nach der Oktoberrevolution von 1917 offen geführt wurde.

Trotzki: Militarisierung und Arbeitszwang

Leo Trotzki entwickelte in der Auseinandersetzung mit dem deutschen Sozialdemokraten Karl Kautsky eine theoretische Rechtfertigung für die Militarisierung der Arbeit. Zu Beginn der 20er Jahre lehnte die Mehrheit der Parteiführung Trotzkis Forderung nach der Militarisierung der Gewerkschaften ab und Lenin kritisierte diese Konzeption mehrfach (Lenin, Band 32, 1988: S.1-26).

Trotzki legte gegenüber Kautsky dar, dass in Russland die Diktatur des Proletariats herrsche und die Diktatur der Räte nur durch die Herrschaft der kommunistischen Partei verwirklicht werden könne (Trotzki 1920: S.88). Dass der Mensch ein „Faultier“ sei (ebenda: 1920, S.109), war Trotzkis Rechtfertigung für die systematische Verwirklichung der Arbeitspflicht und des Prinzips „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ (ebenda: S.111). In der damaligen Sowjetverfassung war dieser Grundsatz (§ 18, Absatz 2) schon verankert.

Trotzki wies den Vorwurf zurück, dass Zwangsarbeit und Leibeigenschaft generell unproduktiv, sondern dass sie zur Zeit ihrer Einführung sogar ein Fortschritt gewesen sei (ebenda: S.119). Aus seinen Prämissen machte Trotzki eine ganze Geschichtstheorie: „Die ganze Geschichte der Menschheit ist die Geschichte der Organisierung und Erziehung des kollektiven Menschen der Arbeit, zwecks Erzielung einer höheren Produktivität“ (ebenda: S.120).

Die beste Methode dafür sei im Sozialismus die Militarisierung der Arbeitskräfte. Die Grundlage für die Militarisierung seien Registrierung, Mobilmachung, Formierung der Arbeitskräfte, sowie der Transport großer Massen (ebenda: S.111). So könne man eine mobile Arbeitsarmee schaffen. Der proletarische Staat sei, wie die Armee, in der Lage seine BürgerInnen unterzuordnen: „Warum sprechen wir von Militarisierung? (...) Keine andere gesellschaftliche Organisation mit Ausnahme der Armee hat sich berechtigt gehalten, sich die Bürger in solchem Grade unterzuordnen, sie in solchem Maße von allen Seiten durch ihren Willen zu umfassen, wie dies der Staat der proletarischen Diktatur tut und zu tun sich für berechtigt hält“ (ebenda: S.116).

Zwar befand sich das rote Russland 1920 noch im Bürgerkrieg und die Bolschewiki kämpften ums Überleben, doch machte Trotzki deutlich, dass es sich bei der Militarisierung der Arbeit keineswegs nur um eine Notwendigkeit des Bürgerkrieges handelte, sondern die unvermeidliche Methode zur Organisation und Disziplinierung der Arbeitskraft beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus (ebenda: S.118). Die guten Arbeiter sollten mit einem höheren Lebensstandard belohnt und die schlechten bestraft werden.

Man muss den Arbeitern sagen, wo sie sein müssen, sie umstellen und leiten wie Soldaten (...), der Zwang zur Arbeit wird seinen höchsten Grad während des Übergangs des Kapitalismus zum Sozialismus erreichen (...), die ‚Fahnenflüchtigen’ der Arbeit werden in Disziplinierungsbataillone eingeordnet oder in Konzentrationslager gesteckt werden müssen. (zit. nach Bettelheim 1975: S.321)

Auf die Frage eines Kritikers, worin sich dieser Sozialismus von der ägyptischen Sklaverei unterscheide, antwortete Trotzki: durch den Klassencharakter (Trotzki 1920: S.142). Die Form der Organisation der Arbeit hielt er wohl nicht für unterschiedlich. Das Zwangsregime wurde damit begründet, dass die Interessen der Arbeiter und des Staates identisch seien und es sich daher um Selbstdisziplin handle.

Die Militarisierung der Arbeit wurde in Russland 1920 in einigen Bereichen eingeführt, aber nach kurzer Zeit, auch wegen Lenins Widerstand, wieder abgeschafft.

Lenin: Dem barbarischen Russland das Arbeiten beibringen

Lenin lehnte Trotzkis Forderungen nach der Militarisierung der Arbeit ab, entwickelte 1918 aber selbst ein Programm für die „Zivilisierung“ Russlands und die Durchsetzung einer neuen industriellen Arbeitsdisziplin. Lenins Positionen waren gemäßigter als das Parteiprogramm der KPR von 1919 (Pipes, Band 2, 1992: S.568). Er wollte vom deutschen Staatskapitalismus, sprich der deutschen Kriegswirtschaft im 1.Weltkrieg, lernen, die die Produktion unter die Leitung des Staates stellte und den Arbeitszwang einführte. In seiner Schrift „Über die Naturalsteuer“, die die Einführung der NEP begründete, zitierte Lenin aus seiner Schrift von 1918: „Wenn in Deutschland die Revolution noch in ihrer ‚Geburt’ säumt, ist es unsere Aufgabe, vom Staatskapitalismus der Deutschen zu lernen, ihn mit aller Kraft zu übernehmen, keine diktatorischen Methoden zu scheuen, um diese Übernahme der westlichen Kultur durch das barbarische Russland noch stärker zu beschleunigen, ohne dabei vor barbarischen Methoden des Kampfes gegen die Barbarei zurückzuschrecken“ (Lenin, Band 3, 1984: S.672). Der russische Mensch sei ein schlechter Arbeiter im Vergleich zu den „fortschrittlichen“ Nationen und müsse nun mit Hilfe der Sowjetmacht arbeiten lernen (Lenin, Band 2, 1984: S.753).

Bezogen auf die Organisation der Arbeit bedeutete Lenins „Zivilisierungsprogramm“, die industrielle Disziplin des Fabrikproletariats auf alle Gesellschaftsmitglieder zu übertragen und vor allem die Bauernschaft zu erziehen, schulen und disziplinieren (Lenin, Band 31, 1959: S.164). Lenin fasst den Begriff der ArbeiterInnenklasse in Russland sehr eng, um sie vom Landproletariat und gerade erst proletarisierten BäuerInnen abzugrenzen. Für ihn gehörten nur die ArbeiterInnen der industriellen Großbetriebe zum Proletariat und nicht alle freien LohnarbeiterInnen. Nur die städtischen IndustriearbeiterInnen seien in der Lage, die Masse der Werktätigen zu führen (Lenin, Band 3, 1984: S.254) und eine neue Arbeitsdisziplin durchzusetzen. „Diese neue Disziplin fällt nicht vom Himmel (...), sie erwächst aus den materiellen Bedingungen der kapitalistischen Großproduktion und nur aus ihnen“ (ebenda: S.254).

In den Schriften „Wie man den Wettbewerb organisieren soll“ (1917), „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“ (1918) und „Die große Initiative“ (1919) führte er sein „Zivilisierungsprogramm“ zur Erziehung zur Arbeit näher aus. Das Prinzip „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen“ müsse zum praktischen Gebot des Sozialismus werden (Lenin, Band 2, 1984: S.593f.). Um Kontrolle, wirtschaftliche Rechnungsführung und einen Wettbewerb in den Betrieben einzuführen, bedürfe es einer „Säuberung der russischen Erde von allem Ungeziefer“. An machen Orten solle man Reiche, Gauner und ArbeiterInnen, die sich vor der Arbeit drückten, wie die Setzer in Petrograd, ins Gefängnis stecken und an anderen Orten Klosetts reinigen lassen. „An einem dritten Ort wird man ihnen nach Abbüßung ihrer Freiheitsstrafe gelbe Pässe aushändigen, damit das ganze Volk sie bis zu ihrer Besserung als schädliche Elemente überwache. An einem vierten Ort wird man einen von zehn, die sich des Parasitentums schuldig machen, auf der Stelle erschießen“ (ebenda: S.594), schrieb Lenin im Dezember 1917, noch vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges. Zur Steigerung der Produktivität empfahl Lenin außerdem die Einführung des Stücklohns und die Übernahme der fortschrittlichen und wissenschaftlichen Elemente des Taylor-Systems (ebenda: S.753). Außerdem sollte das Kulturniveau des Volkes durch eine Alphabetisierung erhöht werden.

Neben diesen Elementen des Zwangs hoffte Lenin, der selbstlose Arbeitseifer der IndustriearbeiterInnen an der Heimatfront könne sich auf die ganze Gesellschaft übertragen. Die Subotniks, Samstage an denen ArbeiterInnen unbezahlt und freiwillig arbeiteten, waren für Lenin die Vorboten der kommunistischen Arbeit. „Der Kommunismus beginnt dort, wo einfache ArbeiterInnen in selbstloser Weise, harte Arbeit bewältigend, sich Sorgen machen um die Erhöhung der Arbeitsproduktivität, um den Schutz eines jeden Puds Getreide, Kohle, Eisen und andere Produkte, die nicht den Arbeitenden persönlich und nicht den ihnen ‚Nahestehenden’ zu gute kommen, sondern ‚Fernstehenden’, d.h. der ganzen Gesellschaft (...) (Lenin, Band 3, 1984: S.261).

Wie die chinesischen KommunistInnenen während des „Großen Sprungs“, trat Lenin für eine Mischung aus Repressionen, Zwang und Appellen zur freiwilligen und selbstloser Arbeit ein, um die neue Arbeitsdisziplin und Sparsamkeit von jedem Pud Getreide zu verankern. Wie sollten sich bei den ArbeiterInnen und BäuerInnen eine freiwillige und selbstlose Arbeitsdisziplin entwickeln, wenn täglich mit Repressionen bedroht wurde und selbst die, die arbeiteten, nicht genug zu Essen hatten. Die Umerziehung der Menschen durch Arbeit beschränkte sich in beiden Ländern keinesfalls auf die Arbeitslager (Gulag und Laogai), sondern betraf alle Mitglieder der Gesellschaft. Unbezahlter Einsatz von Arbeitskräften sollte in beiden Ländern zu einer wichtigen Quelle des sozialistischen Aufbaus werden.

Die Unterschiede zwischen China und Russland: Miliz als Ersatz-Proletariat

Die Unterschiede zwischen den Programmen von Lenin, Trotzki und den chinesischen KommunistInnen waren jedoch gravierend. Während Trotzki die Militarisierung der ArbeiterInnenklasse und Gewerkschaften forderte, militarisiert die KP China 1958 die BäuerInnen für Masseneinsätze. Dass sich die Arbeitsorganisation 1958 in der Industrie grundlegend geändert hätte, ist mir nicht bekannt. Die Repressionen gegen „Deserteure der Arbeit“ wurden in China nicht so offen wie in Russland in Presse und Broschüren dargelegt. Trotzki sah wie die KP China in der Organisation der Armee ein Vorbild für jene der Arbeit. Die Militarisierung und Einführung der Volkskommune ging in China einher mit der Verteidigung des „Partisanenstils“ und des „ländlichen Arbeitsstils“ sowie der Traditionen von Yenan und Jinggangshan.

Die Großproduktion der Industrie schafft deshalb eine neue Arbeitsdisziplin, weil die Maschinen den Rhythmus diktieren und eine sekundengenaue Abstimmung der Arbeit von Hunderten von ArbeiterInnen notwendig machen. In China gab es auf dem Land 1958 nur wenige Maschinen und erst der „Großen Sprung“ setzte die Mechanisierung offensiv auf die Tagesordnung. Auch wenn die Resolution von Wuhan im Dezember, ähnlich wie Lenin, von der Übertragung der Disziplin der IndustriearbeiterInnen auf die ganze Gesellschaft sprach, so waren die Bedingungen dafür gar nicht vorhanden. Mit den Kampagnen zur Verbesserung der Bewässerungssysteme, Straßenbau und Tiefpflügen der Felder setzte die Partei auf traditionelle Formen der Masseneinsätze der BäuerInnen, ohne allerdings auf die Erntezeiten und die Landwirtschaft genügend Rücksicht zu nehmen. Da wohl weder durch die kleinen Hinterhof-Hochhöfen noch durch Wasserpumpen eine industrielle Arbeitsdisziplin auf dem Dorf etabliert werden konnte, setzten die chinesischen Kommunisten auf die Volksmiliz, um die BäuerInnen zu erziehen, disziplinieren und mobilisieren. In Maos Zivilisierungskonzept zur Erziehung zur Arbeit ersetzte die Volksmiliz das industrielle Proletariat.

Lenin wusste, dass die junge Sowjetmacht in den Fabriken ohne die „bürgerlichen“ ExpertInnen unmöglich auskommen konnte. In China wurden im Herbst 1958 die ParteisekretärInnen plötzlich zu den Oberkommandierenden der Produktion, obwohl viele von Landwirtschaft nicht viel verstanden oder wider besseren Wissens die völlig unrealistischen Planvorgaben von oben umsetzen mussten. Durch die Militarisierung war jede Kritik von Seiten der BäuerInnen eine Befehlsverweigerung. Schon mit der Resolution von Wuhan strukturierte die KPCh im Dezember das Verhältnis von Miliz und Produktionsbrigaden neu. Auch wenn weiter die Militarisierung der Arbeit gefordert und die Volksmiliz gefeiert wurde, sollten von nun an die Führungsorgane von Miliz und Produktionsbrigaden getrennt werden. Die Vorgesetzten der einzelnen Abteilungen der Miliz sollten nicht auch noch die Leitung der Kommune oder Produktionsgruppe ausüben (Martin, Band 3, 1982: S.302).

Der russische „Kriegskommunismus“: Folge des Bürgerkrieges oder Übergang zum Kommunismus?

Um zu prüfen, ob die Verwendung des Begriffs Kriegskommunismus sinnvoll ist oder nicht, muss zunächst seine Entstehungsgeschichte untersucht werden. Die Phase des russischen Bürgerkrieges von 1918 bis 1921 wird in der Historiographie als „Kriegskommunismus“ bezeichnet. Lenin und die russischen KommunistInnen verwendeten diesen Begriff erst im Nachhinein. Er tauchte erstmals in offiziellen Quellen im Frühjahr 1921 auf (Pipes, Band 2, 1992: S.557), als Lenin und die Partei die „Neue Ökonomische Politik“ (NÖP) formulierten, die den privaten Handel der BäuerInnen wieder zuließ und sogar entwickeln wollte. In der Forschung gibt es einen alten Streit, ob es sich bei der Politik des „Kriegskommunismus“ um eine Notwendigkeit des Bürgerkrieges handelte oder eine bewusste Strategie für den direkten Übergang zum Kommunismus.

Lenin definierte den Begriff zu Beginn der NÖP wie folgt: „Der eigenartige ‚Kriegskommunismus’ bestand darin, dass wir faktisch von den Bauern alle Überschüsse, ja mitunter nicht nur die Überschüsse, sondern auch einen Teil der für die BäuerInnen notwendigen Lebensmittel einzogen, um den Bedarf der Armee und den Unterhalt der Arbeiter zu decken. Wir nahmen sie größtenteils auf Kredit, gegen Papiergeld. Anders hätten wir in dem ruinierten kleinbäuerlichen Land über Gutsbesitzer und Kapitalisten nicht siegen können“ (Lenin, Band 3, 1984: S.680). Der „Kriegskommunismus“ sei kein Verschulden, sondern ein Verdienst der Partei gewesen. Nun müsse man aber zur Politik des Austausches von Getreide gegen Industrieprodukte übergehen. Auf dem 10.Parteitag März 1921 betonte Lenin noch einmal, dass die Partei während des Bürgerkrieges keine andere Wahl gehabt hätte (Lenin, Band 32, 1988: S.174). Die gleiche Auffassung geht in den 30er Jahren auch in die kanonisierte Geschichtsschreibung und in den berühmt-berüchtigten „Kurzen Lehrgang“ zur Geschichte der KPdSU (B) von 1938 ein, den die KommunistInnen auf der ganzen Welt lasen. Der „Kriegskommunismus“ sei durch Krieg und Intervention erzwungen wurden (KAP, 1972: S.301) und nach Beendigung des Krieges hätte es keinen Grund für dieses harte Regime mehr gegeben (ebenda: S.303).

Trotzki legte 1936 eine ganz andere Interpretation vor. Er zog historischen Parallelen zum „Kriegssozialismus“ (Deutschlands) im 1.Weltkrieg, den er als „ein System zur Reglementierung des Verbrauchs in einer belagerten Festung“ definierte (Trotzki 1979: S.25). Er räumte aber ein: „Man muss jedoch zugeben, dass er in seiner ursprünglichen Absicht breitere Ziele verfolgte (...). Mit anderen Worten: vom ‚Kriegskommunismus’ gedachte sie (die Sowjetregierung, Anm. A.P.) allmählich, aber ohne das System zu verletzten, zum echten Kommunismus überzugehen“ (ebenda: S.25). Dieser theoretische Fehler sei vor dem Hintergrund der Erwartung auf den Sieg der sozialistischen Revolution im Westen begangen worden (ebenda: S.26).

Leo Kritzmann, einer der führenden Wirtschaftsexperten in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution, schrieb 1924 mit dem Buch „Die heroische Periode der großen russischen Revolution“ eine ausführliche Analyse des „Kriegskommunismus“. Auch für ihn brachte es der Bürgerkrieg mit sich, dass alles den Bedürfnissen der Versorgung der Armee untergeordnet werden musste, obwohl die unproduktive militärische Konsumption zum massiven Rückgang der Produktivkräfte führte (Kritzmann 1971: S.262). Diese „unvermeidlichen Kosten“ wären aber auch verursacht worden, weil proletarische und bürgerliche Revolution im Oktober 1917 zusammenfielen (ebenda: S.259). Die Bolschewiki konnten in der Stadt die Industrie verstaatlichen, mussten aber auf dem Land die Revolution der BäuerInnen akzeptieren, die ein Meer von KleinproduzentInnen auf staatlichem Boden schaffte. Dieser Widerspruch zwischen industriellem Großbetrieb und bäuerlichem Kleinbetrieb machte laut Kritzmann die Getreiderequisitionen notwendig, für die der Staat keine Gegenleistung erbringen konnte. So musste die „proletarische Naturalwirtschaft“ den Kleinbetrieb zwangsweise einbeziehen und behinderte damit seine Entwicklung (ebenda: S.261).

In der heutigen westlichen Geschichtsschreibung wird die pragmatische Erklärung, „Kriegskommunismus“ als Notwendigkeit des Bürgerkrieges, überwiegend abgelehnt. Der Oxford-Professor Orlando Figes hält sie für schwach (Figes 1998: S.649). Der „Kriegskommunismus“ habe auch den Bürgerkrieg hervorgebracht und sei ein Mittel des Kampfes gegen die inneren Feinde gewesen. Viele radikale Maßnahmen hätten der Kampfkraft der Armee und der Wirtschaft eher geschadet als genutzt. Die Einführung des „Kriegskommunismus“ 1918 sei eine Reaktion auf die Hungerkrise der Städte gewesen (ebenda: S.650). Die Bolschewiki waren sich der Tatsache bewusst, dass sie ihre Machtbasis in den Städten und der Arbeiterklasse nicht verlieren durften. Wenn die Revolution nicht am Hunger zu Grunde gehen wollte, musste sie ihre Macht auf das Land ausdehnen und den BäuerInnen gewaltsam das Getreide abnehmen (ebenda: S.651). Generell sieht Figes im „Kriegskommunismus“ einen Prototyp der stalinistischen Wirtschaftpolitik, die jeden privaten Handel abschaffen, die gesamte Großindustrie verstaatlichen und die Landwirtschaft kollektivieren wollte (ebenda: S.648).

Pipes hält der Erklärung von der Notwendigkeit durch den Bürgerkrieg entgegen, dass die vollentwickelte Form des „Kriegskommunismus“ erst im Winter 1920/21 etabliert worden sei (Pipes, Band 2, 1992: S.559f.), als die Hauptschlachten des BürgerInnenkriegs schon geschlagen waren. Die Maßnahmen zur Liquidierung des Handels und der schrittweisen Ausschaltung des Geldes als Tausch- und Zahlungssystem durch systematische Geldentwertung konnte man kaum mit dem Bürgerkrieg begründen.

Das Programm der KPR von 1919

Dass es sich beim „Kriegskommunismus“ keinesfalls nur um eine Reaktion auf den Bürgerkrieg handelte, zeigt auch das neue Parteiprogramm der KP Russland von 1919. Um einen Vergleich mit der Politik der KP China von 1958 zu ziehen, müssen dieses Programm und auch die Maßnahmen und Beschlüsse der Sowjetregierung genauer betrachtet werden.

Der „Kriegskommunismus“ war nicht nur eine Versorgungsdiktatur zum Unterhalt der Armee, sondern auch eine radikale Umwälzung der Eigentumsverhältnisse und des wirtschaftlichen Austausches. Das Programm kündigt die Organisation einer sozialistischen Landwirtschaft durch Staatshilfen an. Der Handel sollte durch staatliche Verteilung ersetzt und alle Bürger des Staates in Verbraucherkommunen organisiert werden. Langfristig plante die Partei Banken durch eine „Zentralbuchhaltung der kommunistischen Gesellschaft“ zu ersetzen. Anstelle von Geld sollten dann Schecks und Notenscheine u.s.w verwendet werden. Außerdem wurde die Massenumsiedlung von Arbeitern aus den Vorstädten in die Häuser des Bürgertums gefordert. Kleinbetriebe sollten vorerst nur unter die Kontrolle des Staates gestellt werden.

Die russischen KommunistInnen wollten ein Netz von Kinderkrippen zur Befreiung der Frau schaffen, sowie alle Schüler auf Kosten des Staates mit Kleidung und Nahrung versorgen.

Den Religionen wurde der Kampf angesagt und Umerziehung der alten Klassen durch Arbeit sowie die Annäherung von Hand- und Kopfarbeit gefordert. Dieses Programm radikalisierte sich in der Praxis noch weiter.

Die zentralen Maßnahmen des „Kriegskommunismus“ sollen hier kurz umrissen werden:

a) Ernährungsdiktatur und Terror

Schon im Mai 1918 führte die Sowjetregierung die Ernährungsdiktatur ein. Der Staat konnte auf Kredit oder ohne Gegenleistung die Überschüsse der BäuerInnen zur Versorgung der Armee und Städte zwangsweise requirieren. Das Dekret drohte allen, die die Getreideüberschüsse nicht ablieferten mindestens zehn Jahre Gefängnis sowie den Ausschluss aus der Obchina (Dorfgemeinde) sowie den Einsatz der bewaffneten Macht im Falle des Widerstandes gegen diese Beschlagnahmungen an (Altrichter, Band 2, 1986: S.57f.). Den „Komitees der Dorfarmut“ wies die Regierung besondere Versorgungsaufgaben zu. Geiselerschießungen oder Einzug des Saatgetreides stellten die extremsten Strafen bei Nichtablieferung dar. Die Hungersnot mit Millionen Toten war nicht nur durch den Bürgerkrieg und Naturkatastrophen verursacht worden, sondern auch durch die zu hohen Getreiderequirierung durch die Regierung. Überall wurden die Ablieferquoten bewusst höher angesetzt mit der Begründung die BäuerInnen würden 1/3 der Ernte heimlich zurückhalten (Figes 1998: S.794).

Schwarzhandel und Hamstererei wurden mit drakonischen Maßnahmen bekämpft. Die Todesstrafe für Schieber gab es schon seit Februar 1918 (Pipes, Band 2: S.649). Auch Hamsterer konnten laut Gesetz bei Widerstand auf der Stelle erschossen werden (Kritzmann 1971: S.220). Lenin erklärte den freien Handel sogar zum „Staatsverbrechen“ (Lenin, Werke, Band 30: S.134).

Um den Ansturm der hungernden BäuerInnen auf die Städte zu verhindern, wurde wichtige Metropolen für Nichtansässige geschlossen. Gleichzeitig versuchte die Sowjetregierung die Hungersnot mit der Einführung von kostenloser Versorgung (der Stadtbevölkerung) zu begegnen. Im März 1919 verpflichte ein Dekret alle StaatbürgerInnen zur Teilnahme an Konsumkommunen (Altrichter, Band 2, 1986: S.91). Im Mai 1919 wurde die kostenlose Speisung für Schulkinder (ebenda: S.91f.), im Dezember 1920 die kostenlose Abgabe von Lebensmitteln (ebenda: S.107f.) und Massenverbrauchsartikeln an die Bevölkerung beschlossen (ebenda: S.108). Nicht wenige ArbeiterInnen, die kostenlose Lebensmittel erhielten, verkauften diese gleich auf dem Schwarzmarkt weiter. In Moskau und Leningrad wurden Kantinen für die Stadtbevölkerung eingeführt.

b) Die Umwälzung der Eigentumsordnung

In der ersten Phase nach der Oktoberrevolution verstaatlichten die Bolschewiki nur die Banken und die Großbetriebe. Am 1.Mai 1918 wurde auch das Erbrecht aufgehoben (Pipes, Band 2, 1992: S.559). Ende November folgte schließlich eine radikale Umgestaltung der Kleinbetriebe. Laut Dekret sollten Kleinbetriebe, die mehr als fünf ArbeiterInnen beschäftigen und über Maschinen verfügen sowie Betriebe mit zehn Arbeitern ohne Maschinen nationalisiert werden (Altrichter, Band 2, 1986: S.106f.).

Mit der Gründung der „Komitees der Dorfarmut“ im Juni 1918 wollte Lenin den Klassenkampf und die sozialistische Umwälzung auch auf dem Land entfachen. Die Bolschewiki versuchten die Dorfarmut gegen die „wohlhabenderen“ KulakInnen zu mobilisieren und Staatsfarmen zu gründen. 1920 gab es ungefähr 16.000 kollektive und staatliche Landwirtschaftsbetriebe (Figes 1998: S.777). Die Sowjetgüter im europäischen Russland machten ca. 7 Prozent der Saatfläche aus (Kritzmann 1971: S.XXII). 50 Millionen Hektar von „Kulakenland“ sollten laut dem „Kurzen Lehrgang“ in die Hände der Dorfarmut und MittelbäuerInnen übergegangen sein (KAP 1972: S.268). Insgesamt betrachtet, scheiterte der Versuch, den Klassenkampf auf das Dorf zu tragen und führte zu Aufständen, so dass die „Komitees der Dorfarmut“ wiederaufgelöst wurden und die Partei im März 1919 Kurs auf die Gewinnung der MittelbäuerInnen nahm.

c) Die Folgen: BäuerInnenaufstände und Zusammenbruch der Industrie

In den Jahren des Bürgerkrieges 1918 bis 1921 kämpfte die sozialistische Revolution ums Überleben. Schon der 1.Weltkrieg hatte eine zerrüttete Wirtschaft hinterlassen und das bolschewistische Russland verlor wirtschaftliche wichtige Gebiete wie die Ukraine. Zwar konnte die Politik des „Kriegskommunismus“ den Sieg der roten über die weißen Armeen sichern. Sie hinterließ aber für die Bolschewiki eine katastrophale politische und wirtschaftliche Lage. Die Getreiderequirierungen führten zu hunderten lokalen BäuerInnenaufständen. An vielen Orten erhoben sich die BäuerInnen, als der Sieg gegen die Konterrevolution gesichert war, sofort gegen die Bolschewiki. Der größte BäuerInnenaufstand, die „Antonow“-Bewegung, hielt Lenin für die größte Bedrohung, der das Regime jemals ausgesetzt war (Figes 1998: S.797.).

Aller Terror zur Durchsetzung der Ernährungsdiktatur half nicht. Der Rückgang der Produktivkräfte stärkte im Gegenteil die Tendenz zur Dezentralisierung und die Rückkehr zur Warenwirtschaft per Schwarzmarkt, so Kritzmann. Trotz „Kriegskommunismus“ und staatlichem Getreidemonopol wurden in vielen wichtigen Gebieten 1918 und 1919 60 Prozent des Getreides von privaten illegalen HändlerInnen geliefert. Eric Carr ging so gar so weit zu behaupten: „In mancher Hinsicht tat die NEP wenig mehr, als die Handelsmethoden anzuerkennen, die sich unter dem Kriegskommunismus trotz der Dekrete und Unterdrückungsmaßnahmen der Regierung spontan entwickelt hatten“ (zitier nach Pipes, Band 2, 1992: S.608). Kritzmanns damals offiziell verlegtes Buch ist eine eindruckvolle Darstellung, dass die Einbeziehung der BäuerInnen in die staatliche Zwangswirtschaft überhaupt nicht funktionierte. Schwarzmarkt, Tauschhandel und Hamsterei konnten trotz drakonischer Strafen nicht eingedämmt werden.

Auch wenn die zahlreichen BäuerInnenaufstände mit brutaler Gewalt niedergeschlagen werden konnten, mussten die Bolschewiki das Zugeständnis der NEP an die BäuerInnenschaft machen und den freien Handel wieder zulassen. 1921 lag die Abgabenpflicht der BäuerInnen um 45 Prozent niedriger als im Vorjahr (Figes, 1998: S.808).

Auf industriellem Gebiet sah die Bilanz des „Kriegskommunismus“ nicht viel besser aus. Extreme Inflation und Preiserhöhungen (Pipes, Band 2, 1992: S.583f.), sowie äußerst geringe Produktivität (ebenda: S.598) spiegelten die Krise wieder. Ende 1920 war die Industrie fast zusammengebrochen. Die Zahl der in der Industrie beschäftigen ArbeiterInnen halbierte sich zwischen 1918 und 1921 (ebenda: S.599) und Millionen Menschen wanderten aus den Städten aufs Land. Dass die Industrie fast zusammengebrochen war, veranlasste Lenin im Dezember 1921 gar die Existenz eines Proletariats anzuzweifeln: „Wir sind die Vertreter der Kommunistischen Partei, der Gewerkschaft, des Proletariats. Entschuldigen Sie bitte. Was ist das Proletariat? Das ist die Klasse, die in der Großindustrie arbeitet. Wo aber ist die Großindustrie? Was ist das für ein Proletariat? Wo ist Ihre Industrie? Warum steht sie still?“ (Lenin, Werke, Band 33, 1963: S.158).

Ohne die Einführung der NEP 1921 hätte das bolschewistische Regime sicher nicht überleben können. Der „Kriegskommunismus“ führte in vieler Hinsicht zu katastrophalen Resultaten. Lenin griff daher 1921 seine schon 1918 formunierte Strategie der Entwicklung des Staatskapitalismus in Russland wieder auf. Lenin plante nun eine ganze geschichtliche Epoche ein, um die russische Bevölkerung zu „zivilisieren“ und an die Genossenschaften heranzuführen (Lenin, Band 3, 1984: S.860f.). Zur Nachahmung für die KommunistInnen der anderen Länder hatte sich der „Kriegskommunismus“ sicher nicht empfohlen.

Unterschiede und Parallelen zum „Großen Sprung“ in China

Das Russland des Bürgerkrieges und das China des „Großen Sprungs“ waren unterschiedliche Gesellschaften, deren innen- und außenpolitische Lagen wenig Gemeinsamkeiten besaßen. Als die KPCh im Sommer 1958 die Stahlkampagne startete, war China mit der Sowjetunion verbündet und hatte fast zehn Jahre Friedenszeit auf dem Festland hinter sich. Wenn der russische „Kriegskommunismus“ eine Unterordnung der Wirtschaft und Gesellschaft unter die Bedürfnisse der Armee darstellte, so wurde in China von der Regierung die gegenteilige Politik betrieben: Um den wirtschaftlichen Aufbau zu forcieren, wurde das stehende Heer massiv verkleinert und die Rüstungsausgaben gesenkt. Ein großer Krieg war trotz der Jinmen-Krise im Herbst 1958 nicht zu erwarten. Mao gab den Befehl, nicht auf amerikanische Schiffe zu schießen und glaubte nicht an einen Krieg mit den USA.

Die Militarisierung der Arbeit und die Kollektivierung des Dorflebens waren in erster Linie Mittel zur forcierten Wirtschaftsentwicklung und keine Kriegsvorbereitung. Mao ordnete die gesamte Wirtschaftplanung der Stahlproduktion unter und nicht dem militärisch-industriellen Komplex, wie nach 1964 mit dem Aufbau der „3.Linie“ im Westen Chinas.

Militärische Prinzipien spielten auch ohne Krieg eine größere Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft als in Russland. Die Volksmiliz war für die Partei das Mittel, eine neue „industrielle Arbeitsdisziplin“ auf die BäuerInnen zu übertragen und auch die „natürlichen“ Lebensrhythmen des Dorfes zu beseitigen um so ein neues „rationales Dorf“ zu schaffen, in dem Versorgung, Wohnen, Bestattung und Hochzeit den Bedürfnissen der Produktion untergeordnet wurden.

Der von Gao Hua verwendete Begriff des „Kasernensozialismus“ trifft den Kern der Sache besser als jener des „Kriegskommunismus“. Gao Hua dehnt den Begriff aber auf die gesamte Mao-Zeit aus, was meiner Meinung nach nicht zutrifft, da die Militarisierung der ländlichen Arbeitskräfte wieder rückgängig gemacht wurde und die Organisationsstrukturen der Volkskommune und Produktionsbrigaden wieder auf den „natürlichen“ Grenzen des Dorfes aufbauten. Außerdem war der Versuch der Schaffung einer rationellen Organisation des Dorfes mit dem versuchtem Übergang zum Kommunismus und einer radikalen Umwälzung der Eigentumsverhältnisse verbunden, weshalb ich das Programm des „Großen Sprungs“ als „Kasernenkommunismus“ bezeichnen würde.

Trotz dieser Unterschiede gab es einige Gemeinsamkeiten zwischen dem russischen „Kriegskommunismus“ und dem chinesischen „Kasernenkommunismus“. Die Ideologie der Bolschewiki während des Bürgerkrieges war zutiefst bäuerInnenfeindlich. Jegliche Form von Handel wurde generell als Kapitalismus verteufelt und als der Hunger die Städte bedrohte, wurden „nicht nur die Überschüsse“ (Lenin) der BäuerInnen mit Hilfe von Terrormaßnahmen gnadenlos requiriert. Die Hungernden wurden von den Städten ferngehalten und Schwarzhändler erschossen.

Der „Große Sprung“ versprach ursprünglich den BäuerInnen nach „drei Jahren bitterem Krieg“ ein glückliches Leben und machte das Dorf zur Ausgangsbasis der Umwälzung. Als nach der guten Ernte 1958 auf Grund der Regierungspolitik 1959/60 der große Hunger auf dem Land ausbrach, reagierten die chinesischen KommunistInnen genauso wie die Bolschewiki: auch wenn es den Tod von Millionen BäuerInnen bedeutete, die Strategie wurde nicht geändert. Die Regierung exportierte weiterhin Getreide ins Ausland und nahm den BäuerInnen das letzte Getreide weg, um Städte und privilegierte Gruppen des Systems, wie IndustriearbeiterInnen, Kader oder Intellektuelle, weiter versorgen zu können. Im China der Jahre 1959 bis 1960 war die staatliche Aufkaufsquote von Getreide die höchste seit 1953, aber die Produktion pro Kopf die niedrigste seit Jahren (Walker 1984: S. 167). Wie Mao später eingestand, hatte man den Teich ausgetrocknet, um die Fische zu fangen (ebenda: S. 155). In den neueren chinesischen Veröffentlichungen wird der Bevölkerungsverlust von 1959 bis 1961 häufig auf 40 Millionen beziffert (Jiang / Zhou / Jiu, 1998: S. 1). Auch in China wurde den hungernden BäuerInnen verboten, sich selbst zu helfen. Die Städte wurden abgeriegelt und die Flucht aus den Dörfern unterbunden. Die Entstehung einer großen Schattenwirtschaft und eines Schwarzmarktes konnte die Regierung – im Gegensatz zu Russland – verhindern; dort versorgte dieser immerhin die Hälfte der Bevölkerung mit Getreide. Die russischen BäuerInnen waren 1920 eben KleinproduzentInnen und keine „Angestellten“ einer Volkskommune.

Um die Frage zu beantworten, warum der Staat die hungernden BäuerInnen und den Schwarzmarkt unterdrücken konnte, muss man sich die Umwälzung der Eigentumsverhältnisse vom Herbst 1958 vor Augen halten. Die chinesischen BäuerInnen hatten ihre Subsistenzgrundlage verloren. Die Parzellen zur privaten Nutzung, ihr Hausvieh und Obstbäume gingen vieler Orts in die Hände der Kommune über. Kochtöpfe wurden eingeschmolzen und es war häufig verboten, zu Hause zu kochen. Mit der Ersetzung der häuslichen Versorgung durch die Volksküchen waren die BäuerInnen dem Staat komplett ausgeliefert. Wenn es in den Volksküche nichts mehr gab und die Flucht von den lokalen Kadern effektiv unterbunden wurde, dann blieb den BäuerInnen nur noch, zu verhungern.

Im Gegensatz dazu waren die russischen BäuerInnen KleinproduzentInnenen innerhalb der Dorfgemeinde auf staatlichem Boden. Sie produzierten ohne Plan und waren EigentümerInnen ihres Produkts. Der Staat versuchte ihnen das Produkt per Zwangsrequirierung wieder abzunehmen. Die Staatsmacht war auf dem russischen Dorf viel schwächer als in China. Während die Volksbefreiungsarmee die Bodenreform per Bürgerkrieg durchgesetzt hatte, führten die russischen BäuerInnen die „schwarze Umverteilung“ selber durch und die meist als Eindringlinge von außen empfundenen Bolschewiki legalisierten diese Umwälzung mit dem „Dekret über Grund und Boden“ erst im nachhinein.

Der Kern der Revolution des „Großen Sprungs“ bildete die Transformation der Eigentumsverhältnisse vom sozialistischen, kollektiven und individuellen Eigentum zum „Eigentum des ganzen Volkes“. In Russland wurde während des „Kriegskommunismus“ die komplette Vergesellschaftung des ländlichen Eigentums in naher Zukunft nie in Erwägung gezogen, auch wenn in der Industrie Kleinbetriebe verstaatlicht wurden. Der Kern der Revolution des „Kriegskommunismus“ bildete zumindest nach der Auffassung des damals dominierenden linken Parteiflügels die Abschaffung des Geldes durch die Einführung einer „proletarischen Naturalwirtschaft“, in der der Staat alle Produkte verteilte. Soweit wollte Mao nicht gehen: Chen Bodas Forderungen, das Geld abzuschaffen, wies er zurück und ab der 1.Zhengzhou-Konferenz im November 1958 unterstrich das ZK wieder die Notwendigkeit der Entwicklung der Warenwirtschaft.

Schluss: Der Kriegs- und Kasernenkommuismus als Schlüsselkrise in der Geschichte des Staatssozialismus

Die beiden großen geschichtlichen Versuche direkt in den Kommunismus überzugehen, in Russland 1919 und in China 1958, endeten im Desaster. Die Folge des Frontalangriffs auf die LebensmittelproduzentInnen und eigentlichen BündnispartnerInnen der Revolutionen, die BäuerInnen, war in beiden Ländern eine Hungersnot mit Millionen von Toten. Beide Regime setzten alle Energie ein, um die Stadtbevölkerung und privilegierten Gruppen durch gewaltsame Requirierungen des Getreides der BäuerInnen zu retten.

Die Macht konnten die Kommunistischen Parteien zwar halten, doch Zugeständnisse an die BäuerInnen wurden unabwendbar. Die Volkskommune von 1961 in China besaß wieder Parzellen zur privaten Nutzung und baute auf den traditionellen Dorfstrukturen auf. Nie wieder versuchte Mao diese Ordnung anzugreifen und zu höheren Eigentumsformen überzugehen. In Russland musste die NÖP eingeführt werden, damit die Bolschewiki nicht von den „grünen“ Aufständen gestürzt wurden. Selbst drakonische Maßnahmen konnten Schwarzmarkt und Überlebenskampf der BäuerInnen keinen Einhalt gebieten. Von der Illusion, die Menschen in Arbeitsarmeen zu organisiert und die Produktion nach militärischen Prinzipien zu leiten, mussten sich Bolschewiki und MaoistInnen verabschieden. Auch wenn die Phasen des Kriegs- und Kasernenkommunismus in Russland und China nicht lange dauerten, zerstörten sie doch grundlegend das Verhältnis von Staat und Bauernschaft. In beiden Ländern wurden diese Katastrophen nie aufgearbeitet. Lenin gab dem Bürgerkrieg die Schuld, Mao den Naturkatastrophen sowie dem Abzug der sowjetischen ExpertInnen. In der Sowjetunion führte dies dazu, dass Stalin 1929 einen erneuten kriegskommunistischen Vorstoß unternahm, der zu einer noch größeren Hungersnot führte. Bei der weiteren Aufarbeitung der Niederlage des Sozialismus könnte sich der Fokus auf den „Kriegskommunismus“ als fruchtbar erweisen.

Abkürzungen

  • GNN — Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung
  • Jgyl — Jianguo yilai zhongyao wenjian xuanbian (Eine Auswahl wichtiger Dokumente seit der Staatsgründung), siehe „Literatur“: Zhonggong Zhongyang Wenxian Yanjiushi (Hrsg.) (1992-1998)
  • KPCh — Kommunistische Partei Chinas
  • Mzdwg — Jianguo yilai Mao Zedong wengao (Manuskripte und Entwürfe von Mao Zedong seit der Staatsgründung), siehe „Literatur“: Zhonggong Zhongyang Wenxian Yanjiushi (Hrsg.) (1987-1996)

Literatur

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  • Zhonggong Zhongyang Wenxian Yanjiushi (Forschungsbüro des ZK der KPCh für Dokumente) (Hrsg.) (1992-1998): Jianguo yilai zhongyao wenjian xuanbian (Eine Auswahl wichtiger Dokumente seit der Staatsgründung), Beijing.

[1Im „Manifest“ hießen zwei Forderungen der Kommunisten: „8. Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau. 9. Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land.“ (Marx/Engels, Band 4, S.481).

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