FORVM, No. 188/189
August
1969

Letzte Rede im ZK

Dr. F. K., Vorsitzender der Nationalen Front, war einer der führenden Köpfe des Prager Frühlings, Arzt, Spanienkämpfer, glühender Kommunist zeit seines bewußten Lebens. In den Sitzungen des ZK am 29. und 30. Mai wurde sein Parteiausschluß beantragt und vollzogen — ein Opfer, das die Zaren im Kreml nicht sättigte. Seine letzte Rede im ZK wurde natürlich nicht gedruckt, aber in hektographierten Exemplaren gelangte sie ins ganze Land. Zum 1. Jahrestag der Okkupation ist sie ein Dokument des Mutes, folglich der langfristigen Hoffnung.

Die heutige Sitzung des Zentralkomitees wird darüber beraten, mehrere Genossen aus ihm zu entfernen, darunter mich. Dies, weil ich gegen den Vertrag über die zeitweilige Stationierung sowjetischer Truppen auf dem Territorium unserer Republik stimmte und dadurch angeblich die Parteidisziplin verletzte.

Als erstes eine Randbemerkung: der Antrag auf meinen Ausschluß aus ZK und Partei sagt nichts darüber, welche Körperschaft der Partei jenen Vertrag überhaupt beschlossen hat; soviel ich weiß, gibt es auch keinen formellen Beschluß einer Sitzung des Parlamentsklubs der Partei. Folglich kann ich gegen die Parteidisziplin gar nicht verstoßen haben.

Ich möchte, daß das Präsidium mir hierüber Aufklärung gibt.

Ferner möchte ich die Aufmerksamkeit des ZK auf die Tatsache lenken, daß bis jetzt niemand aus ihm entfernt wurde, der die direkte oder hauptsächliche Verantwortung dafür trägt,

  • daß Dutzenden unschuldiger Menschen ein unwürdiger Tod durch Henkershand bereitet wurde;
  • daß Tausende und Zehntausende zu langen Jahren der Folter und des Kerkers verurteilt wurden;
  • daß viele dieser Gefangenen ihr Leben im Kerker beschlossen, ohne je das Licht der Freiheit wieder zu erblicken.

Bis jetzt wurde auch niemand aus dem ZK entfernt wegen seiner Verantwortung für die langjährige Wirtschaftskrise, die uns in die gegenwärtige Situation gebracht hat, eine Situation, die nicht dadurch geändert werden kann, daß man die Schuld auf die letzten paar Monate des Jahres 1968 schiebt.

Wir könnten einen Sektor nach dem anderen unseres ökonomischen und gesellschaftlichen Lebens hernehmen und fragen: „Wer ist dafür verantwortlich?“ Es ist doch kein Geheimnis, daß in diesem Raum eine Anzahl von Mitgliedern sitzt, die jahrelang verantwortliche, führende Positionen in unserem öffentlichen Leben hatten; sie können ihrer Verantwortlichkeit nicht ausweichen, oder zumindest ihrer Mitverantwortlichkeit, für alle jene Dinge, die unsere Öffentlichkeit heute so leidenschaftlich kritisiert.

Ich hörte gestern mit Interesse Genossen Krajcir. [1] Ich war erstaunt über sein kurzes Gedächtnis. In den Dokumenten des ZK wird die kritische ökonomische Situation erwähnt; ja glaubt Genosse Krajcir, daß er 20 Jahre lang Minister sein konnte und stellvertretender Ministerpräsident und Jahr für Jahr Mitglied des ZK, ohne die Verantwortung für jene Wirtschaftskrise mit zu tragen?

Hier sitzen auch die Genossen Hendrych, Simunek, Lenart und viele andere Funktionäre, die dieses Land jahrelang führten. Haben diese Leute keine Verantwortung für die gegenwärtige Situation?

Genosse Hendrych war jahrelang der zweite und durch seine Aktivität und seinen Einfluß praktisch der erste Mann in diesem Staat. Ist er für nichts verantwortlich?

Alles auf die Nachjännerperiode zu schieben ist allzu offensichtlich ein bloßes Manöver. Man versucht die Verantwortung auf andere Leute zu überwälzen. Aber diese Versuche führen zu nichts.

Der Vertrag über die Truppenstationierung wurde unterzeichnet in Gegenwart von Hunderttausenden fremden Soldaten mit einem ungeheuren militärtechnischen Arsenal. Dieser Vertrag wurde nicht mit Federn unterzeichnet, sondern mit den Mündungen von Kanonen und Maschinengewehren.

Ich möchte in diesem Zusammenhang die Definition von Aggression zitieren, die von der Sowjetunion unlängst den Vereinten Nationen vorgelegt wurde. Sie lautet: „Eine Aggression, ob direkt oder indirekt, ist die Anwendung bewaffneter Macht eines Staates gegen einen anderen Staat im Widerspruch zu den Zielen, Grundsätzen und Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen.“ Ich stimmte gegen den Vertrag als ein Abgeordneter, der sich einig weiß mit den Gefühlen und Wünschen der überwältigenden Mehrheit seiner Wähler und der Bürger dieses Landes.

Überdies wissen wir, daß die militärische Besetzung der CSSR von einigen bedeutenden kommunistischen Parteien verurteilt wurde, die an der Macht sind, sowie von vielen kommunistischen Parteien in kapitalistischen Ländern, darunter die wichtigsten.

Wir wissen, daß sogar die Kongresse mehrerer Parteien, zum Beispiel der Italiener, die Besetzung der CSSR durch Truppen des Warschauer Paktes verurteilten.

Niemand kann sich über die Tatsache täuschen, daß diese militärische Besetzung dem internationalen Kommunismus schweren Schaden zufügte in den Augen der Weltmeinung. Durch die Okkupation wurde bewiesen, daß die sozialistischen Staaten unfähig sind, ihre Meinungsverschiedenkheiten auf der Grundlage friedlicher Koexistenzen zu lösen.

Die Besetzung war bezeichnend für die inneren Widersprüche in der kommunistischen Bewegung, die im chinesisch-sowjetischen Konflikt so offenkundig sind. Die Besetzung enthüllte die Differenzen zwischen den Mitgliedern des Warschauer Paktes und einer großen Zahl kommunistischer Parteien außerhalb dieses Paktes.

Die Paragraphen 13 und 47 im Kapitel IV des bei den Moskauer Verhandlungen vorgelegten Dokumentes lauten:

„Die Teilnehmer an den Beratungen bekräftigen die Übereinstimmung ihrer Ansicht, daß die Grundlagen der Beziehungen zwischen den Bruderparteien der proletarische Internationalismus, die Solidarität und die wechselseitige Unterstützung sind, die Achtung der Unabhängigkeit und Gleichberechtigung, die wechselseitige Nichteinmischung hinsichtlich ihrer inneren Angelegenheiten. Das Prinzip der Aufrechterhaltung dieser Grundsätze ist eine wichtige Bedingung für die Entwicklung freundschaftlicher Zusammenarbeit zwischen den Bruderparteien und für die Festigung der Einheit innerhalb der kommunistischen Bewegung.“ Man könnte einige weitere passende Bestimmungen aus diesem Dokument zitieren, aber ich denke, diese da genügt.

Im Zusammenhang mit dem Antrag, mich aus dem ZK zu entfernen, möchte ich sagen:

Ich betrachte diesen Antrag als ungerechtfertigt. Der Zweck ist durchsichtig und reicht über meine Person hinaus: es ist wohlbekannt, daß die Entwicklung der letzten Monate und Wochen Furcht und Zweifel wachgerufen hat, trotz den Erklärungen, daß wir die Nachjännerpolitik beibehalten werden. Eine Serie von Beschlüssen unterer Parteiorgane, die Wiederaufrichtung des Parteiapparates, die harten Säuberungsmaßnahmen in verschiedenen Institutionen und in der Partei selbst stellen schon die Verbindung her zu Maßnahmen in der Vorjännerzeit.

Das bedeutet einen weit ausgedehnten Prozeß der Restauration, um den August zu legalisieren. Nur die gegenteilige Erfahrung könnte das Volk überzeugen; im Augenblick jedoch ist das negative Echo des Volkes, der Partei und der Parteilosen kein Geheimnis für die Führung der Partei und Regierung, wie ich annehmen darf.

Das Tempo der Entwicklung beschleunigt sich nun, bis jener Punkt wieder erreicht ist, wo die Partei vom Volk isoliert ist, und die Führung von den Parteimitgliedern. Die Partei verwandelt sich wieder zurück: aus einer moralisch und politisch führenden Kraft in eine, die fast ausschließlich Machtapparat ist.

Was meine Parteidisziplin betrifft, Genossen, verweise ich auf meine 38 Jahre Parteimitgliedschaft, unter Umständen, die historisch wie persönlich sehr kompliziert waren.

Ich akzeptiere die Beschuldigungen nicht, daß ich die Disziplin verletzt habe. Ich widerspreche dem Antrag auf meinen Ausschluß.

Ich habe meinen Standpunkt klargemacht. Jetzt kann niemand darüber im Irrtum sein: niemand von jenen in diesem Raum, die schon viel zu oft ihre Hand irrtümlich erhoben haben.

Die Geschichte der vergangenen Jahre ist reich an Warnungen vor derartigen tragischen Erfahrungen.

[1ehemaliger Handelsminister

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