Heft 3-4/2005
Juni
2005

Mahwareh, mahwareh!

Eine Reise durch den Iran, 2004

Die iranischen Machthaber praktizieren, um sich im Sattel zu halten, gegenüber der eigenen Bevölkerung eine Strategie von Zuckerbrot und Peitsche. Reformen werden halbherzig durchgezogen und wieder zurückgenommen. Seit den Parlamentswahlen im März 2004 und dem durch den Boykott weiter Teile der Bevölkerung bedingten Wahlsieg der Konservativen hält das Regime die Peitsche wieder fester in der Hand.

Ankunft in Teheran

Zwei Dinge stechen mir sofort ins Auge: Die Bautätigkeit hat enorm zugenommen. Es werden jetzt Wohnungen für die Hälfte der Bevölkerung, die nach der Revolution gebo­ren wurde, gebaut. Und an jeder Straßenecke stehen Sicherheitskräfte, von der Verkehrspo­lizei bis zu den Revolutionsgarden. Eine Folge der Machtübernahme der Konservativen, die damit Stärke zeigen wollen. Einschüchterung nennen es andere. Vor ein paar Wochen war es noch viel schlimmer, erzählt ein in Teheran lebender Freund. Rund um den Jahrestag der Studierendenrevolte von 1999 waren alle hundert Meter Pasderan, wie sich die Revo­lutionsgardisten nennen, postiert. Sie sorgten dafür, dass sich keine Gruppen sammelten. Das Regime hatte Angst vor Demonstrati­onen, die mit diesen Maßnahmen auch un­terbunden wurden. Der Druck, der durch die innenpolitischen Probleme und durch die außenpolitische Lage auf dem Regime lastet, wird an die Bevölkerung weitergegeben. Von den Freiheiten, die sich die Menschen in den letzten Jahren nahmen, ist heute wenig zu se­hen. Man versteckt sich wieder. Die Angst ist wieder präsent.

Teheran im Sommer ist aber auch ohne staatliche Sittenwächter kein besonders liebenswürdiger Ort. Die Mischung aus Hitze, Smog und den Staus, die es trotz der unzäh­ligen mehrspurigen Autobahnen, die die zehn Millionen EinwohnerInnen zählende Metropole durchziehen, täglich gibt, treiben deren Einwohner bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus der Stadt. Beliebte Wochen­endausflugsziele sind die Berge, das kaspische Meer oder andere Städte, wo sich die nicht so gut betuchten in den Parks niederlassen — mit oder ohne Zelt. Wenigstens wegfahren kann sich bei den extrem niedrigen Benzinpreisen jeder leisten. Ich mach es den Teheranern gleich und lasse den stinkenden Moloch fürs erste hinter mir.

Kleinstadtflair

Mein Ziel ist Ouroumie, die Hauptstadt der Provinz Westaserbeidschan im Nord­westen des Landes. In der eine Million Ein­wohnerInnen Stadt, die bis vor kurzem noch die Atmosphäre eines Dorfes hatte, wird kräf­tig gebaut. Ein Hochhaus nach dem anderen entsteht. Die Stadt liegt im Dreiländereck Iran-Irak-Türkei. Bewohnt wird sie hauptsächlich von Azeris, aber auch viele Kurden und Ar­menier lassen sich dort finden. Auf der Straße dominiert das Aserbeidschanische als Um­gangssprache. Die Stadt gilt als liberal, zumin­dest verglichen mit anderen Städten, was sich auch im Straßenbild niederschlägt. Schwarze Tschadors sind sehr selten anzutreffen. Trotzdem überwiegt hier die gesellschaftliche Enge der Provinz. Irgendwie kennt jeder jeden, was ein großes Maß an sozialer Kontrolle ermögli­cht. Auf die Anonymität einer Großstadt kann sich hier niemand stützen. Zwar kam es letztes Jahr auch hier in der Nähe der Universität zu kleineren Demonstration. Die Unruhestifter konnten aber ohne große Probleme unschäd­lich gemacht werden. Auch die Möglichkeiten für Jugendliche sind sehr begrenzt. Jeden Abend sieht man Gruppen von jungen Männern oder Frauen die Einkaufstraße auf- und abgehen und sich verstohlene Blicke zuwerfen. Wenn die Pasderan, die seit neuestem wieder sehr präsent sind, sie nicht beim Turteln erwi­schen, dann sicher jemand aus der Familie, der auch was dagegen haben könnte.

Mit Freunden, Nasser und Fatima, be­schließen wir uns anderwärtig zu amüsieren, schließlich ist Donnerstagnacht, Wochenende. Wir fahren nach Band, ein angrenzendes Dorf, das aufgrund seines kühlen Klimas so was wie der Vergnügungsdistrikt der Stadt ist. An der einzigen asphaltierten Straße reiht sich dort ein Restaurant ans andere. Die Familien kommen am Wochenende her um Kabab zu Essen, die Jugendlichen um Tee zu trinken und Wasserpfeife zu rauchen oder einfach nur mit voll aufgedrehtem Autoradio durch die Straße zu cruisen. Was wir auch auf dem Weg dorthin tun, bis uns bei einer Kreuzung Gendarmen aus einem nagelneuen Mercedes zurufen, die Musik leiser zu drehen. Wir dros­seln die Lautstärke des türkischen Technos bis sie wieder außer Hörweite sind. Ich rechne bei der Stadtgrenze schon damit, nur mehr im Schritttempo voranzukommen, werde aber überrascht. Es sind kaum Autos auf der Stra­ße und die Restaurants sind fast leer. Wir sind einige der wenigen, die sich zu Tee und Was­serpfeife niederlassen. Die neue Regierung hat eine Sperrstunde eingeführt. Um Mitternacht muss hier alles schließen. Eine Zumutung, en­det der Arbeitstag doch erst um 22 Uhr. Fati­ma ist 27 und fragt, ob ich oft in Discos gehe. Sie arbeitet sechs Tage in der Woche und hat am Wochenende nicht mal die Möglichkeit sich zu zerstreuen. Sie würde gern Tanzen gehen. Nasser ist 30 und arbeitslos. Sein in der Türkei lebender Bruder hat für ihn ein Geschäftslokal gekauft, das er vermietet. Da er noch bei seinen Eltern wohnt, wie sehr viele in seinem Alter, reicht das zum Leben. Auch mit abgeschlossenem Studium finden hier die wenigsten Arbeit. Sie werden dann das, wofür die Regierungen in Europa reichlich Subventionen ausschütten, nämlich Junguntemehmer, und eröffnen ein eigenes Geschäft. Nach durchschnittlich drei Jahren sind dann die Ersparnisse der Eltern aufgebraucht und das Geschäft im Konkurs. Man lebt trotzdem weiter, irgendwie.

Nasser flüstert mir zu, wenn ich will, kön­nen wir nachher auf eine Party bei Freunden gehen. Ein Risiko sei aber schon dabei. Ein­mal auf einer Party, ohne Geschlechtertrennung, mit lauter Musik und Alkohol, eher Party eben, sind die Pasderan gekommen. Es ist gefährlich, diesen Sittenwächtern bei einer Razzia ausgeliefert zu sein. Oft kommt es zu gewalttätigen Übergriffen. Nasser schaffte es gerade noch rechtzeitig abzuhauen. Aller­dings haben sie eine Kamera beschlagnahmt und über die darauf befindlichen Bilder die ganzen Gäste ausfindig gemacht. Ein Gericht verurteilte Nasser zu drei Monaten Verban­nung. Das heißt von der Polizei überwacht auf eigene Kosten drei Monate in einem Hotel­zimmer in einem mehrere hunderte Kilometer entfernten Nest zu sitzen. Damit hat er aber noch Glück gehabt.
Es ist halb zwölf, die Polizei fährt mit Blaulicht durch die Straße und fordert die Restaurants und Teehäuser auf ihre Gäste rauszuwerfen. Wir fahren zurück in die Stadt. Die Straßen sind leer. Zwei Pasderan auf Pa­trouille durchstöbern den auf die Straße ge­stellten Müll. Sie suchen nach Hinweisen auf Alkoholkonsum.

Einkaufsparadiese und staatliche Ohn­macht — Durchs wilde Kurdistan reloaded

Reza hat einen kleinen Laden. Seine Ware holt er sich nicht nur vom Großhändler, denn es gibt auch billigere Varianten. Wie viele aus Ouroumie fahren wir dafür zwei Stunden nach Piranshahr. Nach drei Verkehrskontrol­len, die seit Jahren weiter intensiviert werden, weil die Zahl der Unfälle nicht zurückgeht, landen wir bei einem Kontrollpunkt von Armee und Pasderan. Das ist nichts Unge­wöhnliches. Solche Kontrollpunkte befinden sich rund um die größeren Städte und an den Grenzen der verschiedenen Bundesländer, wo Soldaten oder Revolutionsgardisten nach Deserteuren, Alkohol oder anderem suchen. Wir werden, ohne dass auch nur ein Blick auf uns geworfen wird, durchgewunken. Nach einer weiteren Sperre erreichen wir Piranshahr, eine Stadt, die als Nest am Fuße des Hochgebir­ges wohl am besten charakterisiert ist. Kaum etwas unterscheidet sie von jeder anderen iranischen Kleinstadt, bis wir in ihr Herz vor­dringen. Diese Stadt ist ein einziger Bazar. Auf der anderen Seite des Gebirges ist der Irak. Von dort kommt alles, das nach technischem Fortschritt aussieht. Auf den Gehsteigen vor den zahlreichen Geschäften stapeln sich die Waren im Straßenverkauf. Die Händler unter­bieten die Preise ihrer Konkurrenz im Inneren des Landes bei weitem. Schließlich schneidet der iranische Staat hier nicht mit. Die Waren, vor allem elektronische, vom Mikrowellen­herd bis zur Hi-Fi-Anlage, vom Rasierapparat bis zum ferngesteuerten Auto, werden vom Irak über die Grenze geschmuggelt und in der Stadt gehehlt. An diesem etablierten Schmug­gel profitiert die kurdische Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze. Den Kürzeren zieht der Staat.

Nach einem kleinen Bummel machen wir Halt in einem Geschäft, wo wir zum Tee ein­geladen werden. Ich vergesse den üblichen Smalltalk und stelle unvermittelt die Frage, wie die Sache so läuft seit dem Krieg im Irak. Der Besitzer zögert, als Kunden das Geschäft betreten, antwortet er schließlich in rüdem Ton: „Alles ist schlechter geworden!“ Nach­dem die Kunden bedient worden sind kommt er zurück. Diesmal stellt er die Fragen. Woher wir seien. Österreich. „Hmm, kennt ihr Gassemlou?“ Den 1989 in Wien von Agenten des iranischen Regimes ermordeten Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kurdistans (Iran) kenne ich. Seine Mörder sind festgenommen worden, aber die Polizei hat sie ein paar Tage später direkt zum Flughafen eskortiert. Der österreichische Staat wollte die zwischenstaat­lichen Beziehungen nicht gefährden und sich ähnliches wie den Mykonos-Prozess ersparen. In diesem Prozess in der BRD wurde das ira­nische Regime für den Mord an Sharafkandhi, einem Nachfolger Gassemlous, der zusam­men mit anderen Parteigenossen 1992 in Ber­lin von iranischen Agenten erschossen wurde, verantwortlich gemacht.

„Ich kannte Gassemlou. Und Sharafkandhi auch!“ Das war ein politisches Outing. Mit aller Wahrscheinlichkeit war er in der DPK (I) organisiert. Nach ein paar Sätzen über die Schweinerei dieser Morde fährt er fort und erklärt, warum es schlechter geworden ist: „Das Geschäft läuft nicht mehr. Die Leute können sich nichts mehr leisten, es gibt keine Kaufkraft mehr im Land.“ Und wie ist denn die Stimmung hier in der Stadt? „Die Zei­tungen (des Regimes) haben letzte Woche ge­schrieben, dass Talabani, der Vorsitzende der Patriotischen Union Kurdistans im Irak, mit Sharon gemeinsame Sache mache um dem Islam zu schaden. Das schreiben sie nur, um die Kurden zu diskreditieren. Die Zeitungen lügen. Den Kurden im Irak geht’s jetzt besser.“ Und hier? „Während des ersten Golfkriegs ist die Stadt zweimal bombardiert worden. Zuerst von den Irakis, dann von iranischen Flugzeugen. Die Einwohner sind in die Berge geflohen. Viele sind erst vor wenigen Jahren zurückgekehrt, da war die Stadt voller Pas­deran. Das Regime hat hier alles unter Kon­trolle.“ Warum ist dann das Geschäft mit dem Schmuggel möglich? „Schau dich doch um. Es gibt hier keine anderen Einnahmequellen. Einmal hat die Polizei alles beschlagnahmt. Da sind die Leute dann auf die Strasse und die Regierungsgebäude haben gebrannt. Seitdem hat die Polizei das nie wieder versucht. Es gibt die inoffizielle Übereinkunft, dass nur das be­schlagnahmt wird, was noch nicht den Weg in die Stadt geschafft hat.“ Das dürfte bei dem Kräfteverhältnis im Gebirge nicht allzu viel sein, da sich die iranischen Soldaten aus Angst vor Attacken von Partisanen in der Nacht in die Kasernen zurückziehen. Unser Gastgeber will aber wieder zurück zum Ausgangsthema: „Den Kurden im Irak geht’s schon lange besser als uns hier. Die Mullahs sind schlimmer als Saddam Hussein.“ Auch nach dem Hinweis auf den Massenmord in Halabja und dem Einsatz von Giftgas hält er an seiner Bemer­kung fest. Ich entsinne mich der Rolle der DPK (I) im Ersten Golfkrieg, in dem sie mit Saddam Hussein kooperierten, und lasse es gut sein. „Die Mullahs haben auch sehr viele umgebracht. Wir sind hier unterdrückt. Den Kurden in der Türkei geht’s noch schlechter. Hier kann das Regime aber nicht mehr so wei­termachen. Die Kurden im Nordirak helfen uns und die haben einen noch viel stärkeren Verbündeten. Diese Drohung hält die Mul­lahs davon ab uns noch mehr anzutun.“ Der Tee ist ausgetrunken und mein Begleiter hat noch was zu besorgen.

Mahwareh

Beim Bummel durch den Basar werde ich des Öfteren von der Seite angesprochen: mahwareh, mahwareh ... Zuerst verstehe ich von dem Geflüster nur, dass mir jemand et­was anbietet, das offensichtlich illegal ist. Vom Klang her erinnert es mich an das „Brauchst du Gras?“ im Stadtpark. Da die Drogenpro­hibition im Iran um einiges repressiver ist als in Europa — Dealer werden des Öfteren öf­fentlich erhängt — und da mir das Trinken von Alkohol im Iran schon stressig genug ist, will ich damit nichts zu tun haben. Beim zweiten Versuch verstehe ich erst worum es geht: Satellitenschüsseln! Diese sind verboten. Wer an regimefremde Informationen kommen will oder sich seine Freizeit mit „unisla­mischen“ Spielfilmen, Musikvideos oder gar Erotik versüßen will ist auf so ein Ding angewiesen. Der illegale Handel von CD- ROMs mit Popmusik und Filmen bedient dieses Bedürfnis auch. Die Empfangsgeräte für ausländisches Fernsehen sind verboten, wenn auch seit den 90ern nicht mehr so hohe Strafen auf den Besitz von Satellitenschüsseln stehen. Viele Häuser haben so ein Gerät am Dach versteckt. Auf der Rückfahrt wird un­ser Auto auch zweimal durchsucht.

Berge, Schmuggel und Partisanen

Westlich von Ouroumie befindet sich ein Hochplateau. Auf diesem befinden sich einige kurdische Dörfer, die im Wesent­lichen aus Lehmhütten bestehen. Es gibt eine asphaltierte Strasse, die das Plateau durch­zieht und erst im letzten Jahr fer­tiggestellt wurde. Die ärmlichen Hütten haben zwar keine Kana­lisation, dafür aber Strom. Die Stromversorgung wurde von den Leuten selbst organisiert. Die Be­wohner sind Bauern. Einige von ihnen sind in die Stadt gezogen, verbringen den Sommer aber in den Bergen. Die Felder, überwie­gend vom Staat subventionierte Weizenfelder, müssen bewirt­schaftet werden. In Ouroumie wird über die Kurden gemun­kelt. Einige von ihnen gehören bereits zu den Wohlhabendsten der Stadt. Viele Villen haben einen Kurden als Besitzer. Mein Gastgeber, dessen Behausung ihn ärmer erscheinen lässt als er ist, erklärt mir, dass auch hier das Schmuggelgeschäft blüht. Aller­dings wird hier nicht ins Land ge­schmuggelt sondern hinaus. Über die unbefahrbaren Berge werden auf Pferden Diesel und Zucker in die Türkei gebracht, wo sie ein Vielfaches der iranischen Preise einbringen. Der iranische und der türkische Staat sehen keinen Gro­schen von dem Geld. Zoll wird darauf aber trotzdem erhoben. Die PKK oder das, was davon übrig blieb, kassiert pro Pferd eine bestimmte Summe. Überhaupt hat der Sturz Saddam Husseins und die Unterstützung der USA für die Nordirakischen Kurden hier auch wieder für neues Selbstbewusstsein gesorgt. Die PKK, die DPK (I) und Kurden­gruppen aus dem Irak und Syrien haben sich zusammengeschlossen, um den Kampf für die kurdische Sache unter dem Namen Pa­schak voranzutreiben. PartisanInnen haben sich auch schon hier im Dorf blicken lassen — seit langem wieder. „Sie tauchen von Zeit zu Zeit auf. Sie wollen Essen und nicht mehr. Das bringt uns nicht in Schwierigkeiten. Es sind so Gruppen von ungefähr zehn jungen Menschen, fast die Hälfte Frauen. Erst vor kurzem haben sie einen türkisch-iranischen Grenzposten hier in der Nähe angegriffen“, führt mein Gastgeber aus. Die Armee lässt sich auch hier nur am Tag blicken. Dass die Partisanen von den USA unterstützt werden, weiß er auch zu berichten, während seine Frau und seine Töchter uns Tee servieren. Dass die Arbeitsteilung hier, wie die ganze Gesellschaft im Iran sehr patriarchal geprägt ist und die Familie eben vor allem eine Quel­le billiger Arbeitskraft darstellt, ist nur durch die Urbanisierung etwas geschwächt worden. Seine älteste Tochter macht gerade die Tor­tur der Aufnahmeprüfung an der Universität durch, die viele ihrer Altersgenossinnen in Angstpsychosen stürzt. Wenn sie es schafft, wird sie die erste der Familie sein, die studiert. Wenn es nach ihr ginge, im Ausland.

Falling

Biotop Universität

Den Wunsch ins Ausland zu gehen hat nicht nur sie. Viele junge Menschen, StudentInnen, und bereits ausgebildete Akade­mikerInnen wollen an einer österreichischen Universität immatrikulieren. Ihr Ziel ist aber nicht Europa. Sie wollen ihr Glück in der neuen Welt suchen, wobei Kanada sich gro­ßer Beliebtheit erfreut. Viele haben schon Angehörige dort, brauchen aber eine Ausrei­segenehmigung. Da das Regime verhindern will, dass sich die Jugend absetzt, werden diese aber nur unter strengen Auflagen er­teilt. Das Studieren an einer ausländischen Universität ist vor allem für Männer im wehr­pflichtigen Alter die einzig legale Möglichkeit, das Land zu verlassen.

Rund um die Unis ist es seit Juni letzten Jahres aber ruhig geworden. Man arrangiert sich lieber, als in einem iranischen Folter­gefängnis zu landen wie schon so mancher Kommilitone. Vor der Universität Teheran gibt es einige Ansammlungen von Menschen. Der Gehsteig ist mit Flugblättem übersät. Da noch Ferien sind, weckt es meine Neugier. Ich hol’ mir einen Flugzettel, der allerdings für eine Privatuniversität wirbt. Die bildungspo­litischen Trends in Europa haben auch hier schon längst eingesetzt. Letztes Jahr wurden Studiengebühren eingeführt. Die Leute vor der Uni sind da um sich einzuschreiben.

Die Situation der Studierenden ist auch Thema des staatlichen Fernsehens, das ich mir ansehen muss, weil die Mullahs mittels Störsendern den Empfang ausländischer Kanäle stören. „Schon seit einem Monat“, sagt mir mein Gastgeber. Die Ka­näle iranischer Exilanten kommen trotzdem an. Der zweite öffentliche Kanal überträgt live einen Studie­rendenkongress mit dem Revoluti­onsführer Khameini. Lange dauert es nicht bis die Tausenden, die sich in einer Halle rund um das religi­öse Oberhaupt der islamischen Re­publik drängen, in Lobgebete auf den „größten Imam seit Khomeini“ ausbrechen. Soviel Zustimmung für jemanden, der ihre Kommilito­nInnen umbringen und einsperren lässt, führt zu dem Schluss, dass di­ese Studis aus dem ganzen Land für diese Veranstaltung erst mühsam zusammengesucht werden muss­ten. Doch ganz kritiklos läuft diese Inszenierung des großen Führers, der dieses Spektakel als Dialog ver­standen haben will, nicht ab: Die Redner, in einer staatlichen Studentenorganisation as­soziiert, stellen ihre Forderungen an die Re­gierung. Das klingt ungefähr so: „Die Stu­denten studieren fleißig aber finden nach dem Studium keine Arbeit. Ich komme nicht daran herum, diesen Missstand aufzu­zeigen!“ Kämpferisch fährt der Redner fort: „Deshalb fordern wir Sie auf, endlich die Zahl der Studierenden einzudämmen, damit wir auch Arbeit finden ...“ „Klick“. Rechtzeitig finde ich den roten Knopf der Fernbedienung. So viel Dummheit an einem Tag ist genug.

Taxi, Taxi ...

Auf Grund des mangelnden öffentlichen Verkehrssystems in Teheran, wo nur ein paar Bus- und zwei U-Bahnlinien für zehn Millionen Einwohner in Betrieb sind, ist Taxifahren noch immer die am weitesten verbreitete und eine ziemlich billige Fortbewegungsmethode. Im Taxi passiert man die zahlreichen Wandbemalungen mit Solidari­tätsadressen an das palästinensische Volk im Namen der islamischen Umma und Propa­ganda gegen die USA. „Die Mullahs rühmen sich damit, die Hiszb-Allah, die Hamas und die Djihad-Gruppen im Irak großzügig zu unterstützen. Dabei würde das eigene Land das Geld am dringendsten benötigen“, erzählt der Taxifahrer. „Ich fahre zwölf Stunden am Tag und kann mir dann nicht mal einen Kilo Obst leisten. Dir geht’s sicher besser.“ Da hat er Recht. Steigt man in ein Taxi, ist oft das erste, was man zu hören bekommt eine Schimpfti­rade auf die regierende Elite des Landes. Immer verbunden mit ein paar Witzchen, die auch PassantInnen mitgeteilt werden. Als ich schließlich mal in ein Taxi steige, das mit Fotos von Khomeini und Khamenei geschmückt ist, glaube ich schon daran im falschen Taxi ge­landet zu sein. Als der Fahrer aber Musik auf­dreht kann ich mir die Frage nicht verkneifen ob er die Bilder denn so schön finde. Er lacht, „Schön sind sie nicht, aber praktisch! Bei Kon­trollen der Pasderan werd ich immer durch­gewunken.“ „Auch eine Möglichkeit sich mit den Verhältnissen zu arrangieren“, denke ich während er die Musik lauter stellt. Unter den Taxifahrern befinden sich auch viele Lehrer und Universitätsprofessoren, die sich ihr ma­geres Gehalt aufbessern. Ihre Zahl geht aber ständig zurück seit die Taxilizenzen rigoros von der Polizei kontrolliert werden.

Aber auch Geschichten, die davon berich­ten, dass junge Frauen in Taxis entführt wer­den, um nach Dubai gebracht zu werden, wo sie als Prostituierte landen, häufen sich. Der Markt im Iran selbst dürfte gesättigt sein. In bestimmten Straßen, vor allem aber auch vor Hotels halten sich viele junge Frauen auf, um mit ihrem Körper Geld zu verdie­nen. Für viele, die vom Land kommen, ist es eine Art Befreiung von den dortigen Verhält­nissen. Die Prostitution ist soweit verbreitet, dass sogar der Wächterrat vor zwei Jahren einem Gesetz zustimmte, das so genannte Frauenhäuser etablierte. Staatlich verwaltete Bordelle nennen das die Leute im Iran, die aussprechen, was die Regierung nicht aus­sprechen will. Immerhin sind die Mullahs nicht nur Sittenwächter sondern auch Staats­männer.

Schickimicki und La dolce vita

Ich treffe mich mit einer Freundin, um dem einzigen westlichen Vergnügen zu frönen, das erlaubt, aber nicht jedem möglich ist: Shopping. In den meisten Städten und vor allem in Nordteheran gibt es dafür Parallel­welten, riesige Einkaufszentren mit nahezu europäischen Preisen. Sie sind überlaufen mit modisch gekleideten Jugendlichen, die hier abhängen um zu sehen und gesehen zu wer­den. Was im Moment gerade „in“ ist, lässt sich dort erfahren. Die Zeiten von in die Hosen gesteckten Hemden und 80er Jahre Heavy Metal Musik sind vorbei. Auch auf den Straßen lässt sich eine Differenzierung der Jugendkultur entdecken. Im sehr wohlhabenden Nordtehe­ran präsentiert Mann sich inzwischen mit lan­gen Haaren und Schönheitsoperation. Frau hat diese Phase schon hinter sich und versucht die islamische Kleiderordnung so zu interpre­tieren, dass das Gesamtbild das Prädikat sexy verdient. Trotz des beabsichtigten westlichen Erscheinungsbildes der Konsumtempel sind große Preisnachlässe keine Seltenheit, vor allem weil meine Begleiterin sehr charmant handelt. Wir entschließen uns trotzdem noch eine Preisklasse tiefer zu gehen und landen in einem mehr oder weniger traditionellen Basar. Als wir so durch die Läden mit spottbilligen, plagiierten Markenklamotten schlendern, hält Mariam plötzlich inne. „Gehen wir in die andere Richtung“, drängt sie mich auf eine Gruppe Pasderan deutend. „Hast du Angst?“ frage ich. „Nein, Angst ist es nicht, ich will nur kein unnötiges Risiko eingehen.“ Im darauf folgenden Gespräch erzählt sie mir, dass sie schon fünf, sechs Mal von den Sittenwächtem, die in letzter Zeit wieder verstärkt aktiv sind, mitgenommen wurde. Sie behalten die Mitgenommenen, die vorwiegend Frauen sind, eine Nacht lang im Gefängnis. Dort werden sie beschimpft und misshandelt, manchmal auch vergewaltigt. Am Tag danach gibt es ein Ge­richtsverfahren, in dem die „Übeltäterinnen“ zu Geldstrafen verurteilt werden. Jedes Ver­gehen kostet ungefähr 100 Euro. Als einzelnes Vergehen gilt etwa ein zu enger Mantel, Lip­penstift oder Haare, die unter dem Kopftuch hervorblitzen. Die durchschnittliche Aufma­chung in Teheran kommt also auf mehrere 100 Euro Strafe. Kann nicht bezahlt werden, wird daraus eine körperliche Strafe, wobei Auspeitschen Standard ist. Umso erstaunter bin ich, dass die meisten Frauen trotzdem so herumlaufen. „Jeder muss seine eigene Gren­ze kennen. Die meisten haben es einfach satt und lassen sich von den Strafen nicht mehr abschrecken.“ Irgendwie verständlich, ist man doch nirgendwo vor den rabiaten Tugendwächtem sicher. Nicht mal im eigenen Haus. Mariam weiß auch davon zu berich­ten: „Einmal haben sie in unserem Haus eine Razzia gemacht. Eine Nachbarin konnte mich noch warnen. Ich schaffte es noch rechtzeitig den Alkohol und die Musik CDs zu verstecken. Die Sat-Anlage haben die Pasderan gefunden.“ Die Frauen des Mehrparteien­hauses wurden mitgenommen. Wir wurden vor Gericht gezerrt: „Dort wurden wir als Huren beschimpft. Es war schrecklich. Erst nachdem mein Mann, der zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause war, die Strafen bezahlt hat, bin ich frei gekommen.“ Solche Razzien sind oft von der Brutalität der wahnhaften Neu­rotiker im Dienste von Tugend und Moral gekennzeichnet. „Im Nachbarhaus haben sie eine Party gestürmt und einen 21jährigen aus dem vierten Stock geworfen. Er starb.“ Partys sprengen ist einer der beliebtesten Aktivitäten, da sie sehr einträglich sind. Die Gäste müssen schließlich freigekauft werden, um ihnen das Auspeitschen zu ersparen. Mariam erzählt noch von einer Hochzeitsfeier mit Hunderten Gästen, die sie besuchte und die ebenfalls von den Sittenwächtem heimgesucht wurde. „Die Küche, in der sich ein paar Jugendliche ver­steckten, war nach diesem Besuch voller Blut. Der Gastgeber hat schließlich umgerechnet 50.000 Euro hingeblättert, um seinen Gästen Schlimmeres zu ersparen. Der Musiker wur­de aber wegen seines besonders schlimmen Vergehens trotzdem noch ausgepeitscht.“ Um die Feiernden einer normalen Wohnungspar­ty vor dem Auspeitschen zu retten, braucht man ungefähr tausend Euro. Die Pasderan erfahren von den Partys meistens über Nachbarn. Das Klima, das durch die Denunziation geschaffen wird, ist noch schlimmer als die Repressionsapparate, die ohne diese nicht mal halb so effektiv sein könnten. Da aber auch im Iran das Geld die Welt regiert, kann — gewisse Verbindungen vorausgesetzt — die Strafe auch schon im Vorhinein, als Schmiergeld, bezahlt werden, was ein sorgenfreies Feiern sicher­stellt. Davon Gebrauch machen können vor allem jene Milieus, die es mit Hilfe der lokalen Regimes zu Reichtum brachten. Grundstück­senteignungen und die dazugehörigen Ent­schädigungen sind ein gebräuchlicher Weg dorthin.

Das Leben im Iran ist triste, die Hoffnung auf eine baldige Veränderung zum Besseren erstickt. Dass die Mullahs, nach den Ereignis­sen in den letzten Jahren, noch immer fest im Sattel sitzen, ohne wesentliche Zugeständnisse gemacht zu haben, führt zur Resignation. Die Menschen arrangieren sich mit der inzwischen schon 25 Jahre alten islamischen Revolution, so gut es geht.

Doch unter der Oberfläche brodelt es. Der Ausbruch jedoch wurde verschoben auf irgendwie, irgendwann, irgendwo ...

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