ZOOM 4+5/1996
Oktober
1996

Neonazistische Gründerjahre

„Jugendbünde“ und „europäische Ordnungsbewegungen“ spielten eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau der faschistischen Internationale. Führende Proponenten standen in engem Kontakt mit westlichen Geheimdiensten – auch in Österreich.

Der Zweite Weltkrieg war kaum vorbei, als NationalsozialistInnen begannen, sich neuerlich zu sammeln. Vom einfachen Wehrmachtssoldaten bis zum Offizier der SS oder Waffen-SS, vom kleinen NSDAP-Mitglied bis zum Gauleiter, vom Scharführer der Hitlerjugend bis zum hochrangigen Mitglied der Nazispionage: Alle waren sie vertreten, als es darum ging, den Untergang des Tausendjährigen Reiches in einen neuen Kampfauftrag zu verwandeln. Der Schoß war fruchtbar noch, und alles, was kriechen konnte, kroch.

Ebenso umgehend schritt man zur Reaktivierung der internationalen Kontakte zu italienischen Schwarzhemden, französischen Petainisten, belgischen Rexisten, ungarischen Pfeilkreuzern, kroatischen Ustaschi, britischen Mosley-Anhängern. Der Wiederaufbau rechtsextremer Strukturen war von Anbeginn an ein grenzüberschreitendes Unternehmen.

Als wichtige Markierung dieser internationalen „Aufbauarbeit“ gilt ein Faschistentreffen Anfang der fünfziger Jahre im schwedischen Malmö. Auf dem sogenannten „Europa-Kongreß“ etablierte sich die „Europäische Soziale Bewegung“ (ESB) als erstes länderübergreifendes Bündnis der sich neu formierenden faschistischen Internationale. Ein zweiter bedeutender Schritt war einige Jahre darauf der Zusammenschluß rechtsextremer Jugendverbände. Der schon damals zu beobachtende ständige Wandel an Akteuren und Organisationen – nicht zuletzt eine Folge der ständigen Kriminalisierungsdrohung durch das Verbotsgesetz –, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die vor vierzig Jahren ausgeworfenen Netze jene Struktur bilden, in denen Nazis bis zum heutigen Tag operieren.

Am Aufbau der österreichischen Ableger der beiden erwähnten Bewegungen waren maßgeblich zwei Rechtsextreme beteiligt, die beide bereits Ende der vierziger Jahre wegen Wiederbetätigung verhaftet worden waren: Theodor Soucek (geb. 1919) und Alfred Borth (1928–94). Bei beiden gibt es Indizien, daß sie intensive Kontakte zu westlichen Geheimdiensten unterhielten. Im folgenden soll zunächst der Aufbau der österreichischen Organisationen, die Teil dieser faschistischen Internationale waren, geschildert werden, um dann auf die Geheimdienstkontakte von Soucek und Borth näher einzugehen.

Von der „Heimattreuen Kameradschaft“ zur „Heimattreuen Jugend“

Fred Borth (l.), Konrad Windisch (m.) und Nazi-Fliegeroberst Hans Ulrich Rudel (r.) auf einem BHJ-Treffen 1958

Der „Bund Heimattreuer Jugend“ (BHJ) wurde 1951 gegründet. Er blieb zunächst auf die Steiermark beschränkt, wo er bereits 1953 verboten und in „Steirischer Jugendbund“ (SJB) umbenannt wurde. Doch bereits die Gründung des BHJ selbst war vermutlich eine Reaktion auf das Verbot eines Vereins ähnlichen Namens, des „Bundesverbands Heimattreuer Kameradschaft“ (BHK). Dieser war erst im selben Jahr aus einer 1950 „zur Unterstützung der Kriegsversehrten“ ins Leben gerufenen „Kameradschaft“ hervorgegangen. Dessen Vereinsorgan, der „Kamerad“, ging auf eine Initiative des Nazidichters Fritz Stüber zurück, einem der Überväter der Naziszene. Stüber saß damals für den „Verband der Unabhängigen“ (VdU) im Nationalrat, aus dem er 1953 wegen Rechtsabweichung (sic!) ausgeschlossen wurde. [1] In jener Aufbruchszeit war auch Fred Borth, einer der beiden „Kamerad“-Redaktionsleiter und gleichzeitig Bundesgeschäftsführer des BHK, für kurze Zeit Mitglied im VdU.

Der BHJ verfügte bald über Zweigstellen in jedem Bundesland und eine Bundesführung in Wien. In seiner Anfangsphase war er praktisch die Parteijugend des VdU. Der BHJ-Tirol blieb bis zu seiner Umbenennung in „Bund Volkstreuer Jugend“ offizielle Jugendorganisation zunächst des VdU, später dann der FPÖ. Wenig erstaunlich war Borth auch beim BHJ Geschäftsführer, Chef der Truppe wurde aber der 1932 geborene Konrad Windisch.

Der BHJ war die erste relevante Naziorganisation nach 1945. Wenngleich die von Windisch genannte Zahl von 500 AktivistInnen wohl eher dem Hang zur eigenen Legendenbildung entspringen dürfte, begannen doch die Karrieren führender Rechtsextremisten der Nachkriegszeit im BHJ: Der Kirchweger-Mörder Kümel [2] versammelte sich ebenso „für Heimat und Volk“ unter der Odalsrune – dem BHJ-Abzeichen mit der Inschrift „Blut und Ehre“ – wie Helmut Golowitsch [3] und andere „junge Kämpfer“, aus denen NPD-Gründer Norbert Burger später seine Südtiroltruppe zusammenstellte. Ein BHJ-Mitglied, Harald Ofner, brachte es sogar bis zum Justizminister. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Intensive Kontakte bestanden darüber hinaus zum „Ring Freiheitlicher Studenten“ (RFS).

Fred Borth (r.) als HJ-Junge mit Mutter und Bruder

Der Zusammenschluß zum „Kameradschaftsring“

Der BHJ war auch die erste rechtsextreme Organisation, die intensive Kontakte ins „Altreich“ aufbaute. Auf einer Tagung europäischer Rechtsextremisten in der BRD riefen Mitglieder des österreichischen BHJ, der westdeutschen „Wiking Jugend“ (WJ) und des „Jugendbunds Adler“ (JBA) den „Kameradschaftring nationaler Jugendverbände“ (KNJ) ins Leben.

Auf Betreiben des BHJ schlossen sich 1956 auch die rechtsextremen Jugendorganisationen Österreichs zu einer „Arbeitsgemeinschaft Nationaler Jugendbünde“ (ANJÖ) zusammen, die wie der BHJ von Windisch geleitet wurde. 1957 veranstaltete die ANJÖ ein Pfingstlager in Bad Aussee – dort, wo auch Wilhelm Höttl und andere Nazis aus dem sogenannten „Gmundener Kreis“ ihr Quartier aufgeschlagen hatten. Bald schon nahmen BHJ-Kader an Treffen in ganz Europa teil, zum Beispiel 1959 am „I. Kongreß der nationalen Jugend Europas gegen Bolschewismus und Amerikanismus“, organisiert vom eingangs erwähnten Theodor Soucek. Im selben Jahr wurde Windisch schließlich die Führung des gesamten „Kameradschaftsrings“ übertragen, dem mittlerweile 18 Jugendverbände mit mehreren tausend Mitgliedern angehörten. Als es im KNJ zum Krach kam, spalteten sich Teile ab und gründeten im Mai 1960 mit Mitgliedern des „Bundes Nationaler Jugend“ (BNJ) den „Bund Vaterländischer Jugend“ (BVJ). Bundesgeschäftsführer dieser zur damaligen Zeit militantesten neonazistischen Jugendorganisation der BRD mit mehreren hundert Mitgliedern wurde der kurz zuvor aus der DDR geflüchtete Heinz Lembke. Zwanzig Jahre später geriet Lembke durch das von ihm angelegte mutmaßliche Gladio-Waffenlager in die Schlagzeilen .

Verbot und Wiedererrichtung

Zur Jahreswende 1960 inszenierten deutsche und österreichische Neonazis die erste konzertierte grenzüberschreitende Aktion: Friedhöfe wurden geschändet, Synagogen und Hauswände mit neonazistischen Parolen beschmiert. Daraufhin machten die österreichischen Behörden mit ihren 1958 begonnenen Versuchen, BHJ und ANJÖ zu verbieten, ernst. Zahlreiche Aktivisten, unter ihnen Borth und Windisch, wurden verhaftet. Windisch im Dezember 1960 zu neun Monaten Haft verurteilt. [4] Doch die Kameraden machten in zahlreichen BHJ-Ausweichgründen weiter.

Als eigentliche Nachfolgeorganisation des BHJ muß wohl die 1963 von Windisch gegründete „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“ (AFP) bezeichnet werden, die noch heute zu einer der aktivsten Organisationen der Szene zählt. Seit nunmehr mehr als dreißig Jahren ist Windisch Schriftleiter der von der AFP herausgegebenen „Kommentare zum Zeitgeschehen“. Diese tragen den Schriftzug: „Keine Lektüre für Bonzen und Parasiten“. Das Motto des seinerzeit von Windisch geleiteten „Trommler – Kampfschrift der Nationalen Jugend in Österreich“ lautete: „Keine Lektüre für Spießer und Leisetreter“.

Die Geldgeber im Hintergrund

Zur Finanzierung seiner Aktivitäten bediente sich der BHJ des „Freundeskreises der heimattreuen Jugend Österreichs“. In diesem saßen vorwiegend ältere Herren, die über gute Verbindungen verfügten: zum Beispiel der Grazer Rechtsanwalt Albrecht Graf Alberti, der 1960 bereits mehr als 70 Lenze zählte. In seiner Kanzlei unterrichtete der Bundesobmann des „Freundeskreises“ aufstrebende Rechtsextremisten in Nazismus und Antisemitismus. Als Geldbotin des „Freundeskreis Steiermark“ fungierte Lisbeth Grolitsch – eine Rolle, die sie als Präsidentin des „Deutschen Kulturwerks europäischen Geistes“ in Österreich bis zum heutigen Tag einnimmt. Doch auch bei offiziellen Stellen war der BHJ wohlgelitten. Die Kärntner Landesregierung subventionierte noch kurz vor dessen Auflösung den BHJ-Kärnten, der steirische Landeshauptmann Josef Krainer sen. stellte sich bei der Eröffnung eines Sportplatzes des „Jugendbunds“ mit einem Glückwunschtelegramm ein.

National, soldatisch, europäisch

Der BHJ verfügte über eine Vielzahl an Publikationen. Die wichtigsten waren: „Der Trommler“ (Windisch), „Der Angriff – Kampfschrift des BHJ – Für Wehrwillen und Wehrbereitschaft – National und Soldatisch“ (Borth) und der „Nationale Pressedienst der Jugend“ (Alfred Honkisz). Diese Gazetten standen in regem Austausch mit anderen Organen der Naziszene, insbesondere der „Wegwarte – Kampfblatt für Volkstum und Heimat“. Bei dieser auflagenstärksten Nazipostille arbeiteten unter anderem Borth, Windisch, der ehemalige SS-ler Wilhem Landig und der spätere Südtirolterrorist und mutmaßliche Agent des deutschen Bundesnachrichtendienstes, Hermann Munk, mit.

Beziehungen bestanden auch zu Blättern, die ein „vereintes Europa“ propagierten, worunter nichts anderes als die Wiedererichtung Großdeutschlands zu verstehen ist: der „Nation Europa“ – bis heute das wichtigste deutschsprachige Organ europaweit organisierter Faschisten, Landigs „Europa-Korrespondenz“ und der „Europaruf“ des BHJ-Aktivisten Soucek. Dort hetzten die Nazis gegen die von den USA dominierte NATO, „deren Opfer Deutschland ist“. Stattdessen propagierte etwa Soucek eine Ausdehnung der „bewaffneten Neutralität“ auf ganz Europa. Auf der anderen Seite wurden jene europäischen Institutionen, die eine Vorherrschaft Deutschlands versprachen, hofiert: „Ich sage es steif und fest: die EWG wird unfehlbar siegen. (...) Das Endziel liegt klar: ein deutschkommandiertes, unter Prof. Hallstein straff organisiertes und zentral dirigiertes Wirtschaftskonsortium der OEEC-Länder (...) könnte dann endlich das Fundament für eine politische Integration bieten.“ [5]

Die in diesen Blättern propagierte Idee einer „europäischen Neuordnung“, die gegen die „raumfremden“ Mächte der USA und der UdSSR durchgesetzt werden sollte, verstand sich in der Tradition der „multinationalen“ SS als „Vorkämpfer für ein vereintes Europa“.
(Jörg Haider)

„Europäische Soziale Bewegung“: erste faschistische Internationale

Die Zeitschrift „Nation Europa“ bezog ihren Namen von einer 1949 gegründeten gleichnamigen Organisation, aus der im Jahr darauf die „Europäische Soziale Bewegung“ (ESB) hervorging. Federführend bei der Gründung waren italienische Neofaschisten vom radikalen Flügel des MSI. Auf dem eingangs erwähnten „Europa-Kongreß“ 1951 in Malmö wurde ein Führungsstab gewählt, an dessen Spitze der schwedische Faschist Per Engdahl und der als Kollaborateur des Vichy-Regimes verurteilte Franzose Maurice Bardeche standen. An einer Folgekonferenz in Zürich nahm auch der britische Faschistenführer Mosley teil.

Die ESB war die erste Organisation nach Kriegsende, in der sich Paläo- und Neonazis aus ganz Europa unter einem Dach zusammenfanden. Engdahl warb als Reisender in Sachen Faschismus Mitglieder in ganz Europa. In Österreich kontaktierte er insbesondere die sich als „Hungaristen“ tarnenden ehemaligen ungarischen Pfeilkreuzer. [6] Die Bewegung hatte Zweigstellen in Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Belgien, Österreich, der Schweiz, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, und Holland.

Die eigentlichen Führer sollen aber im argentinischen und spanischen Exil gesessen sein: der „legendäre“ Fliegeroberst Hans-Ulrich Rudel, Mitglied des bundesdeutschen „Bunds Heimattreuer Jugend“, der belgische Faschistenführer Leon Degrelle und vor allem der 1975 gestorbene Österreicher Otto Skorzeny, der schon während des Novemberpogroms 1938 die Zerstörung von fünf Wiener Synagogen befehligt hatte. Später stieg Skorzeny zum SS-Standartenführer und einem der führenden Geheimdienstmänner der Nazis auf. 1943 machte er als „Befreier“ Mussolinis auf sich aufmerksam. In den sechziger Jahren schließlich half er den „Spanischen Kreis der Freunde Europas“ (CEDADE) aufzubauen, bei dem heute Gerd Honsik untergekrochen ist. Sein Geld verdiente Skorzeny nach Kriegsende als Generalvertreter der VOEST für Spanien und Lateinamerika – ähnlich wie der nach Argentinien geflüchtete „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie, der lateinamerikanischen Diktatoren Panzer aus der Waffenschmiede Steyr-Daimler-Puch vermittelte.

Als österreichische Zentren des europäischen Nazinetzwerks fungierte einerseits die „Österreichische Soziale Bewegung“ (ÖSB), andererseits die 1957 von Theodor Soucek gegründete „Sozialistische Ordnungsbewegung Europas“ (SORBE). Die Initiative zur Gründung des ÖSB soll 1952 von einem ehemaligen Offizier der Waffen-SS namens Obermair ausgegangen sein. An ihrer Spitze standen „Wegwarte“-Herausgeber Hans Wagner und Wilhem Landig, der darüber hinaus die von Fritz Stüber ins Leben gerufene „Demokratische Nationale Arbeiterpartei“ (DNAP) und die europäische Abteilung der „World Anti-Communist League“ anführte.

Generalsekretär der SORBE war kein geringerer als der in Belgien wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilte Stellvertreter des Faschistenführers Degrelle, Robert Jan Verbelen. Der 1990 verstorbene Verbelen arbeitete für den amerikanischen Geheimdienst CIC ebenso wie für die österreichische Staatspolizei. Er war Präsidiumsmitglied des „Deutschen Kulturwerks europäischen Geistes“ und unterhielt enge Kontakte zur AFP, NPD, FPÖ und Gerd Honsik. Sein Geld verdiente er mit Romanen, die im Geheimdienstmilieu spielen, daneben schrieb er auch für die „Aula“ und die „Kärntner Nachrichten“. Verantwortlicher Redakteur des SORBE-Vereinsorgans „Europaruf“ war der bereits erwähnte Hermann Munk. Auch die SORBE beglückte Landeshauptmann Krainer anläßlich einer „Europa-Akademie“ mit einem Glückwunschtelegramm. In einem Bericht der Zeitung „Abend“ aus dem Jahr 1954 über die „Europäische Soziale Bewegung“ wird „die wachsende Frechheit der österreichischen Militaristen und Neofaschisten, die nunmehr in der ÖVP ihr schützendes Dach gefunden haben“, mit neuen „Tatsachen“ erklärt, die „zeigen, daß von den USA versucht wird, in Westeuropa die unterirdischen neofaschistischen Strömungen zu stärken“.

Inserat für Borth-Buch „Aus der Heimat vertrieben — Die Ge­schichte der Sudetendeutschen“
im „Niederösterreichischen Rundblick“ 9/95. Im Vorwort schreibt der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP): „Im Sinne eines geeinten Europa und einer Neuordnung der Beziehungen sollen auch die Vertriebenenfrage und andere historische Altlasten eine Rolle spielen.“ (zitiert nach „Rundblick“)

Die Soucek-Rössner-Verschwörung

Immer wieder wurden in den Jahren nach Kriegsende Nazigruppen ausgehoben, zumeist von der – in Wien sowjetisch dominierten – Staatspolizei. Wiederbetätigungsprozesse standen an der Tagesordnung. So wurde beispielsweise der stümperhafe Plan, das Siegerdenkmal der Roten Armee am Wiener Schwarzenbergplatz zu sprengen, mit fünf Jahren schweren Kerker geahndet. Ein „Volkstreuer Kampfbund“ (VtKb) unter Führung eines späteren FPÖ-Bezirksfunktionärs soll in den Donauauen Partisanen ausgebildet haben, ein „nationaler Geheimbund“, dem unter anderem ein Zugsführer der Infanteriekampfschule Groß-Enzersdorf angehörte, traf sich zu Schießübungen und der Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“.

Ende 1947 deckte die Staatspolizei eine großangelegte konspirative Aktion ehemaliger NationalsozialistInnen aller Schichten auf, die unter dem Namen „Soucek-Rössner-Verschwörung“ bekannt wurde. Die Sicherheitsbehörden waren offensichtlich von Anbeginn an über die Verschwörung informiert. Ein Bericht des Innenministeriums schilderte die Anfänge: [7] „Im Spätherbst 1946 wurde auf einer in den oberösterreichischen Bergen gelegene Schutzhütte im kleinen Kreis die Gründung eines ‚Ordens‘ besprochen, der den Zweck haben sollte, die nationalsozialistische Geisteshaltung nicht verkümmern zu lassen, sondern ihr neue Impulse zu geben.“ Ein weiteres Treffen fand im Juni 1947 ebenfalls in der amerikanischen Besatzungszone in Salzburg statt.

Der „Orden“ sollte „lediglich im Rahmen einer Führungsschicht ausgebaut werden“. Trotzdem existierte eine eigenes Parteiprogramm, entworfen vom ehemaligen SS-Brigadeführer Walter Raffelsberger, der die sogenannte Vermögensverkehrsstelle geleitet hatte, die für die Verwaltung des beschlagnahmten jüdischen Eigentums in Österreich zuständig war. In seiner „Erklärung zum politischen Standpunkt der Nationalsozialisten in Österreich“ hielt Raffelsberger fest: „Wir Nationalsozialisten stehen heute auf dem Boden der Demokratie, verzichten jedoch nicht auf das Führerprinzip (...) Die politische Zielsetzung (...) ist nicht mehr die Machtergreifung im Staate, sondern die Erhaltung der Substanz unseres Volkes, die Schaffung von politischen Verhältnissen und Möglichkeiten, die einen weiteren Abbruch an der Substanz unseres Volkes verhindert. Um dieses Zieles willen muß daher die Rehabilitierung von uns Nationalsozialisten gefordert werden.“

Die Verschwörere richteten eine Zentralstelle für die Beschaffung gefälschter Personaldokumente wie Entlassungsscheine, Identitätskarten und Beschäftigungsausweise ein. Verfolgten Nationalsozialisten sollte eine neue Identität oder die Flucht aus den Internierungslagern ermöglicht werden. Gleichzeitig wurde eine Namensliste von AntifaschistInnen angelegt. Das Innenministerium sprach sogar von „Plänen über die Beseitigung von zwei dieser nationalsozialistischen Gruppe nicht genehmen Personen“. Finanziert wurde das Unternehmen durch ausgiebige Schleichhandelsgeschäfte.

Über hundert Verschwörer wurden verhaftet, unter ihnen Erich Slupetzky, in den siebziger Jahren Bundesobmann des „Österreichischen Turnerbunds“ (ÖTB), und Friedrich Nowak, Schriftleiter der „Bundesturnzeitung“. Die drei Hauptangeklagten Soucek, Hugo Rössner und Amon Goeth wurden 1949 zum Tode verurteilt, aber bereits kurz darauf von Bundespräsident Körner begnadigt. Drei Jahre später war Soucek wieder frei und konnte seine Aktivitäten beim BHJ und der SORBE ungehindert weiterführen. 1959 wurde der Kaufmann, der in seiner Grazer Eisenwarenhandlung Neonazis wie Konrad Windisch Unterschlupf bot, sogar zum Obmann des „Steiermärkischen Gewerbebundes“ gewählt. Mehrere Millionen Schilling Schulden ließen ihn schließlich die Flucht ins Ausland antreten.

Partisaneneinheiten und Waffenlager

Die Kontakte der Verschwörer zur Regierung und den Besatzungsmächten wurden nie geklärt. Tatsache ist aber, daß sowohl Soucek als auch Rössner im Verfahren zu Protokoll gaben, sie hätten mit Wissen westlicher Besatzungsdienststellen „Partisaneneinheiten“ für den Fall einer sowjetischen Invasion aufbauen wollen. Es gab auch Berichte über Funkgeräte und geheime Waffenlager, die die Nazis in der Steiermark (britische Besatzungszone) und in Oberösterreich (amerikanische Besatzungszone) angelegt hätten.

Tatsache ist jedenfalls, daß später der CIC-Agent Verbelen als Geschäftsführer für Souceks SORBE werkte und Soucek an führender Position bei der „Heimattreuen Jugend“ aktiv war, deren Geschäftsführer Borth ebenfalls Geheimdienstkontakte unterhielt.

Unter den verhafteten Verschwörer befanden sich zwei weitere bemerkenswerte Persönlichkeiten, der spätere sozialistische Innen- und Verteidigungsminister Otto Rösch und Borodajkewycz-Anwalt Ernst (Graf) Strachwitz. Rösch, bei dem gefälschte Stampiglien und Blankoformulare gefunden wurden, war bei einer alliierten Dienststelle beschäftigt und Referatsleiter der „Heimkehrer Hilfs- und Betreuungsstelle“ (HHB) in Graz. Diese organisierte ebenfalls illegale Fluchthilfe aus den alliierten Anhaltelagern. Das Strafverfahren gegen Rösch wurde eingestellt.

Strachwitz gehörte zur „gehobenen“ Ebene der Rechtsextremen, die den Brückenkopf zum national-konservativen Lager der ÖVP und dessen rechtsextremen Organisationen bildete: dem „Allgemeinen Deutschen Kulturverband“, dem „Neuen Klub“ und der von Strachwitz herausgegebenen Zeitschrift „Neue Ordnung“.

Wichtigster Vertreter dieses Lagers war der dem „Kulturverband“ vorstehende Professor an der Universität für Welthandel, Taras von Borodajkewycz, dessen Ideologie sich heute in den Bekennerbriefen der „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ wiederfindet. Strachwitz führte gemeinsam mit dem späteren „freiheitlichen“ Präsidentschaftskandidaten Wilhelm Gredler die „Aktion zur politischen Erneuerung“ an, die aus der 1949 gegründeten und zum rechten Flügel der ÖVP zählenden „Jungen Front“ (JF) hervorgegangen war. Die „Aktion“, der ebenso wie der JF ehemalige Offiziere der Waffen-SS und HJ-Führer angehörten, bildete ein „Kampfbündnis“ mit dem VdU.

In einer Parlamentsrede über die Neonaziverschwörung im Jänner 1948 bezeichnete es der damalige sozialistische Innenminister Oskar Helmer als schweren Fehler, daß die Alliierten in Glasenbach und anderen Internierungslagern den „bäuerlichen Ortsgruppenleiter, der diese Funktion nur übernahm, um dem Kriegsdienst für Hitler zu entrinnen“, mit dem „immer noch verbissenen SS-Führer“ zusammengesperrt hätten: ’„In der Art des unterschiedslosen Zusammensperrens an Stelle einer Trennung nach dem Grade der Verantwortlichkeit (...) sind die Anfänge von Verbindungen zu suchen, die zu einer neuerlichen Betätigung im Sinne nationalsozialistischer Zersetzung führten.“’

Fred Borth: Vom Hitlerjungen zum Werwolf

Als Fred Borth vor zwei Jahren 66jährig starb, war er Chefredakteur der Lokalzeitung „Niederösterreichischer Rundblick“, zuvor hatte er bei der Tageszeitung „Express“ gearbeitet. Bei einem Vortrag bei der „Europaburschenschaft Nibelungia“ zum Thema „Geheimdienste – Legenden und Fakten“ im März 1992 konnte der Bundesbruder „Witiko“ auf eine bewegte Vergangenheit als Rechtsextremist zurückblicken.

In seinen 1988 im Amalthea-Verlag erschienen Erinnerungen „Nicht zu jung zu sterben“ behauptet Borth, in der Nachkriegsgefangenschaft einen Anwerbungsversuch des CIC abgelehnt zu haben. [8] Tatsächlich saß er bereits kurz nach Kriegsende zum ersten Mal in Untersuchungshaft. Im September 1945 hatte die Staatspolizei eine Werwolfgruppe ehemaliger Unterführer der „Hitlerjugend“ (HJ) ausgehoben, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, den „Führerbefehl“ an die HJ, nach der Niederlage im Untergrund weiterzukämpfen, in die Tat umzusetzen. Die ursprünglich verhängten geringen Arreststrafen wurden wieder aufgehoben und schließlich 1948 in Freisprüche umgewandelt.

Einer der Angeklagten gab bei seiner Vernehmung an, der „Nationalen und Sozialen Freiheitsbewegung“ anzugehören, die im Sommer 1945 unter den Augen des CIC gegründet worden war. Die Gruppierung plante angeblich, Einrichtungen der sowjetischen Besatzungsmacht zu sabotieren, die Rote Armee auszuspionieren und die KPÖ zu unterwandern. Seine Direktiven erhielt der junge Werwolf von einem ehemaligen Sturmbannführer der Waffen-SS namens Gerhard Wolf. Dieser war im Sommer ’45 im Gefolge der amerikanischen Besatzungsmacht von Südtirol nach Österreich gekommen, wo er zunächst dem Salzburger und später dem Wiener Hauptquartier des CIC zugeteilt war. Als auch der Hauptangeklagte Borth während des Prozesses auf den CIC-Agenten Wolf zu sprechen kam, unterbrach ihn der Richter: „Das geht ins Außenpolitische, das wollen wir im Prozeß nicht streifen.“

Ein weiterer Angeklagter arbeitete wiederum für den sowjetischen Geheimdienst. Sein Führungsoffizier habe ihm gegenüber betont, „daß es der sowjetischen Besatzungsmacht darum gehe, alle Ansätze für eine größere nationalsozialistische Untergrundbewegung dadurch rechtzeitig auszuschalten, indem sie den Versuch unternimmt, die Fäden von allen Anfang an die Hand zu bekommen. Der Zeitpunkt des Auffliegens dieser NS-Gruppen könne dann entsprechend gesteuert und beeinflußt werden.“

Die „Legion Europa“: Teil des Gladio-Netzes

Nicht anders als Soucek setzt Borth seine Aktivitäten bei BHK, BHJ und deren Propagandaorganen unvermindert fort, bis Ende der fünfziger Jahre seine Geheimdienstkontakte intensiver werden. Zeitgleich mit dem Verbot des „Bundes Heimattreuer Jugend“ wird Ende Oktober 1959 von einem gewissen Johann Weinhappel die „Legion Europa“ gegründet. 1960 zunächst aus formaljuristischen Gründen verboten, wird sie kurz darauf wieder erlaubt. Die Mitglieder der Legion rekrutieren sich aus dem ehemaligen BHJ und ähnlichen rechtsextremen Jugendorganisationen. Borth wird erster Legionsführer, zum zweiten Legionsführer wird ein Mailänder Ingenieur, Giovanni Perona, ernannt.

Auch die Legion war Teil eines europaweiten rechtsextremen Netzwerks. 1962 fusioniert sie sich mit der „Jeune Europe“-Bewegung und wählt den belgischen Widerstandskämpfer Auguste Minet zu ihrem Ehrenpräsidenten, was ihr die Mißachtung anderer rechtsextremer Organisationen einträgt. Laut „Wegwarte“ verfügte die Legion über Stützpunkte in Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Belgien und Holland. Kontakte bestanden aber auch in andere Länder wie England oder Schweden. In Deutschland arbeitete die Bewegung wie in Österreich mit dem „Bund Heimattreuer Jugend“ zusammen, in Italien mit der vom heutigen Europaparlamentarier Pino Rauti gegründeten Terrortruppe „Ordine Nuovo“. Diese arbeitete eng mit dem Geheimdienst Gladio zusammen, und auch in Belgien war die „Jeune Europe“ Bewegung Teil der „Glaive“-Struktur.

In der rechtsextremen Szene Österreichs blieb die Legion ein kleiner, wenig bedeutender Haufen, 1965 soll sie gerade mal ein Dutzend Mitglieder gehabt haben. Borth war besonders für seinen Uniformfimmel bekannt, seine Kameraden nannten ihn den „gestiefelten Kater“. Dafür hatte der ehemalige HJ-Führer umso bessere Kontakte zu Geheimen. Er soll für die österreichische Staatspolizei ebenso gearbeitet haben wie für den italienischen SIFAR, den er mit hunderten Spitzelberichten über die österreichische Nazi- und Südtirolunterstützerszene versorgte. Die Wiener Residentur des SIFAR soll als private Nachrichtenagentur „Informationen für Alle“ (IFA) getarnt gewesen sein. [9] Borth arbeitete für das „Büro R“ des italienischen Geheimdienstes, also jener Abteilung, der auch Gladio unterstand. In den Jahren 1963/64 war Borth in den Südtirolterror verstrickt: Seine Legion versuchte die Spuren des Attentats von Ebensee zu vertuschen, heuerte französische Söldner an, und auch bei der Ermordung des AttentätersLuis Amplatz durch den SIFAR-Agenten Christian Kerbler soll Borth seine Finger im Spiel gehabt haben .

Daß die Legion Teil der internationalen „stay-behind“-Struktur gewesen ist – auch wenn die Beteiligten vielleicht gar nicht wußten, in welch umfassendens Netzwerk sie da integriert waren –, bestätigt auch der ehemalige Staatspolizist und jetzige Krimiautor Leo Maier alias Frank Mayr: „Es gab bis 1970 in Westeuropa eine antikommunistische Organisation, die sich ‚Legion Europa‘ nannte. Der österreichische ‚Legionsführer‘ war Fred Borth. Bei unseren damaligen Nachforschungen haben wir oft Hinweise auf einen internationalen Nachrichtendienst bekommen, der mit dieser ‚Legion‘ gegen den Kommunismus arbeitet und in Österreich einen Ableger hat.“ Die Legion gehörte also zum österreichischen Gladio-Arm. Maier war nicht irgendein Staatspolizist. Der „Super-James-Bond“ wurde vor dreißig Jahren gemeinsam mit seinem Linzer Kollegen Otto Weidinger öffentlich „verbrannt“ – vermutlich eine Intrige des damaligen Chefs der Staatspolizei, Oswald Peterlunger, dem Maier zu mächtig geworden war. Maier und Weidinger wurden strafversetzt, weil sie ohne Auftrag mit ausländischen Nachrichtendiensten Informationen ausgetauscht hätten. Die „Arbeiter-Zeitung“ berichtete damals, daß die beiden „seit Jahren für den amerikanischen Geheimdienst und für eine israelische Agentenorganisation gearbeitet haben“.

Quellen:
Elisabeth Baumgartner, Hans Mayr, Gerhard Mumelter: Feuernacht – Südtirols Bombenjahre, Ein zeitgeschichtliches Lesebuch. Edition Rætia, Bozen/Bolzano 1992;
Hans Karl Peterlini: Bomben aus zweiter Hand – Zwischen Gladio und Stasi: Südtirols mißbrauchter Terrorismus, Edition Rætia, Bozen/Bolzano 1992;
Tiroler Tageszeitung, 17.2.1965;
Volksstimme, 11.3.1986;
profil 50/91, 9.12.1990, Christoph Franceschini: Geheimsache Kerbler;
Dolomiten, 7.1. und 29.6.1991;
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.8.1991;
Il Mattino, 30.6.1991, Bruno Luverà: Ero al vertice neonazista;
Kurier, Ausgabe Tirol, 29. und 30.3.1992;
profil 30/93, Christoph Franceschini: Der gestiefelte Kater.

[1Stüber war weiters 1952 Mitbegründer der „Österreichischen Landsmannschaft“ und 1953 des „Eckartboten“, dessen Schriftführer er bis zu seinem Tod 1978 war.

[2Bereits 1961 verübte Kümel mit dem damals zwanzigjährigen Gerd Honsik Anschläge auf die italienische Botschaft und das Parlament.

[3Golowitsch, der 1961 an dem von Burger organisierten „Kinderkreuzzug“ nach Italien ebenso beteiligt war wie an der fünf Jahre später erfolgten Gründung der NDP, gehört zum „Nürnberger Kreis“ um Peter Kienesberger und den „Tiroler“, den die italienische Justiz zu den mutmaßlichen Drahtziehern hinter dem Südtirolterror der 80er Jahre zählt. Zur Zeit wird gegen ihn im Zusammenhang mit der Hermann-Niermann-Stiftung ermittelt. 1987 referierte Golowitsch auf der Politischen Akademie der AFP (siehe weiter unten im Text) über Südtirol.

[4Neben Windisch wurden Alfred Honkisz, Verantwortlicher der BHJ-Publikation „Nationaler Pressedienst der Jugend“ und erster Korpsführer einer weiteren rechtsextremen Jugendtruppe, des „Nationalen Jugendkorps“, Gerhard (von) Gilnreiner, Führer der „Nationalen Jungsozialisten“, sowie der ehemalige HJ-Führer Kurt Kacerovsky verurteil. Kacerovsky kam von der „Nationalen Liga“, in der die KPÖ „Ehemalige“ unter ihrer Obhut sammelte. Der ebenfalls angeklagte Borth wurde freigesprochen. Windisch war schon ein Jahr zuvor, 1959, wegen der Veröffentlichung neonazistischer Artikel zu einem halben Jahr Haft verurteilt worden.

[5Europaruf, Jänner 1960, zitiert nach Gatterer (FORVM, März 1960). EWG: Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Vorläuferin der EU, von 1958–67 unter der Präsidentschaft des deutschen Juristen Walter Hallstein. OEEC: Organization for European Economic Cooperation, Vorläuferorganisation der OECD.

[6Mit dem Dritten Reich kollaborierende nationalsozialistische antisemitische Partei Ungarns.

[7veröffentlicht in der „Wiener Zeitung“, 15.1.1948.

[8Dort schreibt Borth auch, daß er 1945 einem vom Sicherheitsdienst der SS aus Hitlerjungen zusammengestellten Jagdkommando gegen die Rote Armee angehört habe.

[9Auch dieses Unternehmen wird in Masieros Memorandum erwähnt.

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