radiX, Aussendungen
Oktober
2002

Nieder mit Saddam Hussein!

Warum wir nicht gegen einen Krieg gegen den Iraq demonstrieren

Als staatsfeindliche Linke lehnen auch wir Krieg grundsätzlich ab, den Dogmatismus, dass „Krieg niemals eine Lösung“ wäre, halten wir aber spätestens seit Auschwitz für dumm oder verbrecherisch. Zur Niederringung des Faschismus, des Nationalsozialismus als besonders mörderische antisemitische deutsche Spielart des Faschismus und zur Zerstörung der Todesfabriken von Auschwitz und Treblinka war es nun einmal notwendig Krieg zu führen.

Auch wenn die Sowjetunion, Großbritannien und die USA keineswegs nur edle antifaschistische Motive bei der militärischen Niederringung des Nationalsozialismus hatten, so war das Endresultat unabhängig von den Motiven der Alliierten ein positives, eines das nicht nur besser als die nationalsozialistische Herrschaft war, sondern einen fundamentalen qualitativen Unterschied darstellte. Es ist eben nicht egal ob irgend eine kapitalistische Demokratie herrscht oder ob ein industrieller Massenmord, die Shoah stattfindet.

Deshalb müsste gerade in Österreich und Deutschland der Linken bewusst sein, dass manchmal eben nur Krieg eine Lösung ist. Ein dogmatisches Ablehnen von Krieg in jeder Situation kommt hingegen einer Kapitulation vor jenen gleich, die keinerlei Skrupel vor Krieg und Vernichtung haben.

Nun ist als Konsequenz aus der Notwendigkeit der militärischen Niederwerfung des Nationalsozialismus aber auch nicht schon jeder Krieg ein notwendiger und gerechtfertigter Krieg. Und Saddam Hussein ist auch nicht Hitler.
Allerdings hat Saddam Hussein und die Baath-Partei sehr viel von Hitler und den NationalsozialistInnen gelernt.

Die ideologischen Strömungen aus denen die Baath-Partei Saddam Husseins hervorging hatten in den Dreissiger- und Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts enge Beziehungen zum nationalsozialistischen Deutschland und führten 1941 einen nationalistischen Putsch unter Rashid Ali durch, dessen Regierung jedoch von den Britischen Truppen wieder abgesetzt werden konnte. Bereits in den Vierzigerjahren kam es zu von den arabischen Nationalisten Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung des Iraq.

Nach der Revolution der „Freien Offiziere“ vom 14. Juli 1958 unter Abd al-Karim Qasim und Abd al-Salam Arif kam es zwischen dem eher sozialistisch orientierten Flügel um Qasim und dem eher panarabisch-nationalistisch orientieren Flügel um Arif zu Auseinandersetzungen, zu denen noch das Drängen der Irakischen Kommunistischen Partei (IKP) kam, möglichst rasch ein sozialistisches System im Iraq zu etablieren. Die Irakische Kommunistische Partei konnte zu diesem Zeitpunkt fast als einzige politische Partei über eine gut organisierte AnhängerInnenschaft verfügen und stellte die stärkste KP in der gesamten arabischen Welt dar. Die Frage einer sofortigen Vereinigung des Iraq mit Ägypten und Syrien stellte einen der Hauptstreitpunkte zwischen Arif, den Nasseristen und der nationalistischen Baath-Partei auf der einen und Qasim und der IKP auf der anderen Seite dar. Dabei war die Ablehnung einer sofortigen Vereinigung durch die IKP und Qasim weniger grundsätzlicher Natur, als eine Folge der schlechten Erfahrungen mit den arabisch-nationalistischen Regimes in Ägypten und Syrien. Die Führer der syrischen Baath-Partei Michel Aflaq und Jamal al-Atasi hatten bereits 1956 in einem internen Parteidokument die Unvereinbarkeit des kommunistischen Internationalismus mit ihrem arabischen Nationalismus betont. In Ägypten ließen die „Freien Offiziere“ unter Gamal Abd an-Naser die KommunistInnen rücksichtslos unterdrücken. Auch im Iraq terrorisierten Banden der Baath-Partei, denen es aber noch nicht gelang die Macht zu erringen, die Linke und den Rest der jüdischen Bevölkerung des Landes. Einer dieser kriminellen Bandeführer war Saddam Hussein.

Qasim, der ursprünglich als Sieger aus diesem Machtkampf hervorging, wurde schließlich von einer Allianz arabischer Nationalisten und Baathisten aus dem Amt geputscht und ermordet. Der ursprünglich unterlegene Abd al-Salam Arif wurde neuer Präsident des Iraq. Unter seiner Regierung wuchs die Macht der Baath-Partei in der sich schließlich Saddam Hussein und der ihm unterstellte Geheimdienst immer mehr Machtzentrum durchsetzen konnte. Als die von Repression und Abwerbung geschwächte IKP den Fehler beging den Versuch zu unternehmen in eine von der Baath-Partei geführte Regierung einzutreten, war es für sie bereits zu spät. Die Reste der Partei durften nur so lange als Marionetten fungieren, bis Saddam Hussein die alleinige Macht an sich reissen konnte. Unter seiner Herrschaft wurde die linke Opposition und die kurdischen Parteien im Nordiraq rücksichtslos verfolgt. Saddam Hussein schaffte es die größte Kommunistische Partei der arabischen Welt innerhalb weniger Jahre fast völlig zu vernichten. Tausende Kader und einfache AktivistInnen wurden ermordet oder verschwanden ohne Gerichtsverfahren in überbelegten Massengefängnissen, andere konnten noch rechtzeitig ins Exil flüchten. Saddam Hussein hatte zwar in den Anfangsjahren einige wirtschaftliche Erfolge mit der Verstaatlichung des Erdöls zu feiern und näherte sich trotz der Verfolgung der KommunistInnen der Sowjetunion an, wendete sich aber bald wieder den USA zu, deren Unterstützung er im Golfkrieg (1980-1988) gegen den Iran genoß. Die antiiranische Politik der USA führte dazu, dass sie ihren zukünftigen Feind selbst mit Waffen ausrüstete.

Unterstützung kam auch von den meisten Europäischen Staaten. Aus der Bundesrepublik Deutschland stammte das Giftgas mit dem Saddam Hussein nach dem Ende des Golfkrieges kurdische Städte und Dörfer bombardieren ließ.

Die Politik des antisemitischen Baath-Regimes richtete sich nicht nur gegen die Lieblingsfeinde Saddam Husseins, die Juden, von deren einst über 120.000 Menschen zählenden Gemeinde heute nur noch rund 50 Menschen im Iraq leben (der Rest wurde ermordet und vertrieben), sondern auch gegen die kurdische Minderheit im Norden des Landes. Die kurdischen Parteien wurden ebenso verfolgt wie arabische RegimegegnerInnen. Traurige Bekanntheit erlangte 1988 der Giftgasangriff auf kurdische Städte im Nordiraq.

Nachdem der Iraq 1990 Quwait besetzt hatte wendete sich die USA von ihrem ehemaligen Verbündeten ab. Seit die USA und ihre Allierten die Militärmaschinerie des Iraq besiegt und dem Land ein strenges Wirtschaftsembargo verordnet haben, sind große Teile der Infrastruktur des Landes zusammengebrochen. Während Saddam Hussein, nach dem Verrat der westlichen Streitkräfte an den zuvor von ihnen angestachelten Aufstände im Süden des Landes, unterdrücken konnte, gelang es den kurdischen Parteien Teile des Nordiraqs zu befreien. Allerdings kam es seither innerhalb der zwei wichtigsten kurdischen Parteien des Iraq zu Auseinandersetzungen, was zu einer Zersplitterung des kurdisch verwalteten Gebietes führte. Abgesehen von den kurdischen Gebieten scheint die Opposition im Lande jedoch trotz der finanziellen Unterstützung von aussen schwach zu sein.

Der iraqischen Baath-Partei war es in ihrer nun 30 jährigen Herrschaft gelungen den Großteil der Opposition entweder zu liquidieren oder ins Ausland zu vertreiben. Das totalitäre System, das Saddam Hussein, sein Takriti-Clan und die Baath-Partei im Iraq errichtet haben, ist nicht nur als „normale Diktatur“ wie Syrien, Turkmenistan oder Kenia, sondern als faschistische Herrschaft Herrschaft zu beschreiben. Wenn Saddam Hussein auch kein zweiter Hitler ist, so ist es bei einem Vergleich mit Mussolini oder Franco durchaus die Frage für wen ein solcher Vergleich schmeichelhafter ausfallen würde.

Wir sind davon überzeugt, dass es legitim ist, eine solche faschistische Herrschaft mit militärischer Gewalt zu beenden. Auch wenn die USA, die in der Vergangenheit den Diktator den sie jetzt bekämpfen groß gemacht haben, heute nicht aus lauter Liebe zur Demokratie den Iraq angreifen wollen, so wäre es durchaus ein für die iraqische Bevölkerung wichtiger Nebeneffekt das Joch Saddam Husseins endlich loszuwerden.

Wir jubeln einem Angriff auf den Iraq trotzdem nicht im vornherein zu. Zu wenig absehbar ist es welche Auswirkungen ein Angriff auf den Iraq zum jetztigen Zeitpunkt auf die Region hätte.

Erstens befürchten wir eine weitere Verschlechterung der Situation in Israel. Solange die Selbstmordattentate palästinensischer Organisationen weitergehen, kann ein Angriff auf den Iraq zu einer weiteren Zuspitzung der Situation führen. Sollte der Iraq immer noch über Mittelstreckenraketen und Giftgas verfügen, könnte der Iraq durch Angriffe auf Israel versuchen den Konflikt als Konflikt zwischen „Arabern und Zionisten“ darzustellen. Die Auswirkungen eines Angriffes auf den Iraq auf Israel sind deshalb kaum abzusehen. Einerseits stellt ein Diktator wie Saddam Hussein eine ständige Bedrohung für Israel dar, andererseits könnte es ebenso gefährlich sein, den Iraq zum gegenwärtigen Zeitpunkt anzugreifen.

Zweitens deuten die US-amerikanischen Nachkriegspläne für den Iraq nicht auf eine wirkliche Demokratisierung, sondern auf den Versuch hin einen Baathismus ohne Saddam an die Macht zu bringen. Der Großteil der zur Zeit protegierten „Oppositionellen“, waren bis vor wenigen Jahren im unmittelbaren Umfeld Saddam Husseins zu finden und sind teilweise persönlich für die Massaker an Kurdinnen und Kurden verwantwortlich. Die Gefahr eines Machtwechsels, der sich auf das Austauschen einiger Männer durch andere Baathisten beschränkt, besteht darin, dass ein international rehabilitiertes baathistisches Regime ähnlich totalitär, nationalistisch und antisemitisch, wie der Baathismus Saddam Husseins wäre, aber durch die internationale Unterstützung noch schwerer zu stürzen.

Auch die Sicherheit des kurdischen Autonomiegebietes wäre unter einem solch rehabilitierten Baathismus kaum mehr gewährleistet.

All dies sind keine Gründe gegen einen militärischen Sturz Saddam Husseins durch die USA und ihre Verbündeten, sehr wohl aber Bedenken, die uns nicht in Euphorie verfallen lassen. Wir werden aber sicher auch nicht für Saddam Husseins Iraq auf die Straße gehen, wie jene linke Allianz von KPÖ und Linkswende bis zur RKL, die ohne jede Kritik an der baathistischen Regierung des Iraq zu formulieren, gegen einen militärischen Sturz derselben demonstrieren.

Wir sehen auch nicht ein, warum die radikale Linke nun auf allen Seiten dazu tendiert Realpolitik zu betreiben anstatt radikale Kritik zu üben. Für uns gilt es aber genau das zu tun. Wir sind weder die Berater Präsident Bushs, noch die Verteidiger Saddam Husseins.

Für den revolutionären Sturz der baathistischen Diktatur!
Nieder mit Saddam Hussein!

Ökologische Linke (ÖKOLI) Wien, 30. Oktober 2002

Empfohlene Literatur:

  • Farouk-Sluglett, Marion u.a.:
    Der Irak seit 1958. Von der Revolution zur Diktatur.
    1991, Suhrkamp
  • Kanan Makiya:
    Republic of Fear: The Politics of Modern Iraq
    1998, University of California Press
  • Thomas von der Osten-Sacken u. Aras Fatah (Hg.):
    Saddam Husseins letztes Gefecht?
    Der lange Weg in den III. Golfkrieg
    2002, Konkret Literatur Verlag
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