Österreichische Verfassungsgeschichte
Das schon hinreichend besprochene Buch gilt als Standard für die Einführung in die Verfassungsgeschichte. Daher könnte man meinen, es wäre müßig, darüber zu berichten.
Aber das Kapitel IX. ab Seite 255 über die in der Überschrift so genannte „Fremdkontrollierte Republik Österreich 1945-1955“ ist es wert, ein wenig behandelt zu werden. So wird die Wiederherstellung Österreichs auf die Initiative der Alliierten zurückgeführt, gemäß der Moskauer Erklärung 1943. Der in dieser Erklärung angesprochene notwendige Beitrag von Österreicherinnen zur Wiederherstellung Österrreichs, der mehr oder weniger dann von einzelnen oder ganzen Gruppen von Widerstandskämpferinnen geleistet wurde, kommt nicht zur Sprache. Diese kommen nur als „diverse Gruppierungen“ vor, die von den politischen Parteien abgelöst werden.
Das national-liberale Lager wird durch „die Ereignisse“ zwischen 1938 und 1945 bis zum Jahre 1949 als „diskriminiert“ betrachtet. Bei diesen „Ereignisse(n)“ handelt es sich zwar um den Zweiten Weltkrieg und die versuchte Vernichtung aller Juden, aber das gehört nach Auffassung des Autors wohl nicht hierher.
Weiters kann man dem Urteil des Autors über die Errichtung der Provisorischen Staatsregierung nicht ohne weiteres zustimmen, nämlich, daß „der Volkswille durch die politischen Parteien mediatisiert“ nur „erscheint“ (S.257). Das würde ja implizit auch bedeuten können, daß der Volkswille und die Entstehung einer demokratischen Republik durch die Parteien in diesem Punkt nicht eins waren. Diese Interpretation legt der Autor auch nahe, da er im nächsten Satz antifaschistisch ebenso unter Anführungszeichen setzt, wie er das bei der richtigen Zitierung der Kundmachung mit den Worten „dem Sinn und Willen der großen Mehrheit des österreichischen Volkes“ macht. Diese zweimalige Setzung von Anführungszeichen ist nicht Ausweis einer korrekten Zitierweise, sondern im Kontext als eine politische Wertung zu verstehen. Denn schließlich kommt der Autor aus der Nachfolgepartei des von ihm selbst so bezeichneten „diskriminierten“ Lagers, dessen Bertrachtungsweise der Zweiten Republik und deren Gesetzgebung genauso eigen waren, wie es die der Nachfolgepartei heute sind.
Ob solche versteckten Relativierungen über die Gründung der Zweiten Republik für Studentinnen der Zweiten Republik zu empfehlen sind?
Wilhelm Brauneder: Österreichische Verfassungsgeschichte. 7. Auflage, Manz Verlag, Wien 1998, 292 S, öS 364,—
