Grundrisse, Nummer 40
Dezember
2011

Peak Oil

Wirtschaftliche Folgen und politische Folgerungen

Schon seit mindestens 40 Jahren weisen Arbeiten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darauf hin, dass der Welt das Erdöl ausgehen wird. Darüber gibt es keinen Zweifel, denn eine wachsende oder auch nur gleichbleibende Förderung von Erdöl ist in einer Welt mit endlichen Ölvorräten unmöglich.

Bestärkt durch die Ölpreissteigerung der letzten Jahre hat sich inzwischen die Debatte um ein globales Öl-Fördermaximum, Peak Oil, konsolidiert und damit früheren Annahmen von einem nahen Ende des fossilen Zeitalters zu einem Aufschwung verholfen. In diesem Artikel werden wir in groben Umrissen aufzeigen, welche Folgen das globale Fördermaximum bei Erdöl, der Peak Oil haben könnte und welche Reaktionsmöglichkeiten es angesichts der kommenden Ölknappheit gibt.

Betrachtet man die globale Ölförderung von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis heute, so sind alle bisherigen Ölkrisen gesellschaftlich und nicht durch Ressourcenmangel verursacht. Engpässe wurden nach einer exponentiellen Steigerung der Ölförderung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die erste Hälfte der 1970er Jahre durch Kriege, Revolutionen, Wirtschafts- oder Finanzkrisen hervorgerufen. [1]

In den letzten Jahren stieg die globale Förderung stark an, vor allem durch das hohe Wirtschaftswachstum in China und Indien. Ab Mitte 2004 stagnierte die Förderung, was mit einem starken Preisanstieg verbunden war. Erst seit Ende 2007 erhöhte sich das Fördervolumen wieder, bis es im Februar 2008 mit 85,8 Millionen Fass pro Tag den bisherigen Höchststand erreichte. Die Bankenkrise und die dadurch ausgelöste weltweite Rezession führten 2009 zu einem Nachfragerückgang. Manche Fachleute schlossen daraus, Peak Oil wäre bereits 2008 erreicht worden. Die Daten von Juni 2011 [2] mit einer Fördermenge von durchschnittlich 88,3 Millionen Fass pro Tag zeigen jedoch, dass die Werte von 2008 zumindest in einem Monat deutlich überschritten wurden. Es bleibt abzuwarten, ob die Fördermengen in Zukunft das Niveau von 2011 übersteigen, ob sie auf hohem Niveau stagnieren oder ab nun tatsächlich rückläufig sein werden. Die Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) sind allerdings nur mit größter Vorsicht zu genießen, sie sind alles andere als exakt. Darüber hinaus enthalten sie auch die Produktionsvolumina von Biokraftstoffen und Raffineriegewinne – beides Größen, die sicher nichts mit der Erdölförderung zu tun haben (Zittel 2011).

Da der Förderhöhepunkt nicht unbedingt ein fixes Datum bedeuten muss, sondern sinnvoller als eine Situation beschrieben werden kann, in der die Förderung von Erdöl ein länger andauerndes Plateau mit einer gewissen Schwankungsbreite erreicht, lässt sich erst im Rückblick sagen, in welchem Jahr Peak Oil eingetreten ist. Auf dem Plateau selbst lässt sich die geologische Förderbeschränkung durch die beschleunigte Ausbeutung von Ölfeldern für eine gewisse Zeit dämpfen und der Produktionsabfall nach dem Peak hinauszögern, allerdings um den Preis, dass er dann vermutlich deutlich stärker ist.

Unabhängig davon, ob der Höhepunkt der Erdölförderung bereits erreicht worden ist oder in den kommenden Jahren erreicht werden wird, sollten wir Peak Oil als ein Signal verstehen, unsere Anstrengungen noch zu verstärken, um eine rasche Transformation in ein post-fossiles Zeitalter zustande zu bringen. Dazu bleiben uns nur noch wenige Jahrzehnte. So geht ein Bericht von British Petrol davon aus, dass die bekannten Weltölreserven aus dem Jahr 2010 noch für 46 Jahre reichen würden. Die Rechnung hat aber eine unrealistische Annahme zur Grundlage. Sie beruht auf dem Verhältnis von Reserven am Ende des Jahres 2010 zur Produktionsmenge im selben Jahr und nimmt stillschweigend an, dass die Produktion die nächsten 50 Jahre auf gleichem Niveau bleiben würde.

Wann auch immer Peak Oil tatsächlich eintritt – wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass das Wirtschaftswachstum, das wir aufgrund des reichlich sprudelnden Öls in den letzten 60 Jahren in Europa erlebt haben, wahrscheinlich nicht beliebig lange fortgesetzt werden kann.

Welche Folgen wird eine Verknappung der Rohölproduktion aller Voraussicht nach haben? Um einige Antworten zu skizzieren, gehen wir zunächst auf die Veränderungen in der Machtverteilung ein, die sich zugunsten der Erdölförderländer ergeben werden. Danach wird kurz der Diskurs der Energiesicherheit in Deutschland und Österreich behandelt. Schließlich beschreiben wir die wahrscheinlichen Entwicklungsmöglichkeiten der kapitalistischen Ökonomie und verschiedener Rahmenverhältnisse infolge einer langfristigen Verknappung von Erdöl. Das soll als Basis für kurz gefasste politische Schlussfolgerungen dienen.

Die Geopolitik von Peak Oil: was sich ein militärischer Think Tank dazu denkt

Wird Erdöl in den nächsten Jahren immer knapper, so ist eine Konsequenz mit großer Sicherheit zu erwarten: die erdölproduzierenden Länder werden Überschüsse erwirtschaften, während jene Staaten, die Erdöl netto importieren, einen immer höheren Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts dafür aufwenden müssen. Öl wird also zu einem noch wichtigeren Faktor der Gestaltung der internationalen Beziehungen als es dies schon seit dem Zweiten Weltkrieg war.

Die Öl-Förderländer können diesen Vorteil für sich nützen, um ihre innen- und außenpolitischen Gestaltungsräume auszuweiten und sich gegebenenfalls als regionale oder globale Führungsmächte zu positionieren. Die Importländer werden dagegen nur noch mit wachsenden Kosten ihren bisherigen Ölverbrauch finanzieren können und daher eine Reihe ökonomischer Aktivitäten zurückschrauben müssen.

Im Jänner 2011 genehmigte das Deutsche Bundesministerium der Verteidigung eine schon vor ihrer offiziellen Veröffentlichung viel diskutierte Studie zu Peak Oil, die sich mit den sicherheitspolitischen Implikationen knapper Ressourcen auseinandersetzt (ZfTdB, 2011). Der Bericht ist ein Ergebnis des Dezernats Zukunftsanalyse, einem Think Tank, der dem Zentrum für Transformation der Bundeswehr zugeordnet ist. Es ist nicht anzunehmen, dass dieser politisch brisante Bericht von der Bundeswehr veröffentlicht worden wäre, hätte seine Thematik nicht einen ernsten Hintergrund. So bezeichnet etwa auch die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003 die absehbare steigende Abhängigkeit der EU von Energieimporten als besorgniserregend: „Die Energieabhängigkeit gibt Europa in besonderem Maße Anlass zur Besorgnis. Europa ist der größte Erdöl- und Erdgasimporteur der Welt. Unser derzeitiger Energieverbrauch wird zu 50 % durch Einfuhren gedeckt. Im Jahr 2030 wird dieser Anteil 70% erreicht haben. Die Energieeinfuhren stammen zum größten Teil aus der Golfregion, aus Russland und aus Nordafrika.“ [3]

Und im neuen Entwurf einer Strategie der inneren Sicherheit der Europäischen Union „Hin zu einem europäischen Sicherheitsmodell“ [4] aus 2010 heißt es, dass Risikoanalysen auch auf den Energiebereich ausgedehnt werden sollen: „Neue Risiken und Bedrohungen wie Energieknappheit, IKT Ausfälle und Pandemien müssen ermittelt werden. Die Widerstandsfähigkeit der Bürger und des öffentlichen und des privaten Sektors gegenüber den Auswirkungen von Katastrophen sind in die Präventionsmaßnahmen einzubeziehen.“ Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2010 zur Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik [5] „räumt in Ziffer 9 ein, dass die Energiesicherheit von ausschlaggebender Bedeutung für das Funktionieren der EU-Mitgliedstaaten ist, und fordert die Mitgliedstaaten deshalb auf, in Bezug auf diesen Aspekt der Sicherheitspolitik eng zusammenzuarbeiten“.

Sorgen um die Energiesicherheit machen sich nicht nur die Regierungen in Europa. Auch die USA, Russland, Indien und China beziehen die Energieversorgung verstärkt in ihre strategischen Pläne ein. Nach Meinung der Bundeswehrstudie „ist die zunehmende Integration von Aspekten der Energieversorgung in Strategiedokumente zur nationalen Sicherheit ein Indiz für die zunehmende ‚Versicherheitlichung‘ (securitization) dieses Bereiches […]“ (ZfTdB 2011: 16).

In diesem Kontext setzt sich die Studie der Bundeswehr zum Ziel, erstens das Ausmaß der Abhängigkeit von Erdöl umfassend zu analysieren, zweitens auf dieser Grundlage mögliche Risiken rechtzeitig zu erkennen und drittens Alternativen für die Nutzung von Erdöl zu diskutieren (ebd.: 11). Zugleich warnt sie allerdings davor, die darin beschriebenen Wirkungszusammenhänge als zwangsläufig zu verstehen. Im Folgenden stellen wir die wesentlichen Aussagen der Bundeswehrstudie dar und diskutieren sie kritisch: erstens im Lichte der Ergebnisse des vom Österreichischen Klima- und Energiefonds geförderten Forschungsprojekts „Save our Surface“ (siehe Exner u.a. 2011), zweitens vor dem Hintergrund einer emanzipatorischen, gegen die Herrschaft von Menschen über Menschen ausgerichteten Sicht auf Peak Oil – was militärische Aktionen zur Sicherung der Energieversorgung des globalen Nordens von vornherein ausschließt.

Geopolitisch ist für die Bundeswehr das Konzept der „Strategischen Ellipse“ wesentlich. Darunter ist ein Gebiet zu verstehen, das den Nahen Osten, den Kaspischen Raum und Russland bis zum Hohen Norden umfasst. In der Strategischen Ellipse liegen etwa zwei Drittel der weltweit vorhandenen Erdöl- und Erdgaslager, die unter heutigen Bedingungen rentabel ausgebeutet werden können – sofern die Statistiken belastbar sind, woran es freilich erhebliche Zweifel gibt. Im Einzelnen wären das laut Annahmen der Bundeswehr die Länder Saudi-Arabien, Russland, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Irak, Kuwait und Kasachstan. Weitere bekannte größere Lagerstätten befinden sich in Nord- und Zentralamerika sowie in Venezuela und Brasilien und in einzelnen Regionen Afrikas.

Je knapper das Erdöl, desto höher ist die Gefahr von Konflikten um seine Aneignung, meint die Bundeswehr. Tatsächlich waren in der Vergangenheit, stellt die Bundeswehrstudie fest, „Konflikte in Erdölexportländern […] die häufigste Konfliktform im Zusammenhang mit Erdöl“ (ZfTdB 2011: 17). Wahrscheinlich, so ist plausibel, treten sie auch in Zukunft vor allem in fragilen Staaten, die vom Ölexport abhängen, vermehrt auf. Die Exporteinnahmen ließen sich freilich – wie etwa in Venezuela unter Chávez und im Gegensatz zu seinen Vorgängern – auch für den Ausbau von Sozialmaßnahmen und eine verbesserte Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung verwenden (Buttkereit 2010: 40).

Das Beispiel Venezuelas legt nahe, dass Erdöl nicht mit einer vermeintlichen Naturnotwendigkeit Konflikte hervorruft, wie die Bundeswehr nahezulegen scheint, sondern im Zusammenspiel mit einer verteilungsgerechten Sozialpolitik oder mittels Besteuerungsmaßnahmen soziale Konflikte gerade dämpfen kann. Mit dieser Feststellung ist freilich nicht auch schon der venezolanischen Umweltpolitik ein positives Zeugnis ausgestellt. Der Widerspruch zwischen der Einbindung (eines jeden Staates) in den Weltmarkt und der (kapitalistischen) Erfordernis von Deviseneinnahmen einerseits und dem sozialistischen Anspruch einer Regierung andererseits zeigt sich übrigens auch in Bolivien und Ecuador (Buttkereit 2010).

Deutschland und Österreich: Energiesicherheit für wen, womit und wofür?

Der Begriff der Energiesicherheit bedeutet in verschiedenen Kontexten Unterschiedliches. In der Studie der Bundeswehr wird darunter eine „sichere, nachhaltige und wettbewerbsfähige Energieversorgung“ verstanden (ZfTdB 2011: 19). Es werden also Versorgungssicherheit, Rentabilität und Umweltverträglichkeit angestrebt. Die Rentabilität einer bestimmten Form der Energieversorung für ein nationales Gesamtkapital ist freilich nicht ein für allemal gegeben, sondern hängt von der jeweiligen wirtschaftlichen Situation ab, vor allem von der Preisgestaltung und der Möglichkeit auf konkurrierende Energieträger zurückzugreifen.

Es ist bezeichnend, dass unter kapitalistischen Bedingungen, in Gesellschaften also, worin Lohnarbeit und Profitorientierung vorherrschen, soziale Sicherheit klein geschrieben wird. Das ist heute bekanntlich weltweit der Fall. Demgegenüber feiert der Begriff der Energiesicherheit eine eigentümliche Konjunktur, die viele vergessen lässt, dass die Versorgung mit Energie keineswegs machtneutral ist: Wer bezieht wieviel Energie zu welchem Zweck und von wem? – Diese Fragen werden im Begriff der Energiesicherheit ausgelöscht.

Tatsächlich besteht unter dem Diktat von Profitorientierung und Kapitalwachstum der Hauptzweck der Produktion nicht in der Befriedigung konkreter menschlicher Bedürfnisse wie etwa nach Energie. Vielmehr zwingt es zur Produktion eines wirtschaftlichen Überschusses, zuerst einmal als Differenz zwischen notwendiger Arbeit für den Lebensunterhalt der Lohnabhängigen und Mehrarbeit für das Kapital (Profit), schließlich als Differenz zwischen dem Output eines Basisjahres und dem Output der darauf folgenden Wirtschaftsperiode (Wachstum). [6]

Die Produktion dieses zweifachen Überschusses erfordert Energie zum Betrieb der Maschinen, die das Kapital einsetzt, um die Produktivität der Arbeit und damit seine Profitrate zu steigern. Diese Energie muss kontinuierlich und im Rhythmus der Zyklen der Kapitalverwertung zur Verfügung stehen. Die Versorgung der kapitalistischen Wirtschaft mit Energie bedeutet folglich nicht unbedingt die Versorgung der Menschen als Menschen. Allerdings darf dies aus herrschaftstechnischen Gründen auch nicht gänzlich ausgeblendet werden. Der Diskurs der Versorgungssicherheit sorgt sich folglich auch um die politische Stabilität des Kapitals und den es beschützenden Staat. Das erfordert, die Belieferung der mittelständischen Autoflotten nicht aus dem Blick zu verlieren: „Die Hegemonie beginnt an der Zapfsäule“, so lautet ein Bonmot aus einer Debatte um das Ende der fossilen Ära und seine politischen Folgen. Eine gleiche Energieversorgung aller Menschen ist damit jedoch keineswegs impliziert, es genügt eine kritische Masse durch eine solche Politik einzubinden oder die Mehrheit durch die glaubwürdige Aussicht auf Energie ruhigzustellen.

Ginge es tatsächlich um die Sicherheit der Versorgung im Sinne der Sorge um konkrete menschliche Bedürfnisse nach warmer Behausung und allgemeiner Mobilität, so wäre die kapitalistische Gesellschaft keine mehr. Wie die Verhältnisse liegen, verwundert es jedoch nicht im Geringsten, dass es sich in Österreich 330.000 Menschen nicht leisten können, ihre Wohnung im Winter warm zu halten, wie die Armutskonferenz mit Berufung auf Zahlen der Statistik Austria mitteilt. [7] Tatsächlich fahren etwa in Deutschland inzwischen viele Menschen im Winter mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, um der Eiseskälte ihrer Wohnungen zu entfliehen. Sie bleiben tagsüber in Kaffeehäusern oder pendeln von Lokal zu Lokal, um ihrer äußersten Energieunsicherheit zu entkommen, wie eine Umfrage im Winter 2011 ergab: „Von den 40 Prozent, die sagten, sie würden harte Maßnahmen ergreifen, um die Heizkosten zu senken, gaben hochgerechnet 6,2 Mio. Deutsche an, sie würden in der Wohnung Stiefel oder gar Moonboots tragen, um sich warm zu halten und weniger heizen zu müssen.“

Und weiters: „Schon 1,3 Mio. Deutsche geben zu, öfters mit öffentlichen geheizten Verkehrsmitteln, wie Bussen, U- oder S-Bahnen, länger herumzufahren, um den kalten privaten Räumen zu entkommen. Darunter sind rund 650.000 Personen älter als 50 Jahre. In Cafés oder Kneipen sitzen mittlerweile 770.000 Deutsche länger als üblich, um dort beim stundenlangen Latte-Macchiato- oder Bier-Trinken ebenfalls der kühlen privaten Spar-Wohnung zu entgehen. Etwas höher ist die Anzahl jener Deutschen, nämlich 1 Mio., die sich in sonstigen beheizten öffentlichen Räumlichkeiten aufhalten – wie Kaufhäusern, Banken oder Ämtern, obwohl es dort eigentlich für sie nichts zu tun gibt.“ [8]

Aus einer emanzipatorischen Sicht kann es folglich nicht um Energiesicherheit zu Nutzen und Frommen des Kapitals gehen. Not tut vielmehr Energiesouveränität: die Möglichkeit aller Menschen, über ihre Energieversorgung gleichberechtigt selbst zu bestimmen. Ein emanzipatorischer Begriff von Energiesouveränität wird nicht nur die technischen, sondern gleichermaßen die sozialen Rahmenbedingungen für die Transformation von fossilen zu post-fossilen Gesellschaften einbeziehen müssen: die Technologie im eigentlichen Sinne also, die spezifische Verbindung aus technischen und sozialen Bedingungen. Ebenso sind freilich die Risiken im Auge zu behalten, die mit der Energieversorgung unter den Verhältnissen der Vielfachkrise verbunden sind. An diesem Punkt haben Krisenpläne einen Sinn. Diese müssen jedoch, sollen sie nicht die bisherigen Ungleichheit und autoritäre Gesellschaftsordnung unter härteren Bedingungen fortschreiben, demokratisch erstellt werden. Die Transition Town-Bewegung in England bietet dafür gute Anknüpfungspunkte. [9]

Energiesouveränität ist eine Zielbestimmung, keine unmittelbare Zukunft. Verhältnisse, worin die Energieproduktion und -verteilung dem Zweck des Kapitalwachstums unterworfen sind, und so die Energieversorgung der von ihr Abhängigen gleich mit, sind keine Verhältnisse, worin eine „Souveränität“ der Menschen verwirklicht wäre. Das Problem stellt sich also folgendermaßen: Wie kann aus diesen Verhältnissen heraus ein Energiewendepfad führen, der die gegebene Gesellschaft als seinen Startpunkt nehmen muss? Ein solcher Pfad müsste Energiesouveränität in der raschen Ausweitung erneuerbarer Energien finden und dürfte die Fossilen nur als die notwendige Anschubenergie für deren Ausbau verwenden. Ähnlich wie die Bolivarianische Revolution in Venezuela mit Erdöl Sozialprogramme befeuert (Buttkereit 2010) – jedoch mit einer noch viel vernünftigeren Ausrichtung: die Energiebasis zu dezentralisieren und zu demokratisieren.

Da weder Deutschland noch Österreich mit der heimischen Ölförderung das Auslangen findet und erneuerbare Energien erst in relativ geringem Ausmaß verfügbar sind, könnten in solchen Ländern Importe die Wende hin zu einer Energiesouveränität auf erneuerbarer Grundlage erleichtern – sofern Erdöl auch bewusst in die Verwirklichung der Energiewende gelenkt würde. [10] In Österreich ist der Grad der Eigenversorgung mit Fossilen etwas höher als in Deutschland. Immerhin 7% seines jährlichen Öl- und ein Fünftel seines Gasverbrauchs können aus eigener Produktion bereitgestellt werden. 2010 wurde erstmals seit 2007 wieder mehr Erdöl und Erdgas gefördert. [11]

Aus den drei Ländern Russland (35,3%), Norwegen (14,1%) und Großbritannien (10,7%) bezog Deutschland 2009 mehr als 60% der Erdölimporte (ZfTdB 2011: 21). Der Rest ist breit gestreut, er verteilt sich auf weitere 25 Länder. Es ist interessant festzustellen, dass in den 10 größten Förderländern das nationale Fördermaximum bereits vor 2011 erreicht wurde. Nur in Saudi-Arabien, Angola und Brasilien könnte der Peak erst in der Zukunft erfolgen, meint die Bundeswehr. Die bisherige Förderdaten auch der IEA allerdings belegen, dass Saudi-Arabien 2005 die höchste Förderung hatte und Angola 2008. Dies bedeutet für Deutschland, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Expansion, aber auch nur für die Aufrechterhaltung der derzeitigen Liefermengen immer geringer wird.

Die Rohölimporte nach Österreich beliefen sich im Jahr 2010 auf etwa 6,8 Mio. Tonnen (2009: 7,4 Mio.t). Österreichs wichtigste Rohöllieferanten waren Kasachstan (1,8 Mio. t), Libyen (1,6 Mio. t) und Russland (0,7 Mio. t). Diese drei Länder decken 60% aller Rohölimporte ab. Insgesamt wurde Rohöl in sehr unterschiedlichem Umfang aus 16 verschiedenen Ländern bezogen. Die Anlieferungen erfolgten fast gänzlich vom Ölhafen Triest zur Raffinerie Schwechat über die Transalpine Ölleitung (TAL) und ab Kärnten über die Adria-Wien-Pipeline (AWP). Neben den Rohölimporten sind für die heimische Versorgung auch jährlich Importe von Mineralöl-Fertigprodukten erforderlich.

Mögliche Folgen des Ölrückgangs

Für die ölexportierenden Länder ist eine Situation abnehmender Reserven und rückläufiger Fördermengen ein „Window of Opportunity“ für die offensive Durchsetzung ihrer politischen und wirtschaftlichen Ziele, meint die Bundeswehr. Sie setzt damit freilich voraus, dass kapitalistische Produktionsweise dominiert beziehungsweise die politische Vorherrschaft innehat. In der Tat ist das im Kreis der großen Erdölexporteure nur in Venezuela anders. Dort zielen soziale Kämpfe im Staat, um den Staat und außerhalb davon auf seinen Abbau. Und sie zielen auf eine Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise durch den Ausbau Solidarischer Ökonomien (Azzellini 2009, 2010; Buttkereit 2010). Am Beispiel Russlands lässt sich im Kontrast dazu die dominante Tendenz illustrieren.

In den Gaskonflikten mit der Ukraine, die auch Auswirkungen auf Gaslieferungen an EU-Länder hatten, ließ Moskau bereits seine Muskeln spielen (ZfTdB 2011: 26). Da die Ukraine durch das bisher billige Gas Staaten wie Rumänien zu niedrigeren Preisen beliefern konnte als es in Russland selbst kostete, störte es den russischen Exportmarkt. Außerdem werden derzeit etwa 80% des russischen Erdgases für Europa über die ukrainischen Pipelines transportiert. Russland stoppte im Jänner 2006 daher vorübergehend die Gaslieferungen an die Ukraine und speiste nur Gas für die EU-Länder ein, das sie jedoch nicht in vollem Ausmaß erreichte. Österreich meldete einen Rückgang um ein Drittel.

Die Bundeswehr will noch einige weitere Tendenzen nach Peak Oil erkennen, die wir im Folgenden auf Basis der Ergebnisse von „Save our Surface“ (siehe Exner u.a. 2011) und mit einer herrschaftskritischen Orientierung diskutieren:

Erste Tendenz: Zusätzliche Verknappung nach Peak Oil

Je mehr sich das Bewusstsein festsetzt, dass das Fördermaximum bereits überschritten ist, in desto stärkerem Ausmaß können die Ölexportländer eine gezielte Einschränkung des Angebots im Sinne eines „Political Peaking“ realisieren und höhere Preise verlangen, meint die Bundeswehr.

Zweite Tendenz: Wertschöpfungsketten werden erneut vertikal integriert

Durch die zunehmende Verlagerung des Ölexports auf jene Länder, wo das Fördermaximum erst in etwas weiter entfernter Zukunft eintritt, könnten die neuen zentralen Exportländer über die durchwegs in Staatseigentum befindlichen so genannten Six Sisters – CNPC/Petrochina, Gazprom, Petrobras, Petronas Petróleos de Venezuela, National Oil Company of Iran und Saudi Aramco – versuchen, die gesamte Wertschöpfungskette von der Förderung über die Raffinerien bis zum Vertrieb und das Tankstellennetz in die eigene Hand zu bekommen.

Dadurch, so fürchtet die Bundeswehr, könnte die politische Abhängigkeit der Import- gegenüber den Exportländern, des globalen Nordens gegenüber dem Süden wieder wachsen, die ja nach den Krisen der 1970er Jahre infolge der neoliberalen „Konterrevolution“ mit den Mitteln der zwangsweisen Liberalisierung, Diversifizierung und der Ausrichtung auf Deviseneinnahme für den enorm gestiegenen Schuldendienst deutlich gesunken war.

Die Auflistung der laut Bundeswehr von dieser Verschiebung begünstigten Länder ist allerdings durchaus zu hinterfragen. So steigen in Brasilien die Ölimporte seit 2007, weil der Verbrauch schneller wächst als die Förderung. Die derzeitige Vorzeigefirma der Ölbranche, die brasilianische Petrobras ist zudem hoch verschuldet, wie neuerdings bekannt wurde. Enorme Investitionen seien notwendig, weil die Förderung immer schwieriger wird, so das Magazin Wallstreet Online. [12]

Dritte Tendenz: Schwierigere Diversifizierung für Ölimportländer

Durch die wachsende Konzentration der wesentlichen Ölreserven in der „Strategischen Ellipse“ und in wenigen anderen außerhalb davon gelegenen Ländern würde es für die Importländer schwierig, die Abhängigkeit von einem einzelnen oder einer geringen Anzahl von Ölexportländern zu vermeiden und stattdessen die Lieferantenländer möglichst breit zu streuen. Ein wichtiger Konkurrent der EU um das Öl der „Strategischen Ellipse“ sei zunehmend China, bringt die Bundeswehr ihr Koordinatensystem einer militärisch unterlegten Konkurrenz zum Nutzen des Wachstums deutschen Kapitals zum Ausdruck.

Vierte Tendenz: Wachsende Bedeutung der importabhängigen Schwellenländer als Käufer von Rohöl

Die Schwellenländer, der aufstrebende Teil des globalen Südens, werden in Zukunft mit den verschiedensten Strategien versuchen, ihren durch das Kapitalwachstum induzierten Ölhunger zu stillen, meint die Bundeswehr. Die tägliche Erdölgewinnung in der Welt soll laut dem Weltenergiebericht der Internationalen Energieagentur (IEA) bis 2035 in der Tat auf 96 Millionen Barrel steigen, der Anteil der OPEC-Länder mehr als die Hälfte der weltweiten Ölproduktion betragen. Es sind jedoch erhebliche Zweifel angebracht, ob diese Förderkapazität im Jahre 2035 zur Verfügung steht. Ist dies der Fall, so wäre es für die EU-Länder eher noch schwieriger, für ihre Kapitalien hinreichende Ölmengen zu einem relativ niedrigen Preis zu importieren.

Fünfte Tendenz: Umgestaltung von Lieferbeziehungen nach Peak Oil

Die Bundeswehr erwartet die Ausweitung bilateraler Ölkontrakte, wodurch die Menge des frei am Markt gehandelten Öls abnimmt (ZfTdB 2011: 32). Gegenleistungen zum Abschluss von bilateralen Kontrakten sind in Form konditionierter Lieferbeziehungen und Koppelgeschäfte nötig. Sie umfassen jene Wirtschaftsgüter und Leistungen, die ähnlich wie Erdöl die Wirtschaftskraft oder die Macht des Ölförderlands stärken würden (zum Beispiel spaltbares Material), aber es wären auch politische Gegenleistungen der Importländer (zum Beispiel in den Foren der Vereinten Nationen bzw. im Sicherheitsrat) denkbar.

Sechste Tendenz: Neue strategische Bündnisse und Machtverschiebungen

Die Bildung von Gegenmacht zu westlichen Bündnissen und in Konfrontation mit den USA kann sich die Bundeswehr vorstellen und hält eine veränderte Zusammensetzung der OPEC für möglich. Russland könnte seinen Einfluss auf der Grundlage seines großen Ressourcenreichtums weiter ausdehnen. Nach Peak Oil wird Erdgas, das in Russland in großen Mengen zur Verfügung steht einen Nachfrageboom erleben, vermutet sie.

Nicht alle Autorinnen und Autoren teilen indes diese Ansicht, denn die großen russischen Gasfelder befinden sich im Förderrückgang und neue Felder nördlich des Polarkreises sind nur unter schwierigsten Bedingungen zu erschließen (Seltmann & Zittel 2009, Zittel 2010).

Siebte Tendenz: Neues Verhältnis zwischen privaten und staatlichen Akteuren

Ein teilweiser Rollenwechsel staatlicher und privater Akteure wäre für die Bundeswehr denkbar. Der heutige Anteil der staatlichen Erdölunternehmen (National Oil Companies – NOCs) von rund 80% an den Weltölreserven könnte weiter steigen, für die IOCs (International Oil Companies) würde es daher zunehmend schwieriger, Zugang zu leicht und preiswert erschließbarem Erdöl zu erhalten. Da die staatlichen Ölfirmen bestrebt seien, sich zu internationalisieren, würden sie zu potenteren Konkurrenten um Förderlizenzen. Das könne sich, fürchtet die Bundeswehr, in drastischen Preisspiralen nach oben niederschlagen.

Im Fall fragiler und dysfunktionaler Staaten könnte es zu der Übernahme der bisherigen staatlichen Funktionen durch private Unternehmen kommen, vermutet die Bundeswehr. Schon heute gäbe es „Maßnahmen zur Herstellung der Legitimität und Beruhigung der Lage“, was bis zur „Eindämmung und Bewältigung von Aufständen“ reichen könne, worauf das Schlagwort der Corporate Counterinsurgency verweise (ZfTdB 2011: 40).

Die Bundeswehr zieht ganz richtig die Möglichkeit eines Szenarios in Betracht, das manche mit einer „Refeudalisierung“ – angesichts der nach wie vor schlagenden Bedeutung von Kapital, Staat und Weltmarkt freilich unzureichend – beschrieben haben und das sich seit der neoliberalen Strukturanpassung der 1980er Jahre immer deutlicher abzuzeichnen scheint.

Achte Tendenz: Öl-Infrastrukturen werden wichtiger

Eine zusehendes wichtigere Rolle spielt nach Peak Oil eine zuverlässige und sichere Transportinfrastruktur. Gerade bei den langen Transportwegen des Erdöls ist der Schutz der Infrastruktur unter politisch zusehends instabilen Bedingungen jedoch keine leichte Aufgabe. Der Anreiz zur Sabotage und zu Anschlägen auf Pipelines, Häfen oder Raffinerien wird wachsen, noch dazu da der Aufwand relativ gering ist. Diversifizierte Transportwege mit netzförmigen Strukturen könnten zwar zu einer verbesserten Versorgungssicherheit beitragen, ein vollständiger Schutz sei jedoch unmöglich, hält die Bundeswehr zutreffend fest.

Neunte Tendenz: Erschließung alternativer Energie-Ressourcen

Durch einen mittel- bis längerfristig gestiegenen Ölpreis wird die Exploration nicht-konventioneller Ölvorkommen (zum Beispiel von Teersanden) rentabel. Allerdings sind auch die dadurch verursachten Umweltschäden erheblich, wie etwa der Unfall der Deepwater-Horizon-Ölbohrplattform im Golf von Mexiko am 20. April 2010 zeigte. [13]

Eine buchstäblich naheliegende Alternative zum Erdöl wäre Erdgas, dessen Lagerstätten oft in der Nähe von Erdöl zu finden sind. Die zeitliche Reichweite von Erdgas ist größer als die von Erdöl. Erdgas kann jedoch nicht unmittelbar verschifft werden, sondern muss entweder über Pipelines als Gas oder nach der Komprimierung und Verflüssigung mit der Hilfe von Spezialtankern transportiert werden. Bei Erdgas gibt es wegen der örtlichen Fixierung von Pipelines keinen Weltmarkt im eigentlichen Sinn, sondern mehrere regionale Märkte. Dies begrenzt die Möglichkeiten einer Diversifizierung von Lieferbeziehungen.

Schließlich sind die Möglichkeiten erneuerbarer Energieversorgung als Alternative zum gegenwärtigen Energiemix zu nennen. Dass die Erneuerbaren nicht notwendigerweise auch ein gutes Leben für alle Menschen auf dieser Erde ermöglichen werden, wenn sich die Nutzung dieser Energiequellen nicht vom Profitmotiv entkoppeln lässt, sollte angesichts der mitunter naiven Vorstellungen einer Energiewende allerdings betont werden (dazu ausführlicher Exner u.a. 2008, Exner u.a. 2011).

Zehnte Tendenz: Binnenwirtschaftliche Risiken nach Peak Oil

Nach Peak Oil wird der Import von Erdöl teurer, schwieriger und letztlich unmöglich. Dies würde die betroffenen Länder tendenziell zur Energieautarkie zwingen – früher als die bisherigen Exportregionen von Rohöl. Energieautarkie bedeutet, dass ein Land oder eine Region die Energieversorgung nicht durch Importe aufrechterhält, sondern mit jenen Ressourcen sichert, die direkt auf eigenem Territorium zugänglich sind.

Für die Länder der EU würde dies laut Bundeswehr bedeuten, mit Kohle und alternativen Energieträgern auszukommen, sollte man auf die Nuklearenergie wirklich verzichten. Der Einsatz von Kohle ist freilich sehr klimaschädlich und kann das gegenwärtige Niveau des fossilen Energiekonsums grundsätzlich nur zum geringen Teil und zeitlich begrenzt ersetzen. Wird die fossile Energiebasis also nicht rechtzeitig auf Erneuerbare umgestellt, ist mit weitreichenden Folgen zu rechnen: Einschränkungen im Individual- und Güterverkehr, eine Gefährdung der Nahrungsmittelversorgung bis hin zu einer systemischen Krise der gesamten Wirtschaft im Verein mit einem Verlust des Vertrauens in bestehende Institutionen.

Die Schwere der Krise wird einerseits davon abhängen, wie weit Erdöl nach Peak Oil noch physisch verfügbar ist und zu welchem Preis. Andererseits ist nicht vorherzusehen, welche Eigendynamik der Komplex von Normen, Erwartungen und Regeln zeigen wird, der die fossile Gesellschaft auszeichnet. David Korowicz von der NGO Feasta [14] betont: Die heutige Form der Gesellschaft, ihre Wirtschaftsweise, alle Institutionen und die alltäglichen Gewohnheiten der Menschen haben sich zusammen mit einer steigenden Zufuhr von billiger fossiler Energie entwickelt. Wir haben es mit einer systemischen Ko-Evolution im planetarischen Ausmaß zu tun, deren wichtigste Kontextbedingung wegbricht.

Zwei wirtschaftliche Szenarien sind wahrscheinlich: Entweder es kommt zu einer oszillierenden Abnahme der Wirtschaftsleistung und der Förderung (siehe Exner u.a. 2008). Oder es ereignet sich ein Kollaps, den Korowicz für die wahrscheinlichere Konsequenz hält, das heißt eine rasche Kontraktion des Weltmarkts, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, weil damit die heute global integrierten Zuliefer- und Wertschöpfungsketten zerbrechen. Ein Kollaps bedeutete eine rasche Abnahme gesellschaftlicher Komplexität, deren heutige Dichte sich nicht mehr im Weltmaßstab aufrecht erhalten lassen würde.

Die Bundeswehr-Studie stützt sich unter anderem auf das Krisenszenario von Korowicz und skizziert: Eine durch Treibstoffknappheit verursachte „Mobilitätskrise“ könnte nach der bereits schwelenden Finanzkrise eine weitere Ausprägung der Wirtschaftskrise werden. Die vorherrschenden Lebensgewohnheiten und die Funktionsmechanismen unserer Gesellschaft würden dann drastisch in Frage gestellt. Während kurzfristigen Engpässen durch staatliche Eingriffe oder freiwillige Maßnahmen (Mobilitätsgutscheine, autofreier Tag) begegnet werden könne, habe eine langfriste Rohölverknappung, die sich in entsprechenden Treibstoffengpässen niederschlägt, einschneidende Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt.

Nicht nur die Automobil- und Transportfahrzeugindustrie würden einen Wachstumseinbruch erleben, sondern auch der Tourismus – was eine für die Einkommen von Haushalten und Betrieben insbesondere in Österreich sehr problematische Entwicklung wäre. Die Verteuerung des Güterverkehrs, der mit seinen globalen Prozess- und Transportketten auf der Grundlage einer ausgedehnten und von fossilen Energien fast vollständig abhängigen Infrastruktur aus Containerschiffen, Lastkraftwagen, Kühlsystemen und dem Flugverkehr bisher ein Rückgrat des Wirtschaftswachstums darstellte, würde Lieferbeziehungen einschränken oder überhaupt unterbrechen. Tatsächlich bewirkten die hohen Ölpreise 2008, dass aufgrund der hohen Transportkosten in den USA die heimische Stahlproduktion wieder attraktiver wurde als der Import aus China (Rubin 2010), Containerschiffe fahren mit deutlich reduzierten Geschwindigkeiten um Treibstoff und damit Kosten einzusparen und der schienengebundene Güterverkehr von China nach Europa wird interessant.

Fast vollständig im toten Winkel selbst der akademischen Debatte zu den Erneuerbaren – von der öffentlichen Diskussion ganz zu schweigen – befindet sich allerdings die Frage, wie eine großteils von fossilen Ressourcen abhängige Wirtschaft des Kapitalwachstums denn eine rasche Umstellung auf erneuerbare Energieträger in einem Umfeld wirtschaftlicher Stagnation oder Rezession zu bewerkstelligen vermag. Schon der laufende Betrieb der gesellschaftlichen Infrastrukturen wird teurer als zuvor sein. Woher sollen die energetischen und finanziellen Investitionen in einer Situation kapitalistischer Vielfachkrise kommen?

Es verwundert daher nicht, dass viele Autorinnen und Autoren in der Peak Oil-Debatte Versorgungsengpässe bei existenziell wichtigen Gütern nicht mehr auf den globalen Süden beschränkt sehen – wo dies für Milliarden von Menschen den Alltag ihres Überlebenskampfs unter den Bedingungen des Imperialismus bildet – sondern auch im Norden. Den wähnte man von derlei Unglück bislang wie von einer unsichtbaren Hand geschützt.

Zu den von einer Versorgungskrise potenziell betroffenen Gütern gehören Nahrungsmittel. Zwar weist etwa Österreich in der Grundversorgung mit Nahrungsmitteln derzeit einen relativ hohen Eigenversorgungsgrad auf. So erreichte der Grad der Selbstversorgung laut Statistik Austria [15] 2009/10 bei Getreide 93%, bei Obst 69%, bei Gemüse 60% und bei pflanzlichen Ölen 27% sowie bei Fleisch 109%, bei Käse (einschließlich Schmelzkäse) 105%, bei Eiern 74% und bei Butter 72%. Auch Deutschland hat zum Beispiel bei Getreide einen hohen Selbstversorgungsgrad, so etwa gemäß Daten des Statistischen Bundesamts [16] 2008/9 bei Weichweizen 278% und bei Weizen insgesamt 236%.

Doch bei einem länger andauernden Engpass bei Dünger und Sprit für landwirtschaftliche Maschinen und Transportmittel wird ein solcher Eigenversorgungsgrad nur mit Mühe aufrecht zu erhalten sein. Einschränkungen beim „Fernfraß“, bei allen Nahrungsmitteln also, die über größere Entfernungen angeliefert werden, liegen auf der Hand. Weitaus bedenklicher und für viele tatsächlich lebensgefährlich wäre eine rückläufige Entwicklung der Ernteerträge. Der plötzliche Verzicht auf öl- und gasbasierten Dünger, petrochemisch hergestellte Pestizide und ein deutlich verminderter Maschineneinsatz würde die Erntemenge drastisch absenken.

Nahrungsmittel würden unter kapitalistischen Bedingungen, die eine vernünftige gesellschaftliche Verteilung von Ressourcen zwischen den Produktionsbereichen und zwischen Stadt und Land ausschließen, auf Dauer teurer. Eine unter eben diesen Bedingungen weiter wachsende Flächenkonkurrenz zwischen Energie- und Nahrungspflanzen, womöglich noch durch Ernteausfälle aufgrund des Klimawandels verschärft, würde insbesondere bei weltweit integrierten Agrarmärkten weiteren Druck in Richtung höherer Nahrungsmittelpreise ausüben – sollte Peak Oil zu einem teilweisen Einbruch des Weltmarktes führen, so wären allerdings auch die Agrarmärkte von Deglobalisierung betroffen, jedenfalls parziell.

Bei einer Schrumpfung von wirtschaftlichen Kernbereichen steigt mit Sicherheit die Zahl der Erwerbslosen. Neue Arbeitsplätze, die durch Erfordernisse der post-fossilen Transformation entstehen und mit entsprechenden Profiterwartungen einher gehen könnten – ohne die in einer kapitalistischen Wirtschaft überhaupt nichts geschieht –, würden die Lage etwas mildern. Dennoch wäre unter diesen Voraussetzungen mit einer erheblichen Transformationsarbeitslosigkeit zu rechnen. Ebenso ist ein Prozess der Entwertung von Qualifikationen absehbar. Fähigkeiten, die im fossilen Kontext als Qualifikationen gelten, würden zum Teil nicht mehr benötigt, neue Kompetenzen wären erst wieder zu erwerben. Diese könnten durchaus eine Reihe geschichtlich älterer Fähigkeiten handwerklicher und landwirtschaftlicher Produktion umfassen, die der fossile Kapitalismus verdrängt hat.

Elfte Tendenz: Vertrauensverlust in staatliche Institutionen und das bestehende Parteiensystem

Abschließend ist noch einmal die politische Dimension der voraussichtlichen Krisenentwicklung unmittelbar nach Peak Oil hervorzuheben, die auch die Bundeswehr-Studie in der ihr eigenen Weise anspricht. Tatsächlich sind zwei miteinander vermittelte ungünstige Entwicklungen zeitgleich zu erwarten: Durch eine erhöhte Arbeitslosigkeit und steigende Mobilitätskosten reduziert sich der Zugang zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt in Form von Gütern und Diensten. Immer mehr Menschen scheitern an der kapitalistischen Stoffwechsel-Form und -Schranke, dem Geld. Trifft das Produktionssystem – und dies gilt auch für eine wünschenswerte nicht-kapitalistische Alternative – zusätzlich eine harte energetische Beschränkung seines Outputpotenzials, so sinkt zugleich die Anzahl von Gütern und Diensten, die überhaupt angeboten bzw. hergestellt werden könnten.

Dies muss keineswegs ein Verzicht sein, wie einseitig auf den materiellen Konsum fixierte Ökologen suggerieren wollen. Doch soll dies hier nicht das Thema sein. Festzuhalten ist, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft die Absenkung des Gesamtoutputs an Dingen und Diensten, bei gleichzeitiger Reduktion des Zugangs dazu, der die Geldschranke passieren, sich also in zahlungsfähige Nachfrage umsetzen muss, katastrophale Folgen hat. Der Passierschein für die Geldschranke, der Produzierende von Konsumierenden trennt (die Klasse der Lohnabhängigen also in absurder Weise von sich selbst), dieser Passierschein ist ja immer nur das Resultat der Arbeitskraftnachfrage und ergo der Geldeinkommen. Diese werden von Profiterwartungen und diesem Ziel folgende Herstellungsprozesse generiert. Wo diese Erwartungen unter Depressionen leiden, sieht es auch mit dem Leben der daran gefesselten Menschen ziemlich düster aus.

Unter solchen Umständen liegt ein massiver Verlust des Vertrauens insbesondere der Lohnabhängigen in die Institutionen des Staates nahe. Die Herrschaft des Staates gründet sich ja nicht nur auf purer Gewalt, sondern ebenso auf der stillschweigenden oder aktiven Zustimmung der Lohnabhängigen zu ihrer Unterordnung. Die freilich entsteht auf einer materiellen Basis (im Verein mit einer ausgeklügelten Form der emotionellen Zurichtung, der insbesondere das System von Schulen, Medien und Ausbildungswegen dient).

Die Fortentwicklung einer solchen Herrschaftskrise verläuft häufig im Widerstreit zweier Tendenzen. Einerseits entstehen selbstorganisierte Bewegungen, die in verschiedener Weise für einen Ausbau gesellschaftlicher (anstelle staatlicher) Kontrolle und eine partizipative Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft eintreten. Einer solchen teils spontanen, jedenfalls durch einen hohen Grad organisationeller Autonomie ausgezeichneten Strömung steht in aller Regel eine Strömung gegenüber, die sich im Gegensatz dazu die Stärkung der kriselnden Herrschaftsstrukturen zum Ziel setzt.

Aus einer solchen Herrschaftskrise rührt der seit 2008 immer stärker anschwellende Ruf nach „Führung“ in Europa. Die Krise auf eine Führungsschwäche zurückzuführen zeigt die autoritäre Grundorientierung der dominierenden politischen Kräfte in der EU von Rechts bis weit in die Sozialdemokratie. Sie verkoppelt sich mit einer voranschreitenden Spaltung der Zivilgesellschaft in autonomistische und autoritäre Strömungen, mit einer schweigenden und vermutlich die Mehrheit umfassenden Mitte. Die politischen Orientierungen dieser Mitte schwanken, sie ist ebenso leicht korrumpierbar wie auf die Seite emanzipatorischer Strömungen zu ziehen, sobald sich der politische Wind dreht.

Systemisches Chaos und emanzipatorische Alternativen

Die Geschichte folgt keinem vorgefertigten Schema menschlicher Entwicklung, schon gar nicht folgt sie irgendeinem Naturgesetz oder geologischen Tatbeständen. Solange es sich um eine Geschichte herrschaftlich verfasster Gesellschaften handelt, ist dies eine Geschichte sozialer Kämpfe. Mehr als alles andere sind soziale Kämpfe unvorhersehbar und von Unsicherheit geprägt. Die geschichtliche Realität ist daher eine gänzlich andere als die herrschaftliche Geschichtsschreibung mit ihren Modelle der Evolution, ihren Schemata des überhistorischen und linearen Fort- oder Rückschritts glauben machen will. Das spontane Aufeinanderwirken von Akteuren mit teils bloß unterschiedlichen, teils hart gegensätzlichen Interessen, die sich im Wechselspiel von Kontrolle und Subversion befinden, das keine Instanz in irgendeiner Weise zentral lenkt oder gar steuert (noch je lenken oder steuern könnte), eröffnet ebenso viele Möglichkeiten der Wirklichkeit, wie da soziale Bewegungen entstehen und um emanzipatorische Perspektiven ringen.

Klar ist, dass das ökonomische und politische System nach Peak Oil qualitativen Veränderungen von großer Tragweite unterworfen sein wird.

Was diese ganz allgemeine Aussage angeht, so decken sich frühere Szenarien der Entwicklung der Gesellschaft nach Peak Oil wie etwa in Exner u.a. (2008) mit der aktuellen Bundeswehrstudie. Sie sieht die bevorstehende Entwicklung in den Grundlinien ähnlich. Die Weltwirtschaft würde bei Rückgang des Ölangebots kurzfristig mit steigenden Ölpreisen reagieren, was zu einem sinkenden Konsum und zu einem verringerten Output führt. Das Güterangebot würde sich verteuern, die Handelsvolumina schrumpfen. Die Staatshaushalte werden durch die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung und durch wachsende Sozialausgaben in vermehrten Maße und stark belastet. Notwendige Investitionen in Green Tech und Erdölsubstitute stünden dazu in Konkurrenz (ZfTdB 2011: 63).

Aus heutiger Sicht (2011) kann man ergänzen, dass sich dadurch die Schwierigkeiten vor allem der von der weltweiten Finanzkrise schwer angeschlagenen GIPS-Länder potenzieren würden, das Budgetdefizit in finanzierbarer Höhe zu halten. Das betrifft Griechenland, Irland, Portugal, Spanien. Weitere Kandidaten wie Italien und Belgien mit Staatsschulden in der Höhe ihres Bruttoinlandsprodukts sind in Sicht. Ein Staatsbankrott ist nicht mehr auszuschließen, wenn die Mittel der wohlhabenden Länder der Eurozone sich erschöpfen würden. Die Folge könnte ein Bankensterben in großem Ausmaß sein, mit allen Folgen für die Einlagen der Lohnabhängigen bei den Geldinstituten. Die Chance auf eine so genannte Erholung der Dynamik des Kapitalwachstums, das ja von Profiterwartungen in gesamtgesellschaftlichem Ausmaß getrieben wird, würde sehr gering. Ebenso sind in den USA für die nächsten Jahre zunehmende Finanzierungsprobleme des Staatshaushaltes zu erwarten.

Was man folglich durchaus ins Auge fassen muss, sofern eine emanzipatorische Alternative ausbleibt (dazu Exner u.a. 2008), zeichnet die Bundeswehrstudie ganz affirmativ in dunklen Farben und meint, „das globale Wirtschaftssystem und jede marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft (bräche) zusammen“ (ZfTdB 2001: 64). Der Umschlagspunkt wäre erreicht, wenn „in einer auf unbestimmte Zeit schrumpfende Volkswirtschaft die Ersparnisse nicht investiert (würden), weil Unternehmen keine Gewinne machten.“ Unternehmen könnten ihre Kredite nicht mehr bedienen, das Bankensystem, die Börsen und die Finanzmärkte könnten insgesamt zusammenbrechen. „Es würde sich ein völlig neuer Systemzustand einstellen“ (ebd.), heißt es.

Konkret gesprochen: Die Banken könnten Einlagen nicht mehr verzinsen, da sie keine kreditwürdigen Schuldnerinnen und Schuldner finden. Hyperinflation und Schwarzmärkte entstünden, dem folge der Übergang „zu einer tauschwirtschaftlichen Organisation auf lokalem Level“, meint die Bundeswehr. Die Abwicklung des Einkaufs von Vorprodukten wäre bei Kredit- und folglich Geldknappheit extrem schwierig. So müssten die bestehenden (vor allem die globalen) Wertschöpfungsketten kollabieren. Es drohten Massenarbeitslosigkeit und Hungersnöte. Kritische Infrastrukturen brächen zusammen, Staaten würden insolvent.

In diesen Passagen deckt sich die Studie der Bundeswehr jedenfalls mit dem kapitalistischen Alltagsverstand, der keinen Zweifel daran lässt, dass ohne Profit nichts geht. Das ist ein Niveau an Einsicht in den absurden und – nicht nur – angesichts Peak Oil nachgerade lebensgefährlichen Zwang dieser Verhältnisse, die der Mainstream der Debatte um Nachhaltigkeit, Steady State, Degrowth und Postwachstum bislang noch nicht erklimmen wollte. So floriert dort anstelle einer nüchternen Analyse der Systemwirkungen von Peak Oil und der realistischen Erfordernisse einer tragfähigen Alternative etwa der Glaube an wundersam sprießende Regionalwährungen, die global ein fortwesender Weltmarkt und lokal, bei halbem Lohn und halber Arbeitszeit (für jene, die dann noch Arbeitsplätze haben), eine unbezahlte Care-Ökonomie lieblicher Kleingärten und privatisierter sozialer Dienste umsorgen soll. Auf dem Rücken der Frauen, so steht zu befürchten. Unerschrockene, die ihren Glauben an eine ebenso allmächtige wie segensreiche Lenkungswirkung des Staates auch 1989 nicht abgeben wollten, plädieren dagegen für ein ökologisches Generaldiktat. All dies und noch Schlimmeres umweht der dumpfe Geruch moralischer Verzichtsaufrufe.

Worin ein neuer Systemzustand nach einem möglichen Teilzusammenbruch gesellschaftlicher Infrastrukturen bestehen soll, darüber macht die Studie der Bundeswehr, die solchen Perspektiven schon von Berufs wegen abhold sein muss, indes keine Aussagen. Dabei ist diese Visionslosigkeit in gewissem Sinn beinah erfrischend. So bringt gerade die kommentarlose Skizze der schlechten Realität auf einen Punkt, was einer möglichen Zukunft dräut, in der das Kapital als Herrschaftsverhältnis fortwest, während ihm seine energetischen und finanziellen Mittel zusehends abhanden kommen.

Wider besseres Wissen und zum Erstaunen der Leserinnen und Leser, die ihr bis hierher folgen durften, ruft die Bundeswehrstudie schließlich nach „positivem Wirtschaftswachstum“, das durch „die Energieversorgung des Wirtschaftskreislaufs gesichert werden […] muss“ (ZfTdB 2011: 65). „Eine auf unbestimmte Zeit schrumpfende Wirtschaftsleistung stellt einen höchst instabilen Zustand dar, der zu einem Systemkollaps führen würde. Die Sicherheitsrisiken einer solchen Entwicklung sind kaum abzuschätzen“, meint sie.

Dies gilt allerdings auch für die Möglichkeiten der Emanzipation. Matthias Schmelzer und Alexis Passadakis (2011) haben mit dem Begriff der Solidarischen Postwachstumsökonomie einen konzeptionellen Rahmen dafür vorgeschlagen. Darin wird reflektiert, dass die Gesellschaft erstens ihren Energie- und Stoffdurchsatz reduzieren und dann zweitens auf niedrigem Niveau konstant halten muss und dass dies drittens eine gesellschaftliche Regelung erfordert, die der chaotischen und von sozialen Interessensgegensätzen bestimmten kapitalistischen Produktionsweise fremd ist: Überschüsse dürfen nur für den stetigen Ersatz von Maschinerie oder die Verbesserung der Ressourceneffizienz verwendet werden; allen muss gleichermaßen und bedingungslos der Zugang zu den Ressourcen eines guten Lebens gewährleistet sein.

Der Umbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise zu einer Solidarischen Postwachstumsökonomie auf Basis von Gemeingütern und mit einem zunehmenden Gewicht demonetarisierter sozialer Beziehungen ist daher entscheidend. Man kann sich diesen Umbau als eine Diffusion sozialer Basisinnovationen vorstellen, die in Nischen entstehen, geschützt vor dem Markt und vor der Intervention des Staates. Solche Nischen verbinden gleichberechtigte Kooperation und eine solidarische Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Gesellschaft mit Selbstverwaltung.

Im Wissen um die vielen Schwächen und Defizite aller bestehenden Ansätze, sich der kapitalistischen Produktionsweise zu entziehen, kann man dafür durchaus einige Beispiele nennen: so etwa die in vielen Ländern und in großer Zahl existierenden Energiegenossenschaften, die häufig zitierte baskische Megakooperative Mondragón, genossenschaftlich geprägte Regionalökonomien wie in der italienischen Region Emilia Romagna oder der brasilianische Solidarökonomiesektor.

Soziale Basisinnovationen sind zum Teil notwendig, um technische Maßnahmen der Energieverbrauchsreduktion überhaupt wirksam zu machen. Sie sind jedoch selbst ein wesentliches Ziel: durch mehr Befriedigung in der Arbeit – was kompensatorischen Warenkonsum reduziert; durch eine demokratische, nicht am Profit und an der Konkurrenzfähigkeit, sondern an den konkreten Bedürfnissen orientierte Steuerung der Produktion – was den Zwang, ständige Überschüsse und damit wachsende Energieverbräuche zu generieren, aufhebt und eine Postwachstumsökonomie ermöglicht; durch den Ausbau kollektiven Konsums – was mehr Lebensqualität schafft bei weniger Energieverbrauch; durch eine Einschränkung des Statuswettbewerbs, der nach individuellem materiellen Zugewinn verlangt – was in größerer gesellschaftlicher Gleichheit resultiert.

Der Strukturumbau zu einer Solidarischen Postwachstumsökonomie erfordert das selbstorganisierte Engagement der Menschen und nach allem, was wir über soziale Kämpfe und den Aufbau von Perspektiven wissen, sind dafür Pioniergruppen und mutige Vorstöße von Minderheiten entscheidend. Der Staat kann den Umbau unterstützen, etwa indem er rechtliche Rahmenbedingungen schafft, damit Belegschaften Produktionsbereiche in demokratische und bedarfsorientierte Unternehmensformen überführen und sie in kooperative Netze der Steuerung von Produktion und Konsum einbetten können. Auf jeden Fall muss selbst unter günstigen Voraussetzungen, das heißt bei einer raschen Verbreitung sozialer Basisinnovationen mit der Gefahr einer Konterrevolution gerechnet werden. Ihr kann nur durch Brückenköpfe im Staatsapparat, von wo aus seine Integration in die Gesellschaft voranzutreiben wäre, vorgebaut werden. Dafür scheinen Erfahrungen in lateinamerikanischen Staaten, namentlich Venezuela, relevant.

Für einen solchen Strukturumbau wären Instrumente der demokratischen Wirtschaftslenkung hilfreich, die hier nur mit Stichworten angedeutet werden können und von Investitionsräten über Formen der Losdemokratie und demokratischer Banken bis hin zu partizipativen Budgets auf kommunaler Ebene reichen würden.

Unmittelbar scheint der Aufbau demonetarisierter, solidarischer Beziehungen vordringlich und die Stärkung der im globalen Norden fast nicht mehr vorhandenen Nischen der Autonomie, etwa was die Produktion von Nahrungsmitteln angeht. In einer multiplen Versorgungskrise, die man nach Peak Oil nicht ausschließen kann und die unter gewissen Annahmen sogar wahrscheinlich ist, steht das Leben vieler Menschen auf dem Spiel und breite Schichten würden von Verelendung erfasst. Will man in einer solchen Situation nicht die prekären und ganz unzureichenden Experimente mit Tauschkreisen wiederholen, die etwa in Argentinien nach der Krise 2000/2001 explodierten und die Marktwirtschaft auf äußerst niedrigem Kooperationsniveau und ohne jede soziale Sicherheit reproduzierten, so wird eine Alternative auf Basis umfassender Kooperation notwendig.

Literatur

[6Wachstum des Kapitals ergibt sich, wenn der Überschuss erster Art (Profit) in die Erweiterung des Gesamtkapitals einer Nation reinvestiert wird. Eine weitere Möglichkeit des Wachstums – alternativ oder zusätzlich – besteht darin, mehr Output (Waren) pro Kapitaleinheit zu produzieren. Das ist auch bei gleichbleibendem Gesamtkapital möglich, indem man produktivere Ersatzinvestitionen tätigt.

[8http://www.pressetext.com/news/20110127010?source=js; Umfrage mit einer Stichprobe von 1.000 Personen, durchgeführt von TNS Emnid im Auftrag von partnersuche.de; PR-Mitteilung vom 27.01.2011

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