FORVM, No. 202/I
Oktober
1970

Pop und Politik

Gespräch

„Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, zu filmen?“ — mit dieser Frage begann unser Interview mit Mick Jagger. „Das Singen war mir gerade langweilig, das war alles“, sagte er. Er sprach es, wie er eben spricht — wenn er einmal spricht — und davon sollte man mehr hören. Daher im folgenden: nur knappe Übersetzungen.

Sie sprachen von Film und von Geld. Wer zuviel von Geld redet, gerät in den Augen mancher Leute rasch auf die Seite des Establishments.

Jagger: Ich glaube doch, daß es sehr darauf ankommt, was man mit dem Geld macht ... Natürlich habe ich nicht gefilmt, weil man mir viel Geld dafür geboten hat. Ich wollte einfach mal einen guten Film machen.

Wie schätzen Sie die Bedeutung des Mediums Film ein?

Jagger: Fernsehen ist wahrscheinlich genauso wichtig. Im Film gibt es aber mehr Freiheit. Als visuelles Ausdrucksmittel ist Film das freieste — nur ist es technisch schwer zu handhaben.

Womit glauben Sie, kann man jungen Menschen mehr sagen. Mit Film oder mit Musik?

Jagger: Mit Musik.

Sie gehören zu den Leuten, die das konservative England verändert und freier gemacht haben. Mit der „Rolling Stones“-Tournee kommen Sie jetzt auch nach Österreich — in ein noch immer konservatives Land. Es gibt da viele junge Menschen, die sich nicht frei fühlen. Haben Sie diesen Menschen etwas zu sagen?

Jagger: Ich weiß nicht, ob wir in England freier sind als in Österreich ... Es gibt Vorurteile, die oft auf lange Sicht nicht auszurotten sind, besonders in intoleranten Ländern, in Ländern, wo man ganz einfach intolerant ist. Aber man muß trotzdem versuchen, etwas zu ändern — in aller Ruhe oder mit Gewalt. Ich bin gegen Gewalt. Die Polizei ist gewalttätig genug.

Wie stehen Sie ganz allgemein zur Jugend, die protestiert und revoltiert?

Jagger: Ich unterstütze ihren Protest gegen den Krieg. Ich bin auch für eine Veränderung der Gesellschaft. Wenn die Möglichkeit für eine gewaltsame Revolution besteht, dann ist das eine Möglichkeit. Aber auch nicht immer. Es sind da Fehler gemacht worden, es sind böse Dinge passiert in Deutschland zum Beispiel. Es gab gefährliche Situationen in Deutschland in diesem Jahrhundert. Auch die Ergebnisse der Russischen Revolution finde ich nicht sehr ermutigend. Ich bin kein Marxist.

Sie sagten, die Jugend von heute habe eine negative Aufgabe.

Jagger: Sie hat die Aufgabe, Werte zu negieren, die die letzten hundert Jahre lang Gültigkeit hatten. Werte allerdings, die schon längst abgeschafft hätten werden müssen. Dazu gehören auch die marxistischen Werte. Jetzt gibt es neue Ideen. Wir brauchen eine neue Revolution, und die Zeit dafür ist jetzt. Wir müssen Lärm machen, sonst hört man uns nicht. Wir sollten dabei aber immer unsere Lage überdenken und im Frieden mit uns und unseren Freunden bleiben, sonst machen wir denselben Fehler wie die anderen, sonst machen wir nur Chaos, wir sollen aber die Gesellschaft verändern.

Wie sehen Sie die Entwicklung in der Popmusik?

Jagger: Es gibt mehrere Trends nebeneinander — zum Jazz, zur Elektronik. Auf jeden Fall gehen wir mehr und mehr weg von der Tradition, vom Rock. Manchmal sollte man sich aber an den Rock erinnern — als Kontrolle, daß man ihn nicht vergessen hät.

Die Beatles sind auseinandergegangen. Könnte das mit den Stones auch geschehen?

Jagger: Natürlich könnte es passieren. Ich meine, man kann nicht ewig mit denselben Leuten zusammenspielen. Wenn man das Zusammenspielen satt hat, muß man eben aufhören. Ein Mädchen verläßt man ja auch, wenn man es nicht mehr liebt. Man bleibt doch nicht einfach wegen der Kinder beisammen.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)