Amelie Lanier, 1. Abschnitt
September
2011
18.9.2011

Protokoll 11

Zahlungsmittel, Weltgeld

b) Zahlungsmittel

Der Verkäufer wird Gläubiger, der Käufer Schuldner.

(S 149, 1. Absatz)

Wie bei der Miete – die zahlt man ja auch am Monatsanfang, damit man die Wohnung dann den Monat über benützen kann. Ganz ohne Ortsveränderung!

Ist denn Geld kein Zahlungsmittel, wenn man gleich zahlt?
Die Ware wird zwar übernommen, aber noch nicht bezahlt, daher wird dieser Begriff eingeführt, im Unterschied zu „Kaufmittel“ (S 129).
Um diese neue Funktion erfüllen zu können, muß Geld dauerhaft, haltbar sein, daher kommt dieses Unterkapitel nach den Ausführungen zur Schatzfunktion.

Der Unterschied zwischen vorkapitalistischen und kapitalistischen Schuldner-Gläubiger-Verhältnissen – worin genau liegt der?
Zunächst wird doch hier das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis als Ergebnis eines Kaufaktes dargestellt. Warenbesitzer treten in dieses Verhältnis, nicht Müßiggänger (sich dem Kriegshandwerk und dem Bsuff hingebende Grundherren) und Geldverleiher. Die Warenzirkulation ist die Grundlage dieses Schuldverhältnisses. Es entsteht in einer Gesellschaft, von der die Warenproduktion und die Geldwirtschaft bereits Besitz ergriffen haben.

Diese neue Funktion des Geldes vereint zwei alte und weist über sie hinaus: Als Zirkulationsmittel wird es durch das Versprechen auf später ersetzt, ist also physisch gar nicht vorhanden, vermittelt aber dennoch den Händewechsel der Ware. Ebenso als Schatz: Jemand hat etwas auf der hohen Kante, das er noch gar nicht hat, das ihm aber zusteht. Zahlungsmittel ist also ideelles Zirkulationsmittel und ideeller Schatz. Das klassische Medium desselben war der Wechsel, heute das Buchgeld.

Für den Händewechsel der Ware bedeutet es: Der Kaufakt wird auseinandergerissen – Ware wechselt den Besitzer, aber das Geld erst später. Der Einsatz des Geldes als Zahlungsmittel ist die erste Form des Kredits, und eine Quelle der Krise.

Am Bespiel der Miete: Diese wäre für den Vermieter ein Schatz nur dann, wenn er es in den Safe legt und sie nicht wieder in die Zirkulation wirft, um z.B. Schnaps damit zu kaufen.
(Hier gibt es m.E. ein Mißverständnis bei der Debatte: Die Miete wird doch am Monatsanfang gezahlt, nicht am Monatsende. Der Mieter kreditiert also den Vermieter, nicht umgekehrt.)

Der Käufer verwandelt Geld zurück in Ware

(S 150, 3. Absatz)

Warum? Er hat ja gerade kein Geld, deshalb bleibt er es schuldig.
Aber ideell muß das Geld vorhanden sein, damit er es als Zahlungsmittel einsetzen kann. Diese angedeutete Verwandlung beruht auf dem vorgestellten, zukünftigen Vorhandensein des Geldes, das hier nur als Versprechen existiert. Hätte er keine Aussicht auf Geld, so erhielte er die Ware nicht auf Kredit.
(Man denke hier an Wirtshäuser, wo die manche Stammgäste Alk auf Kredit erhalten, andere jedoch nicht.)

Eine weitere Steigerung in den gegenseitigen Abhängigkeiten der Warenbesitzer tritt ein, wenn die Zahlungsversprechen ihrerseits als Zahlungsmittel eingesetzt werden. „Ich werde zahlen“, der Schuldschein, den A an B überreicht, wird von B an C weitergegeben. Mit einer Stockung an einer Stelle werden nicht nur künftige Transaktionen vereitelt, sondern bereits getätigte sind betroffen: Sie werden als Kaufakt teilweise negiert.
(„Teilweise“ deshalb, weil ja durch den Einsatz des Geldes als Zahlungsmittel der Kaufakt in 2 Teile zerfällt: Der Händewechsel der Ware hat stattgefunden, der des Geldes jedoch ist unterblieben.)

Es kommt gleichzeitig zu einer Ökonomisierung des Zahlungsverkehrs.

So z.B. die Virements im mittelaltrigen Lyon.

(S 151, 2. Absatz)

Die Giral-Börse von Lyon (entstanden meines Wissens in der Renaissance, um 1540, nicht im Mittelalter) war ein Ort, wo die Kaufleute aus ganz Europa ihre Forderungen gegeneinander ausglichen, sodaß verschiedene Transaktionen nicht mehr einzeln vollzogen werden mußten. Die Kaufleute trugen ihre Wechsel dorthin und Forderungen aus Smyrna wurden z.B. gegen Guthaben aus Gent aufgerechnet und gelöscht, ohne daß die ursprünglichen Handelspartner überhaupt dabei beteiligt waren.
(Heute lauft das alles über Bankkonten und Überweisungen, also den bargeldlosen Zahlungsverkehr – wenn eine Bank kracht, so führt das auch zu größeren Verwerfungen unter den Zahlungen ihrer Kunden, auch wenn es sich um Geld handelt, das gar nicht Einlage war, sondern nur durchgelaufen ist.)

Durch solche Manöver verringert sich natürlich die Menge des benötigten Zirkulationsmittel.

Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schließt einen unvermittelten Widerspruch ein. Soweit sich die Zahlungen ausgleichen, funktioniert es nur ideell als Rechengeld oder Maß der Werte. Soweit wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als Zirkulationsmittel auf, als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern als die individuelle Inkarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbständiges Dasein des Tauschwerts, absolute Ware.

(S 151, letzter Absatz)

Hmmm?!
Als „verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels“ – es ist gar nicht da, man hat nichts in der Hand, dennoch hat es durch den Händewechsel der Ware Wirklichkeit gewonnen. Es tritt dabei als stoffliches Zirkulationsmittel in Form von Münzen oder Banknoten gar nicht auf. (Bei der „individuellen Inkarnation“ halten wir uns lieber nicht auf … Das und die „absolute Ware“ sind Ausdruck einer gewissen theoretischen Verliebtheit von Marx, dem es gefällt, daß der Wert hier rein in der Vorstellung existiert, ohne stoffliche Materialisierung.)

Der Einsatz des Geldes als Zahlungsmittel macht freilich jede Menge Transaktionen möglich, die nicht stattfinden würden, wenn sofortige Zahlung verlangt wäre. So wird der Warenaustausch belebt, es ist viel mehr los am Markt. Zukünftige Zahlungsfähigkeit wird zum Ausgangspunkt für gegenwärtigen Warentausch, Verkauf. Waren werden verkauft, ohne bezahlt zu werden. Der Einsatz des Geldes als Zahlungsmittel steigert damit den Verkauf und auch die Produktion. Diese beruht somit zu einem Teil auf Pump, und dieses Damoklesschwert fällt in der Krise auf sie zurück – wenn Zahltag ist und jeder Zahlung sehen will, aber nicht jeder sie leisten kann.
Und mit der Globalisierung führt das eben dann dazu, daß Zahlungsunfähigkeit in Hamburg – weil jemand seine eigene Ware nicht losgeworden ist – zu Konkursen in Seoul führt.

Es geht auch nicht, wenn Zahlung verlangt ist und nicht geleistet werden kann, daß man dann einfach die Ware zurückgibt und alles ist ok. Denn erstens ist die meistens schon in irgendeiner Form konsumiert, aber zweitens wollte der Verkäufer ja Geld erlösen bei dem Verkauf. Kriegt er die Ware zurück, so ist der Verkauf annuliert und ihm fehlt genau die Zahlungsfähigkeit, die er sich durch den Verkauf verschaffen wollte.

Solange Prosperität herrscht, wird auch gern auf Kredit verkauft und alles flutscht – heut brauch ichs nicht, morgen ists auch gut! und alle verkaufen auf Pump – aber wenn die Klemme eintritt und jeder Zahlung sehen will, dann wird’s eng.

Eine Sache sind die umlaufenden Schuldforderungen, eine andere die tatsächlich zu leistenden Zahlungen. Es kann eine große Menge von Zahlungsverspechen unterwegs sein, aber es hängt eben von der jeweiligen Konjunktur ab, was gerade fällig gestellt wird, und wann Aufschub gewährt wird.

Zur Menge des umlaufenden Geldes, die ihrerseits sowohl durch die Anzahl der verkauften Waren als auch durch die Zirkulationsgeschwindigkeit bedingt ist, kommt jetzt die Menge der auf Kredit verkauften Waren hinzu, die die Menge des tatsächlich zirkulierenden Geldes weiter einschränkt.

Andrerseits, wie sich das Kreditwesen ausdehnt, so die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel. Als solches erhält es eigne Existenzformen, worin es die Sphäre der großen Handelstransaktionen behaust, während die Gold- oder Silbermünze hauptsächlich in die Sphäre des Kleinhandels zurückgedrängt wird.

(S 153/154)

Mit anderen Worten: Was heißt dieser Einsatz des Zahlungsmittels für das Geld? Es wird zunehmends von Münzgeld, realem Wert, zu Kreditgeld, virtuellem Zahlungsmittel. Viel mehr virtuelles Geld ist im Umlauf als sich in realem Geld zählen ließe. Die Geldmenge vermehrt sich sozusagen ins Nirvana, entgleitet der Zählbarkeit.

Unklar ist der Rückgriff, der auf S 154 auf Geld- statt Naturalabgaben erfolgt. Was hat das mit dem Zahlungsmittel zu tun? Und auch der Verweis auf Gesellschaften, bei denen es nicht um Warenproduktion geht. Warum dies hier, an dieser Stelle?

In jedem Land setzen sich gewisse allgemeine Zahlungstermine fest.

(S 155, 2.Absatz)

Es ist ganz verkehrt, das jetzt auf die aktuelle Staatsschuldenkrise zu übertragen, und die fälligen Zahlungstermine für Staatsanleihen, weil es sich da um Kreditoperationen ganz anderer Art handelt als die, die in diesem Abschnitt Thema sind. Hier geht es um die Warenzirkulation und um Schulden, die durch Verkäufe entstehen.

Aus dem Gesetz über die Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel folgt, daß für alle periodischen Zahlungen, welches immer ihre Quelle, die notwendige Masse der Zahlungsmittel in geradem (1. bis 4. Auflage: umgekehrtem) Verhältnis zur Länge der Zahlungsperioden steht.

(S 156, 1. Absatz)

Marx wollte offenbar ein Gesetz aufstellen, ähnlich den Kepler’schen Gesetzen über die Planetenbahnen. Als Gesetz bleibt nur soviel, als eine Weiterentwicklung dessen, was im Kapitel über Geldmenge und Zirkulationsgeschwindigkeit bereits dargelegt wurde: Je besser die Konjunktur, umso höher die Zahl der Käufe und Verkäufe, und um so mehr wird auf Kredit verkauft, wodurch die Masse des benötigten Zirkulationsmittels weiter sinkt.

Was ist jetzt die „Masse des Zahlungsmittels“ – das, was zur Zahlung ansteht, oder das, was gerade als Zahlungsversprechen zirkuliert?
(All das weist weiter zum eigentlichen Kredit und den lang- und kurzfristigen Krediten, und deren Zinsfuß …)

Die Entwicklung des Geldes als Zahlungsmittel ernötigt Geldakkumulationen für die Verfalltermine der geschuldeten Summen. Während die Schatzbildung als selbständige Bereicherungsform verschwindet mit dem Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft, wächst sie umgekehrt mit demselben in der Form von Reservefonds der Zahlungsmittel.

(S 156, 2. Absatz)

Die Funktion des Geldes als Schatz und als Zahlungsmittel bedingen einander und heben einander gleichzeitig auf. Jeder Schatz als ruhender (Geld in der Matratze) wird zu einem Hemmnis, stärker: einem Ärgernis des Warenaustausches. Der Besitzer von Geld empfindet es als mißlich, wenn dieses Geld nur herumliegt, und wirft es bei der ersten besten Gelegenheit in die Zirkulation, um damit ein Geschäft zu ermöglichen und dadurch Gewinn, G–G’ zu machen.

So kommen zwei Seiten von Markt-Akteuren zusammen: Die einen, die kein Geld bar zur Hand haben, aber kaufen wollen; und die anderen, die Geld herumliegen haben, aber nicht wissen, wohin damit.

Beiden gemeinsam ist: Was immer sie besitzen, soll mehr werden.

c) Weltgeld

Was ist gemeint mit:

Im Welthandel entfalten die Waren ihren Wert universell.

(S 156, letzter Absatz)

Der Wert muß sich auch international beweisen. Was bedeutet das?
Die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit muß sich jetzt mit allen anderen nationalen Produktivitätsniveaus messen – die Konkurrenz der Nationen wird über den Warentausch angeheizt und neu aufgemischt.

Aus dem Vergleich der verschiedenen Arbeitszeiten ergibt sich ein neuer Durchschnitt, indem Produkte, die mehr Arbeitszeit enthalten, also teurer sind, vom Markt verdrängt werden, indem sie entweder unter Wert verkauft werden müssen oder leigenbleiben; oder aber neue Techniken in andere Länder exportiert werden, die die Durchschnittsarbeitszeit senken.
Hier spielt natürlich auch die Menge der Produkte eine Rolle. Würde Österreich z.B. das Brot bedeutend billiger herstellen als Deutschland, so könnte es wahrscheinlich nicht den ganzen deutschen Markt versorgen, bzw. es würden in der einheimischen Brotversorgung Lücken auftreten, die dann nur durch teurere Importe gedeckt werden müssten.
(Diese kurze Erwähnung der Wirkungen des Weltmarktes auf die Produktion macht schon neugierig auf die nächsten Abschnitt, wo erläutert wird, unter welchen Bedingungen diese Produktionssteigerungen stattfinden und wie sie bewerkstelligt werden ...)

Die Funktion als Zahlungsmittel, zur Ausgleichung internationaler Bilanzen, herrscht vor.

(157, 2. Absatz)

Wenn Waren von Land A nach Land B verschickt werden und umgekehrt, so muß die Differenz eben in Weltgeld, hier eben Edelmetallen ausgeglichen werden. Sodaß ein Unterschied in der Wertmasse der ein- und ausgeführten Waren eben Zu- oder Abfluß von Weltgeld bedeutet.

Daher das Losungswort des Merkantilsystems - Handelsbilanz! Zum internationalen Kaufmittel dienen Gold und Silber wesentlich, sooft das herkömmliche Gleichgewicht des Stoffwechsels zwischen verschiednen Nationen plötzlich gestört wird.

(S 157/158)

Der Schlenker zu Reparationszahlungen nach WK I ist irreführend, weil es da ja um außerökonomisch bedingte Zahlungen handelt.
Marx dachte vermutlich eher an Mißernten, durch Seuchen bedingte Produktionsausfälle, oder Kriege bzw. Aufstände in Kolonien, die Nachschubprobleme an bestimmten Rohstoffen oder Waren verursachen.

Die Vorstellung, man hätte seinerzeit Münzen einschmelzen müssen, um sie jenseits der Grenze als Zahlungsmittel zu verwenden, ist historisch falsch. Gold- und Silbermünzen wurden jenseits der Grenzen des prägenden Staates angenommen, es gab jedoch Präferenzen betreffend den Reinheitsgehalt. Wenn ein Staat also aus Budgetnöten zum Trick der Münzverschlechterung griff, so beeinflußte das seine Stellung im Außenhandel, weil es seinen Kaufleuten den Handel mit dem Ausland erschwerte.
Als London zum Zentrum des Welthandels aufstieg – Anfang des 19. Jhd. – so war der Handel mit Edelmetallen – „bullion“ – ein wichtiger Handelszweig an der Börse. Auch da handelte es sich jedoch größtenteils um geprägtes Geld, oder bei Barrenform um Nachschub für die britische Münzprägeanstalt.

Endlich als absolut gesellschaftliche Materiatur des Reichtums, wo es sich weder um Kauf noch Zahlung handelt, sondern um Übertragung des Reichtums von einem Land zum andren, und wo diese Übertragung in Warenform entweder durch die Konjunkturen des Warenmarkt oder den zu erfüllenden Zweck selbst ausgeschlossen wird.

(S 158)

Hier sind vielleicht so Dinge wie Reparationen gemeint, obwohl über den Punkt keine Klarheit geschaffen werden konnte.

open end. Hier fehlt noch was, das jedoch nachgeholt wird.

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