Amelie Lanier, 4. Abschnitt
August
2012
12.8.2012

Protokoll 25

Teilung der Arbeit und Manufaktur 2, Kapitel 12/4

12. Kapitel

4. Teilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur und Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft

Wir berühren jetzt kurz das Verhältnis zwischen der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit und der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit, welche die allgemeine Grundlage aller Warenproduktion bildet.

(S. 371, 2. Absatz)

Dieser Satz gibt Anlaß zu Mißverständnissen. Es ist wohl richtig, daß Warenproduktion Teilung der Arbeit bedingt, es ist aber nicht richtig, daß Teilung der Arbeit Warenproduktion bedingt.

Die Ausführungen zu Stamm und Arbeitsteilung auf S 372-373 erscheinen – wie auch die Fußnote 50a andeutet, – auf Engels’ Einfluß zurückzugehen und haben jedenfalls mit der Erklärung von Manufaktur nichts zu tun. Sie liefern nur Material für den Enwicklungsgedanken, die „historische Notwendigkeit“. Außerdem befördern solche sachfremden Einschübe die Vorstellung, Teilung der Arbeit bedinge Tausch und Markt.

Marx verwendet oft das Wort „naturwüchsig“ für etwas, was eine rein gesellschaftliche Tat ist, also keineswegs von der Natur vorgegeben. Es ist für ihn etwas, was nicht absichtlich geplant ist, sondern „einfach so“ geschieht. Es scheint, daß da Illusionen über das Bewußtsein von Ur- oder außereuropäischen Gemeinschaften [1] bestehen, weil gedacht haben werden sich die Leute ja auch etwas dabei, auch wenn sie es in kein Buch hineingeschrieben haben.

Auch die immer wiederkehrenden Bilder eines gesamten Organismus, von dem die einzelnen Arbeiter nur „Teile“ sind, „Organe“, leistet Vorschub zu einer gewissen mechanistischen Auffassung der Individualität, das nur als Teil eines Großen Ganzen, als Rädchen im Getriebe, seine Erfüllung findet.

Reiches Material zur Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft liefert der Manufakturperiode die Erweiterung des Weltmarkts und das Kolonialsystem, die zum Umkreis ihrer allgemeinen Existenzbedingungen gehören.

(S. 375/76)

Die ersten (Textil-)Manufakturen entstanden in Flandern und Brabant, und wurden dann nach der Unabhängigkeit der Niederlande im 17. Jahrhundert dort ausgebaut. Wahrscheinlich handelte es sich aber noch um verstreute Werkstätten, die für einen Auftraggeber arbeiten. http://de.wikipedia.org/wiki/Gobelin-Manufaktur#Hintergrund" class="spip_glossaire mediabox boxIframe boxWidth-60% boxHeight-90%" target="_blank">Zum Staatsprogramm wurde die Förderung der Manufakturen im 17. Jahrhundert in Frankreich, neben Ausbau der Infrastruktur und dem Schutzzollsystem, zur Erzielung von Überschüssen im Außenhandel. Von Frankreich aus verbreiteten sich die Manufakturen quer über Mitteleuropa, wo die verschiedenen Monarchen neidisch auf Frankreichs relativ gut gefüllte Staatskasse schielten, und ihrerseits begannen, Wirtschaftspolitik zu treiben.
Die „Erweiterung des Weltmarkts“durch die gestiegene Zahlungsfähigkeit der Kolonialmächte und die Vergößerung des Warenspektrums lieferten also den Anlaß und auch den weiteren Ansporn zu einer Steigerung der Produktion, wo sich kaufmännisches Kapital, handwerkliches Know How und staatliche Förderung vereinigten.
(Das Internet ist nicht sehr spendabel, was Info zu den Manufakturen betrifft.)

Warum widmet Marx diesem Thema soviel Raum?

Es scheint unter den Nationalökonomen seiner Zeit eine Debatte über die Bedeutung der Manufakturperiode und der Arbeitsteilung für die Entwicklung des Kapitalismus gegeben zu haben. Adam Smith beginnt sein Buch „The Wealth of Nations“ mit dem Thema Arbeitsteilung und sieht hier lediglich Produktivitätssteigerung, die der Spezialisierung und dem Fortschritt dient, und der Natur der Menschen und ihrer jeweiligen „Begabung“ entspricht. Gegenüber diesem idyllischen Bild, bei dem alle gut fahren, weist Marx auf andere wichtige Leistungen der Manufaktur hin:

  1. Zerlegung von Arbeitsprozessen bis zu einem Punkt, wo der Mensch durch eine Maschine ersetzt werden kann.
  2. Bildung einer Klasse von Lohnabhängigen, die nicht auf eigene Rechnung arbeiten bzw. zünftisch organisiert sind,
  3. Trennung des Arbeiters von den Produktionsmitteln
  4. Konzentration von Kapital in der Produktionssphäre

Die manufakturmäßige Teilung der Arbeit unterstellt Konzentration der Produktionsmittel in der Hand eines Kapitalisten, die gesellschaftliche Teilung der Arbeit Zersplitterung der Produktionsmittel unter viele voneinander unabhängige Warenproduzenten. Statt daß in der Manufaktur das eherne Gesetz der Verhältniszahl oder Proportionalität bestimmte Arbeitermassen unter bestimmte Funktionen subsumiert, treiben Zufall und Willkür ihr buntes Spiel in der Verteilung der Warenproduzenten und ihrer Produktionsmittel unter die verschiednen gesellschaftlichen Arbeitszweige.

(S. 376, 2. Absatz)

Mit „gesellschaftlich“ ist offenbar der Zustand vor der Manufakturperiode gemeint, weil eigentlich ist ja alles „gesellschaftlich“. Das „eherne Gesetz der Proportionalität“ erscheint aus den Fingern gesogen – die Geschichte ist voll von Beispielen, wo Mangel an Produkten nicht die Arbeitsteilung beflügelt, sondern entweder zu Hungersnöten oder zu Raubzügen geführt hat. Was bleibt also von der Aussage? Daß das Kapital dort investiert, wo ein Markt ist und das produziert, was sich verkaufen läßt, und nicht das, was tatsächlich benötigt würde.

Was soll hier ausgedrückt werden?

Zwar suchen sich die verschiednen Produktionssphären beständig ins Gleichgewicht zu setzen, indem einerseits jeder Warenproduzent einen Gebrauchswert produzieren, also ein besondres gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen muß, der Umfang dieser Bedürfnisse aber quantitativ verschieden ist und ein innres Band die verschiednen Bedürfnismassen zu einem naturwüchsigen System verkettet; indem andrerseits das Wertgesetz der Waren bestimmt, wieviel die Gesellschaft von ihrer ganzen disponiblen Arbeitszeit auf die Produktion jeder besondren Warenart verausgaben kann.

(S. 376/77)

Gleichgewicht – es soll also nicht hier Überproduktion, da Mangel geben, das Kapital wechselt stets aus eine Sphäre in die andere, wenn wo plötzliche Veränderungen eintreten, ein Markt wegbricht, usw. Das „Band der verschiedenen Bedürfnisse“ und das „bestimmende Wertgesetz“ stehen für Eigengesetzlichkeiten der Produktion, die hier behauptet, aber nicht ausgeführt werden.
Marx stellt die geplante Produktion innerhalb der Manufaktur dem Wildwuchs dessen gegenüber, der sich insgesamt in einer Gesellschaft abspielt, wo drauflos produziert wird, ohne daß der Absatz irgendwie garantiert wäre.

... die gesellschaftliche Teilung der Arbeit stellt unabhängige Warenproduzenten einander gegenüber, die keine andre Autorität anerkennen als die der Konkurrenz, den Zwang, den der Druck ihrer wechselseitigen Interessen auf sie ausübt, wie auch im Tierreich das bellum omnium contra omnes die Existenzbedingungen aller Arten mehr oder minder erhält.

(S. 377, 1. Absatz)

Der Vergleich der kapitalistischen Konkurrenz mit dem Tierreich ist nicht sehr glücklich gewählt, weil er ihr dadurch eine Naturbedingtheit zuschreibt. Es ist auch zweifelhaft, ob im Tierreich sowas wie ein Krieg aller gegen alle herrscht. Zu Marx, Engels und Darwin findet man hier etwas.

Diesen Sätzen hingegen kann man nur zustimmen, was die Ideologie betrifft, denn sie sind aktuell wie eh und je:

Dasselbe bürgerliche Bewußtsein, das die manufakturmäßige Teilung der Arbeit, die lebenslängliche Annexation des Arbeiters an eine Detailverrichtung und die unbedingte Unterordnung der Teilarbeiter unter das Kapital als eine Organisation der Arbeit feiert, welche ihre Produktivkraft steigre, denunziert daher ebenso laut jede bewußte gesellschaftliche Kontrolle und Reglung des gesellschaftliche Produktionsprozesses als einen Eingriff in die unveretzlichen Eigentumsrechte, Freiheit und sich selbst bestimmende ’Genialität’ des individuellen Kapitalisten. Es ist sehr charakteristisch, daß die begeisterten Apologeten des Fabriksystems nichts Ärgres gegen jede allgemeine Organisation der gesellschaftlichen Arbeit zu sagen wissen, als daß sie die ganze Gesellschaft in eine Fabrik verwandeln würde.

(ebd.)

Die „lebenslängliche Annexation an eine Detailverrichtung“ ist allerdings schon lange vorbei. Erstens sind „lebenslängliche“ Jobs schon lange Geschichte, aber zweitens entwerten sich heute auch die Spezialisierungen sehr schnell.

Die Fußnote 59 (S. 378) ist eigentlich die generelle Aussage dieses Unterkapitels 12/4:

Man kann als allgemeine Regel aufstellen: Je weniger die Autorität der Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft vorsteht, desto mehr entwickelt sich die Arbeitsteilung im Innern der Werkstatt und um so mehr ist sie der Autorität eines einzelnen unterworfen. Danach steht die Autorität in der Werkstatt und die in der Gesellschaft, in bezug auf die Arbeitsteilung, im umgekehrten Verhältnis zueinander.

Das Selbstzitat stammt aus dem „Elend der Philosophie“, und viel in diesem Unterkapitel scheint eine Wiederholung dessen zu sein, was Marx damals gegen Proudhon geschrieben hat – auch die seither generell als „marxistisch“ geltende Phrase von der „Anarchie der Produktion“ ist offenbar gegen Proudhon entwickelt worden. Marx hat die Bedeutung dieses Werkes als Vorarbeit für das „Kapital“ selbst einmal charakterisiert.

Die „allgemeine Regel“ ist auf jeden Fall falsch, weil es eben an den Zwecken liegt, die in einer bestimmten Gesellschaft herrschen, wie die Produktion organisiert ist, und es kein allgemeines Gesetz „der Produktion“ geben kann.

Bei dem indischen Gemeinwesen ist wiederum nicht klar, 1. was es eigentlich hier zu suchen hat, uns 2. wo hier ein „Markt“ herkommt:

Der Gemeindemechanismus zeigt planmäßige Teilung der Arbeit, aber ihre manufakturmäßige Teilung ist unmöglich, indem der Markt für Schmied, Zimmermann usw. unverändert bleibt ...

(S 379, 1. Absatz)

Vorher war gerade davon die Rede, daß in der Manufaktur „geplant“ wird, während es in der „Gesellschaft“ (welcher?) „naturwüchsig“ zugeht ...

Diskussion:

Was ist gemeint mit „ihre manufakturmäßige Teilung ist unmöglich“?

Es gibt weder einen Anlaß noch eine Notwendigkeit, hier Manufakturen zu errichten, also ist die Auskunft, daß solches „unmöglich“ ist, hmmm, etwas deplaziert.

Ist es, weil die Gemeinwesen so klein sind, daß sie mit so wenigen Spezialisten auskommen?
Woher sollten denn Manufakturarbeiter herkommen, die für andere arbeiten? Es hat doch jeder alles.

Aber wenn so eine Gemeinde wächst und größer wird und so die Anzahl der Schmiede wächst, so könnten doch die eine Manufaktur bilden.
Aber sie wachsen nie so an, weil sie sich dann teilen in neue Gemeinden.
In einer Stadt wäre das wieder anders, deswegen Marx’ Hinweis auf den Unterschied zwischen Stadt und Land.
Selbst bei größerer Spezialisierung in Ballungszentren kommt es jedoch noch nicht zur Bildung von Manufakturen, weil das setzt Produktion für den Markt voraus. Unter Bedingungen der Subsistenz, „Selbstgenügsamkeit“ gibt es keinen Bedarf nach dergleichen Unternehmungen.

Aber es wäre doch effizienter, diese Art von Arbeitsteilung zu praktizieren.
Der Gedanke der „Effizienz“ gehört in den Kapitalismus und ist vorkapitalistischen Produktionsweisen fremd. Wo alle vorhanden Bedürfnisse (sogar einen Dorfpoeten gibt es!) befriedigt sind, denkt niemand an Produktivitätssteigerung. Arbeit ist hier nicht wertschöpfend.

Aber die müßten dann weniger arbeiten, wenn die Arbeit besser organisiert würde.
Im Feudalismus gab es das Bedürfnis nach Arbeitszeitverkürzung nicht, weil die Leibeigenen waren eh zum Arbeiten da und sollten möglichst lang arbeiten. Die anderen jedoch, Fürsten, Könige und Pfaffen arbeiteten nicht. Die Handwerker in der Stadt schließlich waren froh, wenn sie genug Arbeit hatten. Es gab ja damals auch keine „Freizeit“, geschweige denn die dazugehörige Industrie. (Reisen war kein Vergnügen, sondern etwas Beschwerliches. Die Menschen lernten fremde Länder nur im Krieg kennen. Es gab keine Spiele, keinen Sport.) Das Bedürfnis, möglichst wenig zu arbeiten und möglichst viel Freizeit zu haben, kommt ja auch deshalb auf, weil die Arbeit so unangenehm ist.
Und wenn man unbedingt mehr Lebensmittel oder Luxusgüter haben wollte, so wurde ein Krieg oder Raubzug organisiert.
Die Staatsmänner bzw. Monarchen haben erst ein Bedürfnis nach Wirtschaftslenkung und Produktionssteigerung entwickelt, als sie draufgekommen sind, daß das ihre Steuereinnahmen erhöht und dadurch ihren Handlungsspielraum erweitert.

Ob das, was über die „Unveränderlichkeit asiatischer Gesellschaften“ auf S. 380 geschrieben steht, tatsächlich so eine Besonderheit Asiens darstellt, oder auch woanders (außerhalb Europas) sein Pendant hatte, sei dahingestellt. Weite Teile Asiens wurden eben nicht kolonialisiert, ihre Bewohner nicht in dem Ausmaß versklavt wie die anderer Kontinente, deswegen haben sie sich dort länger erhalten.

Die Zunftgesetze, wie schon früher bemerkt, verhinderten planmäßig, durch äußerste Beschränkung der Gesellenzahl, die ein einzelner Zunftmeister beschäftigen durfte, seine Verwandlung in einen Kapitalisten. Ebenso konnte er Gesellen nur beschäftigen in dem ausschließlichen Handwerk, worin er selbst Meister war. Die Zunft wehrte eifersüchtig jeden Übergriff des Kaufmannskapitals ab, der einzig freien Form des Kapitals, die ihr gegenüberstand. Der Kaufmann konnte alle Waren kaufen, nur nicht die Arbeit als Ware. Er war nur geduldet als Verleger der Handwerksprodukte. Riefen äußere Umstände eine fortschreitende Teilung der Arbeit hervor, so zerspalteten sich bestehende Zünfte in Unterarten oder lagerten sich neue Zünfte neben die alten hin, jedoch ohne Zusammenfassung verschiedner Handwerke in einer Werkstatt. Die Zunftorganisation, sosehr ihre Besondrung, Isolierung und Ausbildung der Gewerbe zu den materiellen Existenzbedingungen der Manufakturperiode gehören, schloß daher die manufakturmäßige Teilung der Arbeit aus.

(S 379/380)

Damit ist eigentlich klar gesagt, daß der Anstoß zur Bildung der Manufakturen nur von außerhalb der Ökonomie kommen kann, von der Staatsgewalt her.

[1Auf den Nikobaren leben ungefähr 50.000 Personen. Die Studie über das Eindringen der Geldwirtschaft nach dem Tsunami ist von Simron Singh, erschienen in polylog 23.

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